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    Klaraelisa

    Aktiv seit: 16. Februar 2017
    "Hilfreich"-Bewertungen: 6
    44 Rezensionen
    Der Kolibri - Premio Strega 2020 Der Kolibri - Premio Strega 2020 (Buch)
    21.11.2021

    Eine etwas andere Familiensaga


    Sandro Veronesis Roman “Der Kolibri“ erzählt das Leben des Augenarztes Marco Carrera über einen Zeitraum von etwa 70 Jahren, von der Kindheit bis zum Krebs im Endstadium. Die Darstellung ist jedoch nicht chronologisch, sondern enthält unzählige Zeitsprünge und Ortswechsel. Wir erfahren, dass der Junge fast kleinwüchsig war und wegen seiner großen Beweglichkeit Kolibri genannt wurde. Als 15jähriger erreicht er durch eine spezielle Therapie innerhalb von wenigen Monaten eine normale Größe. Marcos Leben ist von Anfang an von Tragödien überschattet. Seine labile ältere Schwester begeht Selbstmord, und er gibt dem jüngeren Bruder Giacomo die Schuld an ihrem Tod, weil er auf sie aufpassen sollte. Giacomo hat sich genauso wie Marco in die hübsche junge Luisa verliebt, und Eifersucht entzweit die Brüder zusätzlich, so dass sie für den größten Teil ihres Lebens keinen Kontakt haben. Beide Eltern sterben kurz nacheinander, und Marcos Ehe scheitert, weil seine Frau ihn betrügt und verlässt. Die gemeinsame Tochter Adele wird überwiegend von Marco aufgezogen. Die Liebe zu Adele wird ihm in schwierigen Zeiten helfen, vor allem Jahre später, als er ihre bildschöne und vielseitig begabte Tochter Miraijin nach Adeles Unfalltod zu einem Menschen der Zukunft erziehen wird. Die wohl traurigste Tatsache seines unglücklichen Lebens ist aber wohl seine unerfüllte Liebe zu Luisa, aus der nie eine Beziehung wird. Sie ist die Liebe seines Lebens, aber er unternimmt nichts, um sie für sich zu gewinnen. Sein lebenslanges Credo ist Unveränderlichkeit. Alles muss so bleiben, wie es ist. Jede Veränderung macht ihm Angst, aber mehrere Veränderungen in seinem Leben kommen von außen, sind unabwendbare Schicksalsschläge.
    Veronesis Roman ist keine leichte Kost, nicht nur wegen der wirren Erzählstruktur, sondern auch wegen des vor allem im letzten Teil beträchtlichen Anteils an esoterischem Gedankengut. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung hat der Autor angekündigt, in künftigen Auflagen die Jahreszahlen zu Beginn der fast fünfzig Kapitel wegzulassen. Diese kleine Anstrengung könne man ja wohl vom Leser erwarten. Ich vermute, dass die meisten Leser angesichts der Schwierigkeit der zeitlichen Zuordnung der Puzzleteile ohne die Jahreszahlen früh das Handtuch werfen würden. Ich bin ein bisschen enttäuscht von diesem angeblichen Meisterwerk, das immerhin mit dem renommierten Premio Strega ausgezeichnet wurde.
    Das Archiv der Gefühle Das Archiv der Gefühle (Buch)
    08.11.2021

    Sammeln und ordnen als Lebensaufgabe


    In Peter Stamms neuem Roman geht es um einen sehr skurrilen Charakter. Der namenlose Protagonist war früher Archivar, wurde aber arbeitslos, als man Dokumente nicht mehr in Papierform speicherte. Er lebt allein in dem von der Mutter geerbten Haus, wo er das von seinem Arbeitgeber übernommene Archiv täglich viele Stunden lang ergänzt. Er beachtet strenge Regeln, ohne die geringsten Veränderungen zuzulassen, weil er in einer ewigen Gegenwart leben möchte. Das Chaos der Welt macht ihm Angst. Er sieht seine Aufgabe darin, es zu ordnen und nicht darin, etwas Neues, Eigenes zu schaffen. So hat er auch fast 40 Jahre lang an der Liebe seines Lebens festgehalten, ohne dass daraus jemals eine Beziehung wurde. Es ist die Mitschülerin Franziska, die unter dem Namen Fabienne als Sängerin Karriere machte. Er nahm aus der Ferne an ihrem Leben Anteil und las die Artikel über ihre Beziehungen in der Boulevardpresse. In all den Jahren hatte er Kontakt zu zwei Frauen, einer ehemaligen Arbeitskollegin und einer Mitschülerin 25 Jahre nach dem Schulabschluss, als er eigentlich hoffte, Franziska zu treffen. Er liebte diese Frauen nicht, ließ die Dinge einfach geschehen, ohne jemals die Initiative zu ergreifen. Seine einzige Liebe war und ist Franziska, die ihm immer wieder in den Fantasien seiner Parallelwelt erscheint, die für ihn realer ist als die Wirklichkeit. Mit Mitte 50 wird ihm jedoch bewusst, dass das wirkliche Leben mehr zu bieten hat als das passive Abwarten, das er praktiziert, und er nimmt Kontakt zu Franziska auf. Nach mehreren Anläufen steht er ihr endlich gegenüber und erfährt, dass es in der Vergangenheit zwei Situationen gab, wo er auf sie hätte zugehen müssen, und ihr Leben wäre anders verlaufen. Er beschließt, sich von seinem Archiv zu trennen, weil es ihn unwiderruflich an die Vergangenheit bindet und jegliche Neuorientierung unmöglich macht. Am Ende wagt er tatsächlich einen Neuanfang. Er kann zwar die verflossene Zeit nicht zurückholen, aber für die ihm verbleibende Lebensspanne ein anderer werden.
    Mir hat dieser ruhig erzählte, sprachlich anspruchsvolle und zum Nachdenken über die eigene Lebensplanung anregende Roman gut gefallen. Er vermittelt die Botschaft, dass es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern. Besonders beeindruckt hat mich, wie gekonnt der Autor reales Geschehen und Fantasien ineinander übergehen lässt. Ein empfehlenswertes Buch.
    Die dritte Frau Die dritte Frau (Buch)
    23.05.2021

    Von der Schwierigkeit, einen Roman zu schreiben

    In Wolfram Fleischhauers neuem Roman steckt ein namenloser Autor in der Krise. Er hat eine unangenehme Scheidung hinter sich, kämpft mit finanziellen Problemen, und es mangelt ihm an Ideen für einen neuen Roman. Vor Jahren hat er den historischen Roman "Die Purpurlinie" veröffentlicht - wie der real existierende Autor Fleischhauer. Damals hatte ihn der Franzose Charles Balzac auf die miserable Qualität der französischen Übersetzung und zahlreiche sachliche Fehler in der Darstellung hingewiesen. Der Einladung, vor Ort Dokumente einzusehen, war der Autor damals nicht gefolgt. Jetzt möchte er dies nachholen und erhält Antwort von Camille Balzac, der Nichte des inzwischen verstorbenen Mannes.
    Es geht in diesem Roman um ein berühmtes Gemälde im Louvre, das zwei Frauen beim Baden zeigt, Gabrielle d´Estrées und Henriette d´Entragues, eine Vorfahrin von Camille Balzac. Beide Frauen waren Geliebte des französischen Königs Henri IV. Um Königin zu werden, mussten sie dem König Kinder schenken. Es gab Komplikationen. Der König heiratete eine Medici.
    Der Autor darf bei zwei Besuchen in Frankreich eine Reihe von Dokumenten einsehen, die auf tödliche Intrigen und Aktivitäten der Geheimdienste hinweisen. Zwischen ihm und Camille entwickelt sich eine komplizierte Beziehung aus Anziehung und Abstoßung. Es ist von Anfang an nicht zu übersehen, dass Camille ihre eigenen Ziele verfolgt, es auf eine ganz spezielle Zusammenarbeit mit dem Autor abgesehen hat.
    "Die dritte Frau" zeichnet das Porträt einer Epoche - des beginnenden 17. Jahrhunderts -, handelt aber auch vom Schreiben selbst. Fleischhauer erscheint als namenloser Protagonist in seinem eigenen Roman. Wahrheit und Fiktion werden untrennbar vermischt. Ich habe das Buch sehr gern gelesen und empfehle es ohne Einschränkung weiter.
    Offene See Benjamin Myers
    Offene See (Buch)
    13.04.2020

    Ein anderes Leben

    In Benjamin Myers´ Roman „Offene See“ hat der 16jährige Robert Appleyard im Jahr 1946 die verhasste Schule abgeschlossen. Bevor er wie seine Vorfahren in der Mine arbeitet, was seine Bestimmung zu sein scheint, begibt er sich mit dem Nötigsten ausgestattet auf eine Wanderschaft. Er will das Meer sehen, bevor er sein Leben in Dunkelheit und Dreck verbringt. Er genießt die Natur mit allen Sinnen und hat ein intensives Gefühl der Befreiung. Eines Tages stößt er auf ein verstecktes Cottage in Küstennähe und lernt in Dulcie Piper eine ungewöhnliche, wesentlich ältere Frau kennen. Sie lädt ihn zum Essen ein, und er bleibt länger, als er eigentlich wollte. Die unkonventionelle Dulcie führt ihn an Literatur, Kunst und Musik heran und macht ihm deutlich, dass er das Recht hat, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Es ist jedoch keineswegs eine einseitige Beziehung zwischen dem Jungen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden und der älteren Frau. Als Gegenleistung für Unterkunft und hervorragende Verpflegung kümmert sich Robert um den Garten und renoviert ein Atelier. Er tut jedoch noch sehr viel mehr für seine Gastgeberin. Er hilft ihr, sich endlich der Trauer um die verlorene Liebe, die Dichterin Romy Landau, zu stellen, deren Gedichte Robert ihr sechs Jahre nach Romys Tod vorliest. Für beide öffnen sich Türen zu einem neuen Leben, für Robert langfristig auch im materiellen Sinn. Im Prolog und Epilog, die den Bericht über Roberts Leben als Rahmenhandlung umschließen, schaut er als alter Mann auf sein Leben zurück und zeigt, wie viel er Dulcie Piper zu verdanken hatte.
    „Offene See“ ist ein berührender Roman in einer lyrischen Sprache, den ich sehr gern gelesen habe. Er besticht durch wunderschöne Landschaftsbeschreibungen und ist gleichzeitig eine Coming-Of-Age Geschichte und ein Porträt der Nachkriegszeit im Nordosten Englands. Der deutsche Titel kann leider den Doppelsinn des Originals - “The Offing“ - nicht vermitteln. „Offing“ bedeutet einerseits den Übergang zwischen Meer und Himmel am Horizont, andererseits ist die umgangssprachliche Nebenbedeutung (Selbst-)Tötung eine Anspielung auf ein wichtiges Element der Handlung. Ein sehr außergewöhnlicher Roman, der lange nachwirkt.
    Je tiefer das Wasser Je tiefer das Wasser (Buch)
    13.04.2020

    Solche Eltern braucht niemand

    Katya Apekinas Erstlingsroman “Je tiefer das Wasser“ ist eine Familiengeschichte der etwas anderen Art. Im Mittelpunkt stehen die Schwestern Edie, 16 und Mae, 14, die bei der Mutter Marianne in Louisiana aufgewachsen sind, nachdem der Vater, der Schriftsteller Dennis Lomack, die Familie vor vielen Jahren verlassen hat. Im Jahr 1997 unternimmt die Mutter mit ihrer langen Geschichte psychischer Störungen einen Selbstmordversuch und wird in die Psychiatrie eingewiesen. Vater Dennis holt die Töchter zu sich nach New York. Die Situation ist für alle Beteiligten schwierig, und die Schwestern gehen sehr unterschiedlich damit um. Während Edie den Vater hasst und zur Mutter zurück will, sieht Mae eine Möglichkeit, sich endlich aus dem Klammergriff der kranken Mutter zu befreien und ein Leben in Freiheit zu führen. Sie entwickelt in der Folge eine obsessive Liebe zu ihrem Vater, dessen Muse sie wird, um den Schreibprozess für sein nächstes Buch zu unterstützen. Da kommt es zu ziemlich kranken Psychospielchen mit einer Vierzehnjährigen. Dennis Lomack hat schon immer das Leben aller Menschen, die ihm nahestehen, egoistisch und rücksichtslos in seinen Büchern ausgeschlachtet und zwar so offensichtlich, dass sich die Betroffenen in seinen Geschichten wiederfanden. Peinlich wird das natürlich, wenn alle Welt Marianne in expliziten Sexszenen wiedererkennt. Da fragt sich der Leser, inwieweit Dennis zum desolaten Zustand seiner labilen Frau beigetragen hat. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass er seine Familie zerstört und seinen Freunden großen Schaden zugefügt hat.
    Erzählt wird die Geschichte der ungesunden familiären Beziehungen in zahlreichen kurzen Kapiteln mit ständig wechselnder Perspektive, wobei die Erzählung bis ins Jahr 1968 zurückgeht, als Dennis mit seinen Freunden als Freedom Fighter in der Bürgerrechtsbewegung aktiv war, und auch die Situation im Jahr 2012 erfasst. Der Roman ist thematisch interessant, sprachlich vorzüglich, aber insgesamt erschreckend düster.
    Was wir sind Anna Hope
    Was wir sind (Buch)
    13.04.2020

    Es ist nie zu spät, sein Leben zu ändern

    In Anna Hopes Roman „Was wir sind“ stehen drei Frauen im Mittelpunkt. Cate und Hannah kennen sich seit der Schulzeit und waren da nicht immer Freundinnen, sondern auch Rivalinnen um die besten Ergebnisse in der Schule und später an der Universität. Mit Lissa leben sie als Studentinnen in einer Wohngemeinschaft zusammen und genießen ihr Leben in London. Ein paar Jahre später ist die turbulente Zeit des unbeschwerten Glücks vorbei. Hannah hat zwar einen guten Job und ist mit einem Mann, den sie liebt, verheiratet, ist aber todunglücklich wegen ihrer Kinderlosigkeit. Cate leidet an einer postnatalen Depression. Der ständige Schlafentzug, verursacht durch Baby Tom, bringt sie an den Rand des Zusammenbruchs. Lissa träumt von einer Schauspielkarriere und bekommt kaum Angebote. Sie überlebt mit mehreren Nebenjobs und hat das Ende ihrer Beziehung mit Freund Declan noch nicht überwunden. Alle drei befinden sich mitten in einer Krise und müssen sich neu orientieren.
    Die Autorin erzählt ihre Geschichte mit ständig wechselnder Perspektive und zahllosen Zeitsprüngen, eine Erzählstruktur, die dem Leser volle Konzentration abverlangt. Es ist eine sehr kluge Geschichte, die die Leser und Leserinnen ihr eigenes Leben hinterfragen lässt. Jedem wird im Laufe der Zeit bewusst, dass die Erwartungen der frühen Jahre sich nicht erfüllen, dass Pläne aus unterschiedlichen Gründen nicht realisiert werden können. Lissas Mutter Sarah, eine Malerin, die immer an vorderster Front für feministische Ziele gekämpft hat, macht ihrer Tochter zum Vorwurf, dass sie das von der Generation der Mütter Erreichte nicht für sich umgesetzt hat, aber Scheitern liegt ja nicht nur an persönlichen Fehlentscheidungen, sondern auch am gesellschaftlichen Umfeld und immer noch auch an der Geschlechtszugehörigkeit. Die Autorin vermittelt die tröstliche Botschaft, dass es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern. Wir dürfen nur nicht resignieren, sondern müssen auch in scheinbar ausweglosen Situationen bereit sein, einen neuen Anfang zu machen. Immer wieder betont die Autorin außerdem, dass es wichtig ist, an unseren Freundschaften festzuhalten, selbst wenn es auch da Enttäuschungen gibt.
    Mir hat der einfühlsam erzählte, berührende Roman gut gefallen und ich empfehle ihn weiter.
    Eine fast perfekte Welt Eine fast perfekte Welt (Buch)
    07.03.2020

    Das gelobte Land gibt es nicht

    In Milena Agus´ neuem Roman geht es um mehrere Generationen einer sardischen Familie und ihre Freunde und Bekannten. Im Mittelpunkt steht Ester mit ihrem Ehemann Raffaele, später Tochter Felicia mit ihrem Dauerverlobten Sisternes und noch später deren Sohn Gregorio. Sie alle sind auf der Suche nach dem gelobten Land, einem Leben in einer perfekten Welt und müssen einsehen, dass eine bloße Ortsveränderung nicht reicht, um glücklich zu werden, weil es das gelobte Land vielleicht gar nicht gibt. Marianna, Felicitas Vermieterin in Cagliari, formuliert schließlich die Erkenntnis: „Die Menschen haben im Grunde nur die Wahl, von einem Ort, wo es ihnen schlecht geht, an einen anderen Ort zu wechseln, wo es ihnen genauso schlecht geht.“ (S. 109). Die Autorin vermittelt jedoch die Überzeugung, dass jeder die Möglichkeit für ein glückliches Leben in sich trägt. Allerdings ist der Weg dorthin schwierig. Die Frauen der Geschichte machen besonders negative Erfahrungen in ihren Beziehungen, lieben und werden nicht wiedergeliebt. Männer verlieren die geliebte Partnerin und finden sich danach nur mühsam im Leben zurecht. Es sind zum Teil sehr traurige Schicksale, die die Autorin in diesem Roman erzählt. Es gibt dennoch einen hoffnungsvollen Ausblick.
    Die Suche nach dem gelobten Land ist jedoch nicht das einzige Thema dieses schmalen Bändchens. Die Autorin spricht auch aktuelle Themen an, wie zum Beispiel die Zerstörung der Natur, vor allem der sardischen Küstenregionen, zugunsten der touristischen Erschließung, die Vernichtung von Existenzen durch die Agrarreform oder die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des christlichen Glaubens, Kommunisten oder den ewig Gestrigen, die immer noch Mussolini nachtrauern. Mehrfach beschäftigen sich Figuren mit der Frage, ob es sich lohnt, Gutes zu tun, oder ob ein guter Mensch lediglich ein naiver Schwächling ist.
    Abschließend kann ich sagen, dass diese knappe Erzählung viel Material zum Nachdenken bietet und mir gut gefallen hat.
    Milchmann Anna Burns
    Milchmann (Buch)
    07.03.2020

    Wir gegen die anderen

    Die 18jährige im Mittelpunkt des Romans “Milchmann“ von Anna Burns hat keinen Namen wie die anderen Figuren dieses Romans auch – mit einer Ausnahme: Milchmann heißt wirklich so (S. 393-5). Die Protagonistin wächst als eines von zehn Geschwistern in einer katholischen Familie, wahrscheinlich in Belfast auf. Sie wird Mittelschwester genannt und trifft sich seit fast einem Jahr mit Vielleicht-Freund. Eines Tages wird Milchmann zu ihrem Stalker. Er weiß alles über sie, kennt ihren Tagesablauf und will sie für sich, obwohl er 41 Jahre alt und verheiratet ist. Mittelschwester wird nur zweimal mit dem Mann gesehen, und schon sagt man ihr eine Affäre nach und beschimpft sie als schamloses Flittchen. In dieser Gemeinschaft verbreitet sich Klatsch blitzschnell und wird sofort für die reine Wahrheit gehalten. Ohnehin ist es in diesen Zeiten gefährlich, aufzufallen. Die junge Frau war schon vorher ins Gerede gekommen, weil sie im Gehen Literatur des 19. Jahrhunderts las, ohne sich um die überall lauernde Gefahr zu kümmern. Mit ihrem zum Selbstschutz angenommenen abgestumpften Gesichtsausdruck wird sie für arrogant gehalten, zumal sie als angebliche Geliebte von Milchmann, einem IRA-Führer, sowieso eine Sonderstellung annimmt. Die IRA-Mitglieder werden im Roman Verweigerer genannt. Mit ihnen legt man sich besser nicht an. Schon der Verdacht, ein Denunziant zu sein, kann das Todesurteil bedeuten. Die Katholiken in diesem Viertel – aus der Sicht der Protagonistin „Wir“ - müssen jeden Anschein vermeiden, mit den „anderen“, den Protestanten, den englischen Soldaten und jeder Art von Obrigkeit Kontakt zu haben. Werden sie Opfer einer Straftat, gehen sie nicht zur Polizei, sind sie schwer verletzt oder todkrank, wagen sie es nicht, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen. Die „anderen“ leben in ihrem eigenen Viertel, auf der anderen Seite der Straße oder auf der anderen Seite der See, d.h. in England.
    Was hat das alles zu bedeuten? In Nordirland herrscht seit Jahren eine Art Bürgerkrieg, der insgesamt 30 Jahre dauern und mehr als 3500 Opfer fordern wird. Im Roman hat fast jede Familie schon Opfer zu beklagen. Die Bombenanschläge der IRA und die Massaker der anderen paramilitärischen Gruppen sowie die Vergeltungsschläge der englischen Armee gehen durch die Weltpresse. In diesem Konflikt geht es nicht um Religion, sondern um politische Ziele. Am Beispiel von Mittelschwester lässt sich sehr gut erkennen, was es bedeutete, in solchen Zeiten an diesem Ort aufzuwachsen. Angst und Misstrauen bestimmen das Leben der Menschen. Leider ist das Buch nur verständlich, wenn man schon vorher über den Nordirlandkonflikt Bescheid weiß. Hinzukommt, dass der Roman auch sprachlich wegen des kreativen Umgangs der Übersetzerin mit der deutschen Sprache harte Kost ist. Bandwurmsätze, weitgehend fehlende Absätze und eine Gliederung in nur sieben Kapitel machen die Lektüre mühsam. Das Wenige, das passiert, wird in unerträglicher Breite erzählt. Mir hat dieser Roman nicht gefallen.

    Königskinder Alex Capus
    Königskinder (Buch)
    21.10.2018

    Zwei Geschichten

    In seinem Roman “Königskinder“ verwöhnt der Alex Capus den Leser mit zwei Geschichten: eine spielt in der Gegenwart, die andere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Ehepaar Max und Tina ist in den Schweizer Alpen mit dem Auto unterwegs, als sie auf einer eigentlich gesperrten Alpenstraße im Schnee steckenbleiben. Bis zum Morgen müssen sie sich irgendwie die Zeit vertreiben. Also erzählt Max seiner Frau eine Liebesgeschichte, die teilweise in der Schweiz, zum Teil aber am Hof von Versailles spielt. Der arme Kuhhirte Jakob verliebt sich in Marie, die Tochter eines reichen Bauern. Für den Vater des Mädchens ist Jakob natürlich kein geeigneter Ehekandidat. Der Bauer verhindert diese Verbindung. Marie wartet dennoch viele Jahre auf ihren Jakob, der inzwischen Soldat geworden ist und nach sieben Jahren zwar zurückkehrt, aber dann bald an den französischen Königshof geschickt wird, weil Prinzessin Elisabeth, die Schwester von Ludwig XVI., jemanden braucht, der sich mit Schweizer Kühen auskennt. Als die Prinzessin von den getrennten Liebenden hört, nutzt sie ihren Einfluss und holt Marie nach Versailles. Das Glück dauert jedoch nur bis zur Französischen Revolution. Dann müssen sich die Liebenden neu orientieren.
    Capus hat einen gut lesbaren Roman geschrieben, bei dem sowohl das authentische Porträt des zeitgenössischen Versailles als auch die sprachliche Virtuosität auffallen muss. Capus schafft eine Wortkulisse, die das höfische Leben inklusive damalige hygienische Verhältnisse lebendig werden lässt. Das Ergebnis ist kein trockenes Geschichtsbuch, sondern eine Geschichte voller Humor und Satire. Ich habe diesen Roman gern gelesen, obwohl ich ihn nicht für sein bestes Werk halte. Trotzdem ist das Buch eine Empfehlung wert.
    Ein Winter in Paris Ein Winter in Paris (Buch)
    03.10.2018

    Ein alles veränderndes Ereignis

    “Ein Winter in Paris“ von Jean-Philippe Blondel beginnt mit einer Art Prolog. Der Ich-Erzähle Victor findet bei seiner Rückkehr aus dem Urlaub den Brief eines alten Mannes vor, der ihn in einer Fernsehsendung gesehen hat und seine Bücher liest. Dieser Brief versetzt ihn schlagartig zurück in die Vergangenheit. Victor hat nie vergessen, was 30 Jahre zuvor geschah. Um diese Geschichte geht es im Roman.
    Der 19jährige Victor hat die Provinz verlassen und besucht im zweiten Jahr eine Vorbereitungsklasse, die ihm bei erfolgreichem Bestehen der Auswahlprüfung Zugang zum Studium an einer renommierten Universität verschaffen soll. Victor hat es wider Erwarten in die zweite Klasse geschafft, aber einen hohen Preis dafür bezahlt: Ein Jahr lang hat er in völliger Isolation verbissen gearbeitet. Er ist sichtlich anders als alle anderen, was ihn gewissermaßen unsichtbar macht. Victor stammt aus sehr einfachen Verhältnissen, und diesen Rückstand an Kultur und Lebensart holt keiner so schnell auf. Doch dann scheinen sich die Dinge zu ändern. Beim Rauchen in der Mittagspause lernt er den jungen Mathieu kennen, der wie er ein Außenseiter im Jahrgang unter ihm ist. Sie wechseln ein paar belanglose Sätze. Victor kann sich eine Freundschaft mit Mathieu vorstellen, doch dazu kommt es nicht mehr. Eines Tages begeht Mathieu in der Schule Selbstmord, weil er den Leistungsdruck und die Schikanen nicht länger erträgt. Alles ändert sich plötzlich für Victor. Alle interessieren sich für ihn, suchen seine Nähe, auch Pierre Lestaing, der Vater des Toten. Er erhofft sich von Victor Informationen über seinen Sohn und Aufschluss über die Gründe seines Selbstmords. Der verwaiste Pierre und Mathieu, der nie einen solchen Vater hatte, kommen sich immer näher, bis Mathieus Mutter der in ihren Augen kranken Beziehung ein Ende setzt. Victor hat inzwischen Abschied von der Idee einer akademischen Karriere genommen und wird Englischlehrer und Schriftsteller – genau wie der reale Autor Jean-Philippe Blondel.
    Blondel erzählt die kurze, zumindest teilweise autobiografische Geschichte in beeindruckender Weise. Er berührt dabei Themen wie Freundschaft und Familie, die Schwierigkeit für einen jungen Menschen, sich außerhalb seines Milieus neu zu orientieren und den gnadenlosen Konkurrenzkampf um einen der wenigen Plätze an einer Elite-Universität. Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen. Es wird nicht mein letztes Buch von diesem Autor sein. “6 Uhr 41“ liegt schon bereit.
    Manhattan Beach Manhattan Beach (Buch)
    03.10.2018

    Das Verborgene unter der Oberfläche

    Jennifer Egans neuer Roman „Manhattan Beach“ ist im New York der 30er und 40er Jahre angesiedelt. Die Menschen leben mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt steht die junge Anna mit ihren Eltern Eddie und Agnes und der jüngeren behinderten Schwester. Als 11jähriges Mädchen begleitet sie ihren Vater eines Tages zu dem reichen Gangster Dexter Styles. Worin die Arbeit ihres Vaters für diesen Mann besteht, weiß das Kind nicht. Vier Jahre später verschwindet der Vater spurlos, und Agnes und ihre Töchter sind auf sich allein gestellt. Mit 19 arbeitet Anna in der Werft. Sie nimmt Messungen vor, möchte aber viel lieber eine Tauchausbildung machen und Kriegsschiffe in der Werft reparieren. Es dauert eine Weile, bis ihre Hartnäckigkeit zum Erfolg führt und man sie einstellt. Sie schließt Freundschaft mit einer jungen Frau, die sie in eine Bar mitnimmt. Dort sieht sie Dexter Styles wieder. Sie sucht Kontakt zu ihm, weil sie zu Recht vermutet, dass er etwas über den Verbleib ihres Vaters weiß. Dexter und Anna kommen sich näher.
    „Manhattan Beach“ ist ein historischer Roman mit Krimielementen. Einerseits bekommt der Leser ein Bild vom Leben in der damaligen Zeit: den Lebensbedingungen der Menschen zu Kriegszeiten, der Stellung der Frau in der amerikanischen Gesellschaft und der Macht der Gangstersyndikate. Andererseits wollen Anna und der Leser wissen, was mit ihrem Vater passiert ist. Erzählt wird aus drei verschiedenen Perspektiven, der von Anna, Dexter und Eddie und auf wechselnden Zeitebenen. Wichtige Informationen hält die Autorin bis fast zum Schluss zurück. Auch dadurch wird Spannung aufgebaut, denn der Leser begreift nur allmählich, wie eng die drei Schicksale verknüpft sind und welche Geheimnisse die Protagonisten sorgsam verbergen.
    Egan legt einen sehr interessanten Roman vor, der allerdings wegen der sehr detaillierten Beschreibung von Tauchgängen und der benötigten Tauchausrüstung etwas Geduld und Durchhaltevermögen erfordert. Mir hat das Buch gut gefallen.
    Das rote Adressbuch Sofia Lundberg
    Das rote Adressbuch (Buch)
    09.09.2018

    Eine lange Reise durch Zeit und Raum

    Doris Alm ist die Protagonistin in Sofia Lundbergs Debütroman “Das rote Adressbuch“. Sie ist 96 Jahre alt, schwach und krank. Deshalb hat sie einige Zeit vor Einsetzen der Handlung in der Erzählgegenwart begonnen, die Geschichte ihres Lebens anhand der Namen und Adressen von meist längst verstorbenen Menschen aufzuschreiben, die in ihrem Leben in irgendeiner Weise eine Rolle gespielt haben. Die Namen sind in ihrem roten Notizbuch aufgelistet, ein Geschenk ihres früh verstorbenen Vaters zu ihrem 10. Geburtstag. Doris möchte nicht, dass ihre Erinnerungen mit ihrem Tod verloren gehen. Sie will sie ihrer geliebten Großnichte Jenny hinterlassen, die mit ihrer Familie in den USA lebt. Jenny ist die Enkelin ihrer im Kindbett verstorbenen Schwester Agnes, Tochter der drogensüchtigen Elise, die ebenfalls schon lange nicht mehr lebt.
    Doris´ bewegtes, fast ein Jahrhundert dauerndes Leben beginnt in den 20er Jahren Stockholm, führt sie als junges Mädchen im Dienst ihrer Arbeitgeberin nach Paris, wo sie bis zum Zweiten Weltkrieg als Model arbeiten wird, später in die USA, nach England und zurück nach Schweden. Ihr ganzes Leben lang wird sie versuchen, ihre große Liebe, den Amerikaner Allan Smith, wiederzufinden. Sie verlieren sich aus den Augen und können wie die zwei Königskinder nicht mehr zueinanderkommen, obwohl sie auch für Allan die Liebe seines Lebens ist.
    Lundbergs Roman war zu Recht ein großer Erfolg. Die Geschichte ist wunderschön und ohne jeden Kitsch erzählt und berührt nicht zuletzt wegen ihrer Botschaft: Wahre Liebe stirbt nicht, sie übersteht Krieg und jahrzehntelange Trennung. Diese von der Autorin eindrucksvoll vermittelte Überzeugung versöhnt den Leser mit den vielen traurigen Ereignissen im Leben von Doris Alm. Ich habe diesen Roman gern gelesen und empfehle ihn ohne Einschränkung.
    Kleine Feuer überall Celeste Ng
    Kleine Feuer überall (Buch)
    15.04.2018

    Die zerstörerische Macht von Geheimnissen

    Mit “Kleine Feuer überall“ legt Celeste ihren zweiten Roman vor. Im Mittelpunkt steht das Ehepaar Bill und Elena Richardson mit ihren vier halbwüchsigen Kindern. Sie leben in einem Haus in Shaker Heights, einem reichen Vorort von Cleveland, Ohio. Sie besitzen ein zweites Haus im Ort, in dem eine Wohnung an die alleinerziehende Künstlerin Mia Warren und ihre Tochter Pearl vermietet ist. Eines Tages brennen im Haus der Richardsons kleine Feuer in sechs Schlafzimmern. Elena steht fassungslos mit drei ihrer Kinder vor dem Haus, während die Feuerwehr versucht, die Brände zu löschen. Izzy, die jüngste und als verhaltensauffällig bekannte Tochter ist unauffindbar. Am Vortag verschwanden auch Mia und ihre Tochter, ohne sich zu verabschieden. Wer hat die Brände gelegt und warum?

    Ein zweiter Konflikt bewegt die Bewohner von Shaker Heights, wo alles geregelt ist und normalerweise nichts Außergewöhnliches passiert. Eine arme Chinesin und ein reiches, adoptionswilliges Ehepaar streiten um ein Baby. Die Chinesin will ihr Kind zurückhaben, das Ehepaar und viele Menschen im Ort meinen, sie hätte ihre Rechte verwirkt, als sie das Kind in ihrer Not aussetzte. Mia und Elena stehen in diesem Konflikt auf entgegengesetzten Seiten. Hat Mia, eine Kollegin der Chinesin im China-Restaurant, verborgene Gründe für ihre Parteinahme? Elena beginnt, die Vergangenheit ihrer Mieterin zu erforschen und deckt eine Menge Geheimnisse auf. Elena fühlt sich durch Mias unkonventionelle Lebensweise bedroht und versucht, ihre Familie zu schützen – ein fataler Schritt.

    Ngs Roman behandelt zahlreiche Themen: Mutterschaft und Familie, vor allem die Beziehung von Müttern und Töchtern, Kunst und Leben, Klasse, Privilegien und vor allem Rasse. Die Frage, ob reiche weiße Adoptiveltern ein chinesisches Kind seiner Kultur entfremden dürfen, wird ausführlich behandelt und unterschiedlich beantwortet. Elenas älteste Tochter Lexie mit ihrem farbigen Freund Brian schätzt sich glücklich, in einer Zeit und an einem Ort zu leben, wo Rassenzugehörigkeit keine Rolle mehr spielt. Der in den 90er Jahren angesiedelte Roman zeigt den naiven Glauben an ein besseres Amerika ohne Rassismus. Angesichts von Donald Trumps Präsidentschaft und der Existenz von Bewegungen wie Black Lives Matter ist dieser Glaube utopisch.

    Trotz einiger Längen und generell relativer Handlungsarmut hat mir der Roman gefallen, vor allem wegen der gelungenen Charakterisierung der weiblichen Protagonisten und der sprachlichen Qualität.
    Durst Durst (Buch)
    07.10.2017

    Harry Hole jagt seine Nemesis

    Mit "Durst" liegt nun der lang erwartete 11. Band der Harry Hole-Serie von Jo Nesbø vor. In der Schlusssequenz des 10. Bandes "Koma" nimmt Ståle Aunes Tochter Aurora nicht an Harry Holes Hochzeit teil. Sie ist bei einem zweitägigen Sportturnier in der Nadderud-Halle. Auf der Mädchentoilette sieht sie einen Schatten. "Und ein paar lange, schmale Schuhspitzen. Wie von Cowboystiefeln." (S. 615) In "Durst" ist der Mann mit den Cowboystiefeln zurück. Er sitzt in der Jealousy Bar, die Mehmet Kalak gehört. An diesem Abend treffen sich Geir und Elise in der Bar. Sie haben sich über die Dating-App Tinder kennengelernt. Das Treffen dauert nicht lange, Elise ist nicht interessiert. Als sie nach Hause kommt, liegt auf ihrem Bett ein Mann mit Cowboystiefeln. Elise Hermansen arbeitet als Anwältin für Vergewaltigungsopfer und kennt ihn von früher. Der Eindringling behauptet, es sei purer Zufall, dass er sie gefunden hat, was nicht stimmt. Er beobachtet sie mit Geir schon in der Bar und verschafft sich vor ihrer Rückkehr Zutritt zu ihrer Wohnung. Auch er ist auf der Dating-App Tinder unterwegs. Er sucht jedoch keine Frau fürs Leben, er sucht sich über die App seine Opfer aus, die er auf grausamste Weise ermordet. Das Dezernat für Gewaltverbrechen unter der Leitung der Chefermittlerin Katrine Bratt nimmt die Ermittlungen auf. Hinter Harry Hole liegen drei glückliche Jahre mit seiner Ehefrau Rakel und seinem Stiefsohn Oleg, der die Polizeihochschule besucht, an der Harry Hole unterrichtet. Hole ist seit drei Jahren nicht mehr als Spezialfahnder aktiv. Der unsympathische Polizeipräsident Mikael Bellmann braucht schnelle Erfolge bei der Aufklärung des Verbrechens an Elise Hermanson. Deshalb beauftragt er Hole, sich mit einem eigenen kleinen Team an den Ermittlungen zu beteiligen. Harry stimmt zu, auch weil er den gesuchten Mörder und Vergewaltiger Valentin Gjertsen in "Koma" nicht fangen konnte. Neu im Team ist Hallstein Smith, Psychologe und Vampirismus-Experte und Anders Wyller, Kommissar-Anwärter aus Tromsø sowie der langjährige Kriminaltechniker Bjørn Holm.
    Jo Nesbøs 11. Band schließt nahtlos an die Vorgängerbände an. Es gibt wenige Autoren in der Kriminalliteratur, die ihrem Ermittler das Leben so schwer machen, ihn so viel leiden lassen. Und wieder überzeugt der Autor mit einem schlüssigen Plot. Es ist eine sehr spannende Geschichte um Verrat und Intrigen. Nichts ist einfach, alles ist komplizierter, als es scheint - bis zum überraschenden Ende, das man nicht errät. Das Personal des Romans ist übersichtlich und gut gezeichnet. Sein unkonventioneller Ermittler geht wie gewohnt seinen Weg, um einen vermeintlichen Vampir zu fangen. So lange Nesbø Harry Hole nicht für immer in die Hölle schickt, hoffe ich auf weitere Bände, und der Schluss des Romans lässt darauf hoffen, dass die Reihe fortgesetzt wird. Ein ganz hervorragendes Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann.
    Der Preis, den man zahlt Der Preis, den man zahlt (Buch)
    07.09.2017

    Der Wolf im Schatten

    Falcó, der Protagonist in Arturo Pérez-Revertes Roman “Der Preis, den man zahlt“, arbeitet als Spion in einer Spezialeinheit der Falangisten. Er selbst ist weder Falangist noch Republikaner. Mit 37 glaubt er nach einem bewegten Leben voller Abenteuer und Gefahren an gar nichts mehr, auch nicht an Vaterland, Liebe oder Zukunft. Der Admiral, sein Chef, der die Hand über ihn hält, erteilt ihm den Auftrag, einen prominenten Gefangenen aus der Festung von Alcatraz zu befreien und ihn damit vor dem sicheren Tod zu retten. José Antonio Primo de Rivera ist der Gründer der Falange. Die Befreiungsaktion wird durch die Tatsache erschwert, dass der Süden noch in der Hand der Roten, der Verteidiger der Republik, ist. Falcó muss sich auf feindliches Gebiet begeben und dort mit nur wenigen Mitstreitern, darunter zwei Frauen, eine sehr komplizierte und überaus gefährliche Aktion leiten. Eine der beiden Frauen ist die attraktive, geheimnisvolle Eva Rengel. Falcó und Eva sind Komplizen, kommen sich jedoch zeitweise sehr nahe.

    Die fiktive Geschichte spielt im Herbst 1936 nach dem Putsch der Faschisten und zeigt einen weitgehend verdrängten oder sogar vergessenen Krieg in all seiner Grausamkeit. Der Roman beschreibt, in welchem Maße auch die Nazis zum Sieg des Caudillo beitrugen, der Spanien eine fast 40jährige Diktatur bescherte – bis zu seinem Tod im Jahr 1975. Der Held dieses Romans ist ein charismatischer Einzelkämpfer, der vor allem die Frauen für sich einnimmt. Er fühlt sich keiner Ideologie verpflichtet. “Er war ein Mann des Augenblicks, (…). Ein Wolf im Schatten. Gierig und gefährlich.“ (S. 22). Er erledigt seinen Job sehr effizient und hat normalerweise keine Skrupel zu töten. Der Verrat, zu dem ihn seine Vorgesetzten zwingen, geht jedoch sogar ihm gegen den Strich, denn er ist trotz allem auch zu Loyalität fähig.

    Der auf eine Fortsetzung hin angelegte Roman liest sich sehr gut. Er ist spannend und vor allem authentisch, was das Porträt Spaniens zur Zeit des Bürgerkriegs angeht. Bei der Darstellung von Gewalt und Folter ist der Autor jedenfalls nicht zimperlich. Insgesamt verdient “Der Preis, den man zahlt“ eine klare Empfehlung.
    Die Lieferantin Die Lieferantin (Buch)
    07.09.2017

    Drogenkrieg in England

    Zoë Beck hat ihren neuen Kriminalroman "Die Lieferantin" in London angesiedelt, und ihr Ausblick in die Zukunft ist düster. Nach dem Brexit haben sich die Fronten verhärtet. Beim nächsten Referendum will die konservative Regierung durch Volksentscheid über eine Verschärfung der Drogengesetze abstimmen lassen. Danach würden Drogenabhängige jegliche staatliche Unterstützung verlieren, sie wären nicht mehr versichert und würden obdachlos werden. Die schärfste Druxit-Gegnerin ist Catherine Wiltshire, eine Freundin von Ellie Johnson. Ellie unterstützt Catherines Kampagne mit dem Geld, das sie durch den Verkauf von erstklassigem Heroin übers Internet verdient. Ihr Geschäftsmodell ist gut. Über ihre App bestellt man die Drogen, geliefert wird mit Hightech-Drohnen, die eine enorme Reichweite haben. Das ist effizient, anonym und hervorragend organisiert, bis Ellies Lieferant stirbt, der für den Tod des Schutzgelderpressers Gonzo verantwortlich gemacht wird. Dass der Restaurantbesitzer Leigh Sorsby, der durch die Schutzgelderpressungen kurz vor dem Ruin steht, im wahrsten Sinne des Worte eine Leiche im Keller hat, erfährt der Leser gleich zu Beginn des Romans. Gefährliche Verwicklungen zeichnen sich ab, und auch Ellie muss um ihr Leben fürchten. Zoë Beck hat einen interessanten politischen Kriminalroman geschrieben, den ich gerne gelesen habe.
    Das Buch der Spiegel Das Buch der Spiegel (Buch)
    19.03.2017

    Die Unzuverlässigkeit der Erinnerung

    "Das Buch der Spiegel" von E. O. Chirovici ist ein Buch in einem Buch, aufgegliedert in drei Teile. Im ersten Teil der Geschichte verspricht der Erzähler Richard Flynn in einem unaufgefordert eingesandtem unvollständigem Manuskript mit dem Arbeitstitel "Das Buch der Spiegel" an Peter Katz, einen Literaturagenten, der für Bronson & Matters arbeitet, der Wahrheit der Ereignisse auf den Grund zu gehen, die zum Tod des charismatischen Professors Joseph Wieder im Dezember 1987 führte. Im Mittelpunkt standen damals Professor Joseph Wieder, Erzähler Richard Flynn und Laura Baines. Rückblickend beginnt seine Erzählung vor siebenundzwanzig Jahren, als er in Princeton Anglistik studierte und mit Laura befreundet war. Sie war es auch, die Flynn dem Professor vorstellte. Das Manuskript endet abrupt, ohne dass entscheidende Fakten des Tatherganges ans Licht kommen. Könnte die Geschichte, die Richard Flynn aufgeschrieben hat, wahr sein, oder haben die vergangenen Jahre seine Erinnerungen verfälscht, so dass er jetzt glaubt, die Wahrheit zu kennen? Oder will er am Ende selbst ein Geständnis ablegen? Immerhin zählte er damals eine Zeit lang zu den Tatverdächtigen. Peter Katz ist an dem Buch interessiert, das er einem Verlag anbieten will. Doch bevor er von dem Autor das komplette Manuskript erhält, stirbt dieser. Im Zentrum des zweiten Teils steht der Journalist John Keller. Er ist mit Peter Katz befreundet und wird von ihm beauftragt, den Rest des Manuskripts zu suchen. Keller spricht mit vielen Leuten, deren Geschichten sich alle widersprechen. Entscheidende Fakten kann er nicht finden. Er trifft sich mit dem pensionierten Polizisten Roy Freeman, der damals in dem Mordfall ermittelte. Freeman rollt das Verbrechen neu auf. Er wird es sein, der am Ende das Puzzle zusammenfügt.

    Im Roman geht es um die Aufklärung eines alten ungelösten Falls. Vier Ich-Erzähler bieten ihre Erkenntnisse und ihren Blick auf die Ereignisse an. Was die Lektüre etwas mühsam macht, ist, dass sie sich gar nicht so sehr voreinander unterscheiden, jedenfalls haben sie im Roman keine klar erkennbare eigene Stimme. Zudem ist der Roman recht handlungsarm. Wechselnde Erzählperspektiven sind nicht grundsätzlich problematisch. Aussagen aus Flynns Manuskript ergeben zusammen mit den Entdeckungen von Katz, Keller und Freeman ein Mosaik, und man hofft, dass sich allmählich die Wahrheit abzeichnen wird. Doch dem ist nicht so. Stattdessen wird der Leser immer wieder auf falsche Fährten gelockt. Es ist alles anders. Alle irren sich. Chirovicis zentrale Thematik ist, unterstrichen durch das Proust-Zitat am Ende, unübersehbar: Unsere Erinnerung ist unzuverlässig, subjektiv sowieso, aber auch nicht immer wahr. Ich fand den Roman nicht uninteressant, aber überzeugt oder begeistert hat er mich auch nicht.
    Gefährliche Empfehlungen Tom Hillenbrand
    Gefährliche Empfehlungen (Buch)
    19.03.2017

    Das Geheimnis des blauen Buches

    Der berühmte luxemburgische Koch Xavier Kieffer wollte eigentlich nur mit seiner Freundin Valérie Gabin in Paris ein rauschendes Fest im neuen Firmengebäude des Guide Gabin feiern, aber es kommt anders. Der Koch wird auch in "Gefährliche Empfehlungen", Tom Hillenbrands fünftem kulinarischem Krimi um Xavier Kieffer, wieder zum Ermittler. Zu dem Großereignis ist viel Prominenz eingeladen, alles was in der Restaurantszene Rang und Namen hat, auch der Food-Kolumnist von "Le Monde", der Ex-Präsident und der aktuelle Amtsinhaber Allégret, der mit Valerie Gabin befreundet ist, sind gekommen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind an diesem Abend besonders streng. Dennoch kommt es zu einem Zwischenfall. Ein radikaler Aktivist stürmt auf die Bühne, und während eines kurzen Stromausfalls wird der Guide Gabin aus dem Jahre 1939 gestohlen. Das sehr wertvolle Buch ist eine Leihgabe, was die Angelegenheit besonders brisant macht. Die Romanhandlung beginnt jedoch nicht mit dem Festakt und dem Diebstahl, sondern setzt aus zunächst unbekannten Gründen im Zweiten Weltkrieg ein, wo Captain John Fischer darauf wartet, mit seinem kleinen Radioempfänger über Radio Londres wichtige Informationen zu erhalten, die er später in sein Buch mit dem kobaltblauen Einband eintragen wird. Nur sein Divisionskommandant weiß, dass er nicht für die Army, sondern für jemanden in Washington D.C. arbeitet. Was haben die beiden so verschiedenen Handlungsstränge miteinander zu tun? Als ein Mord geschieht beginnt Kieffer zu recherchieren, auch, weil der Präsident um Hilfe in der Sache gebeten hat. Er findet heraus, dass der Gabin von 1939 die letzte Ausgabe vor dem Krieg war und dass es, aus welchen Gründen auch immer, zwei Fassungen davon gibt.
    Tom Hillenbrand gelingt es, neben der Suche nach dem Guide Gabin kulinarische Themen und die örtlichen Gegebenheiten zu einem interessanten, wenn auch überladenen Plot zu vermischen. Es wird getrunken, gegessen, viel geraucht und auch der Humor bleibt nicht auf der Strecke. Hillenbrand bedient sich in dem vorliegenden Roman der Geschichte des Guide Michelin. Sein ehemaliger Sternekoch gerät in lebensgefährliche Situationen, die er mit einer Portion Glück, durch wundersame Zufälle und mit List überlebt. Hilfreich ist das Glossar am Ende des Buches. Ich habe neben „Teufelsfrucht“ "Drohnenland" - für mich das beste Buch des Autors - und "Der Kaffeedieb" gelesen und wurde auch mit „Gefährliche Empfehlungen“ gut unterhalten.
    Rain Dogs Adrian McKinty
    Rain Dogs (Buch)
    16.02.2017

    Tod einer Journalistin

    In Adrian McKintys neuem Roman “Rain Dogs“ steht wieder der sympathische Inspector Sean Duffy vom Revier in Carrickfergus im Mittelpunkt. Sein neuester Fall ist der rätselhafte Tod der Journalistin Lily Bigelow, die eine finnische Delegation von potentiellen Investoren begleitet und darüber für ihre Zeitung berichtet. Die wirtschaftlich gebeutelte Region kann die Ansiedlung neuer Firmen dringend gebrauchen. Die Gruppe besichtigt nicht nur stillgelegte Fabriken, sondern auch die Burg Carrickfergus. Im Hof der Burg wird am nächsten Morgen die Leiche der Journalistin gefunden. Niemand konnte das Gelände außerhalb der Öffnungszeiten betreten oder verlassen. Deshalb scheint Selbstmord die einzig mögliche Todesursache zu sein. Duffy kann nicht glauben, dass sich die attraktive lebenslustige Journalistin von der Burgmauer gestürzt haben soll. Bald gibt es jedoch Indizien für einen Mord, aber wie war das möglich?
    Duffy ermittelt wie immer gründlich und stur in alle Richtungen, unterstützt von seinen Mitarbeitern, vor allem dem sehr fähigen Neuzugang Lawson. Er findet Hinweise, dass Bigelow an einer sehr brisanten Geschichte arbeitete und jemand großes Interesse daran hatte, dass diese nicht bekannt wurde, weil eine Reihe von hochgestellten Persönlichkeiten und Regierungskreise darin verwickelt waren. Es gelingt Duffy trotz aller Behinderungen seiner Arbeit den Mörder zu ermitteln, der sich allerdings einem Prozess und einer Verurteilung durch Flucht entzieht.
    McKinty ist in mehrfacher Hinsicht ein außergewöhnlicher Thriller von hoher Qualität gelungen. Der Autor verbindet historische Fakten der 80er Jahre mit einem fiktiven Kriminalfall. Es gab damals einen unglaublichen Skandal, in den Prominente verwickelt waren und der jahrzehntelang vertuscht wurde. Die Behörden und andere Institutionen schauten weg, keiner glaubte den Opfern, oder die Ermittlungen verliefen immer wieder im Sand. Die in diesem Zusammenhang genannten Personen sind genauso real wie die Troubles, die zum Zeitpunkt der Ereignisse des Romans, also 1987 noch andauerten und noch 11 weitere Jahre anhalten sollten – bis zum Good Friday Agreement des Jahres 1998. Der Roman besticht jedoch nicht nur durch Authentizität, sondern wie immer auch durch sorgfältige Charakterisierung der Figuren und trotz der finsteren Ereignisse durch Humor und Sprachwitz. Ein sehr empfehlenswerter Thriller.
    26 bis 44 von 44 Rezensionen
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