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    dorli Top 50 Rezensent

    Aktiv seit: 13. Februar 2018
    "Hilfreich"-Bewertungen: 24
    272 Rezensionen
    Atlas der (fast) verschwundenen Fabelwesen. Die sagenhafte Expedition des Konstantin O. Boldt Florian Schäfer
    Atlas der (fast) verschwundenen Fabelwesen. Die sagenhafte Expedition des Konstantin O. Boldt (Buch)
    15.11.2023

    Fabelhaft!

    In ihrem Fantasy-Buch „Fast verschwundene Fabelwesen“ laden Autor Florian Schäfer und Illustratorin Elif Siebenpfeiffer ein, den Naturforscher Konstantin O. Boldt auf einer sagenhaften Expedition zu begleiten und gemeinsam mit ihm magische Geschöpfe in ihrem natürlichen Umfeld zu entdecken und zu erforschen.

    Wir schreiben das Jahr 1862. Konstantin O. Boldt interessiert sich schon von Kindesbeinen an für Fabelwesen aller Art und ist mittlerweile eine Koryphäe auf diesem Gebiet. Seine umfangreichen theoretischen Kenntnisse über die mythischen Kreaturen sollen durch eine umfangreiche Expedition erweitert werden. Boldt hat es sich zur Aufgabe gemacht, neues Wissen über die schwindende Population der Fabelwesen ans Licht zu bringen und damit einen Beitrag zu ihrer Rettung und Erhaltung zu leisten. Eine ereignisreiche Reise voller spannender und dramatischer Momente quer durch Europa beginnt…

    Florian Schäfer und Elif Siebenpfeiffer warten mit einer Vielfalt auf, die mich durchweg begeistert hat. Historische Fakten und das Wissen über Fabeltiere aus Sagen, Mythen und Legenden wurden miteinander verflochten und bilden die Grundlage für diesen abwechslungsreichen Reisebericht. Bevor es richtig losgeht, erfährt man einiges über die Hintergründe, die Vorbereitungen und den Ablauf der außergewöhnlichen Expedition. Im Folgenden ist man dann hautnah dabei, wenn es um das Aufspüren und Erforschen der Geschöpfe geht. Die Ereignisse werden lebhaft und mitreißend geschildert, so dass man schnell mittendrin im abenteuerlichen Geschehen ist und sich als Teil des bunt gemischten Expeditionsteams fühlt.

    Die Aufmachung des Buches ist außen wie innen ein echter Hingucker. Vor allem die Gestaltung im historischen Design hat mich von der ersten Seite an begeistert. Die Beschreibungen über Aussehen, Verhalten und Lebensraum der Fabelwesen werden genau wie die fesselnden Tagebucheinträge durch Fotos, Skizzen, Zeitungsartikeln, handschriftliche Anmerkungen, Landkarten und Dokumente ergänzt und machen aus dem Reisetagebuch ein Buch zum immer wieder Anschauen.

    Es hat mir großen Spaß gemacht, „Fast verschwundene Fabelwesen“ zu lesen. Ich habe mit Spannung die Höhen und Tiefen dieser abenteuerlichen Entdeckungsreise verfolgt, konnte dabei durchweg mit den Protagonisten mitfiebern und habe die vielfältigen Einblicke in die Welt der Fabelwesen genossen.
    Um 1500 Romedio Schmitz-Esser
    Um 1500 (Buch)
    27.10.2023

    Ausflug in eine lebhafte Epoche

    Europa um 1500 - das Mittelalter verabschiedet sich langsam und macht Platz für die Frühe Neuzeit. Es gibt viel zu erzählen über diese dynamische Zeit, die geprägt war von grundlegenden Neuerungen und Umbrüchen. Bedeutende historische Ereignisse wie die Erfindung des Buchdrucks, die Reformation oder auch die Entdeckung Amerikas veränderten das Leben in Europa maßgeblich.

    Romedio Schmitz-Esser startet den Ausflug in diese lebhafte Epoche nach einem kurzen Vorwort mit einem Überblick darüber, was den Leser auf den folgenden rund 500 Seiten erwartet. Er erklärt seine Herangehensweise an die Themen und welche Absicht er verfolgt.

    Dann beginnt eine fesselnde Zeitreise. Begleitet wird man auf dem Rundgang durch die Jahre des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts von einem Zeitzeugen: Albrecht Dürer, der als bedeutendster Renaissancekünstler Deutschlands gilt, wird zum Reiseführer. Auszüge aus seinem umfangreichen Nachlass bilden die Grundlage für einen intensiven Blick auf das Leben und den Alltag um 1500.

    Fakten über das Wachsen und Werden Dürers, über seine Familie, Freunde und Geschäftspartner, über seine Erlebnisse und Erfahrungen während seiner zahlreichen Reisen, über seine Denkweise, seine Lebensumstände und natürlich über sein Schaffen ergänzen die aufschlussreichen Texte in diesem Buch. Die insgesamt 50 Kapitel werden jeweils mit einem Werk des Nürnberger Künstlers eröffnet - hier wurde stets eine gute Wahl getroffen, die Abbildungen sind allesamt ein gelungener Aufmacher für das anstehende Thema. Auch gut gelungen: Dürer kommt immer wieder selbst zu Wort. Kurze Auszüge aus seinen Tagebüchern und Briefen bereichern die informativen Inhalte. Der Autor hat diese Textschnipsel in Dürers Sprache belassen - Worte, die ich nicht immer auf Anhieb verstanden habe, die mir aber eine willkommene Knobelei waren :-)

    Romedio Schmitz-Esser wartet mit einer großen Themenvielfalt auf. Man begibt sich auf einen Streifzug durch alle Lebensbereiche - so gut wie alles, was die Menschen damals bewegt und beschäftigt hat, findet man in diesem Buch wieder. Man kann „Um 1500“ dank der in sich abgeschossenen Kapitel als Nachschlagewerk nutzen, es lässt sich aber auch ganz hervorragend wie ein Roman lesen, da sich die einzelnen Themen durch gelungene Übergänge prima aneinanderfügen. Für die Lektüre sollte man sich ausreichend Zeit nehmen, da in die kurzen Kapitel sehr viele Informationen hineingepackt wurden, so dass ich mich manchmal ein wenig überfordert gefühlt habe von der Fülle an Wissen. Der Inhalt ist verständlich geschrieben und gut lesbar, so habe ich es zumindest überwiegend empfunden. Es gibt aber auch Passagen, da spürt man deutlich, dass der Autor Historiker und Kulturwissenschaftler ist. Ab und an gibt es Formulierungen, bei denen ich als geschichtsinteressierter Nichtwissenschaftler an meine Grenzen gestoßen bin und nachschlagen musste.

    Ein umfangreicher Anhang rundet das Werk ab. Hier gibt es neben Anmerkungen und Bildnachweisen auch einen Personen- und einen Ortsindex sowie eine Bibliographie, die nach Themen sortiert ist. Nicht nur der Inhalt, auch die Aufmachung kann sich sehen lassen. Das Buch ist qualitativ hochwertig und dank der zahlreichen Abbildungen sehr ansprechend gestaltet.

    „Um 1500 - Europa zur Zeit Albrecht Dürers“ hat mir sehr gut gefallen. Das Werk hält viele wissenswerte Informationen bereit und vermittelt einen umfassenden Überblick über den Beginn der Frühen Neuzeit - ich habe viel Neues erfahren und wurde zudem gut unterhalten.

    Der späte Ruhm der Mrs. Quinn Olivia Ford
    Der späte Ruhm der Mrs. Quinn (Buch)
    25.10.2023

    Noch einmal etwas Neues wagen

    Die 77-jährige Jennifer Quinn und ihr Mann Bernard haben sich vor einiger Zeit in einem beschaulichen englischen Dorf niedergelassen, um in ruhiger Atmosphäre ihren Lebensabend zu verbringen. Jenny ist eine leidenschaftliche Bäckerin. Fast täglich verwandelt sie ihre kleine Küche in eine Backstube. Sie hütet alte Familienrezepte wie einen Schatz und verfolgt außerdem mit Begeisterung die TV-Show „Das Backduell - Backen auf der Insel“. Als die Weihnachtsausgabe der beliebten Sendung mit dem Aufruf endet, sich für die nächste Staffel der Show zu bewerben, erwacht in Jenny der Wunsch, noch einmal in ihrem Leben ein Abenteuer zu erleben. Sie zögert zunächst, doch dann gibt sie sich einen Ruck und bewirbt sich…

    Olivia Ford hat mich schon nach wenigen Seiten mit ihrer Geschichte über Mrs. Quinn eingefangen. Da ist nach fast sechzig Jahren Ehe so viel Harmonie zwischen Jenny und Bernard - einfach wunderbar, dieses warmherzige Miteinander mitzuerleben. Es gelingt Olivia Ford ganz ausgezeichnet, die Gedanken und Gefühle ihrer überaus charmanten Protagonistin zu vermitteln, so dass ich gut nachvollziehen konnte, warum Jenny trotz ihres glücklichen und unaufgeregten Lebens den Wunsch verspürt, ihren Alltag aufzupeppen. Da ist plötzlich der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit, der in ihr das Verlangen weckt, das tägliche Einerlei mit etwas Spannung zu füllen.

    Es geht in diesem Buch aber nicht nur um das Backen und den Wettbewerb. Jenny hat ein großes Geheimnis, das sie schon über ein halbes Jahrhundert ganz tief in ihrem Inneren vergraben hat. Niemand soll jemals davon erfahren. Bis ihre Teilnahme an dem Backduell ihr ganzes bisheriges Leben auf den Kopf stellt und ans Tageslicht spült, was Jenny über all die Jahre so sorgsam verborgen gehalten hat.

    Einige Kapitel beginnen mit Rückblenden in Jennys Kindheit und Jugend - hier erfährt man, was Jenny als Jugendliche erlebt hat und ihr bis heute schwer auf der Seele liegt. Auch wenn schnell durchklingt, um was für ein Geheimnis es sich handelt, ist es spannend und unterhaltsam, den weiteren Verlauf der Dinge zu verfolgen.

    „Der späte Ruhm der Mrs. Quinn“ hat mir sehr gut gefallen. Es hat Spaß gemacht, Jennifer Quinn kennenzulernen, mit ihr mitzufiebern und die für sie neuen Erfahrungen und überwältigenden Erlebnisse mit ihr zu teilen. Eine mitreißende und vor allen Dingen sehr warmherzige Geschichte, die Mut macht, auch im fortgeschrittenen Alter noch einmal etwas Neues zu wagen.
    Ich, Sperling James Hynes
    Ich, Sperling (Buch)
    20.09.2023

    Ein Volltreffer!

    In seinem Roman „Ich, Sperling“ entführt James Hynes den Leser in das 4. Jahrhundert nach Carthago Nova - eine antike Hafenstadt auf der Iberischen Halbinsel - und erzählt die Geschichte eines Sklavenjungen.

    In einem kurzen Prolog stellt sich Jakob vor. Jakob ist ein alter Mann, der seine Lebensgeschichte niederschreibt. Es sind seine Kindheitserlebnisse, um die es in diesem Roman geht. Jakob beginnt seine Erzählung mit seinen ersten zusammenhängenden Erinnerungen - er sitzt im Dämmerlicht auf dem Boden in einer Küche. Es ist drückend heiß. Eine zornige Frau entgrätet Fische.

    Einen Namen hat Jakob als Kind nicht. Man erklärt ihm, dass er ein Niemand ist. Namenlos. Elternlos. Herkunft unbekannt. Ein Ding, kein Mensch. Man ruft ihn Pusus, Maus oder auch Kleiner. Eine seiner Ziehmütter, die Prostituierte Euterpe, erzählt ihm eine Geschichte vom gelehrigen Sperling. Der Sperling wird für den Jungen nicht nur zu einem heimlichen Namensvetter, sondern auch zu einem Sinnbild für Hoffnung.

    Die täglichen Aufgaben des Jungen beschränken sich zunächst auf die Arbeit in der Küche. Später muss er auch zum Brunnen und Wasser holen, andere Botengänge erledigen, die Taverne putzen und kellnern. Und schließlich wird auch das Bordell zu seinem Arbeitsplatz.

    Es treibt einem beim Lesen die Tränen in die Augen, weil dieser wissbegierige Junge von Anfang an keine Chance hat. Obwohl er schnell lernt und sich den groben Gepflogenheiten in der Taverne anpasst, es versteht, Faustschlägen zu entgehen und Tritten auszuweichen, kann er dem Sklavendasein nicht entkommen. Er ist der Willkür und den Launen seines Umfelds schutzlos ausgeliefert. Immer wieder wird ihm klar gemacht, dass sein Leben und sein Körper nicht ihm gehören. Nur der Sperling spendet ihm in den schlimmsten Momenten Trost.

    James Hynes versteht es ganz ausgezeichnet, die Straßen der antiken Stadt mit Leben zu füllen. Er schildert die Lebensumstände der Deklassierten, die Geschäftigkeit auf dem Markt und am Hafen, die Brutalität des Alltags und die rauen Sitten in Taverne und Bordell genauso intensiv wie die kurzen Augenblicke der harmlosen Fröhlichkeit, wenn Euterpe Sperling das Lesen und Rechnen lehrt und Geschichten erzählt über das Geschehen auf der anderen Seite des Gartenzauns. Carthago Nova ist schmutzig und bunt zugleich. James Hynes nimmt beim Erzählen kein Blatt vor den Mund. Er scheut sich nicht, eine derbe, dem Milieu angepasste und mit Obszönitäten gespickte Sprache zu verwenden. Diese grobschlächtige Ausdrucksweise rundet die vielschichtige Handlung perfekt ab.

    „Ich, Sperling“ ist ein Buch, für das man sich Zeit nehmen sollte. Zum einen, um die außerordentlich gut gelungenen Beschreibungen, Schilderungen und Formulierungen ausgiebig genießen zu können, zum anderen aber auch, weil der Inhalt schwere Kost ist, die man nur häppchenweise verdauen kann.

    „Ich, Sperling“ hat mich von der ersten bis zur letzten Seite fest im Griff gehabt. Ich habe mit Sperling gelebt und gelitten, habe mit ihm gebangt und gehofft und habe Kummer und Leid genauso mit ihm geteilt, wie die kleinen Glücksmomente. Eine fesselnd erzählte, herzzerreißende Geschichte, die lange nachklingt. Ein Volltreffer!

    Schwarzvogel Frida Skybäck
    Schwarzvogel (Buch)
    14.09.2023

    Gute Atmosphäre, mäßige Spannung

    Frida Skybäck beginnt den ersten Band ihrer in der südschwedischen Provinz Skåne län spielenden Krimiserie mit einem spannenden Prolog: Die 84-jährige Gun Storm muss an einen kalten Januarmorgen hilflos mitansehen, wie Nomi Pedersen wie von Sinnen auf das viel zu dünne Eis des Vombsjön rennt, einbricht und ertrinkt. Ein tragisches Unglück? Womöglich Suizid? Oder steckt mehr dahinter? Um die Sachlage zu klären, wird die Mordkommission Lund alarmiert. Mit dem Fall betraut werden die Ermittlerin Fredrika Storm, die gerade aus Stockholm in ihre alte Heimat zurückgekehrt ist und ihr Kollege Henry Calment, ein vermögender, etwas exzentrisch wirkender Mittvierziger, der sich trotz mehrerer Studienabschlüsse entschlossen hat, als einfacher Polizist zu arbeiten.

    Die Ermittlungen werden für Fredrika mehr und mehr zu einer persönlichen Odyssee, denn mit jedem neuen Hinweis zum Tod von Nomi wird deutlicher, dass nicht nur ihre Familie in den Fall verstrickt ist, sondern dass auch das spurlose Verschwinden ihrer Mutter vor über zwanzig Jahren mit dem aktuellen Geschehen verwoben zu sein scheint.

    Frida Skybäck hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen problemlos folgen.

    Ganz besonders punkten kann die Autorin mit der Schilderung von Land und Leuten. Das beschauliche Harlösa, idyllisch gelegen zwischen Wald und dem See, in dem Nomi auf so grausame Weise zu Tode kommt, wird sehr anschaulich beschrieben. Auch die dörfliche Atmosphäre ist absolut stimmig: jeder kennt jeden, doch eigentlich weiß niemand so richtig, was seinen Nachbarn bewegt und beschäftigt. Wird ein Schuldiger gesucht, zeigt man gerne auf denjenigen, der als Sonderling gilt. Unzulänglichkeiten werden unter den Teppich gekehrt, damit man nicht zur Zielscheibe von Klatsch und Tratsch wird.

    Falsche Fährten, zahlreiche Verdächtige und immer wieder neue Hinweise halten die Handlung lebendig, dennoch wollte bei mir keine wirkliche Spannung aufkommen. Das lag vor allen Dingen daran, dass Fredrikas Familiengeschichte zwar interessant ist, aber dennoch viel zu viel Raum bekommt. Zudem habe ich Fredrikas Verhalten als sehr unglaubwürdig empfunden. Dass eine Polizistin ständig ohne Absprache mit dem Team handelt, dabei immer wieder sich selbst und ihre Mitmenschen in Gefahr bringt, ihre Familie vor den Kopf stößt und sogar eine Einstellung der Ermittlungen riskiert, weil sie laufend wider besseres Wissen ihrem Bauchgefühl folgt, halte ich für wenig realistisch.

    Auch das Ende lässt mich ein wenig unzufrieden zurück. Dabei ist die Auflösung des Falls für mich durchaus nachvollziehbar, auch wenn Fredrika den ausschlaggebenden Hinweis eher zufällig entdeckt. Es sind die Ereignisse danach, die mir nicht gefallen haben. Über 20 Jahre Geheimniskrämerei und hartnäckiges Schweigen lösen sich mit einem Ruck in Wohlgefallen auf. Jegliche Missstimmung ist wie weggewischt. Dass überall plötzlich Harmonie und Eintracht herrscht, war mir zuviel des Guten.

    „Schwarzvogel“ hat mir über weite Strecken gut gefallen - ein etwas holperiger Auftakt einer neuen Krimireihe.
    Bei euch ist es immer so unheimlich still Alena Schröder
    Bei euch ist es immer so unheimlich still (Buch)
    17.08.2023

    Tiefgründige Familiengeschichte

    In ihrem Roman „Bei euch ist es immer so unheimlich still“ widmet sich Alena Schröder zwei weiteren Zeitabschnitten aus der Familiengeschichte rund um Evelyn Borowski. Während wir in „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ zum einen mit Evelyn als junges Mädchen in den 1920er und 30er Jahren und zum anderen mit Evelyn als hochbetagte Frau, die in einer Seniorenresidenz lebt und den Besuchen ihrer 27-jährigen Enkelin Hannah entgegenfiebert, bekannt gemacht werden, sind es in diesem Roman die Nachkriegszeit - Evelyn ist Ärztin, Ehefrau und Mutter - sowie die Zeit rund um Mauerfall und Wende - Evelyn befindet sich im Ruhestand und hat sich aus Frust in ihren Haus eingeigelt, als plötzlich ihre Tochter Silvia vor der Tür steht, im Arm Evelyns vor wenigen Wochen geborene Enkelin Hannah.

    Obwohl dieses Buch auch ohne Kenntnis des Vorgängerbandes bestens verständlich ist, habe ich das Wissen um die bisherigen Ereignisse als Bereicherung empfunden. Auch in diesem Roman konzentriert sich Alena Schröder nicht ausschließlich auf Evelyn, sondern erzählt auch ausführlich von den Frauen in deren familiärem Umfeld. In dem in den 1950er Jahren spielenden Part lernen wir ihre Freundin und Schwägerin Betti, die als „Übriggebliebene“ ihr Leben so gestaltet, wie sie es für richtig hält, besser kennen. Und in dem 1989er Erzählstrang ist es die rebellische Silvia, die in den Fokus der Handlung rückt.

    Alena Schröder hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen mühelos folgen. Auch der stetige Wechsel zwischen den Zeitebenen ist unproblematisch.

    Die Autorin wartet mit einer großen Portion Gesellschaftskritik auf. Jede Zeit hat ihre Eigenarten und prägt den Menschen durch eine Vielzahl von Herausforderungen und Ansprüchen. Das gilt natürlich auch für die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Darstellung dieser gesellschaftlichen Zwänge und der damit einhergehenden hohen Erwartungen an jeden Einzelnen und eben besonders an die Frauen in der Gesellschaft habe ich als sehr gelungen empfunden.

    In dieser mehrere Generationen umspannenden Familiengeschichte geht es um die vielfältigen Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern. Es geht darum, wie diese Frauen mit den an sie gestellten Erwartungen umgingen. Wie sie den Spagat zwischen gesellschaftlichen Konventionen und der Verwirklichung ihrer eigenen Träume schafften oder eben auch nicht schafften. Es geht darum, was die Unzufriedenheit mit ihnen gemacht hat, wenn die eigenen Wünsche auf der Strecke blieben. Es geht um ihren Umgang mit großen und kleinen Dramen und alltäglichen Konflikten. Und es geht darum, dass Probleme gelöst wurden, indem man sie einfach totschwieg.

    Ausnehmend gut gefallen hat mir das glaubwürdige und lebensnahe Zeitkolorit. Insbesondere die biedere Kleinstadtatmosphäre im fiktiven Ildingen wird sehr authentisch dargestellt. Vieles hat mich an meine eigene Kindheit und Jugend erinnert, vor allem das ewige „was sollen die Leut’ denn sagen“ ist mir auch heute noch im Ohr und lässt mich nach wie vor den Kopf schütteln.

    „Bei euch ist es immer so unheimlich still“ hat mir sehr gut gefallen - eine tiefgründige Familiengeschichte, die kurzweilig erzählt wird.
    Zornige Flut Sabine Weiß
    Zornige Flut (Buch)
    16.04.2023

    Liv im Visier eines Killers

    Sabine Weiß beginnt den siebten Band ihrer Sylt-Krimi-Reihe mit einem mitreißenden Prolog: Liv Lammers und ihre Tochter Sanna entgehen nur ganz knapp einer Katastrophe - Flammen wüten mitten in der Nacht im Erdgeschoss ihres Flensburger Kapitänshauses. Eindeutig Brandstiftung. Es soll nicht der einzige Anschlag auf das Leben der sympathischen Kommissarin bleiben…

    Liv hat nur wenig Zeit, den Schrecken zu verarbeiten. Ein neuer Fall auf Sylt verlangt ihre ganze Aufmerksamkeit - ein Kollege aus der Kriminaltechnik hat während seines Kuraufenthalts in einer Fastenklinik einen menschlichen Schädel entdeckt. Hinweise auf Gewalteinwirkung lassen keinen Zweifel daran, dass der unbekannte Tote einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Da aber der Täter jegliches Gewebe sowie alle Zähne entfernt hat, kann der Schädel zunächst keinem aktuellen Vermisstenfall zugeordnet werden. Dann erfahren die Ermittler, dass eine prominente Sylter Galeristin seit einem halben Jahr wie vom Erdboden verschluckt ist…

    „Zornige Flut“ hat mich schon nach wenigen Seiten fest im Griff gehabt. Sowohl die Ermittlungsarbeit in dem undurchsichtigen Mordfall wie auch die aufreibenden privaten Angelegenheiten der Ermittler und ganz besonders Livs lebensbedrohliche Situation werden spannend geschildert, so dass man durchweg mit den Akteuren mitfiebern und bis zum Schluss prima über Motive, Hintergründe und die Identität der Täter miträtseln und mitgrübeln kann.

    Besonders gut gefällt mir an dieser Krimireihe, dass jede Figur einen ganz eigenen Charakter und eine individuelle Geschichte hat. Das „Stammpersonal“ macht seit dem ersten Band eine stetige Entwicklung durch, die ich als authentisch und nachvollziehbar empfinde. Es macht Spaß, die Wege der einzelnen Akteure zu verfolgen und ihr lebhaftes und abwechslungsreiches Zusammenspiel zu beobachten.

    Neben interessanten Themen wie die forensische Gesichtsweichteilrekonstruktion oder die Herstellung von Waffen mittels 3D-Drucker sind auch die Beschreibungen der Handlungsorte auf Sylt und in Flensburg in diesem Band wieder äußerst gut gelungen - die technischen Erläuterungen sind leicht verständlich und die einzelnen Schauplätze kann man sich alle prima vorstellen.

    „Zornige Flut“ hat mir sehr gut gefallen - ein kurzweiliger Krimi, der mich mit spannenden Ermittlungen und einer gut durchdachten Handlung bis zur letzten Seite gefesselt hat.
    Melody Martin Suter
    Melody (Buch)
    10.04.2023

    Auf den Spuren von Melody

    Der 30-jährige Tom Elmer hat einen Doppelabschluss in Jura und ist nach dem Tod seines Vaters gezwungen, sich mangels erhofftem Erbe einen Job zu suchen. Wochenlang vergeblich. Dann stößt er auf eine altmodische Chiffre-Anzeige in der Zeitung, bewirbt sich eher halbherzig und bekommt wider Erwarten eine Zusage. Tom soll den Nachlass des 84-jährigen superreichen und sterbenskranken Alt-Nationalrats Dr. Peter Stotz ordnen und dabei bitteschön das ein oder andere, das am Image des alten Herrn kratzen könnte, verschwinden lassen. Da die Bezahlung neben Kost und Logis äußerst großzügig ist, tritt Tom die Stelle an und beginnt sich durch unzählige Kartons und Ordner voller Dokumente, Fotos und Handschriften zu wühlen.

    Auffällig in der Villa am Zürichberg: überall Bücher, viele Stickereien an den Wänden und immer wieder das Porträt einer jungen Frau. Eine Erklärung lässt nicht lange auf sich warten: bei der jungen Frau handelt es sich um Melody, einst die Verlobte des ehemaligen Nationalrats. Sie verschwand vor über vierzig Jahren spurlos. Bei täglichen Gesprächen vor dem Kamin erzählt Stotz ausgiebig von Melody - wie er die aus Marokko stammende Buchhändlerin damals kennengelernt hat, von der geplanten Hochzeit, ihrem plötzlichen Verschwinden und ganz besonders von der intensiven Suche nach ihr, die jedoch bis heute erfolglos blieb.

    Je mehr Tom über die Vergangenheit seines Arbeitgebers erfährt, desto neugieriger macht ihn die Geschichte - besonders der Verbleib von Melody interessiert ihn. Er beschließt, mehr über die geheimnisvolle Frau herauszufinden und fragt sich schon bald, wie viel Wahrheit eigentlich in dem steckt, was Stotz ihm nach und nach über die Liebe seines Lebens erzählt.

    Martin Suter hat einen wunderbaren Schreibstil. Ich war schon nach wenigen Seiten von der Handlung gefesselt. Die feine Charakterisierung der Figuren, die bildhaften Beschreibungen der Handlungsorte, die stimmige Atmosphäre in der herrschaftlichen Villa und die Schilderungen des abwechslungsreichen Geschehens auf beiden Zeitebenen haben mich durchweg bestens unterhalten.

    Was für Tom und auch für mich als Leserin zunächst wenig spektakulär beginnt, wandelt sich dank Suters geschickter Erzählweise schnell zu einer raffiniert gestrickten Geschichte. Obwohl alles, was der Alt-Nationalrat über Melody und ihr Verschwinden erzählt, Hand und Fuß zu haben scheint, schleichen sich langsam Zweifel ein. Suter streut hier und dort eine Ungereimtheit oder einen kleinen Widerspruch in die Handlung ein und lässt die Spannung so Seite um Seite langsam ansteigen. Das Geschehen wird wendungsreich, gleicht mehr und mehr einem Krimi und entwickelt dabei einen Sog, dem man sich als Leser nicht entziehen kann.

    „Melody“ hat mir sehr gut gefallen - ein anschaulich und lebendig erzählter Roman, der mir ein paar kurzweilige Lesestunden beschert hat.
    Die Radfahrerin Susanna Leonard
    Die Radfahrerin (Buch)
    02.04.2023

    Weltumrundung mit dem Fahrrad

    In ihrem Roman „Die Radfahrerin“ erzählt Susanna Leonard aus dem Leben der Anzeigenverkäuferin Anna Cohen Kopchovsky, die Mitte der 1890er Jahre als Annie Londonderry zu Ruhm gekommen ist, weil sie als erste Frau die Welt mit dem Fahrrad umrundet hat. Trotz dieser erstaunlichen Leistung ist Annie heute fast in Vergessenheit geraten.

    Die 23-jährige Anna lebt mit ihrem Mann Max und ihren drei kleinen Kindern im jüdischen Ghetto von Boston. Da Max mehr Zeit in der Synagoge verbringt, als für den Familienunterhalt zu sorgen, muss Anna neben ihren Aufgaben als Hausfrau und Mutter auch die karge Haushaltskasse auffüllen. Jeden Abend klappert sie die Läden in Bostons Straßen ab und versucht Ladenbesitzer davon zu überzeugen, Werbeanzeigen in den Tageszeitungen zu schalten. Eines Tages bittet ein Fahrradhändler darum, neben der üblichen Werbung noch eine Suchanzeige in den Zeitungen zu platzieren - gesucht wird eine junge Frau, die für ein Preisgeld von 10.000 Dollar bereit ist, mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren. Anna sieht die Chance für sich und ihre Familie, dem tristen Leben und der Armut zu entkommen und bewirbt sich. Was Anna erst jetzt erfährt: das Ganze basiert auf einer Wette zwischen zwei reichen Bostoner Geschäftsmänner, von denen einer behauptet, dass eine Frau niemals zu den gleichen Leistungen fähig ist, wie ein Mann. Eine Aussage, die Anna erst recht anspornt - sie hat nicht mehr nur ihr eigenes Wohlergehen im Blick, sie sieht sich auch als Botschafterin für die Stärkung der Frauenrechte und für mehr Gleichberechtigung und will beweisen, dass auch Frauen derart kräftezehrende Herausforderungen meistern können. Trotz irrwitziger Wettbedingungen und entgegen dem Willen ihres persönlichen Umfeldes schwingt Anna sich Ende Juni 1894 als Annie Londonderry auf ihr Fahrrad…

    Susanna Leonard hat mich in dieser Romanbiografie mit einer faszinierenden Persönlichkeit bekannt gemacht - Anna Kopchovsky, eine temperamentvolle, willensstarke Frau, die sich nicht mit dem zufrieden gegeben wollte, was das Schicksal für sie bereitgestellt hatte. Sie wollte mehr vom Leben und hat zugegriffen, als sich die Gelegenheit dafür bot.

    Da es kaum historische Belege über diese Weltumrundung gibt, bestand für Susanna Leonard die Aufgabe darin, die riesigen Lücken mit stimmiger Fiktion zu füllen - und das ist der Autorin ausgesprochen gut gelungen. Annies Reise ist von vielen Höhen und Tiefen geprägt. Anfangs macht ihr ihre Ausstattung Probleme, später sind es neben Wetter, Hunger und Schmerzen auch Banditen, sture Zollbeamte und sogar menschenfressende Raubkatzen, die sie fast verzweifeln und manchmal auch an Aufgabe denken lassen. Doch sie schiebt beharrlich alle Steine, die ihr in den Weg rollen, beiseite und genießt die zahlreichen aufmunternden Begegnungen mit anderen Fahrradbegeisterten.

    Annie Londonderry wird nachgesagt, dass sie es mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau genommen hat. Da sie aber Geld für ihre Reisekasse brauchte und auch die Wettbedingung, am Ende der Reise 5000 Dollar verdient zu haben, erfüllen musste, kann ich es ihr nicht krummnehmen, dass sie ihre Erlebnisse werbewirksam aufgerüscht hat, um ihre vielen Vorträge und Interviews interessanter zu gestalten und so neue Werbeverträge - ihre einzige Einnahmequelle - an Land zu ziehen. Auch, dass sie einen Großteil ihrer Tour mit Schiff und Zug zurückgelegt hat und bei einigen Erlebnissen wohl viel Fantasie im Spiel war, kann ich ihr verzeihen, da sie die Menschen rund um den Globus mit ihren lebhaften Reiseberichten damals prima unterhalten hat und dank dieses kurzweiligen Romans auch mich über hundert Jahre nach ihrer Weltumrundung mit ihren Geschichten begeistern konnte.

    Inspiration Federer Simon Graf
    Inspiration Federer (Buch)
    21.03.2023

    Einblicke in das Leben eines Ausnahmeathleten

    Roger Federer hat mich viele Jahre mit seinem Tennis begeistert. Wann immer es mir möglich war, habe ich seine Spiele im TV verfolgt. Auch ohne Roger Federer je persönlich begegnet zu sein, habe ich den Eindruck gewonnen, dass er ein lockerer Typ ist. Bodenständig und nahbar. Respektvoll und wertschätzend. Seine Persönlichkeit, seine Präsenz auf und neben dem Tennisplatz und die fesselnde Aura, die ihn umgibt, haben mich immer fasziniert.

    In ihrem gemeinsamen Buch „Inspiration Federer: Vorbild, Rivale, Freund, Gamechanger“ versuchen die Sportjournalisten Simon Graf und Simon Cambers dem Grund für diese besondere Wirkung, die Roger Federer auf seine Mitmenschen hat, auf die Spur zu kommen. Dafür haben die beiden Journalisten über vierzig Menschen interviewt, die alle auf die eine oder andere Weise eine Verbindung zu Federer haben bzw. hatten. Neben Wegbereitern, Weggefährten und Freunden kommen auch Fans und Persönlichkeiten aus Politik und Kultur zu Wort - sowohl die abwechslungsreiche Auswahl der Teilnehmer wie auch die Zusammenstellung der einzelnen Artikel in unterschiedliche Rubriken habe ich als sehr gelungen empfunden. Es ist eine unterhaltsame Lektüre entstanden, die nicht nur den sportlichen Werdegang des Ausnahmeathleten beleuchtet, sondern vor allen Dingen tiefe Einblicke in seinen Charakter ermöglicht.

    Den Leser erwarten in diesem Buch interessante, amüsante und auch bewegende Anekdoten. Jeder einzelne der Interviewpartner erzählt von seinen besonderen Momenten mit Roger Federer. Von vielen guten Dingen, fröhlichen Zeiten und spannenden Erlebnissen, aber auch von emotionalen Krisen, die es zu überstehen galt. So unterschiedlich diese einzelnen Geschichten auch sind, in einem Punkt ähneln sich alle - sie heben Federers aufgeschlossene, sympathische Art, seine inspirierende Kraft und seinen großartigen Sinn für Humor hervor und bestätigen damit das Bild, dass ich mir über die Jahre hinweg von ihm gemacht habe.

    Neben den facettenreichen Texten enthält das Buch auch einen mehrseitigen Bildteil - Fotos, die die Geschichten ganz hervorragend abrunden.

    Es hat mir großen Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen. Die vielfältigen Einblicke in Roger Federers Leben und Charakter lassen „Inspiration Federer“ sowohl für Tennisfans wie auch für Nicht-Tennisfans zu einem kurzweiligen Lesevergnügen werden.
    Tote Lämmer lügen nicht Christiane Franke
    Tote Lämmer lügen nicht (Buch)
    27.02.2023

    Rosa, Rudi und Henner ermitteln in ihrem 10. Fall

    Neuharlingersiel. Das vom Häkelbüdel-Club veranstaltete Wohltätigkeitsessen neigt sich dem Ende entgegen. Einige Teilnehmer wundern sich, dass Lenny Kramer nicht aufgetaucht ist, wo er doch nie eine der genauso leckeren wie günstigen Mahlzeiten verpasst. Lehrerin Rosa Moll erklärt sich bereit, bei dem Eigenbrödler nach dem Rechten zu sehen und findet Lenny mausetot in seinem Wohnzimmer: Erschossen! Hauptkommissar Siegfried Haueisen von der Kripo Wittmund rückt an und nimmt gemeinsam mit Dorfpolizist Rudi Bakker und Oberkommissar Helmut Schnepel die polizeilichen Ermittlungen auf. Auch Hobbydetektivin Rosa ist sofort wieder in ihrem Element und stellt eigene Nachforschungen an - wie nicht anders zu erwarten, gerät sie dabei einmal mehr in eine äußerst brenzlige Situation…

    In „Tote Lämmer lügen nicht“ schicken Christiane Franke und Cornelia Kuhnert ihr munteres Ermittlertrio bereits zum zehnten Mal auf Verbrecherjagd - auch diesmal erwarten den Leser wieder eine kurzweilige Handlung, spannende Ermittlungen und jede Menge Lokalkolorit. Rosa, Henner und Rudi haben mich mit ihrer Spurensuche und der Art, wie sie aus ihrem Alltag erzählen, wieder durchweg begeistert - wer amüsante Krimis mit genauso originellen wie warmherzigen Figuren mag, kommt hier voll auf seine Kosten.

    Auch wenn der Humor und die abwechslungsreichen Ermittlungen im Vordergrund stehen, scheuen die Autorinnen sich auch diesmal nicht, in ihrem Krimi auf tatsächliche Probleme in der Region aufmerksam zu machen. Diesmal geht es zum einen um windige Geschäfte rund um die Immobilienleibrente und zum anderen um die Konflikte zwischen Artenschutz und Weidetierhaltung - die Rückkehr des Wolfes hält die Küstenbewohner und ganz besonders die Deichschäfer in Atem.

    Eine Übersicht über das Stammpersonal der Serie sowie die Rezepte der Leckereien, die im Verlauf der Handlung gekocht werden, befinden sich im Anhang und runden diesen Küstenkrimi perfekt ab.

    „Tote Lämmer lügen nicht“ hat mir sehr gut gefallen. Vor allem das amüsante Dorfleben und der herrlich dröge Humor haben mich wieder bestens unterhalten.
    Als die Welt zerbrach Als die Welt zerbrach (Buch)
    13.11.2022

    Die erdrückende Last der Schuld

    Mit „Als die Welt zerbrach“ knüpft John Boyne an seinen erfolgreichen Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“ an. Seit dem tragischen Verschwinden des 9-jährigen Brunos im Jahr 1943 sind fast achtzig Jahre vergangen. Brunos mittlerweile 91-jährige Schwester Gretel führt heute ein zurückgezogenes Leben in London. Als sich in der Wohnung unter ihr ein Familiendrama abspielt, werden Erinnerungen wach - an ihren Bruder, an die schrecklichen Ereignisse, die sie ihr Leben lang zu Verschweigen versucht hat und an die schwerwiegende Schuld, die sich tief in Gretels Seele eingebrannt hat.

    John Boyne geht in diesem Roman der Frage nach, wo Schuld eigentlich beginnt. Ist das Kind eines KZ-Kommandanten mitschuldig am Holocaust? Kann eine 12-Jährige für die Gräueltaten ihres Vaters mitverantwortlich gemacht werden? Hat ein junges Mädchen den Tod ihres Bruders verschuldet, weil sie ihn ermuntert hat, etwas Unbedachtes zu tun? Gretel selbst redet sich ein, unschuldig zu sein, fragt sich aber gleichzeitig, warum sie dennoch immer darauf bedacht ist, ihre Identität geheim zu halten.

    „Als die Welt zerbrach“ wird fesselnd erzählt und entwickelt schnell einen Sog, dem man sich als Leser nicht entziehen kann. Der Roman ist eine emotionale Reise zu unterschiedlichen Stationen in Gretels Leben, an denen sie mit ihrer Vergangenheit und ihrer Schuld konfrontiert wird. In Paris werden sie und ihre Mutter vor eine Art Tribunal aus Résistance-Mitgliedern gezerrt; in Sydney trifft sie unerwartet auf Kurt, einen ehemaligen Mitarbeiter ihres Vaters, für den sie als 12-Jährige geschwärmt hat; in London verliebt sie sich in einen Juden, dessen Familie von den Nazis ermordet wurde. In jedem einzelnen Abschnitt wird dabei greifbar, wie groß Gretels Furcht ist, entdeckt zu werden und wie schwer die Last der Schuld wiegt.

    Acht lange Jahrzehnte bestand Gretels Leben aus Angst und Schuldgefühlen. Die immerwährende Schuld hat sie geprägt. Als sie Zeugin wird, wie ihr neuer Nachbar seine Familie misshandelt, ist sie fest entschlossen, nicht wieder tatenlos wegzusehen, wenn wehrlosen Menschen Leid angetan wird. Heute will sie handeln, egal, was es sie kosten wird…

    „Als die Welt zerbrach“ hat mir sehr gut gefallen - eine tiefgründige Geschichte, die kurzweilig erzählt wird und mich auch nach dem Lesen noch lange beschäftigt hat.
    In 80 Büchern um die Welt In 80 Büchern um die Welt (Buch)
    07.11.2022

    Mit Büchern die Welt entdecken

    „In 80 Büchern um die Welt“ ist ein reich bebildertes Nachschlagewerk, das einlädt, die Welt anhand literarischer Werke zu erkunden. Eingeteilt in vier Rubriken - Expedition und Reisen (ca. 725 v. Chr. bis 1897); Zeitalter des Reisens (1897-1953); Postmoderne. Neue Wege (1954-1999) und Reisen in der Gegenwart (2000 bis heute) - werden fast 80 bekannte und auch weniger bekannte Werke der internationalen Belletristik vorgestellt und näher beleuchtet.

    Die jeweils zwei bis vier Seiten umfassenden Beiträge über die Werke stammen aus der Feder von mehr als 50 Autoren - Professoren, Journalisten, Kritiker, Übersetzer und andere dem Literaturbetrieb angehörende Schreibende haben an diesem Buch mitgearbeitet, so dass eine bunte Mischung stilistisch unterschiedlicher Artikel mit Inhaltsangaben, Hintergrundinformationen, Analysen und Interpretationen entstanden ist.

    Die Auswahl der besprochenen Bücher ist ein wenig anders, als ich erwartet hatte. Laut Einleitung will das Buch „ein Reisebegleiter in verschiedene Ecken der Welt“ sein. Das abenteuerliche Bereisen bzw. Erkunden fremder Länder steht allerdings nicht immer im Mittelpunkt der Geschichten. In manchen Titeln geht es auch um Reisen im übertragenen Sinn. Um innere Reisen, die einen Prozess der Selbstfindung und der Selbstreflexion zum Thema haben.

    Die Aufmachung des Buches ist eine Augenweide. Die informativen Artikel werden ansprechend präsentiert und sind mit zahlreichen Fotos, Reproduktionen von Gemälden, Illustrationen sowie einigen Landkarten versehen.

    „In 80 Büchern um die Welt“ hat mir sehr gut gefallen - ein genauso unterhaltsames wie informatives Buch, das den Leser auf die unterschiedlichsten Reisen mitnimmt. Da mir viele der vorstellten Werke gänzlich unbekannt waren, ist dieses illustrierte Nachschlagewerk zu einem Füllhorn an Inspiration für mich geworden.

    Schloss Liebenberg. Hinter dem hellen Schein Hanna Caspian
    Schloss Liebenberg. Hinter dem hellen Schein (Buch)
    04.10.2022

    Hinter dem hellen Schein

    In ihrer Familiensaga rund um das im nördlichen Brandenburg gelegene Schloss Liebenberg nimmt Hanna Caspian ihre Leser mit in die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts und erzählt aus der Perspektive der Dienstboten von der Harden-Eulenburg-Affäre, die zu einem der größten Skandale des deutschen Kaiserreiches wurde.

    Die Handlung dieses ersten Bandes beginnt im Sommer 1906. Adelheid Schaaf, 18-jährige Tochter eines Tagelöhners, kann ihr Glück kaum fassen - sie soll auf Anordnung des Fürsten neues Stubenmädchen im Schloss werden und dass, obwohl sie über keinerlei Erfahrung als Hausangestellte verfügt. Adelheid ist klar, dass Neid und Missgunst auf sie warten, denn unter den Dienstboten herrscht eine strenge Hierarchie, in der man sich normalerweise über die Jahre hinweg Stufe für Stufe hocharbeiten muss. Und so wundert es eigentlich niemanden, dass das Hausmädchen Lydia Keller, die sich entsprechend der Rangfolge Hoffnung auf die höhere Stelle als Stubenmädchen gemacht hatte, nicht müde wird, Adelheid zu piesacken wo es nur geht.

    Neben der Eulenburg-Affäre sind es vor allen Dingen die harten Lebens- und Arbeitsbedingungen der kleinen Leute in der von großen sozialen Klassenunterschieden geprägten Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs, die Hanna Caspian in den Vordergrund ihres Romans rückt. Arbeiten bis zur Erschöpfung für einen geringen Lohn, strenge Benimmregeln und immer der Willkür der Herrschaft ausgesetzt - so sah der Alltag für Adelheid, Constanze, Viktor und die anderen Bediensteten auf Schloss Liebenberg aus. Nicht zu vergessen die persönlichen Sorgen und Probleme in ihren jeweiligen Familien.

    Hanna Caspian hat mich mit ihrer Greifenau-Saga begeistert. Entsprechend vorfreudig war ich auf den Start dieser neuen Reihe - und bleibe nach dem Lesen des ersten Bandes recht zwiegespalten zurück. Die Autorin hat ein gutes Händchen für Figuren und versteht es zudem ganz ausgezeichnet, auch eine große Anzahl Akteure zu koordinieren, das hat sie bereits eindrucksvoll bewiesen. Es ist schade, dass sie dieses wunderbare Talent hier nicht ausgeschöpft hat. Die meisten der Liebenberger-Figuren sind eindimensional und entwickeln sich kaum. Es ist mir schwer gefallen, mit ihnen mitzufiebern und mitzufühlen. Hinzu kommt, dass es kein lebhaftes Zusammenspiel gibt, sondern mehrere „Einzelkämpfer“, die sich durch Eifersüchteleien, Geheimnisse, Schikanen und Intrigen das sowieso schon schwere Leben noch schwerer machen. Das ganze Miteinander oder eben auch Gegeneinander des Personals war durchweg nicht so ausgefeilt, wie ich es erwartet hatte.

    Gestört haben mich auch die vielen Wiederholungen. Ereignisse und Gegebenheiten werden mehrfach erwähnt und ganz besonders die schwierigen Lebensumstände der Protagonisten werden wieder und wieder aufgegriffen - das trübt die Lesefreude.

    Gut gefallen hat mir dagegen der historische Hintergrund. Die Fakten zur Eulenburg-Affäre, die politische Entwicklung und die damals geltenden gesellschaftlichen Konventionen sorgen für Authentizität und bereichern die Handlung.

    „Schloss Liebenberg. Hinter dem hellen Schein“ konnte mich nicht so fesseln, wie ich es mir erhofft hatte.

    Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit Natasha Pulley
    Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit (Buch)
    03.10.2022

    Fesselnde Zeitreise

    Londres, 1898. Der 43-jährige Joe Tournier steigt am Gare du Roi aus dem Zug und ist verwirrt - er weiß zwar, wie er heißt, kann sich aber ansonsten an nichts erinnern. Dinge, die ihm bekannt sein sollten, kommen ihm völlig fremd vor. Bahnhöfe und Straßen haben französische Namen, dabei befindet er sich doch in England. Oder? Der verstört wirkende Joe wird in eine psychiatrische Klinik gebracht und erfährt, dass er an einer besonderen Form der Epilepsie erkrankt ist.

    Per Zeitungsannonce wird nach möglichen Angehörigen gesucht und tatsächlich meldet sich jemand - Monsieur Saint-Marie. Dieser erklärt, dass Joe schon von Kindesbeinen an als Leibeigener in seinem Haushalt lebt. Sogar verheiratet ist er. Doch weder Joes vermeintliche Ehefrau noch sein angebliches Zuhause helfen, den Schleier des Vergessens zu lüften.

    So gehen einige Monate ins Land. Joe ist mittlerweile ein freier Mann, an seinem Zustand hat sich allerdings nichts geändert. Im Gegenteil, eine rätselhafte Postkarte mit einem abgebildeten Leuchtturm und der Nachricht: „Liebster Joe, komm nach Hause, wenn du dich erinnerst. M.“ befeuert seine Verwirrung noch. Nicht nur, dass die Karte vor über 90 Jahren abgeschickt wurde, macht Joe stutzig, auch, dass ihm der Turm - dieser befindet sich auf der Insel Eilean Mor, die zu den Äußeren Heriden gehört - so vertraut vorkommt, empfindet Joe als sehr seltsam.

    Auf der Suche nach Antworten landet Joe in einer Werkstatt für Leuchtturmgeneratoren. Hier bekommt er zwar keine neuen Hinweise, dafür aber eine Anstellung als Schweißer. Zwei Jahre später beschert ein Reparaturauftrag Joe überraschend die Möglichkeit, den Dingen und damit auch seiner Identität auf den Grund zu gehen. Zuversichtlich reist er nach Schottland, nicht ahnend, dass ihm das eigentliche Abenteuer noch bevorsteht…

    „Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit“ ist ein History-Fantasy-Mix, der sehr anschaulich erzählt wird und mich mit seiner abwechslungsreichen Handlung begeistert hat. Schon nach wenigen Seiten war ich gefesselt von Joes Erlebnissen und habe gespannt das Geschehen verfolgt.

    Natasha Pulley thematisiert in diesem Zeitreiseroman den Schmetterlingseffekt aus der Chaostheorie. Dieser besagt, dass selbst kleinste Veränderungen in der Vergangenheit immense Auswirkungen auf die Zukunft haben können. Die Autorin nutzt als Fundament für ihre Geschichte die napoleonischen Kriege. Die historischen Fakten rund um die turbulenten Seeschlachten zwischen England und Frankreich im frühen 19. Jahrhundert hat sie auf spannende Weise mit fantasievoller Handlung vermischt und lässt so eine alternative Realität vor den Augen des Lesers entstehen - eine Realität, in der die Franzosen siegreich aus dem Krieg hervorgegangen sind und England besetzt haben. Eine Realität, die Joe Tournier so furchtbar falsch vorkommt.

    Natasha Pulley steckt nicht nur viel Aufmerksamkeit in die Beschreibungen der Handlungsorte, die feine Charakterisierung der Figuren und die facettenreichen Schilderungen des Geschehens, sie spart auch nicht an Emotionen, so dass man prima mit Joe und seinen Wegbegleitern mitfiebern und mitfühlen kann. Eine Liebesgeschichte gibt es auch, diese verläuft aber über die Zeiten hinweg eher im Hintergrund.

    Man sollte sich für das Buch ausreichend Zeit nehmen. Die Geschichte ist durch die verschachtelten Zeitebenen sehr komplex und erfordert konzentriertes Lesen, um den Faden nicht zu verlieren.

    „Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit“ hat mir sehr gut gefallen - es hat Spaß gemacht, Joe auf seiner ereignisreichen Reise durch die Zeiten zu begleiten.
    Nordfriesische Verschwörung Gerd Kramer
    Nordfriesische Verschwörung (Buch)
    11.09.2022

    Verschwörungsgläubige machen Husum unsicher

    Gerd Kramer beginnt den sechsten Band seiner in Nordfriesland spielenden Krimireihe mit einem spannenden Prolog - Florian, Winfried und Jenna wollen ein paar Tage mit einer Segelyacht durchs Wattenmeer schippern. Doch der Törn findet ein jähes Ende: ein riesiges Leck lässt das Boot innerhalb kürzester Zeit untergehen.

    Dreißig Jahre später bekommen die Husumer Kommissare Flottmann und Hilgersen es mit einer Serie von Mordanschlägen zu tun. Zwei auf den ersten Blick unbescholtene Männer werden durch kriminelle Machenschaften auf ganz unterschiedliche Weise aus ihrem normalen Alltag gerissen. Flottmann und Hilgersen nehmen die Ermittlungen auf und finden sich plötzlich im Umfeld von Verschwörungsgläubigen wieder.

    Verschwörungsmythen - ein interessantes und sehr aktuelles Thema, das Gerd Kramer in „Nordfriesische Verschwörung“ nicht nur umfassend beleuchtet, er zeigt auch auf, wie einfach es ist, labile Menschen, die von persönlichen Verlusten und Angstzuständen geplagt werden, mit Verschwörungserzählungen zu manipulieren, zu radikalisieren und sie zu willigen Mordwerkzeugen zu machen.

    Mit von der Partie ist auch diesmal der hochsensible Musiker Leon Gerber. Dieser bereichert die Handlung nicht nur mit Einblicken in die faszinierende Welt der Akustik, er ist auch wieder mittendrin im Geschehen und unterstützt die Kommissare einmal mehr bei ihren Ermittlungen.

    Abgerundet wird die spannende Krimihandlung durch eine kräftige Portion Humor - sowohl die herrlichen Wortgefechte zwischen Flottmann und Hilgersen wie auch der neueste Schabernack von Kater Bogomil, der sein Herrchen wieder einmal an den Rand der Verzweiflung bringt, sorgen für gute Unterhaltung. Außerdem hält Gerd Kramer allerlei Wissenswertes über Land und Leute für den Leser bereit.

    „Nordfriesische Verschwörung“ hat mir sehr gut gefallen - ein Küsten-Krimi, der mit einem spannenden Thema, genau der richtigen Dosis Humor und viel Lokalkolorit punkten kann.
    Raue Havel Tim Pieper
    Raue Havel (Buch)
    04.09.2022

    Ein alter Spionagefall wirkt nach

    Tim Pieper beginnt den sechsten Band seiner Havel-Krimi-Reihe mit einer neugierig machenden Rückblende in das Jahr 1946 - mehrere Jugendliche befinden sich unter grausamsten Umständen im Untersuchungsgefängnis des sowjetischen Geheimdienstes in Potsdam und sollen alle bis auf den Jüngsten wegen einer Lappalie exekutiert werden.

    In der gegenwärtigen Handlung hat der kräftezehrende Arbeitsalltag Hauptkommissar Toni Sanftleben schon wenige Wochen nach einer längeren Auszeit wieder fest im Griff. Neben dem Fund dreier jahrzehntealter Skelette in einem alten Bootshaus an der Havel fordert der brutale Mord an der Journalistin Katharina Ihlow seine ganze Aufmerksamkeit. Tonis Privatleben hält unterdessen eine Überraschung für ihn bereit: Seine Mutter, zu der er schon immer ein sehr distanziertes Verhältnis hatte, kündigt plötzlich ihren Besuch an.

    Die spannenden Ermittlungen im Mordfall Ihlow werden immer wieder von Abschnitten unterbrochen, die in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre spielen. Hier steht ein Spionagefall im Mittelpunkt, der auf wahren Begebenheiten beruht. Tim Pieper hat historische Fakten und Gegebenheiten rund um die Geheimdienststadt „Militärstädtchen Nr. 7“, die viele Jahre Deutschlandsitz der sowjetischen  Militärspionageabwehr war, gekonnt mit einer mitreißenden fiktiven Geschichte verwoben, in der die junge Vera Sanftleben die Hauptrolle innehat.

    Ich lese gerne Geschichten, die auf unterschiedlichen Zeitebenen spielen, weil man prima darüber spekulieren kann, wie sich Ereignisse aus früheren Zeiten auf das aktuelle Geschehen auswirken. Diese Möglichkeit hat mir Tim Pieper mit diesem Krimi geboten - es hat großen Spaß gemacht, über die Hintergründe der Vorkommnisse und die Zusammenhänge zwischen dem Mord an der Journalistin und dem alten Spionagefall zu rätseln, und es war äußerst spannend mitzuverfolgen, welch Kreise manche Taten auch nach über einem halben Jahrhundert noch ziehen können.

    „Raue Havel“ hat mir sehr gut gefallen - eine rasant erzählte Mischung aus historischen Fakten und spannender fiktiver Handlung.
    Die karierten Mädchen Alexa Hennig Von Lange
    Die karierten Mädchen (Buch)
    08.08.2022

    Konnte mich nicht so fesseln wie erhofft

    In ihrem Roman „Die karierten Mädchen“ - dem ersten Band einer Trilogie, die auf den Lebenserinnerungen ihrer Großmutter basiert - erzählt Alexa Hennig von Lange aus dem Leben einer Frau, die auf ihren Wegen aus moralischer Sicht nicht immer die richtige Entscheidung trifft. Die Handlung beginnt 1929. Mitten in der Weltwirtschaftskrise ergattert die 21-jährige Klara Möbius eine Anstellung als Lehrerin in der Kinderheilstätte Oranienbaum. Klara fühlt sich dort schnell heimisch und geht in ihrer neuen Aufgabe auf. Als die einjährige Tolla, ein Mädchen mit jüdischen Wurzeln, deren Mutter sich nicht mehr um die Kleine kümmern kann, in dem Kinderheim abgegeben wird, baut Klara schnell eine enge Bindung zu dem Kind auf. Als die Zeiten noch schwieriger werden und das Heim wirtschaftlich in Schieflage gerät, bandelt Klara, die das Heim mittlerweile leitet, mit dem anhaltinischen Staatsministerium an und sieht nichts Falsches daran, die Nationalsozialisten um Hilfe zu bitten. Sie bekommt Unterstützung, aber anders als gedacht, denn die Nazis machen aus der Heilstätte ein ländliches Frauenbildungsheim, in dem den jungen Mädchen die nationalsozialistischen Werte gelehrt werden sollen. Zu spät erkennt Klara, in welche Gefahr sie sich und Tolla gebracht hat…

    Klaras Erlebnisse in den 1930er Jahren sind in eine Rahmenhandlung eingebettet, die 1999 spielt. Die 91-jährige Klara lebt in ihrem norddeutschen Reihenhaus. Eine resolute Frau, die immer einen großen Wert auf Disziplin und Benehmen gelegt hat. Sie hält die Zeit für gekommen, ihren Kindern zu erzählen, wer ihre Mutter wirklich gewesen ist. Da sie erblindet ist, nimmt sie ihre Erinnerungen auf Kassette auf. Während Klara die Kassetten bespricht, reist sie gedanklich in die Zeit zurück und erlebt die damaligen Ereignisse erneut.

    Alexa Hennig von Lange hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen problemlos folgen. Kurzbeschreibung und Leseprobe haben mich wahnsinnig neugierig auf diesen Roman gemacht. Ich habe eine fesselnde und ergreifende Geschichte erwartet, doch nach einem vielversprechenden Start flachte meine anfängliche Begeisterung mehr und mehr ab.

    Das lag zum einen daran, dass ich mich immer wieder gefragt habe, ob die intelligente und vielfältig interessierte Frau, als die Klara hier dargestellt wird, wirklich so blauäugig gehandelt hätte. Es fällt mir schwer nachzuvollziehen, dass jemand, der zur damaligen Zeit die Verantwortung für ein Kind mit jüdischer Herkunft übernommen hat, trotz unmissverständlicher Warnungen aus seinem Umfeld die politische Entwicklung einfach beiseite wischt. Selbst als Klara erkennt, was tatsächlich um sie herum geschieht, redet sie sich die Situation noch schön.

    Zum anderen haben mir die Emotionen gefehlt. Klara sagt im Verlauf der Handlung einmal, dass sie alles ganz sachlich sehen will; wenn sie die Dinge nicht sachlich sieht, würden sie nicht funktionieren. Genauso habe ich Geschichte durchweg empfunden. Irgendwie nüchtern und distanziert, so dass ich kaum mit Klara mitfühlen und mitfiebern konnte.

    „Die karierten Mädchen“ konnte mich nicht so fesseln, wie ich es mir nach dem Lesen der Leseprobe erhofft hatte.

    Flammen über der Marsch Heike Denzau
    Flammen über der Marsch (Buch)
    08.08.2022

    Mord in der Marsch

    Heike Denzau beginnt ihren Krimi „Flammen über der Marsch“ mit einem kurzen, aber intensiven Prolog: Auf dem Weg nach Hause zu ihren Eltern sucht die Studentin Mara Keller an einer Raststätte eine Mitfahrgelegenheit. Sie steigt zu einem Mann in einem dunklen Kombi, nicht ahnend, welch ein Albtraum sie erwartet…

    Zeitsprung. Vier Jahre später. Kristin Bünz ist nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt wieder in Deutschland und stößt beim Auspacken ihrer eingelagerten Sachen auf einen Zeitungsartikel, in dem nach Zeugen im Fall der verschwundenen Mara Keller gesucht wird. Kristin geht zur Polizei, denn sie kann eine Aussage zu einer in dem Artikel erwähnten Jacke machen…

    Kristins Hinweise schüren bei Kommissarin Lyn Harms die Hoffnung, dass doch noch Bewegung in den alten Fall kommt. Vorerst muss Lyn die Akte Keller jedoch wieder beiseite legen, denn ein aktueller Fall fordert ihre ganze Aufmerksamkeit - am Nord-Ostsee-Kanal ist das Haus von Christel Göblin bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Eindeutig Brandstiftung. Im Haus werden die verkohlten Überreste eines Menschen gefunden und unweit der Brandstelle eine zweite Leiche entdeckt…

    „Flammen über der Marsch“ ist bereits Lyn Harms’ achter Fall - auch diesmal erwartet den Leser ein fesselnder Krimi mit einem abwechslungsreichen Geschehen und vielschichtigen Figuren. Heike Denzau versteht es ausgezeichnet, Situationen und Emotionen mitreißend zu beschreiben, so dass es mir ganz leicht gefallen ist, in die Handlung einzutauchen und mit den Akteuren mitzufiebern und mitzufühlen.

    Im Fokus dieses Krimis steht die Familie Göblin. Die Unternehmerfamilie besitzt mehrere Ladengeschäfte für elegante Mode in großen Größen. Doch der gutbürgerliche Schein trügt - in dieser Familie geht es alles andere als harmonisch zu, jeder Einzelne scheint etwas zu verbergen zu haben. Es ist sehr spannend zu beobachten, wie nah Lyn und ihre Kollegen von Anfang um die Lösung der Fälle herumzirkeln und den Tätern mangels stichhaltiger Beweise doch nur langsam auf die Schliche kommen. Falsche Fährten, mehrere Verdächtige, überraschende Wendungen sowie immer neue Anhaltspunkte und Ereignisse halten das Geschehen lebendig und sorgen dafür, dass die Sogwirkung des Krimis bis zum Schluss nicht abreißt.

    Neben der spannenden Ermittlungsarbeit darf der Leser auch wieder an Lyns turbulentem Familienleben teilhaben und miterleben, dass der ganz normale Alltagswahnsinn auch um die Familie einer Kommissarin keinen Bogen macht.

    „Flammen über der Marsch“ hat mich durchweg begeistert – ein Krimi, der mit ausdrucksstarken Figuren und einer überaus spannenden Handlung überzeugt.
    Was ich nie gesagt habe Was ich nie gesagt habe (Buch)
    29.07.2022

    Konrads Geheimnis

    Köln, Juli 2016. Der Moderator Tom Monderath nimmt eine berufliche Auszeit und genießt das Leben mit seiner Freundin Jenny und deren vier Monate alten Sohn Carl. Mit der wohltuenden Ruhe ist es vorbei, als Tom seinen Halbbruder Henk trifft, von dessen Existenz er zufällig über eine DNA-Suche erfahren hat. Plötzlich keimt in Tom der Wunsch auf, mehr über seinen Vater Konrad und dessen augenscheinliche Geheimniskrämerei zu erfahren. Kein leichtes Vorhaben, denn Konrad ist bereits viele Jahre Tod und Toms Mutter Greta ist wegen ihrer fortgeschrittenen Demenz nicht in der Lage, ihm die gewünschten Antworten zu geben…

    Obwohl ich den ersten Roman rund um Greta und ihren schicksalhaften Lebensweg nicht gelesen habe, war ich schnell mittendrin im Geschehen und hatte schon nach wenigen Seiten das Gefühl, mit allen Figuren gut vertraut zu sein. Auch ohne Kenntnis der vorherigen Ereignisse habe ich einen guten Eindruck davon bekommen, was Greta alles durchmachen musste. In diesem Buch rückt Toms Vater Konrad in den Fokus der Handlung. Konrads Erlebnisse und sein Handeln wirken bis in die Gegenwart nach und hatten bzw. haben einen großen Einfluss auf Tom und seinen Werdegang.

    Konrads Wachsen und Werden wird in einem zweiten Handlungsstrang erzählt, der im Mai 1933 beginnt, als Konrad fünf Jahre alt ist. Der Leser begleitet Konrad durch seine Kindheit und Jugend und erlebt mit ihm die Schrecken des Krieges und die Unbarmherzigkeit der Nazis. Aus US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück, studiert Konrad in Heidelberg Medizin und lernt Greta kennen und lieben. Gemeinsam mit ihr kehrt er nach Köln zurück und eröffnet mit seinem Onkel Drickes eine gynäkologische Praxis.

    Susanne Abel erzählt die Geschichte sehr anschaulich - die feine Charakterisierung der Figuren, die bildhaften Beschreibungen der Handlungsorte und die Schilderungen des abwechslungsreichen Geschehens sowohl in dem historischen wie in dem zeitgenössischen Part machen diesen Roman zu einem genauso ergreifenden wie spannenden Leseerlebnis.

    Die Autorin hat in diesem Buch Themen verarbeitet, bei denen es mir zum Teil eiskalt den Rücken heruntergelaufen ist. Es geht um Reproduktionsmedizin und Spenderkinder. Und um die gezielte Fortpflanzungspolitik der Nazis, um Eugenik und Kinder-Euthanasie. Außerdem geht Susanne Abel der Frage nach, was eigentlich Familie ist. Was prägt uns? Welche Rolle spielen die Gene? Auf Seite 519 sagt Helga zu Tom: „Nicht alle dunklen Ecken brauchen Licht“. Aber, ist das wirklich so? Kann eine Familie auch dann glücklich sein, wenn ihr Fundament aus Geheimnissen und Lügen besteht? Ich denke nicht. Nicht immer ist Schweigen Gold.

    „Was ich nie gesagt habe - Gretchens Schicksalsfamilie“ hat mir sehr gut gefallen – eine mitreißende Familiengeschichte, die kurzweilig erzählt wird und mich auch nach dem Lesen noch lange beschäftigt hat.
    NEW YORK - Wie es keiner kennt Susan Kaufman
    NEW YORK - Wie es keiner kennt (Buch)
    24.07.2022

    Ein Streifzug durch die ruhigeren Viertel Manhattans

    In dem Bildband „NEW YORK - Wie es keiner kennt“ präsentiert die Fotografin und Redakteurin Susan Kaufman Fotos von ihren persönlichen Lieblingsorten in den Stadtvierteln rund um ihre Wohnung in Greenwich Village und lädt den Leser damit zu einem Streifzug durch die ruhigeren Bezirke Manhattans ein - kein Getöse, keine überfüllten Straßen, keine Touristen-Hotspots, sondern beschauliche Ecken, an denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Man spürt beim Betrachten der Bilder, dass das Herz des Big Apples in diesen Straßen in einem anderen Rhythmus schlägt - langsamer, aber dennoch intensiv.

    Zu bestaunen gibt es in diesem handlichen Bildband farbenprächtige Impressionen aus zehn Stadtvierteln. Die Entdeckungsreise durch Manhattan beginnt in Greenwich Village. Dann folgen West Village, East Village, NoHo & Nolita, SoHo, Gramercy Park, Murray Hill, Upper East Side und Carnegie Hill. Zum Schluss macht Susan Kaufman noch einen Schlenker nach Brooklyn und stellt das Viertel Brooklyn Heights vor. Den Fotos ist immer eine kurze Beschreibung vorangestellt, in der die Autorin erläutert, was sie an dem Viertel besonders fasziniert. Es folgen die ausnahmslos sehr gelungenen Aufnahmen, die den Charakter des jeweiligen Quartiers widerspiegeln. Abgeschlossen werden die Kapitel dann jeweils mit einem illustrierten Ausschnitt einer Straßenkarte, in dem die Lieblingsorte der Autorin noch einmal hervorgehoben werden.

    Den Leser/Betrachter erwartet ein Kaleidoskop aus fantasievoll gestalteten Hauseingängen und Fassaden mit wunderschönen architektonischen Details. Charakteristische Gebäude aus Brownstone oder Gusseisen und Backstein. Bunte Reihenhäuser. Restaurierte Kutschenhäuser. Elegante Stadtvillen. Stilvolle Interieurs und Schaufenster mit kunstvoll arrangierten Auslagen, die neugierig auf die Welt dahinter machen. Und viele markante Haustüren, die jedem Gebäude eine besondere Note geben.

    „NEW YORK - Wie es keiner kennt“ hat mir sehr gut gefallen. Susan Kaufman ist es gelungen, den historischen Charme dieses von vielen Kulturen geprägten Teil New Yorks zu vermitteln. Die einzigartige Atmosphäre, die die meist in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Gebäude mit ihrem verspielten Detailreichtum auch heute noch ausstrahlen, hat mich durchweg begeistert.
    Gungl, P: Diabolischer Engel Gungl, P: Diabolischer Engel (Buch)
    10.07.2022

    Diabolisches Finale im Seminarhotel

    „Diabolischer Engel“ ist der letzte Band der Trilogie rund um die Erlebnisse der Juristin und Empathin Agnes Feder. Der Roman ist auch ohne Kenntnis der beiden Vorgängerbände bestens verständlich. Diesmal nimmt die Autorin den Leser mit nach Reichenau an der Rax in das idyllisch gelegene Seminarhotel „Fackl-Wirt“.

    Petra K. Gungl beginnt diesen Roman mit einem sehr spannenden Prolog, der ein Jahr vor der eigentlichen Handlung spielt: Ein christlicher Fanatiker beobachtet die spirituelle Zusammenkunft einiger Frauen und fühlt sich gemäß den Anweisungen der Bibel dazu berufen, dem vermeintlichen Teufelswerk ein Ende zu bereiten…

    Agnes hat über das Pfingstwochenende ein Meditationsseminar gebucht. Doch die Kurzreise verläuft so ganz anders, als Agnes es sich vorgestellt hat. Gleich bei der Ankunft stellt sie fest, dass sie ihre Medikamente vergessen hat, die sie unbedingt wegen ihrer Migräneattacken und zum Einschlafen braucht. Auch das Miteinander mit den anderen Seminarteilnehmern ist von Anfang an schwierig, es kommt zu Spannungen und Reibereien. Das ändert sich auch nicht, als eine zweite Gruppe eintrifft. Im Gegenteil, plötzlich steht Agnes’ Ex-Freund Siebert vor ihr und löst äußerst widersprüchliche Gefühle in ihr aus. Damit nicht genug, ein heftiges Unwetter und Muren schneiden das Hotel von der Außenwelt ab und lassen die sowieso schon angespannte Stimmung immer explosiver werden. Als dann vor aller Augen ein Gruppenmitglied unter rätselhaften Umständen ums Leben kommt und ein weiteres spurlos verschwindet, droht die Situation vollends aus den Fugen zu geraten…

    Petra K. Gungl hat ihre Protagonistin mit einer besonderen Gabe ausgestattet: Agnes reagiert besonders stark auf die Emotionen anderer Menschen - sie kann Gedanken sehen, Gefühle lesen und Erinnerungen wahrnehmen, wenn sie ihr Gegenüber berührt. Für Agnes eher Fluch als Segen, besonders, wenn Menschen um sie herum sind, die nichts Gutes im Schilde führen. Ihre Eindrücke verarbeitet Agnes in Träumen und Visionen, in denen sich gegenwärtige Erlebnisse mit historischen Ereignissen vermischen. Diesmal träumt Agnes sich in das Jahr 1889 und findet sich inmitten des erlauchten Kreises um Baron Rothschild auf Schloss Hinterleiten wieder.

    Petra K. Gungl erzählt diese Geschichte sehr anschaulich. Die feine Charakterisierung der Figuren, die bildhaften Beschreibungen der Handlungsorte und die Schilderungen des abwechslungsreichen Geschehens sowohl in dem zeitgenössischen wie in dem historischen Part machen diesen Roman zu einem spannenden Leseerlebnis. Immer neue Ereignisse, Überraschungen und Wendungen halten die Handlung lebendig und sorgen dafür, dass die Sogwirkung bis zum Schluss nicht abreißt.

    „Diabolischer Engel“ hat mir sehr gut gefallen - ein kurzweiliger Roman, der mit einer fesselnden Handlung und einer außergewöhnlichen Protagonistin zu überzeugen weiß.
    Frisch ermittelt: Der Fall Vera Malottke Christiane Franke
    Frisch ermittelt: Der Fall Vera Malottke (Buch)
    26.06.2022

    Martha Frisch sorgt für Gerechtigkeit

    „Frisch ermittelt: Der Fall Vera Malottke“ ist der Auftakt zu einer neuen Krimireihe, die Ende der 1950er Jahre im ostfriesischen Leer spielt. Christiane Franke und Cornelia Kuhnert nehmen den Leser mit in eine Zeit, in der die dunklen Jahre des Krieges noch nicht ganz aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind, man aber nach den vielen Entbehrungen mittlerweile wieder optimistischer in die Zukunft blickt und das Leben überall wieder bunter wird.

    Auch Vera Malottke malt sich ihre Zukunft in rosigen Farben aus, doch für sie soll es anders kommen. Vera verdient ihren Lebensunterhalt als Edelprostituierte und ist damit den meisten Leuten in der beschaulichen Kleinstadt ein Dorn im Auge. Nichtsdestotrotz geben sich die feinen Herren der Leeraner Gesellschaft bei Vera die Klinke in die Hand. Als die junge Frau tot in ihrer Wohnung aufgefunden wird, weint allerdings kaum jemand der jungen Frau eine Träne nach. Selbst Kommissar Ludger Onnen möchte den Fall möglichst schnell als bedauerlichen Unfall zu den Akten legen, doch die Obduktion ergibt eindeutig, dass ein Fremdverschulden vorliegt. Onnen hält die Honoratioren der Stadt für über jeden Verdacht erhaben und beginnt deshalb eher halbherzig mit den Ermittlungen. Schon bald hat er die Lösung seines Problems gefunden: Nur der gerade aus dem Gefängnis entlassene Richard Nowak kann der Täter sein. Denn: Einmal kriminell, immer kriminell - das weiß doch schließlich jeder…

    Die Witwe Martha Frisch betreibt eine Heißmangelstube. Der Tod ihrer Nachbarin und treuen Kundin Vera Malottke erschüttert die patente Mittfünfzigerin zutiefst. Dass bei den sowieso schon lasch geführten Ermittlungen mit zweierlei Maß gemessen wird und jetzt auch noch ein vermutlich Unschuldiger für die Tat büßen soll, geht Martha gewaltig gegen den Strich. Also nimmt sie die Dinge selbst in die Hand und begibt sich auf Spurensuche…

    Martha Frisch ist eine Protagonistin, der man gerne folgt. Die sympathische Hobbydetektivin hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Sie hält nichts von Vorurteilen und Doppelmoral, ist sehr umsichtig und hat einen guten Blick für Kleinigkeiten, die wichtig sein könnten. Es gefällt mir besonders gut, dass Martha während ihrer Ermittlungen stets im Rahmen ihrer Möglichkeiten bleibt - sie stellt Fragen, geht Hinweisen nach, nutzt den Klatsch und Tratsch aus ihrem Umfeld und beobachtet, spekuliert und kombiniert, bis sie dem Täter schließlich auf die Spur kommt.

    Es ist den Autorinnen ganz wunderbar gelungen, den Zeitgeist der Fünfzigerjahre einzufangen und den Alltag ihrer Figuren authentisch darzustellen. Die Eigenarten und Denkweise der Menschen fließen genauso wie die Gepflogenheiten, Mode und Sprache der damaligen Zeit in die Handlung ein und lassen die Welt, wie ich sie aus den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern kenne, vor meinen Augen aufleben. Neben dem Kriminalfall und dem Alltag spielen auch das damalige Frauenbild sowie die ersten Schritte zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in der sich wandelnden Nachkriegsgesellschaft eine große Rolle.

    „Frisch ermittelt: Der Fall Vera Malottke“ hat mir sehr gut gefallen. Vor allem die 50er-Jahre-Atmosphäre und das authentische Verhalten der Akteure fand ich sehr gelungen. Es hat großen Spaß gemacht, Martha bei ihrem ersten Fall über die Schulter zu schauen.
    Papyrus Irene Vallejo
    Papyrus (Buch)
    14.05.2022

    Vielfältig, informativ und sehr unterhaltsam

    Irene Vallejo ist promovierte Literaturwissenschaftlerin mit einer großen Passion für die Antike. Entsprechend hat sie diese Epoche in „Papyrus“ in den Fokus gerückt und erzählt die Geschichte der Bücher von den Anfängen der Bibliothek von Alexandria bis zum Untergang des Römischen Reiches.

    Irene Vallejo bringt in diesem über 700 Seiten starken und dennoch handlichen Sachbuch gefühlt alles zur Sprache, was mit dem Werdegang der Bücher von den Ursprüngen bis zum heutigen Tag zu tun hat. Es geht zum Beispiel um die bahnbrechende Erfindung des Alphabets und die Magie, die in den Buchstaben steckt. Um unterschiedliche Schriften und den Materialien, auf denen im Laufe der Jahrhunderte geschrieben wurde bzw. wird. Um Bibliotheken und die Arbeit von Bibliothekaren, Kopisten und Kritikern. Um Schriftsteller, Denker und Leser. Es geht darum, wie Bücherliebhaber sich in Zeiten, in denen es noch keinen Buchhandel gab, die gewünschten Bücher beschafft haben oder auch um die Frage, was ein Klassiker ist. Und um vieles mehr.

    Die Autorin schildert die Entwicklung des Buches allerdings nicht chronologisch, sondern in zahlreichen Episoden. Sie greift ein Thema auf und springt dann munter zwischen den Jahrhunderten hin und her und schweift dabei laufend ab, indem sie das Gestern mit dem Heute vergleicht, Fakten nennt und Überlieferungen hinterfragt, mit Meinungen und Vermutungen jongliert, immer wieder intelligente Parallelen zu anderen Abhandlungen zieht und zudem Zitate und Anekdoten in ihre Ausführungen einfließen lässt. Aufgepeppt wird das Ganze dann noch mit den persönlichen Gedanken, Erinnerungen und Erfahrungen der Autorin. Das klingt alles nach einem großen Durcheinander ohne jegliche Struktur, doch ich habe diesen enormen Detailreichtum während des Lesens zu keiner Zeit als verwirrend empfunden, sondern „Papyrus“ als vielfältig, informativ und vor allen Dingen als sehr unterhaltsam erlebt - ein herrliches Kaleidoskop aus Buchgeschichte und Bücherwissen, das farbenfroh und lebendig erzählt wird.

    „Papyrus“ hat mir sehr gut gefallen - eine Entdeckungsreise, die es mir auf unterhaltsame Weise ermöglicht hat, auf den Spuren der Bücher zu wandeln.

    Die sieben Schalen des Zorns Markus Thiele
    Die sieben Schalen des Zorns (Buch)
    05.05.2022

    Selbstbestimmung am Lebensende

    Hamburg. Für den Staatsanwalt Jonas van Loon ist der Posten des Generalstaatsanwaltes zum Greifen nahe, doch ein 25 Jahre zurückliegendes Ereignis droht ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen: Max Keller - seit Internatstagen ein guter Freund von Jonas und heute Allgemeinmediziner mit eigener Praxis - hat damals die Schuld auf sich genommen, als Jonas alkoholisiert Auto gefahren und in einem schweren Unfall verwickelt war, bei dem ein gemeinsamer Freund zu Tode kam. Ohne Max’ selbstloses Handeln wäre Jonas Karriere vermutlich schon zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hätte…

    Heute ist es Max, der dringend Hilfe braucht. Er bittet Jonas, ihn vor dem Verlust seiner Approbation und einer möglichen Gefängnisstrafe zu bewahren. Max hat - in der festen Überzeugung, das Richtige zu tun - seiner Tante und Ziehmutter Maria einen großen Wunsch erfüllt: nachdem sie die Diagnose Demenz bekommen hat, hat Maria Max das Versprechen abgenommen, sie von ihrem Leiden zu erlösen, wenn die Krankheit ihr das Leben zur Qual machen sollte. Patientenverfügung und Abschiedsbrief wurden geschrieben, damit Max ihren Willen belegen kann, doch die Dokumente sind nach Marias Tod aus ihrem Tresor verschwunden. Dass Maria Max als Alleinerben eingesetzt hat und Max zudem in argen finanziellen Schwierigkeiten steckt, spricht nicht gerade für ihn. Plötzlich steht sogar der Vorwurf Mord aus Habgier im Raum…

    Markus Thiele versteht es ganz ausgezeichnet, in seinen Romanen die juristische Sichtweise auf gesellschaftlich gewichtige Themen auch für den Laien leicht verständlich darzustellen und lädt seine Leser damit ein, über diese Dinge nachzudenken und sich ein eigenes Bild zu machen.

    In „Die sieben Schalen des Zorns“ geht es um Sterbehilfe und die aktuelle Rechtslage zu diesem Thema. Der Autor macht im Verlauf der Handlung deutlich, wie schmal der Grad zwischen Legalität und Straftat ist und geht der Frage nach, wie weit das Recht auf einen selbstbestimmten Tod reicht. Gut gefallen hat mir, dass auch die moralischen Aspekte und religiöse Ansichten beleuchtet werden.

    Die Handlung hat mich schon nach wenigen Seiten gefesselt. Markus Thiele wartet nicht nur mit einem interessanten Thema auf, er erzählt die Geschichte auch äußerst spannend. Bevor es um den eigentlichen Prozess geht, in dem über Max’ Handeln geurteilt werden soll, erfährt der Leser in mehreren Rückblenden allerlei aus den Leben von Max und Jonas. Über ihre familiären Hintergründe, ihre unterschiedlichen Charaktere, die Höhen und Tiefen, die sie durchgemacht haben und über ihre gemeinsamen Erlebnisse. Als Leser lernt man die beiden Protagonisten auf diese Weise nicht nur richtig gut kennen, es wird auch greifbar, wie groß die Belastung für Max und Jonas und ihre Freundschaft nach Marias Tod ist. Auch wenn ich sehr neugierig war, wie die Geschichte für Max ausgeht, fand ich es noch spannender, Jonas zu beobachten. Dieser steckt in einer Zwickmühle: Er fühlt sich natürlich dem geschriebenen Gesetz verpflichtet. Er ist Staatsanwalt, kein Strafverteidiger, seine Rolle in diesen Fall ist damit eindeutig geregelt. Davon abzuweichen, könnte ihm die Karriere kosten. Dennoch möchte er seinem Freund helfen, auch wenn dieser nach geltender Rechtssprechung eine Grenze überschritten hat. Jonas beginnt, sich auf unterschiedliche Weise mit der Situation und seiner Aufgabe auseinanderzusetzen…

    „Die sieben Schalen des Zorns“ hat mir sehr gut gefallen – ein tiefgründiger Roman, der genauso kurzweilig wie eindringlich erzählt wird und zum Nachdenken über die Frage nach einem selbstbestimmten Lebensende animiert.


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