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    Tokall

    Aktiv seit: 21. Oktober 2021
    "Hilfreich"-Bewertungen: 1
    17 Rezensionen
    Seeräubermädchen und Prinzessinnenjunge Nils Pickert
    Seeräubermädchen und Prinzessinnenjunge (Buch)
    03.09.2022

    "Die schreckliche Vermissung"

    Kinder entdecken die Welt im Spiel und lieben Rollenspiele. Genau diese Idee wird in dem von Nils Pickert verfassten Kinderbuch „Seeräubermädchen und Prinzessinnenjunge“ wunderbar aufgegriffen, und zwar ganz ohne Geschlechterklischees. Milo spielt für sein Leben gern Prinzessin und Mara ist in ihrer Phantasie am liebsten ein Seeräubermädchen. Und ich finde diese beiläufige Vermittlung von Toleranz gelungen. Warum sollten Jungen nicht Prinzessin oder Mädchen Pirat spielen dürfen? Mit diesem Buch wird den Kindern zugestanden, sich frei zu entfalten. Das ist gelungen!
    Und noch ein anderes zentrales Thema wird in diesem Buch aufgegriffen: Freundschaft. Auf dem Spielplatz freunden sich Milo und Mara an, spielen zusammen und tauchen jeweils in die Welt des bzw. der anderen ein. Und die Freundschaft entwickelt sich über die Geschlechtergrenze hinweg. Und warum auch nicht?
    Ein Einschnitt in der Freundschaft erfolgt, als Milo und Mara voneinander getrennt werden und sich gegenseitig schmerzlich vermissen. Da verschwindet aufgrund des Gefühls von Traurigkeit sogar auf einer Doppelseite die Farbe aus dem Bild, was ich für eine kreative Text-Bild-Verzahnung halte. Mara fährt ohne Milo in den Urlaub. Und nun wird ein weiteres wichtiges Thema von Freundschaft vertieft: Trennungsschmerz. Auch das kennt wohl jedes Kind, gerade in den Ferien, wenn Freunde und Freundinnen in den Urlaub fahren. Hier finde ich die inhaltliche Aufbereitung der Gefühlsebene sehr gelungen und treffend. Auch die gegenseitige Befremdung des ersten Wiedersehens, wenn man sich länger nicht gesehen hat, wird gut deutlich. Und die Freude über eine Geburtstagseinladung und der gemeinsame Spaß auf der Feier, die sich ebenfalls im Buch wiederfinden, dürften auch jedem Kind bekannt vorkommen.
    Auch die Illustrationen von Lena Hesse sind gelungen. Auf jeder Seite findet man ein Bild und es gibt auch einige großformatige Bilder, die zur längeren Betrachtung einladen (ich habe auf den 67 Seiten 24 Illustrationen gezählt, die mehr als eine halbe Seite umfassen). Die Bilder beziehen sich inhaltlich auf das Gelesene, unterstützen also den Text. Besonders passend finde ich, wie auf einigen Bildern die Phantasiewelt der Kinder aus dem Rollenspiel aufgegriffen wird. Auch gibt es einige Zeichnungen, auf denen die Emotionen der Figuren gut zum Ausdruck gebracht werden.
    Erzählerisch gelungen finde ich auch den Wechsel der Perspektiven zwischen Milo und Mara, die hin und wieder, wenn auch nicht immer konsequent genug, vorkommen. Nicht ganz erschlossen hat sich mir allerdings, warum die Schriftfarbe hin und wieder wechselt. Dabei konnte ich keine Systematik erkennen. Und noch ein „kleiner“ Verbesserungsvorschlag: Ich hätte Kapitel gut gefunden. Gerade wenn man ein Buch vorliest, finde ich es immer hilfreich, wenn das Buch eine Struktur vorgibt, so dass man an den entsprechenden Stellen eine Pause einlegen kann.

    Fazit: Mal wieder ein tolles Buch des Carlsen-Verlags! Das Kinderbuch spiegelt inhaltlich treffend die Lebenswelt und die Gefühlsebene von Kindern in Bezug auf Spiel und Freundschaft wider. Dadurch finden sich die jungen Zuhörer:innen in dem Gelesenen gut wieder. Sie können das Gehörte gut auf sich selbst und ihre eigenen Erfahrungen beziehen. Das ist absolut lobenswert! Noch dazu werden Geschlechterklischees ignoriert und durch die Darstellung einer geschlechterübergreifenden Freundschaft wird in diesem Buch auch ein toleranter Umgang miteinander vorgelebt. Das finde ich ebenfalls positiv. Von mir eine klare Leseempfehlung und 5 Sterne.
    Jede*r kann die Welt verändern! - Ich bin Albert Einstein Brad Meltzer
    Jede*r kann die Welt verändern! - Ich bin Albert Einstein (Buch)
    02.09.2022

    Zu abstrakt und mit vielen Stereotypen

    Mit der Reihe „Jeder kann die Welt verändern“ aus dem Egmont-Verlag tue ich mich erneut schwer. Auch der zweite Band „Ich bin Albert Einstein“, verfasst von Brad Meltzer, illustriert von Christopher Eliopoulos, konnte mich nicht überzeugen. Schon mit dem ersten Band „Ich bin Anne Frank“ hatte ich meine Schwierigkeiten (vgl. eine frühere Rezension). Vor allem die Altersangabe des Verlags (für Kinder ab 7 Jahren) halte ich für unangemessen. Denn die Macher dieses Buchs beachten erneut einen zentralen Aspekt nicht, der mich schon beim ersten Band massiv gestört hat. Ich zitiere mich selbst: „Didaktische Reduktion muss das Kriterium von Angemessenheit erfüllen. D.h. es muss das Vorwissen der Zuhörer:innen berücksichtigt werden.“ Und in meinen Augen wird dieser Aspekt auch in Band zwei erneut nicht beachtet. Viele Inhalte halte ich für zu abstrakt, die Kinder werden sie also nicht angemessen verstehen. Das habe ich schon beim ersten Band kritisiert. Hier einige Auszüge aus dem Text, die das beispielhaft verdeutlichen: „fasziniert von der Funktionsweise des Kompasses“, „Alles gehorchte unbekannten Gesetzen“, „warum verhielt sich das Universum so, wie es sich verhielt“, „Auch in Musik entdeckte ich feste Strukturen“, „Genau wie der Kompass war es nun das Geometriebuch, das meinem Leben eine bestimmte Richtung verlieh“ etc. Und ich könnte weitere Beispiele anführen.
    Was mich noch stört. Das Bild, das von Albert Einstein vermittelt wird, ist schon sehr schematisch und stereotyp. Immer wieder wird verdeutlicht, wie sehr er doch von seiner Umwelt als Träumer abgestempelt wurde und Häme ertragen musste. Für mich wird der erzählte Inhalt hier zu sehr dem Klappentext untergeordnet und simplifiziert, getreu dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Man greift selektiv einzelne Episoden aus dem Leben heraus und ordnet sie der Botschaft unter, die mit diesem Buch vermittelt werden soll.
    Nicht zuletzt gefällt mir auch die Bebilderung nicht. Warum wird Albert Einstein schon als Kind mit Bart und wilder Frisur dargestellt? Was soll das? Mir hat sich die Funktion dieser Darstellung nicht erschlossen und es verleiht dem Inhalt noch dazu etwas Komödiantisches. Und es zeugt erneut davon, in was für einer stereotypen Form hier von Albert Einstein berichtet wird. Insgesamt finde ich die Zeichnungen zu unrealistisch und künstlich überzeichnet. Das hat mich im ersten Band noch gar nicht so gestört. Aber beim zweiten Band empfand ich die Illustrationen als zu synthetisch.
    Ich werde den nächsten Bänden dieser Reihe keine Chance mehr geben. Zwar interessieren sich Kinder durchaus für historische Persönlichkeiten, aber die inhaltliche und gestalterische Aufmachung der Bücher sagt mir und meinen Kindern einfach nicht zu. Hier wird Potential nicht genutzt.

    Fazit: Ein Kinderbuch mit vielen zu abstrakten Inhalten. Nach meiner Erfahrung überfordert es die jungen Zuhörer:innen und Leser:innen und ist nicht altersangemessen. Noch dazu werden Stereotype reproduziert. Ich rate von der Lektüre ab und vergebe 1 Stern.
    Raina, R: Bekenntnisse eines Betrügers Raina, R: Bekenntnisse eines Betrügers (Buch)
    21.07.2022

    Starker Beginn, dann deutlicher Qualitätsverlust

    Das Debut „Bekenntnisse eines Betrügers“ von Rahul Raina startet vielversprechend, die ersten 130 Seiten haben mir gut gefallen. Leider lässt das Werk dann nach meinem Dafürhalten aber stark nach. Nachdem Rudi durch die Hilfe des Bildungsberaters Ramesh ein rekordverdächtig gutes Ergebnis bei den Aufnahmeprüfungen der Universität erzielt, „driftet“ die Handlung für mich zu sehr in Richtung Gangster-Komödie ab. Dabei wird die scharfzüngige und bissige Gesellschaftskritik immer mehr zur Nebensache und rückt zu sehr in den Hintergrund. Stattdessen verändert sich die Handlung mehr in Richtung eines unrealistischen Trips im Stil einer Komödie wie „Hang Over“. Das entsprach nicht meinem Geschmack. Und leider empfand ich die Darstellung auch nicht als sonderlich witzig, anders als im Klappentext versprochen.
    Das ist sehr schade, denn der Beginn dieses Romans ließ etwas anderes erwarten: eine satirische Aufsteigergeschichte. Die lieblose Beziehung zum Vater wird gut dargestellt, ebenso die Begegnung mit der Nonne Claire, die Ramesh fördert und ihm eine Aufstiegschance ermöglicht. Hinzu kommt ein grober, emotional-expressiver und teils vulgärer Erzählton, der Rameshs Wut aufs System sehr gut deutlich werden lässt. Man spürt die Verachtung des Ich-Erzählers gegenüber seinem eigenen Heimatland. Zu viele Enttäuschungen hat er erlebt, zu viele Ungerechtigkeiten mitangesehen. Dementsprechend drastisch sind die Worte, mit denen Ramesh Indien beschreibt. Er hadert mit den Zuständen im Land, er beklagt vor allem die soziale Ungleichheit, die Korruption und kritisiert das Bildungssystem. Das alles ist erzählerisch gut gemacht und interessant zu lesen. Lediglich ein Nachwort mit Informationen zum indischen Bildungssystem und zu den Aufnahmeprüfungen an den Universitäten hätte ich mir noch gewünscht. So habe ich mich beispielsweise schon gefragt, ob das Ansehen eines erfolgreichen All-India-Kandidaten tatsächlich so immens ist.
    Leider entwickelt sich die Handlung dann nach 130 Seiten in eine Richtung, die ich längst nicht mehr so fesselnd und aufschlussreich fand. Die Tiefgründigkeit geht verloren, facettenreich geschilderte Beziehungsverhältnisse gibt es nicht mehr. Die Aufsteigergeschichte verliert an Bedeutung. Das fand ich sehr schade. Stattdessen: Wenig Ernsthaftes, wenig Gesellschaftskritisches.

    Fazit: Ein Roman, der interessant und gesellschaftskritisch startet, dann aber ab Seite 130 in meinen Augen enorm an Qualität verliert. Aus der anfangs noch tiefgründigen Gesellschaftskritik wird eine turbulente und oberflächliche Gangster-Komödie. Leider entsprach das nicht meinem Geschmack, deshalb nur 3 Sterne und eine eingeschränkte Leseempfehlung.
    Dieser Beitrag wurde entfernt Hanna Bervoets
    Dieser Beitrag wurde entfernt (Buch)
    08.07.2022

    Offenlegung eines "kranken" Systems

    Gute Literatur schafft es in meinen Augen, zum Reflektieren anzuregen und Fremdverstehen zu fördern. Noch dazu mag ich es, wenn sie eine gesellschaftspolitische Relevanz hat. Hanna Bervoets legt mit ihrem Werk „Dieser Beitrag wurde entfernt“ einen Roman vor, der diese Anforderungen erfüllt. In einer verdichteten Schreibweise mit hoher Intensität schildert sie am Beispiel von Kayleigh und ihrer Freundin Sigrid die belastende Tätigkeit im Bereich der Content-Moderation und zeigt auf, wie sich die Beschäftigung mit gewalthaltigen Inhalten auf die Betroffenen auswirkt. Gezeigt wird eine abschreckende und verstörende Arbeitswelt.
    Die Darstellung der Arbeitsbedingungen wirkt sehr realistisch. Der unglaubliche Leistungsdruck und die übergriffige Überwachung der Mitarbeiter:innen wird gut deutlich. Psychologische Unterstützung fehlt weitestgehend. Ich war geschockt und habe mich darüber gewundert, dass die Angestellten das mit sich machen lassen und so wenig hinterfragen. In ihrem Nachwort macht die Autorin deutlich, dass sie sorgfältig für ihren Roman recherchiert hat. Sie führt weiterführende Literatur zu dem Thema an. Auf diese Weise wirkt ihr Werk fast dokumentarisch, der Inhalt bleibt aber natürlich fiktiv. Im Zentrum steht nicht die Charakterzeichnung und -entwicklung, im Zentrum steht die Offenlegung eines „kranken“ Systems, in dem jeder einzelne leidet. Der Roman ähnelt eher einer soziologischen Studie, in der die Missstände aufgezeigt werden.
    Auch die erzählerische Gestaltung verleiht dem Ganzen ein hohes Maß an Authentizität. Die Ich-Erzählerin adressiert in einer Art Erlebnisbericht in Form eines Briefs einen Anwalt. Das fand ich sehr passend und gelungen! Auch wenn die näheren Umstände des Falls und was letztlich daraus wird im Dunkeln bleiben. Das fand ich zwar schade, kann aber nachvollziehen, dass die Autorin hier lieber eine Leerstelle entstehen lassen wollte.
    Der Einstieg in den Roman erfolgt unmittelbar, man ist sofort mittendrin im Geschehen. Und man wird auch sofort mitgerissen, weil man wissen will, was der Protagonistin passiert ist, was sie erlebt hat, warum sie gekündigt hat. Und ich habe das Buch mit einer großen Anspannung gelesen. Immer wieder musste ich innehalten, um das Gelesene zu verarbeiten. Man ist als Leser sehr gefordert, viele Stellen verstören durch die konkrete Erwähnung von gewalthaltigen Inhalten. Es gibt immer wieder Schockmomente beim Lesen. In diesem Zusammenhang habe ich mich schon gefragt, ob das wirklich sein muss, ob diese Drastik gerechtfertigt ist. Oder bedient die Autorin gar mit den schockierenden Beispielen den Voyeurismus der Leser:innen? Ist das bedenklich? Meiner Meinung nach wäre eine Schonung der Leserschaft hier fehl am Platze. Denn erst durch die Erwähnung dieser Beispiele wird der Kontrast zu den absurden Richtlinien richtig deutlich.
    Als verstörend habe ich beim Lesen empfunden, dass es bei der Beurteilung von gewalthaltigen medialen Inhalten als Content-Moderator weniger um den Inhalt selbst geht, als vielmehr um das Überprüfen von Richtlinien. Und diese Richtlinien sind nicht unbedingt in sich konsistent und logisch. Offensichtlich gewalthaltigen Inhalten wird die Anstößigkeit abgesprochen, weil sie den absurden Richtlinien noch entsprechen.
    Gleichzeitig wird deutlich, wie sich die moralischen Maßstäbe und die Wirklichkeitswahrnehmung der Mitarbeitenden verschieben. Der innere Kompass gerät aus dem Gleichgewicht. Eine Verrohung in der Belegschaft ist die Folge. So wird z.B. deutlich, dass Sprache aus dem zu sichtenden Material in den eigenen Sprachgebrauch übernommen wird. Einige glauben plötzlich an Verschwörungstheorien. Gleichzeitig ist beängstigend, dass die Protagonistin so wenig in Frage stellt. Ihr geht es in erster Linie darum, Ziele zu erfüllen und die Richtlinien korrekt anzuwenden. Sie scheint das Gesehene gar nicht groß an sich heranzulassen, verdrängt es lieber und flüchtet sich stattdessen in Alkohol und Sex. Ihre Freundin Sigrid reagiert da anders. Ihr psychischer Zustand verschlechtert sich zusehends. Und es ist gut, dass die Autorin hier einen Kontrast zwischen den beiden Figuren angelegt hat, um zu einer differenzierteren psychologischen Darstellung der Folgen der Tätigkeit zu gelangen.
    Zum Ende hin werden die Handlungsweisen der Figuren zunehmend irrationaler. Man ist als Leser:in sehr gefordert, sich den Sinn und den Zusammenhang zu erschließen. Vieles bleibt nebulös und unausgesprochen. Das wird nicht jede/r mögen. Auch bleibt viel offen, am Ende hatte ich mehr Fragen als Antworten im Kopf, mit denen ich mich allein gelassen fühlte. Das hat mich aber nicht so gestört, dass ich dafür einen Stern abziehen würde.

    Fazit: Ein Roman, der seine Leserschaft fordert. Es ist ein schwieriges Thema, dass die Autorin hier behandelt, aber sie macht es in meinen Augen sehr gut. Ich empfehle das Buch solchen Leserinnen und Lesern weiter, die bereit sind, sich damit auseinanderzusetzen, wie der Konsum gewalthaltiger Medien sich auf Betroffene auswirkt, und die sich auch von einigen schockierenden Beispielen, die zur Veranschaulichung dienen, nicht abschrecken lassen. Auch sollte man sich darauf einlassen können, die Offenheit des Werks auszuhalten. Ich vergebe 5 Sterne und spreche eine Empfehlung aus. Denn ich mag Literatur mit gesellschaftspolitischer Relevanz, die zum Nachdenken anregt.
    Die sieben Schalen des Zorns Markus Thiele
    Die sieben Schalen des Zorns (Buch)
    22.06.2022

    Das Gesetz - ein Segel?

    In seinem sehr lesenswerten Roman „Die sieben Schalen des Zorns“ widmet sich der Autor dem sehr schwierigen Thema der Sterbehilfe und beleuchtet es vor allem unter Einbezug juristischen Wissens. Schon in seinem Vorwort macht Markus Thiele klar, dass es bei der Sterbehilfe verschiedene Formen gibt: „die aktive und passive Begehungsweise sowie die Beihilfe zur Selbsttötung“ (vgl. S. 9). Genau in diesem Spektrum von Möglichkeiten der Sterbehilfe siedelt der Autor den fiktiven Fall an. Und was ich toll finde: Der Autor ist selbst Fachmann. Als Rechtsanwalt versteht er es hervorragend, rechtliche Grauzonen erzählerisch angemessen und interessant aufzubereiten. Das macht er richtig gut. Man könnte im ersten Moment vielleicht befürchten, dass die Lektüre trocken ist oder die Figuren nur als Mittel zum Zweck herhalten, um juristische Sachverhalte zu veranschaulichen. Doch so ist es nicht! Im Gegenteil. Die Lektüre ist zwar fordernd und man lernt jede Menge dazu, aber der Erzählton ist nie langatmig. Und auch die Gestaltung der Figuren und ihrer Beziehungsverhältnisse zueinander ist gelungen. Die Charaktere wirken lebensecht, ihr Handeln ist plausibel, sie sind nicht flach, sondern mit Tiefe gezeichnet. Ich war positiv überrascht. Vor allem die Freundschaft zwischen Max und Jonas ist facettenreich und mit dramatischem Geschick gestaltet worden. Beide sind durch ein tragisches Schicksal auf besondere Weise miteinander verbunden. Und Jonas befindet sich in einer erheblichen Dilemma-Situation und man fragt sich, wie er sich in seiner Rolle als Staatsanwalt seinem Freund gegenüber verhalten wird. Auch die familiären Unterschiede zwischen Max und Jonas kommen gut zum Ausdruck: Während Max eine triste und lieblose Kindheit mit einem Vater erlebt hat, der ihn emotional vernachlässigt hat, ist Jonas in einem reichen und eher karrieristisch geprägten Elternhaus groß geworden. Die soziale Herkunft zwischen beiden könnte unterschiedlicher nicht sein. Und als Leser stellt man sich die Frage: Wird die Freundschaft zwischen Max und Jonas womöglich an dem Fall zerbrechen? Wie wird sich Jonas positionieren?
    Auch Agnes ist eine reizvolle Figur, die der Handlung zusätzliche Spannung verleiht. Zwischen Max und Agnes wird Rivalität und Antipathie deutlich. Zwischenzeitlich fragt man sich, inwieweit auch die leibliche Tochter ihre Finger im Spiel hat. Will Sie Max möglicherweise etwas anhängen und ihn in ein schlechtes Licht rücken?
    Was mich noch überzeugt hat: Thiele ist am Puls der Zeit. Durch sein Nachwort wird deutlich, dass der Hohe Rat von Den Haag eine vielleicht richtungweisende Entscheidung zum Thema „Sterbehilfe“ getroffen hat. Er erwähnt, dass einzelne Fraktionen im Deutschen Bundestag Gesetzesvorschläge eingebracht hätten, um die Sterbehilfe neu zu regeln (vgl. S. 389-391). Das verleiht dem Inhalt des Buches nicht nur Aktualität, sondern noch dazu einen hohen Grad an Realismus. Und ich fand bei der Lektüre v.a. solche Passagen interessant, in denen auch einmal strafrechtliche Grundsatzdebatten erzählerisch ansprechend vermittelt wurden. So wird gut deutlich, dass das Recht nicht statisch ist, sondern gesellschaftlichen Wandlungsprozessen unterliegt.
    Auch den Einblick in die Arbeit des Staatsanwalts habe ich mit Interesse gelesen (vgl. Kap. 16). Und die Darstellung des Prozesses ab S. 265 war für mich das Highlight des Buchs. Mir war nicht klar, welche Spielräume ein Staatsanwalt zur Verfügung hat. Hier merkt man einfach, dass der Autor vom Fach ist. Die Darlegungen wirken auf mich sehr realistisch. Und mich stimmte hoffnungsvoll, dass der Staatsanwalt das Ziel verfolgt, mit dem Angeklagten fair umzugehen, und im Zentrum des Interesses die Wahrheitsfindung steht. Das fand ich differenziert dargelegt.
    Das einzige, was ich kritisch anmerken kann, ist der Umstand, dass dieses Buch bei der Lektüre schon fordernd ist. Es ist kein Buch, das man mal eben so herunterliest. Mich hat das aber überhaupt nicht gestört.

    Fazit: Ein lesenswerter Roman, der sich vor allem juristisch mit dem Thema „Sterbehilfe“ beschäftigt. Man erhält interessante Einblicke in die deutsche Rechtsprechung und beiläufig werden juristische Grauzonen beleuchtet. Die Figuren und ihre Beziehungsverhältnisse zueinander sind ansprechend gestaltet worden. Die Lektüre des Buchs ist fordernd, aber es lohnt sich. Ich vergebe 5 Sterne!
    Die Knochenleser Jacob Ross
    Die Knochenleser (Buch)
    07.06.2022

    Krimi in exotischer Umgebung

    Der überaus intelligente Michael „Digger“ Digson, ausgestattet mit einer sehr guten Auffassungs- und Beobachtungsgabe, wird eines Tages Zeuge eines Mordes auf offener Straße. Bei den polizeilichen Ermittlungen kann er die Täter identifizieren und wird dann von Detective Superintendant Chilman für den Polizeidienst angeworben. Chilman steht kurz vor dem Ruhestand und ist eine interessant gestaltete Figur eines Vorgesetzten. Es wird deutlich, dass ihn ein alter Fall nicht loslässt. Für Digger wird er eine Art Mentor und Förderer. Er bewegt ihn dazu, sich in England zum Forensiker ausbilden zu lassen. Nachdem Chilman sich in den Ruhestand verabschiedet, bildet Digger dann mit Chilmans Tochter, Miss Stanislaus, ein gut eingespieltes und charismatisches Ermittlerduo, das weiter daran arbeitet, den Fall abzuschließen, der Chilman seit Jahren umtreibt.
    Als gelungen habe ich die atmosphärische Beschreibung der Karibikinsel Camaho empfunden. Beim Lesen entsteht ein besonderes Flair, das sich wohltuend von deutschen oder auch skandinavischen Schauplätzen abhebt. Unterstützt wird die exotische, karibische Atmosphäre durch eine besondere Form der Sprachgestaltung: Die Figuren lassen bei Wörtern häufiger einmal die Endkonsonanten aus oder es kommt zu Kontraktionen von zwei Wörtern. Vermutlich soll auf diese Weise der besondere Sprachstil auf der Insel im Deutschen nachgeahmt werden. Auf mich hat diese Form des Sprechens lässig gewirkt. Mich würde tatsächlich interessieren, wie die Figuren im Original „The bone readers“ sprechen. Eine Anmerkung des Übersetzers Thomas Wörtche im Nachwort hätte ich mich durchaus interessiert.
    Was ich ebenfalls als positiv empfunden habe, ist der Umstand, dass die Polizeiarbeit mitsamt der dazugehörigen Konkurrenzkämpfe und schwierigen Hierarchien beleuchtet wird. Zwischen Digger und dem neuen Vorgesetzten Malan kommt es zu Auseinandersetzungen, der Umgangston ist teils rüde. Die Chemie zwischen beiden stimmt nicht. Malan stört sich vor allem daran, dass Chilman auch aus seinem Ruhestand heraus noch Einfluss auf die Ermittlungsarbeit nehmen will. Diese Darstellung von „Mikropolitik“ innerhalb der Polizeibehörde fand ich reizvoll.
    Den Fall selbst finde ich hingegen stellenweise etwas verworren dargelegt. Ich konnte nicht immer gut folgen. Er spielt auch über viele Seiten nur am Rande eine Rolle, er rückt erst am Ende wieder mehr in den Fokus. Die Beschreibung der zwischenmenschlichen Beziehungen stand nach meinem Gefühl viel mehr im Zentrum als der Fall selbst. Das fand ich ungewöhnlich. Auch hat mich der Fall nicht so richtig mitgerissen. Was mich auch gestört hat: Die spezielle Fähigkeit des Knochenlesens, immerhin der Titel des Buchs, kam für mich viel zu selten zum Einsatz. Das besondere Talent, das Digger erlernt hat, wird erzählerisch kaum genutzt. Da hätte ich mehr erwartet. Auch die vielen Frauengeschichten von Michael Digson, die viel Raum einnehmen, haben mich nicht sonderlich interessiert.

    Fazit: Ein Kriminalroman mit einem interessanten, charismatischen Ermittlerduo, einer exotischen Karibikatmosphäre und einer innovativen Sprachgestaltung, in dem vor allem die „Mikropolitik“ in der Polizeibehörde reizvoll gestaltet worden ist. Der Fall selbst hat mich nicht so mitgerissen, er wird auch etwas verworren dargelegt. Der Titel weckt zudem eine falsche Erwartungshaltung. Insgesamt solide und 3 Sterne. Für solche Leser, die einmal an einem exotischen Schauplatz interessiert sind.
    Das U-Boot Hans Leister
    Das U-Boot (Buch)
    05.06.2022

    Hat meine Erwartungen nicht erfüllt

    Mit großer Vorfreude habe ich mich an die Lektüre des Thrillers „Das U-Boot“ von Hans Leister begeben, in freudiger Erwartung darauf, dass ich einen packenden apokalyptischen Endzeit-Thriller lesen werde. Leider hat das Buch meine hohen Erwartungen nicht erfüllen können. Ich erkläre gerne, woran das liegt.

    Die erste Buchhälfte
    Die ganze Handlung startet nach meinem Gefühl sehr langsam und gemächlich, es dauert lange, bis „Das U-Boot“ Fahrt aufnimmt und mit voller Kraft voraus fährt. Hinzu kommt ein Erzählton, den ich als dröge, nüchtern und emotionslos empfunden habe. Auch der Erzählstil ist simpel. Mitreißend wird es erst, wenn das Buch schon fast zur Hälfte ausgelesen ist. Das dauerte mir persönlich zu lang. Mir fehlen v.a. in der ersten Hälfte des Buchs spannungserregende Ereignisse, die die Handlung vorantreiben. Es bleibt auch unklar, worauf die Handlung überhaupt hinausläuft. Es fehlen das Tempo und die Dynamik.
    Bevor sich die Endzeit-Katastrophe ereignet, wird vor allem das Beziehungsverhältnis von Leah zu ihrem Freund Uri vertieft, und das in meinen Augen sehr klischeehaft und konstruiert. Da verzeiht sie ihm mal ebenso einen One-Night-Stand und will dann direkt schwanger werden und heiraten. Also ich weiß ja nicht, „lebensecht“ und realistisch wirkte das auf mich jedenfalls nicht. Hinzu kommt die sich wiederholende Schilderung von U-Boot-Manövern, die nach meinem Dafürhalten auch nicht sehr abwechslungsreich gestaltet worden sind. In einem zweiten Erzählstrang begleiten wir noch Tarik, den Tunnelbauer. Aber mir ist nicht klar geworden, wofür er diesen Tunnel konstruiert und was das überhaupt für ein Projekt ist, an dem er arbeitet. Das bleibt doch sehr mysteriös. Sehr nüchtern wird dann noch von einem tragischen Schicksal seines Sohns Chaled berichtet.

    Die zweite Buchhälfte
    Nach dem Beginn der Katastrophe liest sich das Buch zeitweise erst einmal deutlich besser. Allerdings hält das nicht sehr lange an, denn man wird einfach zu lange auf die Folter gespannt, was denn nun passiert ist. Und das Rätselraten nutzt sich nach meinem Empfinden mit der Zeit einfach ab. Es wird dadurch auch ein unheimlicher Erwartungsdruck im Hinblick auf die Gestaltung des Endes erzeugt, der nach meinem Dafürhalten dann aber nicht eingelöst wird. Die Auflösung am Ende fand ich doch sehr dünn. Und auch was auf S. 365-405 geschildert wird, hat mich nicht überzeugt. Ich habe diese Schwerpunktsetzung am Ende auch nicht wirklich nachvollziehen können, mir fehlte hier ein klarer roter Faden. Zu allem Überfluss fand ich auch die Figur Amany unrealistisch angelegt.

    Man merkt meiner Rezension vermutlich die Enttäuschung an. Und ich wäre viel lieber in Lobgesänge verfallen. Ich könnte hier noch mehr bemängeln, z.B. was die Charakterzeichnung und die Gestaltung der Beziehungsverhältnisse betrifft. Aber ich verzichte darauf. Bilde sich jeder selbst ein Urteil von diesem Werk. Der Thriller lebt von zwei Fragen: Wann passiert endlich etwas? Warum passiert das? Und das trägt nicht das gesamte Buch. Ich vergebe wegen der positiven Grundidee und spannenden 50 Seiten in der Mitte des Buchs 2 Sterne.

    Fazit: Ein Thriller, der mich leider sehr enttäuscht zurücklässt. Die apokalyptische Grundidee ist gut, der Klappentext klingt vielversprechend, doch die Erwartungen, die der Thriller weckt, werden nicht eingehalten. Die erste Buchhälfte ist langweilig und nach dem Beginn der Katastrophe nutzt sich das Szenario schnell ab. Die Auflösung am Ende ist dünn. Der Erzählton ist dröge. Keine Empfehlung von mir!
    Lenk, F: 1000 Gefahren junior - Disney Villains: Chaos beim Lenk, F: 1000 Gefahren junior - Disney Villains: Chaos beim (Buch)
    01.06.2022

    Interaktives Buch mit DIsney-Setting

    In dem Kinderbuch „Chaos beim Korallenfest“ aus der Reihe „1000 Gefahren junior“ von Fabian Lenk schlüpfen die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer bzw. Erstleser:innen in die Rolle des Schwertfischs Flutsch, der von seinem Fisch-Freund Blinky begleitet wird, und erleben zusammen einige Abenteuer. Ich empfehle es zum Vorlesen für Kinder ab 5 Jahren und für Selbstleser:innen ab der zweiten Klasse.

    Konzept
    Wie es für die Reihe typisch ist, werden die Kinder interaktiv in den Leseprozess eingebunden, was nach meiner Erfahrung zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und Neugier beim Zuhören führt. Anders als in gewöhnlichen Büchern liest man das Buch nicht einfach von der ersten bis zur letzten Seite durch, sondern man löst an bestimmten Stellen im Buch Rätsel und trifft Entscheidungen, die dann in jeweils in unterschiedliche Richtungen führen. Innerhalb ein- und derselben Geschichte ergeben sich verschiedene Variationsmöglichkeiten. Dadurch ist der Nachwuchs beim Zuhören stets aktiv dabei, was ich großartig finde. Und weil die Kinder wissen wollen, wie sich die Geschichte abhängig von ihren Entscheidungen entwickelt, wird auch ihre Neugier geweckt.

    Inhalt
    Insgesamt werden in dem entworfenen Disney-Setting um König Triton und Hexe Ursula 17 Fragen an die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer gerichtet, die alle wieder zu anderen Verläufen führen, so dass Abwechslung garantiert ist. Meine Töchter waren wieder sehr bei der Sache und wollten direkt alle Varianten kennen lernen. Im Prinzip gibt es zwei Haupthandlungsstränge: Entweder will man sich die Parade zum Korallenfest genauer anschauen oder König Tritons Schatz suchen.
    Außer den Entscheidungsfragen kommen im Buch auch insgesamt 9 Rätselfragen vor, bei denen die Kinder in den meisten Fällen den nachfolgenden Textinhalt im Fortgang antizipieren müssen. Gut ist, dass auch die Lösung verraten wird, so dass kein Frust aufkommt.
    Wichtig zu erwähnen, ist in diesem Zusammenhang noch, dass trotz der Variationen innerhalb der Geschichte der Inhalt nie seine Kohärenz einbüßt. Alles bleibt logisch und nachvollziehbar.

    Bebilderung und Sprachgestaltung
    Das Disney-Setting spiegelt sich auch in der Bebilderung wider. Auch die böse Meerhexe Ursula und König Triton tauchen auf. Das hat meinen beiden Töchtern gefallen. Jedoch gibt es auch einiges zu bemängeln (s. Kritikpunkte).
    Bei der Sprachgestaltung ist zunächst einmal auffällig, dass die Kinder direkt mit „du“ angesprochen und auf diese Weise in die Handlung einbezogen werden. Das schafft Aktivierung und ist gelungen. Was mir ebenfalls aufgefallen ist, ist der Umstand, dass sehr viel wörtliche Rede vorkommt. Das sorgt für Lebendigkeit. Es überwiegt dadurch allerdings auch ein umgangssprachlicher Sprachton. Passend zum Inhalt findet man viele Ausdrücke aus dem maritimen Bereich, das ist gelungen. Grundsätzlich empfand ich die Sprachgestaltung als altersangemessen. Der Wortschatz und die Satzkonstruktionen sind nicht zu komplex, ich bin beim Vorlesen über keine Stelle „gestolpert“.

    Kritikpunkte
    Beim Vorlesen muss man sich darauf einstellen, dass man anders als in anderen Büchern vermehrt Hin- und Herblättern muss. Mich hat das zwar nicht gestört, aber ich hätte es hilfreich gefunden, wenn auf den Seiten nicht nur angegeben wird, wo man weiterlesen soll, sondern wie man den Weg des Gelesenen auch wieder zurückverfolgen kann. So könnte man sich noch deutlich besser in dem Werk zurechtfinden.
    Bei den Rätselfragen ist grundsätzlich das Problem, dass sie „nur“ bei den ersten Malen spannend sind, danach sind sie bereits bekannt und weniger interessant. Auch ist die Rätselfrage zum Labyrinth zu einfach und durch den begleitenden Text auch zu verwirrend. Weiterhin ist mir aufgefallen, dass es anders als im Vorgängerband weniger verschiedenartige Aufgabenformate gibt (vgl. dazu eine frühere Rezension). Das ist schade!
    Das Ende mancher Erzählstränge kommt recht abrupt. Ich würde den Machern des Buchs empfehlen, die Bände der Buchreihe noch umfangreicher zu gestalten.
    Ich hätte mir beim Vorlesen auch umfassendere erzählerische Abschnitte gewünscht, mir dominiert die Umgangssprache zu sehr.
    Die Bebilderung fand ich im Vorgängerband „Das Geheimnis der Pirateninsel“ besser. Zunächst einmal waren meine beiden Töchter sehr enttäuscht darüber, dass im ganzen Buch kein einziges Bild von Arielle auftaucht. Hier hat das Cover eine andere Erwartungshaltung provoziert. Darüber hinaus ähneln sich viele Bilder doch sehr stark, mehr Abwechslung wäre hier gut gewesen. Auch sind die Bilder wenig textunterstützend. Eine stärkere inhaltliche Text-Bild-Verzahnung hätte dem Buch gut getan. Auch hätten es mehr großflächige Illustrationen sein dürfen. Hier hat mir der Vorgängerband „Das Geheimnis der Pirateninsel“ deutlich besser gefallen.

    Fazit: Das Kinderbuch weist ein innovatives Konzept auf. Man sollte es in meinen Augen auf jeden Fall einmal mit seinem Nachwuchs austesten. Es bietet aber auch noch Verbesserungspotential. Verglichen mit dem Vorgängerband „Das Geheimnis der Pirateninsel“ ist dieser Band weniger gut gelungen, was sich in meinen Augen v.a. an der Bebilderung und den Rätselfragen zeigt. Deshalb vergebe ich dieses Mal nur 4 Sterne! Trotzdem empfehle ich es weiter.
    Jede*r kann die Welt verändern! - Ich bin Anne Frank Brad Meltzer
    Jede*r kann die Welt verändern! - Ich bin Anne Frank (Buch)
    31.05.2022

    Inhaltliche Überforderung

    Ist das Schicksal von Anne Frank ein wichtiges Thema? Absolut! Ist es auch ein Thema, das in Form eines Comics schon für Kinder ab 7 Jahren geeignet ist? In meinen Augen nicht. Da hilft es auch nichts, dass die Illustrationen in dem Comic „Ich bin Anne Frank“ aus der Reihe „Jeder kann die Welt verändern“ von Brad Meltzer gelungen sind. Ich halte den Inhalt für eine Überforderung von Kindern ab 7 Jahren. Denn die Macher dieses Buchs beachten in meinen Augen einen zentralen Aspekt nicht: Didaktische Reduktion muss das Kriterium von Angemessenheit erfüllen. D.h. es muss das Vorwissen der Zuhörer:innen berücksichtigt werden. Und das wird hier absolut missachtet. Denn Kinder in diesem Alter wissen noch nichts vom Zweiten Weltkrieg, von Adolf Hitler, von der Judenverfolgung, von Konzentrationslagern. Und sie werden es auch noch nicht angemessen verstehen. Und das alles möchte ich ihnen während der Lektüre dieses Buchs auch nicht erklären müssen. Denn es ist davon auszugehen, dass viele Nachfragen kommen werden. Ich habe mich dagegen entschieden, dieses Buch mit meinen Kindern zu lesen. Der Zeitpunkt, sich mit diesem Thema zu befassen, wird noch früh genug kommen. Es wird Thema in der Schule sein. Und dann ist auch der richtige Zeitpunkt dafür.
    Dennoch möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die Reihe „Jeder kann die Welt verändern“ durchaus Potential hat. Kinder interessieren sich für historische Persönlichkeiten. Aber das Vorwissen der Zielgruppe sollte dabei nicht aus dem Blick geraten. Das für August 2022 angekündigte Buch „Ich bin Albert Einstein“ kann gelungen sein. Und wenn ich von meinen Kindern ausgehe, so könnten auch die folgenden historischen Persönlichkeiten von Interesse sein, um einmal weitere Anregungen zu geben: Roald Amundsen, Mozart, Thomas Edison, Martin Luther King Jr., Isaac Newton, Marie Curie, Nelson Mandela, Gandhi, Florence Nightingale, Muhammad Ali etc.

    Fazit: Ein Kinderbuch, dass die jungen Zuhörer:innen überfordert und nicht altersangemessen ist. Ich rate von der Lektüre ab und sehe das Kriterium der Angemessenheit bei der didaktischen Reduktion verletzt.
    Lange Krallen Oliver Uschmann
    Lange Krallen (Buch)
    30.05.2022

    Der Inhalt sollte gemeinsam reflektiert werden

    Das Kinderbuch „Lange Krallen“, empfohlen für Kinder ab 10 Jahren, geschrieben und illustriert von Oliver Uschmann und Sylvia Witt aus dem Beltz-Verlag, ist für mich ein typisches Beispiel dafür, dass nicht jedes Buch für eine alleinige Lektüre geeignet ist. Einige inhaltliche Aspekte sollten besser noch einmal nachbesprochen werden, insbesondere das Ende. Sollte diese Bedingung erfüllt sein, halte ich das Werk durchaus für gewinnbringend. So lässt sich an vielen Stellen die Beurteilungskompetenz fördern, z.B. durch solche Fragen wie „Findest du das richtig?“, „Hättest du dich auch so verhalten?“. Vor allem das Ende des Buchs lädt zu solch einer Nachbetrachtung ein. Ich halte das Ende anders als andere Rezensenten nicht für bedenklich, man sollte es aber auf jeden Fall reflektieren. Ein Vergleich zu Robin Hood drängt sich auf. Kinder in diesem Alter wissen nach meiner Erfahrung, was richtig und was falsch ist. Ich glaube nicht, dass sie das beschriebene Verhalten nachahmen. Und im Gespräch kann man sich alternative Lösungsmöglichkeiten überlegen. Fraglich ist ja z.B. auch, wie die Eltern von Oskar reagieren werden. Das bleibt eine Leerstelle.
    Und auch den Vater von Leonie sollte man in meinen Augen auf jeden Fall kritisch beleuchten. Er wirkt auf mich sehr unsympathisch, agiert neidisch und ist voll von Vorurteilen.
    Ist dieses Buch vielleicht sogar als Klassenlektüre für Klasse 5 geeignet? Leider nur bedingt, denn es ist insgesamt zu knapp ausgefallen. Die Darstellung des Beziehungsverhältnisses von Leonie und Oskar ist ja durchaus interessant. Aber es hätte einfach umfangreicher ausfallen müssen. Das gleiche gilt für die besondere Beziehung zwischen Leonie und Bobby. Nach meinem Dafürhalten hätte Bobby ruhig noch häufiger ins Geschehen eingreifen können. Und was mich auch etwas gestört hat. Das Buch wird als Krimi vermarktet, doch so richtig Spannung will nicht aufkommen. Ich finde auch, dass der Klappentext und das Cover schon zu viel verraten. Der Fall ist zu vorhersehbar.

    Fazit: Ein Buch, das zwar für Kinder ab 10 Jahren geeignet ist, das aber nicht für eine selbstständige Lektüre in Frage kommt. Ich halte einen Meinungsaustausch über das Gelesene für angebracht.
    Ende In Sicht Ende In Sicht (MP3)
    11.02.2022

    Ronja von Rönne mit Berührungsängsten

    Ronja Von Rönne mit Berührungsängsten
    Ich habe noch nie nur einen einzigen Stern für ein Buch gegeben, und ich musste den Inhalt des Buchs erst einmal verarbeiten, bevor mir klar geworden ist, dass dieses Buch misslungen ist. Doch warum? Bei ihrem neuen Buch „Ende in Sicht“ hat sich Ronja von Rönne nach meinem Empfinden leider (!) „vergaloppiert“. Und ich wäre so gern in einen Begeisterungssturm verfallen, denn das Thema ihres Buchs ist wichtig: Es geht um den Wunsch zu sterben. Zugegeben, von Rönne sucht sich ein schweres Thema aus, eines, an das sich andere gar nicht erst herantrauen würden. Aber sie schafft es leider nicht, die dahinterliegende Krankheit, die Depression, angemessen zu thematisieren. Stattdessen lese ich Oberflächliches und wenig Ernsthaftes. Und das, obwohl die Autorin selbst Betroffene ist und in Interviews auch offen darüber spricht, ihr Buch ja sogar damit bewirbt. Und das, obwohl die Volkskrankheit „Depression“ mehr Tiefgründigkeit verdient, als ihr in diesem Buch zuteil wird. Bei beiden Figuren, Hella und Juli, habe ich mich nach den Beweggründen für den Todeswunsch gefragt. Doch diese kommen im Buch nicht plausibel zum Ausdruck, vor allem bei Hella nicht. Während des Lesens habe ich mich immer wieder gefragt, was in beiden Figuren vor sich geht. Doch von Rönne – warum auch immer – meidet an zentralen Stellen die Innenperspektive, scheinbar hat die Autorin hier selbst Berührungsängste. Krisenhafte Gedanken kommen nur selten und oberflächlich zum Ausdruck. Stattdessen kommt Hella – was mich irritiert hat – viel Lebensfreude zum Ausdruck, als sie mit Juli ins Schwimmbad geht und ihren alten Schwarm Erwin wiedertrifft. Das passt nicht so recht zusammen. Auch fehlte mir zwischen den beiden Figuren ein offenes Gespräch, in dem das Leiden beider Personen einmal deutlich wird, ich hätte gedacht, dass sie auf diese Weise zueinander finden, sich gegenseitig dabei unterstützen, aus dem Loch herauszufinden. Fehlanzeige. Auf ein solches Gespräch wartet man im Buch vergeblich. Im Zusammenhang mit der Sterbebegleitung in der Schweiz hätte ich mit kritischen Nachfragen von Juli gerechnet, irgendeine Form der Problematisierung würde ich erwarten (vielleicht auch im Nachwort). Doch Fehlanzeige! Auch davor drückt sich die Autorin, stattdessen reisen die beiden Figuren in einer Art Roadtrip von einem Abenteuer zum nächsten. Das wird der Krankheit Depression nicht gerecht, lässt sie sogar recht gewöhnlich und harmlos erscheinen. Des Öfteren habe ich mich gefragt, was unterscheidet Juli und Hella eigentlich von „gesunden“ Leuten. Dabei ist doch davon auszugehen, dass ein Mensch, der suizidale Gedanken verfolgt, der dann sogar einen Selbstmordversuch unternimmt, in einer schweren psychischen Krise steckt, vermutlich befindet er sich in einem Zustand schwerer Depression. Doch von den Symptomen dieses Krankheitsbildes findet man kaum etwas bei Juli und Hella, bei Juli zwar noch mehr als bei Hella, aber insgesamt bleibt es einfach oberflächlich. Auch was die Gestaltung des Beziehungsverhältnisses beider Hauptfiguren angeht, bin ich enttäuscht. Ich dachte, beide nähern sich auf ihrem Trip einander an, schließen Freundschaft, unterstützen sich gegenseitig, finden durch ihr gemeinsames Leid zueinander, stattdessen herrscht vor allem von Julis Seite aus große Distanz, teils sogar Aggressivität und vor allem Undankbarkeit. Das macht die Figur Juli unsympathisch, und ihr Verhalten lässt sich in meinen Augen nicht mit der Krankheit Depression rechtfertigen. Worüber ich noch gestolpert bin, ist eine Textstelle in der Juli über ihre Therapie spricht (S. 118), hier wird der Eindruck vermittelt, dass die Therapie für Juli wenig erfolgreich war. Da habe ich mich schon gefragt, ob das nicht eine frustrierende Botschaft ist, die an dieser Stelle vermittelt wird.
    Als absolut katastrophal habe ich das Ende empfunden, hier wird mit der Angst des Lesers um eine der Protagonistinnen gespielt, der Leser wird „auf die Folter gespannt“, ob sich Juli nun umgebracht hat oder nicht. Das Ende empfand ich angesichts des Themas „Suizid“ als geschmacklos und absolute Grenzüberschreitung. Dieses Buch spaltet. Es spaltet die Leser/innen in zwei Lager, in diejenigen, die von der Krankheit vermutlich wenig Ahnung haben und in diesem Buch lediglich Unterhaltung sehen, und in diejenigen, die sich mehr oder weniger mit der Krankheit auskennen und mehr Tiefgang erwartet haben. Und ich finde, dieses Buch leistet den Betroffenen einen „Bärendienst“, denn wie sollen solche Leser, die keine Ahnung von der Thematik haben, ein realistisches Bild von der Krankheit „Depression“ erhalten? Es wird keinerlei „Empathieförderung“ betrieben.
    Das Buch hätte mindestens mit einer „Triggerwarnung“ versehen werden sollen, noch besser wäre es in dieser Form vom Verlag gar nicht erst herausgegeben worden. Eine solche Warnung würde zumindest die Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass dieses Buch bei solchen Lesern, die eine entsprechende Krankheitsgeschichte haben, als extrem belastend empfunden werden kann.
    Noch etwas: Das Buch wird mit einer flapsigen Bemerkung von Stuckrad-Barre beworben. Diese Aussage von Stuckrad-Barre ist geschmacklos, denn damit werden angekündigte Suizidversuche der Autorin in kokettierender Art und Weise auf die Schippe genommen. Das ist für mich erneut Effekthascherei und eine Grenzüberschreitung. Letztlich bleibt mir nur meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass der Verlag in dieser Form ein Buch zu diesem so wichtigen Thema herausgibt.
    Nach der Lektüre des Buchs habe ich mich natürlich auch gefragt, ob Ronja von Rönne absichtlich die Erwartungshaltung ihrer Leser/innen durchbricht, doch falls ja, dann ist mir nicht klar geworden, warum sie dies tut, einen tieferen Sinn darin erkenne ich nicht. Zurück bleibt einfach Enttäuschung, ich hatte ganz klar eine andere Erwartungshaltung an das Buch. Für Leute, die sich etwas mehr Substanz wünschen und an diesem Thema interessiert sind, empfehle ich hier das sehr lesenswerte Buch „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ von Matt Haig.
    Abschließend noch ein Satz zum Hörbuch, das ich mir angehört habe, weil ich auf Ronja von Rönne neugierig war: Es ist toll, dass die Autorin selbst als Sprecherin ihres Buchs auftritt. Schließlich kann sie selbst am besten einschätzen, welche Inhalte sie auf welche Weise intoniert haben möchte. Aber ein Mehrwert hatte die sechsstündige CD gegenüber dem Buch jetzt auch nicht.

    Fazit: Ein Buch zum Thema Suizid, das (leider!) wenig Ernsthaftes und zu viel Oberflächliches bietet, die Krankheit „Depression“ wird nicht angemessen thematisiert.
    Ende in Sicht Ronja von Rönne
    Ende in Sicht (Buch)
    11.02.2022

    Ronja von Rönne mit Berührungsängsten

    Ronja Von Rönne mit Berührungsängsten
    Ich habe noch nie nur einen einzigen Stern für ein Buch gegeben, und ich musste den Inhalt des Buchs erst einmal verarbeiten, bevor mir klar geworden ist, dass dieses Buch misslungen ist. Doch warum? Bei ihrem neuen Buch „Ende in Sicht“ hat sich Ronja von Rönne nach meinem Empfinden leider (!) „vergaloppiert“. Und ich wäre so gern in einen Begeisterungssturm verfallen, denn das Thema ihres Buchs ist wichtig: Es geht um den Wunsch zu sterben. Zugegeben, von Rönne sucht sich ein schweres Thema aus, eines, an das sich andere gar nicht erst herantrauen würden. Aber sie schafft es leider nicht, die dahinterliegende Krankheit, die Depression, angemessen zu thematisieren. Stattdessen lese ich Oberflächliches und wenig Ernsthaftes. Und das, obwohl die Autorin selbst Betroffene ist und in Interviews auch offen darüber spricht, ihr Buch ja sogar damit bewirbt. Und das, obwohl die Volkskrankheit „Depression“ mehr Tiefgründigkeit verdient, als ihr in diesem Buch zuteil wird. Bei beiden Figuren, Hella und Juli, habe ich mich nach den Beweggründen für den Todeswunsch gefragt. Doch diese kommen im Buch nicht plausibel zum Ausdruck, vor allem bei Hella nicht. Während des Lesens habe ich mich immer wieder gefragt, was in beiden Figuren vor sich geht. Doch von Rönne – warum auch immer – meidet an zentralen Stellen die Innenperspektive, scheinbar hat die Autorin hier selbst Berührungsängste. Krisenhafte Gedanken kommen nur selten und oberflächlich zum Ausdruck. Stattdessen kommt Hella – was mich irritiert hat – viel Lebensfreude zum Ausdruck, als sie mit Juli ins Schwimmbad geht und ihren alten Schwarm Erwin wiedertrifft. Das passt nicht so recht zusammen. Auch fehlte mir zwischen den beiden Figuren ein offenes Gespräch, in dem das Leiden beider Personen einmal deutlich wird, ich hätte gedacht, dass sie auf diese Weise zueinander finden, sich gegenseitig dabei unterstützen, aus dem Loch herauszufinden. Fehlanzeige. Auf ein solches Gespräch wartet man im Buch vergeblich. Im Zusammenhang mit der Sterbebegleitung in der Schweiz hätte ich mit kritischen Nachfragen von Juli gerechnet, irgendeine Form der Problematisierung würde ich erwarten (vielleicht auch im Nachwort). Doch Fehlanzeige! Auch davor drückt sich die Autorin, stattdessen reisen die beiden Figuren in einer Art Roadtrip von einem Abenteuer zum nächsten. Das wird der Krankheit Depression nicht gerecht, lässt sie sogar recht gewöhnlich und harmlos erscheinen. Des Öfteren habe ich mich gefragt, was unterscheidet Juli und Hella eigentlich von „gesunden“ Leuten. Dabei ist doch davon auszugehen, dass ein Mensch, der suizidale Gedanken verfolgt, der dann sogar einen Selbstmordversuch unternimmt, in einer schweren psychischen Krise steckt, vermutlich befindet er sich in einem Zustand schwerer Depression. Doch von den Symptomen dieses Krankheitsbildes findet man kaum etwas bei Juli und Hella, bei Juli zwar noch mehr als bei Hella, aber insgesamt bleibt es einfach oberflächlich. Auch was die Gestaltung des Beziehungsverhältnisses beider Hauptfiguren angeht, bin ich enttäuscht. Ich dachte, beide nähern sich auf ihrem Trip einander an, schließen Freundschaft, unterstützen sich gegenseitig, finden durch ihr gemeinsames Leid zueinander, stattdessen herrscht vor allem von Julis Seite aus große Distanz, teils sogar Aggressivität und vor allem Undankbarkeit. Das macht die Figur Juli unsympathisch, und ihr Verhalten lässt sich in meinen Augen nicht mit der Krankheit Depression rechtfertigen. Worüber ich noch gestolpert bin, ist eine Textstelle in der Juli über ihre Therapie spricht (S. 118), hier wird der Eindruck vermittelt, dass die Therapie für Juli wenig erfolgreich war. Da habe ich mich schon gefragt, ob das nicht eine frustrierende Botschaft ist, die an dieser Stelle vermittelt wird.
    Als absolut katastrophal habe ich das Ende empfunden, hier wird mit der Angst des Lesers um eine der Protagonistinnen gespielt, der Leser wird „auf die Folter gespannt“, ob sich Juli nun umgebracht hat oder nicht. Das Ende empfand ich angesichts des Themas „Suizid“ als geschmacklos und absolute Grenzüberschreitung. Dieses Buch spaltet. Es spaltet die Leser/innen in zwei Lager, in diejenigen, die von der Krankheit vermutlich wenig Ahnung haben und in diesem Buch lediglich Unterhaltung sehen, und in diejenigen, die sich mehr oder weniger mit der Krankheit auskennen und mehr Tiefgang erwartet haben. Und ich finde, dieses Buch leistet den Betroffenen einen „Bärendienst“, denn wie sollen solche Leser, die keine Ahnung von der Thematik haben, ein realistisches Bild von der Krankheit „Depression“ erhalten? Es wird keinerlei „Empathieförderung“ betrieben.
    Das Buch hätte mindestens mit einer „Triggerwarnung“ versehen werden sollen, noch besser wäre es in dieser Form vom Verlag gar nicht erst herausgegeben worden. Eine solche Warnung würde zumindest die Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass dieses Buch bei solchen Lesern, die eine entsprechende Krankheitsgeschichte haben, als extrem belastend empfunden werden kann.
    Noch etwas: Das Buch wird mit einer flapsigen Bemerkung von Stuckrad-Barre beworben. Diese Aussage von Stuckrad-Barre ist geschmacklos, denn damit werden angekündigte Suizidversuche der Autorin in kokettierender Art und Weise auf die Schippe genommen. Das ist für mich erneut Effekthascherei und eine Grenzüberschreitung. Letztlich bleibt mir nur meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass der Verlag in dieser Form ein Buch zu diesem so wichtigen Thema herausgibt.
    Nach der Lektüre des Buchs habe ich mich natürlich auch gefragt, ob Ronja von Rönne absichtlich die Erwartungshaltung ihrer Leser/innen durchbricht, doch falls ja, dann ist mir nicht klar geworden, warum sie dies tut, einen tieferen Sinn darin erkenne ich nicht. Zurück bleibt einfach Enttäuschung, ich hatte ganz klar eine andere Erwartungshaltung an das Buch. Für Leute, die sich etwas mehr Substanz wünschen und an diesem Thema interessiert sind, empfehle ich hier das sehr lesenswerte Buch „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ von Matt Haig.
    Abschließend noch ein Satz zum Hörbuch, das ich mir angehört habe, weil ich auf Ronja von Rönne neugierig war: Es ist toll, dass die Autorin selbst als Sprecherin ihres Buchs auftritt. Schließlich kann sie selbst am besten einschätzen, welche Inhalte sie auf welche Weise intoniert haben möchte. Aber ein Mehrwert hatte die sechsstündige CD gegenüber dem Buch jetzt auch nicht.

    Fazit: Ein Buch zum Thema Suizid, das (leider!) wenig Ernsthaftes und zu viel Oberflächliches bietet, die Krankheit „Depression“ wird nicht angemessen thematisiert.
    Lenk, F: 1000 Gefahren junior - Das Geheimnis der Piratenins Lenk, F: 1000 Gefahren junior - Das Geheimnis der Piratenins (Buch)
    22.01.2022

    Kreatives Mitmach-Buch

    Das Kinderbuch „Das Geheimnis der Pirateninsel“ aus der Reihe „1000 Gefahren junior“ von den Autoren Fabian Lenk und Jan Saße wartet mit einem für mich innovativen Konzept auf, weil es Aufmerksamkeit und Neugier beim Zuhören fordert und fördert. Man wird als junger Leser beim Leseprozess interaktiv einbezogen, indem man an bestimmten Stellen im Buch Rätsel lösen muss und Entscheidungen treffen kann, so dass sich viele verschiedene Variationsmöglichkeiten innerhalb ein- und derselben Geschichte ergeben. So sind die Zuhörer durchweg aktiv dabei, was ich großartig finde. Auch wird durch die verschiedenen Lesarten die Neugier der Kinder geweckt, weil diese wissen wollen, wie sich die Geschichte entwickelt, wenn sie eine andere Entscheidung fällen.
    Insgesamt werden im Buch 16 Entscheidungsfragen gestellt, die alle wieder zu anderen Verläufen führen, so dass Abwechslung garantiert ist. Ich und meine Kinder fanden es toll und spannend, auf diese Weise ein Buch mehrmals neu und anders lesen zu können. So kann man beispielsweise entscheiden, ob man das Angebot eines Piraten, an Bord anzuheuern, annehmen oder ablehnen will, ob man jemandem helfen will oder nicht, ob man sich gegen jemanden wehren möchte oder eben nicht, ob man jemandem folgen will oder nicht, ob man jemandem eine Falle stellen oder sich lieber verstecken möchte usw. Das einzige, was man als Vorlesenden dabei mehr leisten muss als in klassischen Büchern, ist das vermehrte Hin- und Herblättern zwischen den Seiten. Mich hat das aber nicht gestört.
    Außer den Entscheidungsfragen kommen im Buch auch insgesamt 9 Rätselfragen vor, bei denen die Kinder selbst knobeln müssen, bevor sie weiterlesen dürfen. Als Aufgabenformat taucht z.B. auf, den richtigen Weg suchen zu müssen, den Inhalt der Bilder genauer untersuchen zu müssen oder eine Schatzkarte richtig zusammenzusetzen. Die Lösung wird dann natürlich auch verraten, so dass kein Frust aufkommt. Der Nachteil bei den Rätseln ist allerdings, dass sie „nur“ bei den ersten zwei bis drei Malen spannend sind, danach sind sie bereits bekannt und weniger interessant. Auch fand ich das Rätsel um die Schatzkarte etwas aufwändig, so muss man erst die Seite kopieren und die Kinder sollen dann die Schatzkartenteile ausschneiden und zusammenfügen. Die übrigen Rätsel sind aber ohne größeren Aufwand lösbar.
    Inhaltlich bietet der Band klassischen Piratenstoff, den man auch aus anderen Kinderbüchern kennt. Der raue Umgangston unter den Piraten gehört ebenso dazu wie die klassische Schatzsuche, das Gold, der Landgang, die Schatzkarte, das Zusammentreffen mit Eingeborenen und das Leben an Bord. Auch wird natürlich gekämpft. Im Prinzip gibt es zwei Haupthandlungsstränge: Entweder folgt man Kapitän Perkin oder Kapitän Dodder. Wichtig zu erwähnen, ist in diesem Zusammenhang, dass trotz der verschiedenartigen Variationen innerhalb der Geschichte, der Inhalt nie seine Kohärenz einbüßt. Alles bleibt logisch und nachvollziehbar. Lediglich das Ende kommt stellenweise etwas abrupt. Die Kinder haben auch recht schnell raus, dass die Geschichten länger ausfallen, wenn sie eher mutig in die Handlung eingreifen.
    Abschließend noch ein Satz zur Bebilderung und Sprachgestaltung: Beides ist kindgerecht konzipiert worden. Die Bilder beziehen sich stets passend auf den Inhalt. Als besonders gelungen habe ich die großflächigen Illustrationen empfunden, das waren v.a. solche, bei denen die Kinder anhand der Bilder Rätsel lösen sollten. Bei der Sprachgestaltung ist noch auffällig, dass die Kinder direkt mit „du“ angesprochen und auf diese Weise in die Handlung einbezogen werden („Du bist Nick“). Das schafft Aktivierung.

    Fazit: Ein Kinderbuch mit einem innovativen Konzept, das die jungen Zuhörer durch Entscheidungs- und Rätselfragen aktiv miteinbezieht und so Aufmerksamkeit fördert und Neugier weckt. Ein Buch, das man mehrmals neu und anders lesen kann, Abwechslung ist garantiert. Sollte man mit seinem Nachwuchs einmal ausprobiert haben. Ich würde es weiterempfehlen!
    Wie schön wir waren Wie schön wir waren (Buch)
    27.10.2021

    Pexton - ein rücksichtsloser Konzern

    In dem Roman „Wie schön wir waren“ von der Autorin Imbolo Mbue stehen der Werdegang der starken Frauenfigur Thula als Revolutionsführerin und der ihrer Familie, die mit Unterstützung des Dorfes Kosawa gegen den Ölkonzern Pexton und die Regierung kämpfen, im Zentrum. Das Dorf leidet unter den Verunreinigungen, die durch die Ölbohrungen auf den naheliegenden Ölfeldern verursacht werden, viele Kinder sterben – bedrückend geschildert – an trockenem Husten und Fieber. Doch der Ölkonzern hat nur warme Worte für das Leid der Dorfbevölkerung übrig, sagt keine konkreten Hilfen zu und beutet das Dorf schamlos weiter aus. Erzählt wird in den Kapiteln aus den Blickwinkeln der einzelnen Familienmitglieder von Thula und auch aus der Sicht ihrer gleichaltrigen Freunde. Dadurch entsteht ein gefälliges komplexes Zusammenspiel verschiedener Perspektiven. So kommt der Onkel von Thula, Bongo, ebenso zu Wort wie ihre Mutter Sahel, die Großmutter Yaya und ihr jüngerer Bruder Juba, der selbst fast verstorben wäre. Beschrieben wird, wie sich die Gewaltspirale im Kampf gegen Pexton beständig weiter fortsetzt und noch verstärkt. Drei Männer aus dem Dorf, darunter Thulas Vater, verschwinden spurlos, als sie in der Hauptstadt Bezam bei Pexton vorsprechen und die Regierung zur Rechenschaft ziehen wollen. Daraufhin werden drei Mitarbeiter von Pexton im Dorf als Geiseln genommen, um sich zu rächen und Verbesserungen zu erzwingen. Nach dem Erscheinen eines lokalen Zeitungsberichts kommt es zu Verhaftungen, Todesurteilen und genau in der Mitte des Buchs zu einer weiteren schweren Gewalteskalation, die das ganze Dorf traumatisiert. Gleichzeitig erfahren wir, wie ein Keim von Hoffnung entsteht, als Thula zum Schulbesuch und Studium in die USA geschickt wird und die „Aktion Neuanfang“ nach der Gewalteskalation für Verbesserungen im Dorf Kosawa sorgen will. Wir verfolgen die Entwicklung Thulas zu einer belesenen Revolutionsführerin, die fortwährend und vor allem nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatdorf für das Wohl Kosawas sorgt. Dabei ist sie stets unermüdlich, auch wenn es immer wieder herbe Rückschläge gibt, z.B. in Form von Gewaltanwendungen oder juristischen Zermürbungstaktiken von Seiten des Konzern Pexton. Sie hat die Idee einer revolutionären Bürgerbewegung, mobilisiert Einwohner zu Demonstrationen, schaltet einen New Yorker Anwalt in den Fall ein und gründet sogar eine Partei. Alles in allem besticht die Darstellung dadurch, dass man als Leser emotionalisiert und v.a. aufgerüttelt wird. Mich machte das Geschriebene häufig fassungslos, insbesondere hatte ich großes Mitleid mit der leichtgläubigen und abergläubischen Dorfbevölkerung, die nicht recht weiß, wie sie sich verteidigen soll und deshalb als leichtes Opfer eines rücksichtslosen Konzerns erscheint und aus der Verzweiflung heraus zu Gewalt greift. Neugierig und hoffnungsvoll verfolgte ich über das gesamte Buch hinweg den Werdegang Thulas, dabei fand ich vor allem gut erzählt, wie sie in Briefform weiter mit ihren Freunden aus dem Dorf Kosawa Kontakt hält und von ihrer Begegnung mit dem fremden Amerika berichtet. Sie hat mir als starke Frauenfigur imponiert, die ein klares Ziel verfolgt und sich auch nicht davon einschüchtern lässt, dass ihr als Frau von der patriarchalisch geprägten Gesellschaft nur wenig zugetraut wird. Interessant fand ich auch den Einblick, den man in die Kultur der Dorfbevölkerung erhält. Denn Themen wie Sexualität, Männer-Frauenrollen, Korruption, Vetternwirtschaft, Altenpflege, Umgang mit Älteren, Hochzeit, Beerdigungen und Totenfeiern sowie Mannwerdungsrituale werden ebenfalls am Rande erwähnt. Besonders aufschlussreich fand ich in diesem Zusammenhang die Erzählungen der Großmutter, die Erinnerungen an frühere Zeiten Revue passieren lässt und dabei Themen wie Sklaverei, Missionierungsversuche, Zwangsarbeit auf Kautschukplantagen und Enteignung anspricht.

    Fazit: Ein Buch, das emotional aufrüttelt, zum Nachdenken anregt und das Mitleid, Fassungslosigkeit und Wut beim Lesen erzeugt sowie Einblicke in Kultur und Gesellschaft bietet. Keine leichte Kost!
    Dafuq Kira Jarmysch
    Dafuq (Buch)
    26.10.2021

    "Orange is the new black" in Russland

    Anja demonstriert und landet für 10 Tage im Arrest. Trauriger Alltag in Russland, in diesem Werk gut geschildert und aufbereitet. Die Autorin lässt dabei sicherlich auch viele eigene Erfahrungen einfließen. Das gefällt und lässt das Geschilderte sehr authentisch und realistisch wirken. Wer sich Einsichten in das Leben in Russland erhofft, wird mit diesem Buch nicht enttäuscht, Themen wie Alkoholismus, Korruption, Polizeiwillkür, Drogensucht, Homosexualität, Feminismus und Sexismus sowie das Männer-Frauen-Rollenverständnis werden durchaus am Rande erwähnt. Detailliert werden die Abläufe in der Polizeidienststelle und im Gericht, die Aufnahmeprozedur in der Haftanstalt sowie der Alltag dort beschrieben. Was mich erstaunt hat: Die Ordnungshüter wirken bis auf einzelne Ausnahmen insgesamt recht nett, verständnisvoll sowie korrekt. Beschwerden der Häftlinge werden ernst genommen, Anträge werden weitergegeben und schnell bearbeitet. Dennoch gibt es einzelne schwarze Schafe, unter deren Willkür die Häftlinge zu leiden haben. Auch die Mitinsassinen verhalten sich Anja gegenüber freundlich und offen. Als sie in ihrer Zelle ankommt, wird munter small-talk über die Haftgründe geführt, Scharade folgt, man bietet Anja sogar Tee an. Die Atmosphäre wirkt insgesamt wohlig warm, nur der psychische Zustand von Anja verschlechtert sich zusehends. Doch darauf komme ich weiter unten zurück.

    Im Zentrum der Handlung steht Anja, ihren Gedanken und Gefühlen folgen wir vor allem als Leser. In eingeschobenen Rückblicken erfahren wir auch etwas über ihre Vergangenheit, vor allem über ihre verschiedenen Jugendsünden, ihre schwierige Dreiecksbeziehung mit Sonja und Sascha sowie über das Beziehungsverhältnis zu ihren Eltern, besonders das zu ihrem Vater. Neben Anja bekommen die Mitinsassinnen Irka und Maja noch viel Raum in dem Roman; am Beispiel von Irka wird uns eine gescheiterte Existenz vorgeführt, sie ist ein Opfer, abhängig von Tabletten und Alkohol, die sich sogar dafür prostitutiert und auch Misshandlung erlebt hat. Maja erscheint dem Leser hingegen als eine Art „Barbie-Püppchen“, die in sich selbst mit Schönheitsoperationen investiert, von ihren merkwürdigen geschäftlich-romantischen Beziehungen zu Männern erzählt und dabei ein absurdes Männerbild und Frauenrollenverständnis offenbart.

    Der erzählerische Höhepunkt des Romans ist für mich aber die Darstellung der Verschlechterung des psychischen Zustands von Anja; spätestens im letzten Viertel des Romans, als sie allein in ihrer Zelle sitzt, weil die anderen Insassinnen bereits entlassen wurden, tritt ihr labiler innerer Zustand immer deutlicher zutage. Immer stärker fühlt sie sich der Willkür der sog. „Diensthabenden“ ausgeliefert, sie scheint das Zeitgefühl zu verlieren. Meisterhaft wird erzählt, dass Anja plötzlich Zusammenhänge entdeckt, wo keine sind, wie sie mystische Gedankengänge entwickelt, sie nimmt merkwürdige Zufälle wahr, sie erlebt Stimmungsschwankungen, Grübeleien, assoziative Erinnerungsketten, innere Angespanntheit, Manie und Größenwahn. Ihre Wut gipfelt letztlich sogar in der Vorstellung eines Mords. Und ich finde plausibel, dass man in einer solchen Situation von Isolation solche depressiv-psychotischen Gedanken entwickelt, zumal Anja bereits im Vorfeld, als ihre Mitinsassinnen noch anwesend waren, in Form von Halluzinationen dem Leser zu erkennen gibt, dass es ihr psychisch nicht gut geht.

    Fazit: Ein Roman, der einen Einblick in das heutige Russland gewährt, vor allem in den Haftalltag von Arrestierten und darin, welch psychische Belastung ein solcher Aufenthalt für den/die Betroffene(n) sein kann.
    Schweig! Judith Merchant
    Schweig! (Buch)
    22.10.2021

    Intensiver Psycho-Schlagabtausch

    Von tokall

    In dem Thriller „Schweig!“ von Judith Merchant wird ein intensiver Psycho-Schlagabtausch zwischen der jüngeren Schwester Sue und ihrer älteren Schwester Esther zelebriert. Beide Schwestern sind dabei als Kontrastfigur angelegt, sie leben jeweils in ganz unterschiedlichen Welten, Esther mit ihrer vierköpfigen Familie in einer Wohnung in der turbulenten Stadt, Sue zurückgezogen und allein sowie kinderlos und frisch von ihrem Partner Robert getrennt, in einer Villa am Waldrand. Kurz vor Weihnachten treffen sie aufeinander und sie haben sich eigentlich nichts zu sagen. Für beide ist es eine lästige Pflicht der Beziehungspflege, und das wird plausibel und nachvollziehbar erzählt. Esther besucht Sue unter dem Vorwand, dass sie sich Sorgen um sie macht. Immer wieder wird von ihr ein Vorfall auf dem letztjährigen Weihnachtsfest als Begründung für die Besorgnis angedeutet, über den wir als Leser erst nach und nach etwas erfahren. Sue hingegen will die übergriffige und neugierige Esther einfach nur loswerden. Dafür ist sie sogar bereit, sie anzulügen. Doch Esther durchschaut die Lüge, kehrt zu Sue zurück, nachdem sie zwischenzeitlich zu ihrem Mann Martin und den Kindern zurückkehren wollte. Als Sue ihr die Tür nicht öffnet, bricht sie sogar in ihr Haus ein. Der Psychokrieg steuert nun auf einen Höhepunkt zu: Es kommt zu einer Aussprache zwischen beiden, Sue beschließt in die Offensive zu gehen und Esther offen ihre Meinung zu sagen, scheinbar zum ersten Mal. Dabei wird klar, wie gut Sue ihre Schwester kennt und in der Lage ist, sie gänzlich zu durchschauen. Und die bis dato wenig selbstreflektierte Esther scheint daraufhin tatsächlich Einsicht zu zeigen, sie will sich ändern, sie stellt sogar kurzzeitig ihr eigenes Leben in Frage. Doch dann taucht plötzlich Martin bei Sue auf.

    Was den Roman so besonders macht und ihm überhaupt erst große und atemberaubende Spannung verleiht, ist meiner Meinung nach die sehr gute erzählerische Gestaltung der Perspektiven. So wählt die Autorin für beide Schwestern jeweils die Ich-Perspektive, die einander abwechseln. So sind wir jeweils an die Sicht einer Figur gebunden und folgen mal den Gedanken und Gefühlen der einen mal der anderen Schwester und wir sehen als Leser auch, welche Bewertungen beide Schwestern jeweils übereinander treffen. Dabei wird z.B. deutlich, wie stark Esther Sue nach den ihr selbst vertrauten Maßstäben bewertet, also nach dem, was sie selbst für normal hält. Sie ist wenig selbstreflektiert und hinterfragt eigene Wertungen überhaupt nicht. Als Leser fühlt man sich vor allem zu Beginn des Romans wie eine Art Mediator. Man hört sich beide Seiten an und weiß nicht, was stimmt; das, was Sue über Esther erzählt, oder das, was Esther über Sue berichtet. Beispiel: Ist Sue nun wirklich depressiv oder stempelt Esther Sue nur als krank ab? Das personale Erzählen im Wechsel verhindert eine übergreifende Sicht auf beide Figuren und das ist für mich große Erzählkunst. Nur aus ihrem Verhalten sowie ihren Dialogen lassen sich Rückschlüsse darüber ziehen, welche Schwester wohl näher an der Wahrheit liegt. Als Hilfsangebot wird dem Leser nach einem Drittel des Romans auch noch die Perspektive von Martin dargeboten. Ab diesem Zeitpunkt wird dem Leser klar, dass Esther tatsächlich keine einfache Person ist, auch Martin wird von ihr eingeengt und kontrolliert, er wünscht sich mehr Freiheit. Allerdings zeigt sich auch, dass Sue kompromisslos agiert, wenn es darum geht, sich an ihrer großen Schwester zu rächen. Hinzu kommt, dass Esther ein Kindheitstrauma erlebt hat, das ihr Verhalten möglicherweise sogar in gewisser Weise verstehbar werden lässt. Darüber wird in einzelnen eingeschobenen Rückblick-Kapiteln berichtet. Was mich etwas ratlos zurückgelassen hat, ist lediglich das Ende des Romans. Nach einem Zeitsprung von einem Jahr folgen wir zunächst den Gedanken von Sue und dann denen von Esther. Für mich waren die Gedanken der jüngeren Schwester dabei nicht plausibel, nach allem, was sie mit ihrer Schwester erlebt hat und was sie zuvor über sie gedacht hat.

    Fazit: Ein fesselnder Psychothriller mit einer ausgefeilten Figurencharakteristik und spannender erzählerischer Gestaltung

    Liebe Rock Liebe Rock (Buch)
    21.10.2021

    Popliteratur mit Metaebene

    Von tokall

    Der Ich-Erzähler Timm zieht in eine WG zu Rock, in die er sich dann verliebt. Problem dabei: Sie ist schon mit Marc zusammen. Heraus kommt eine turbulente Dreiecksbeziehung, die durch interessante Charaktere besticht, die Emotionen auslösen können. Da ist der Ich-Erzähler, der Schriftsteller werden will, aber nicht sehr ernsthaft dabei wirkt, wenn es um die Umsetzung seines Plans geht. Und da sind die mütterliche Rock sowie Marc, der Freund von Rock, und damit Konkurrent. Beachtlich bei diesem Figurenensemble ist, wie sie einander auf den Gefühlen herumtrampeln, ohne Rücksicht zu nehmen. Rock wirkt unnahbar und zu Beginn unsympathisch, sie verletzt andere, indem sie Seitensprünge begeht; Timm ist ebenfalls rücksichtslos und er verhält sich verantwortungslos, als er sich schamlos bei Marcs Dissertation bedient, um seinen Roman fertigzustellen. Noch dazu lügt er oft hemmungslos, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Er macht sich fortwährend Hoffnung auf eine Beziehung mit Rock, und das auch noch zu einem Zeitpunkt, als völlig klar ist, dass sie nichts von ihm will. Für Rock ist Timm eher ein hilfsbedürftiges Kind, um das sie sich kümmern muss. Als Leser verspürt man durchaus Wut, mal auf die eine oder andere Figur, oder auch Mitleid. Der einzige, der einen korrekten Eindruck macht, ist Marc, dem man lediglich vorwerfen könnte, dass er viel zu nett ist und zu wenig Stolz aufweist. Lobenswert ist auch die Darstellung der Dynamik in der Beziehungskonstellation, zwischen Marc und Timm kommt es regelmäßig zu Konflikt und Versöhnung, Marc und Rock führen v.a. zu Beginn des Romans eine regelrechte on/off-Beziehung und auch zwischen Timm und Rock erleben wir ein ständiges auf und ab sowie hin und her. Gegen Ende des Romans sind die Fronten dann geklärt und die Dynamik verliert an Bedeutung, dafür zeigt sich umso mehr Timms Realitätsverlust. Das ist große erzählerische Darstellungskunst, auch weil die Oberflächlichkeit der Beziehungsverhältnisse gut herauskommt. Neben der Dreiecksbeziehung treten auch noch gut konzipierte Elternfiguren auf. Da ist die Mutter von Rock, die ihrer Tochter nicht verrät, wer ihr Vater ist. Und da sind Timms Eltern, der liebevolle Vater, der seinen Sohn unterstützt und immer an ihn glaubt sowie die Mutter, die dann stolz auf Timm ist, als er Erfolg als Schriftsteller hat. Hinzu kommt noch ein Kindheitstrauma von Timm, das auch seinen Bruder Beni betrifft, der wie ein Gegenentwurf zu Timm wirkt. Alles in allem also ein durchdachtes Figurenensemble, gut aufeinander abgestimmt.

    Das zweite große Thema des Romans ist die Schriftstellerei. Hier offenbart der Roman mehr Tiefe, als man zunächst annimmt. Der gesamte Literaturbetrieb wird genüsslich und mit viel Komik auf die Schippe genommen und ins Lächerliche gezogen. Es zeigt sich z.B. dass der Inhalt des Romans von Timm letztlich kaum eine Rolle spielt, es geht in erster Linie darum, einen Effekt zu erzielen und im Feuilleton angemessen rezipiert zu werden. Am Beispiel von Timm sehen wir, was das mit einem Autor anstellen kann. Gleichzeitig wundern wir uns darüber, wie ihm der Erfolg in den Schoß zu fallen scheint. Hier enthält der Roman viele absurde Ideen und Passagen, über die ich schmunzeln konnte.

    Doch der Roman bietet noch mehr: ein kunstvolles Arrangement von erzählerischen Stilmitteln. Neben den frechen Dialogen und kodderigen Schlagabtauschen wird auch die indirekte und wörtliche Rede inkorrekt verwendet. Doch das aus einem bestimmten Grund: Der Roman wirkt wie ein erster Entwurf, der noch nicht gelesen wurde, und das wiederum passt zum Spiel, was mit der Abgrenzung zwischen Erzählerinstanz und Instanz des Autors getrieben wird. Am Ende des Romans verschmelzen Fiktion und Wirklichkeit, der reale Autor tritt plötzlich zurück. Eine tolle Idee, die mir so noch nicht untergekommen ist. Hinzu kommen aber noch weitere Ideen: Das erste und das letzte Kapitel bilden einen in sich geschlossenen Rahmen, es entsteht eine Art Endlosschleife und mit dem Wissen aus dem letzten Kapitel, kann man den Roman ein zweites Mal mit anderen Augen lesen. Nicht zuletzt überzeugt die Idee der Countdown-Kapitel, die rückwärts gezählt werden. Und es gelingt dem Autor (wer immer es auch ist) die Handlung zum Ende auf einen Höhepunkt hin zu steigern. Eine geniale Idee gut umgesetzt.

    Fazit: Der Roman hat mich vollends begeistert, weil er so viel mehr ist als nur ein schnodderig geschriebener weiterer Popliteratur-Roman.

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