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    2. Alle Rezensionen von LittleWalter bei jpc.de

    LittleWalter Top 25 Reviewer

    Active since: September 3, 2010
    "Helpful" ratings: 1129
    480 reviews
    Going Going Gone Going Going Gone (CD)
    Sep 17, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Der Hippie-Traum ist längst vorbei, aber die Macht der psychedelischen Töne wird durch den Mild High Club am Leben gehalten.

    Der Mild High Club ist im Kern der Multiinstrumentalist Alexander Brettin, der sein Domizil passenderweise von Chicago nach Los Angeles verlegte, denn das dortige Lebensgefühl spiegelt seine musikalischen Inhalte besser wider. So einfach ist das und doch so komplex, denn Brettin legt von Fall zu Fall im Detail fest, welche Wendungen er für seine Kompositionen nutzt und welche Gastmusiker benötigt werden, um bei der Erschaffung der eigentümlichen Musik besondere Akzente zu setzen.

    Für das dritte reine Mild High Club-Werk gilt das gleiche, was auch schon für "Timeline" (2015) und "Skiptracing" (2016) galt: Die Musik orientiert sich hauptsächlich am Psychedelic- und Harmony-Pop sowie dem Soft-Rock und Easy-Listening-Sound der 1960er und 1970er Jahre. Dazu fallen als Referenz Namen wie The Beach Boys, The Association, Harpers Bizarre, Burt Bacharach oder Sergio Mendes ein.

    Aber es gibt noch wesentlich mehr Anhaltspunkte zu bestaunen: So hört sich "Dionysian State" wie ein vergessener Pop-Jazz-Outtake von Steely Dans "Aja" an, der allerdings in diesem Fall klingt, als sei er betrunken eingespielt worden. Das kurze Zwischenspiel "Trash Heap" hat gleich mehrere Gesichter: Ein schläfriger Fake-Bossa Nova, swingende Piano-Jazz-Figuren und elektronische Gimmicks lassen eingangs einen verdrehten, aber sommerlichen Song erwarten. Der Track bricht jedoch nach etwas über einer Minute plötzlich ab. So verschwenderisch geht Alexander Brettin mit seinen Ideen um!

    "Taste Tomorrow" vermittelt den Eindruck, als wäre das Lied dem Kochtopf einer Voodoo-Hexenküche entsprungen. Träge Smooth-Soul-Takte machen den Anfang. Dann stoßen flatternde Keyboard-Schwärme hinzu und es setzt ein von Fieber oder Drogen beeinflusster, hallend-langgezogener Gesang ein, der dem Stück bei seinem bizarren Verlauf eine seltsame Konstante verleiht. Es folgen holprige Passagen, hastende Klavierläufe, sonderbar entrückte Chorstimmen und ein immer langsamer werdender Abschluss, der von absichtlichen Tonstörungen geplagt wird.

    Für "A New High" wird die gute alte Bossa Nova reaktiviert, jene brasilianische Musikrichtung, die sowohl Melancholie wie auch gediegene Lebensfreude ausdrücken kann. Schützenhilfe gibt es dabei von der brasilianischen Sängerin Samira Winteron, die ihre jugendlich-laszive Stimmlage genüsslich über den Track verteilt. Aber natürlich produziert der Mild High Club keine klassische, traditionelle Auslegung des Brazil-Sounds. Hier zirpt, brummt und klimpert es, dass es eine Freude ist, aber schräge Einfälle wie plötzliche Bläser-Sätze, wallende Chor-Stimmen und vergnügte Piano/Synthesizer-Duelle sorgen für unerwartete Ablenkungen von der sommerlichen Entspannung.

    Im schwelgenden Latin-Disco-Funk-Rhythmus geht es mit "It’s Over Again" relativ konventionell weiter. Gewagte Loops eröffnen im Anschluss "I Don’t Mind The Wait", das danach in einen erneuten Bossa Nova-Reigen einsteigt und für eine gelassene Heiterkeit oder einen erfrischenden Müßiggang sorgt. Diese Gegensätze sind durchaus Teil des Konzeptes, weil sie Kontroversen ausdrücken und somit für eine innere Spannung zuständig sind.

    Cool-Jazz mit Bestandteilen von Funk und Elektronik speisen den Inhalt von "Dawn Patrol", eine weitere kurzen Episode, die ein schnelles Ende findet. An leiernden Sounds hat Alexander Brettin wohl seinen Spaß, denn auch "Waving" fällt durch Töne auf, die sich anhören, als stammten sie von einem kaputten Kassetten-Rekorder. Mal laufen sie etwas zu schnell, dann wieder etwas zu langsam. Der Song beginnt als "Field-Recording" mit Umweltgeräuschen und ruckelt sich danach taumelnd zu einem bedächtigen Electro-Soul-Pop zurecht.

    "Me Myself And Dollar Hell" beruft sich wieder auf eine Pop-Jazz-Eleganz, wie sie von Steely Dan perfektioniert und von Mayer Hawthorne wiederbelebt wurde. Das Stück ist cool, clever und infektiös, wenn es um den Ohrwurm-Faktor geht. Am Ende gibt es mit "Holding On To Me" nochmal eine kuriose Soundspielerei: Den rauschend-wehenden Klangflächen werden Effekte verpasst, die sie defekt erscheinen lassen, worauf der Smooth-Soul-Gesang versucht, diese kritische Situation zu retten. Aber schon bald ist die Gelegenheit verpasst, denn der etwas über eine Minute lange Soundschnipsel ist vorbei. Zwischendurch gibt es übrigens noch zwei unterschiedliche Instrumental-Titel zu hören, die aus der experimentellen "Smile"-Phase der Beach Boys ("Kluges I") oder von einer Funk-Jazz-Band wie The Crusaders stammen könnten ("Kluges II").

    Bei aller gelegentlichen Schrulligkeit ist "Going Going Gone" keine Sammlung von ausgeflipptem Freak-Pop, sondern ein Bekenntnis zum Recht auf sonderbare Arrangements mit Hang zur verzückten Träumerei. Die berauschende Wirkung einer solchen Vorgehensweise kannte schon der Pink Floyd-Gründer Syd Barrett, als er im Jahr 1967 für Songs wie "Arnold Layne" und "See Emily Play" betörende Melodien mit seltsamen psychedelischen Tönen versah und dadurch Pop mit einer langen Haltbarkeit erschuf. Mild High Club führen diese Tradition gewissermaßen als Erben dieses Sounds fort und bringen einige merkwürdige, jedoch mild gestimmte Songs zustande, die aufhorchen lassen.
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    Local Valley José González
    Local Valley (CD)
    Sep 17, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    5 of 5

    Multikulti und eine sensitive Vorstellungskraft führen bei "Local Valley" zu einer musikalischen Erfolgsgeschichte.

    José González wurde 1978 in Schwedens Metropole Göteborg als Sohn argentinischer Einwanderer geboren. Sein Vater motivierte und unterstützte ihn bei der frühkindlichen Musikerziehung und so stammten seine ersten Übungs-Lieder auf der akustischen Gitarre von den Beatles und aus dem reichhaltigen Bossa Nova-Song-Zyklus. Über Erfahrungen mit Punk und Metal kam er als Jugendlicher auch zum Jazz und Folk, was seine eigenen Songs bis heute stark prägt. Anmutige Raffinesse und einfühlsame Sinneswahrnehmungen sind Hauptzutaten der grazilen Gebilde, die auf den bisherigen drei Solo-Alben verteilt sind.

    2015 erschien das bisher letzte Album des feinsinnigen Musikers mit dem Titel "Vestiges & Clawes". Davor gab es "Veneer" (2003) sowie "In Our Nature" (2007) und dann natürlich "Fields" (2010) und "Junip" (2013) von seiner Band Junip. Trotz der sechsjährigen Veröffentlichungspause war José González eigentlich nie so ganz weg. Immer wieder hört man seine Songs als Untermalung in Filmen und Fernsehspielen. Mindestens "Line Of Fire" von Junip dient gerne als Bereicherung von privaten Song-Zusammenstellungen (früher nannte man sowas übrigens "Mixtape"). Und genau dieses großartige Lied befindet sich jetzt als Remake auf dem aktuellen, vierten Werk von José González, das "Local Valley" heißt und am 17. September 2021 erscheint.

    Auf "Junip" erwies sich "Line Of Fire" als ein epischer, sensibler Electro-Folk mit einem optimistisch-aufbauenden Groove. Aktuell ist der Song mit 3 Minuten nur noch halb so lang und wird mit trauriger Stimme in schleppendem Tempo zur akustischen Gitarre vorgetragen. Dadurch wird ihm seine ursprüngliche hypnotische Wirkung genommen. Er gewinnt jedoch an Intimität und Tiefgang. Das sind Tugenden, die häufig auf "Local Valley" zu finden sind.

    José hat einen charmanten, sensibel-intelligenten Charakter, wodurch er auch bei sparsam und fragil instrumentierten Liedern überzeugen kann. So wie mit "El Invento", einem freundlich gestimmten Lied, bei dem die akustische Gitarre Freund, Stütze und Trost zugleich ist. González singt so sanft, verführerisch und erhaben, dass es zwecklos ist, sich gegen die Verlockung der anziehenden Töne zu wehren. Naturgeräusche begleiten den gemächlichen, ausgeruhten Folk-Song "Visions" auf seinem unspektakulär erscheinenden Weg. Dabei entstehen Erinnerungen an "Blackbird" von den Beatles.

    Auch das ruhige, empfindsame Abschluss-Stück "Honey Honey" scheint in freier Natur aufgenommen worden zu sein. Durch das etwas tiefere Timbre als gewöhnlich lässt es an den großen Folk-Barden Fred Neil denken, dem wir unter anderem den Song "Dolphins" zu verdanken haben, den Tim Buckley mit einer grandiosen Cover-Version geadelt hat. Aber das ist eine andere Geschichte. "The Void" verhält sich undurchsichtig-rätselhaft. Den Song umgibt eine dunkle Aura, die mitunter spirituelle Züge annimmt. Das gilt im Prinzip auch für "Horizons", wobei hier zusätzlich noch beim Gitarre-Spiel der Geist von Leonard Cohen beschworen wird.

    Mit "Head On" kommt ein belebender Takt ins Spiel, der das Lied mit Energie speist. Der souverän-kontrollierte Gesang tariert das Temperament so aus, dass der Track unter der Oberfläche leicht vor sich hin kocht. "Valle Local" klingt nach ethnischer, ursprünglicher Folklore aus Afrika oder Vorderasien, die sehr stumpf, gleichförmig und pochend interpretiert wird. Auch "Lilla G" gehört in diese Kategorie, hier ist es besonders der Gesang, der afrikanische Wurzeln vorweist.

    José González definiert "Lasso ln" als romantische Western-Ballade, auch wenn eine Drum-Machine unveränderliche, trockene Schläge vorgibt, wie sie in den 1980er Jahren angesagt waren. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an! "Swing" erreicht eine ähnlich exotische Wirkung durch die Verbindung von monotonen elektronischen Trommeln in Verbindung mit Gitarren-Linien, die vom Afro-Beat von Fela Kuti beeinflusst sind. "Tjomme" ist ein tanzbares Stück mit ansteckendem Weltmusik-Groove, das auch seine Verbindung zu Afrika offenbart, aber seine Fühler zusätzlich bis nach Brasilien ausstreckt. Zurück in Schweden: Man spürt quasi die Einsamkeit des langen Winters, die "En Stund Pa Jorden" (= Ein Moment auf der Erde) - eine Cover-Version der iranisch-schwedischen Künstlerin Laleh - einhüllt. Aber der warmherzige Gesang vertreibt jegliche Ungemütlichkeit und so kommt dieses Lied feierlich (hat jemand weihnachtlich gesagt?) und ernsthaft rüber.

    Drei Sprachen (englisch, schwedisch, spanisch) und mehrere Darstellungsebenen werden den Songs von "Local Valley" zugeordnet. Der Blick geht hinaus in die Welt und die Klänge erscheinen als global ausgerichtete Hymnen, deren Entstehung im Prinzip unabhängig von Land und Leuten ist. Musik ist eben eine universelle Sprache, die unterschiedliche Schwingungen miteinander verbindet und Menschen vereint. José González schaut in die Herzen und öffnet sich den Kulturen. Seine Schöpfungen berühren tief, weil sie frei von Zorn und Hass sind. Songs mit meditativer Wirkung existieren neben rhythmischen Gebilden und schaffen eine Eintracht zwischen introvertiertem und extrovertiertem Dasein. Dem einen oder anderen Song täte eventuell eine Straffung gut, aber was ist das schon für ein geringer Makel, gemessen im Vergleich zu der enormen Harmonie und Lebenskraft, die die Musik aussendet.

    Der Titel "Local Valley" hat eine Doppelbedeutung: Er steht als Sinnbild für unsere Erde, die es als wichtigste Aufgabe der Menschheit zu erhalten gilt. Daneben verbirgt sich ein Hinweis darauf, dass sich Völker oft gegeneinander abgrenzen, weil sie die Perspektive des jeweils anderen nicht akzeptieren. González wirbt für Vernunft und Verständnis. Dahinter verbirgt sich ein humanistischer Ansatz ohne politische Richtung, der in Verbindung mit der Nutzung menschlicher Intelligenz geeignet wäre, unsere weltweiten Probleme bewältigen zu können.
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    Sep 17, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Das zweite Album von Falkevik zeichnet sich durch anspruchsvolle Eingängigkeit und nachvollziehbare Komplexität aus.

    Man stelle sich vor, es gäbe keine Genre-Schubladen, also zum Beispiel keine Einteilung in Kategorien wie Jazz oder Pop. Dann könnte Musik nur anhand ihrer Wirkung oder daran, welche Klang-Assoziationen Instrumente oder Stimmen hervorrufen, beschrieben werden. Die entstehenden Empfindungen könnten auch die Bezeichnungen von Duftnoten bekommen, wie blumig-süßlich oder prickelnd-herb. Aber Musik mit Worten zu beschreiben sei ja laut Frank Zappa genauso sinnvoll, wie zu Architektur zu tanzen. Dieser Ausspruch soll den Sinn oder Unsinn entlarven, der sich dahinter verbirgt, einen komplexen Zustand schriftlich zu erfassen. Natürlich wird ein durch Klänge erzeugtes Gefühl individuell unterschiedlich wahrgenommen, aber Sprache und Schrift sind so mächtig, dass es durch sie gelingen kann, gedankliche Vorstellungen eindrucksvoll und bildhaft darzustellen.

    Und was hat das jetzt alles mit "New Constellations", dem zweiten Album des Trios Falkevik aus Norwegen zu tun? Genauso viel, wie mit jeder anderen Veröffentlichung, die den Anspruch erheben darf, so objektiv und leidenschaftlich wie nur möglich beschrieben zu werden. Die Falkevik-Klänge sind aber zugegebenermaßen - wie jede komplex-vielfältige Musik - am Ende doch mehr als die Summe ihrer Teile oder das Ergebniss jeglicher Erklär-Versuche. Aber dennoch sollte es gelingen, die Töne durch einen Reigen von Assoziationen in ein rechtes Licht zu rücken, einfach weil es sich anspruchsvolle Musik verdient hat, dass man sich für sie tüchtig ins Zeug legt.

    Für Falkevik ergibt sich die Frage nach einer angemessenen Beurteilung auch deswegen, weil die Gruppe eine wirkungsvolle Form des musikalischen Ausdrucks gefunden hat, bei dem der Fusionsgedanke eine zentrale Stellung einnimmt. In Folge dessen würde sich eine Auseinandersetzung auf Basis einer Genre-Einteilung nur auf die Definition des Pop- oder Jazz-Einflusses beschränken müssen. Das würde zu Lasten der Würdigung des Verschmelzungs-Gedanken gehen. Deshalb nun also eine Rezension, die sich auf Gedankengänge stützt, die spontan beim Hören der Musik entstanden. Dabei floss noch die eine oder andere Referenz zu gleichgesinnten Künstlern ein.

    Falkevik besteht aktuell aus der Namensgeberin Julie Falkevik Tungevåg, die für die Kompositionen und die Bedienung der Tasteninstrumente zuständig ist. Neben ihrem unaufgeregten Gesang sorgt sie durch die Einspielung von elektronischen Effekten für einen möglichst abwechslungsreichen Sound. Ellen Brekken spielt sowohl einen elektrisch verstärkten wie auch einen akustischen Bass und Marius Trøan Hansen ersetzt Veslemøy Narvesen und Elisabeth Mørland Nesset am Schlagzeug und an den Percussion-Instrumenten. Vielleicht resultiert aus dem Wechsel an den Drums sogar der Titel "New Constellations".

    Auf Kurs bleiben, sich nicht von seiner Meinung, Einstellung oder Denkrichtung abbringen lassen, das steckt hinter dem Titel "Keep The Coordinates". Das ist heutzutage wichtiger denn je. Dazu gehört es auch, wachsam zu bleiben und Beeinflussungen gewissenhaft von allen Seiten zu prüfen, bevor man sich auf irgendwelche Parolen einlässt. Das Stück lässt ausgeglichenen Optimismus erkennen. Das Schlagzeug federt cool, der Bass ist ein kräftiger Begleiter und das Piano präsentiert sich als gutmütiger und selbstbewusster Wegweiser bei diesem vollmundig-melodischen Song. Julies Stimme ist ausgeruht-flüssig und verfügt über ein kontrolliert-laszives Timbre. Dem Titel entsprechend halten die Musiker (-innen) den beschriebenen musikalischen Kurs, obwohl es zwischendurch noch ein etwas aufgewühltes Piano-Solo gibt, das aber nicht außer Kontrolle gerät.

    "When We Let Go" verbreitet Alarmstimmung, denn es geht um die Beschwörung von Leitsätzen. Der Gesang ist manchmal in einem Frequenzbereich unterwegs, der an Sirenen erinnert. Das Klavier wogt in Erregung und der standhafte Bass versucht, die Stimmung grummelnd unter Kontrolle zu bringen. Daneben gibt es auch schwelgende Momente, nach denen der Track immer wieder Fahrt aufnimmt, was dem Stück einen maritimen Eindruck in Form von unterschiedlichem Seegang verschafft.

    Das ausgeruhte, beinahe meditative "Traveler" wird nur durch wortlosen Hintergrund-Gesang von Marius Trøan Hansen gestützt. Ansonsten handeln Piano, Bass und Schlagzeug gleichberechtigt und plätschern im positiven Sinne beruhigend dahin, wie ein Gebirgsbach, der noch ein Rinnsal ist. Zunächst fließen für das Stück "New Constellations" persönliche Erkenntnisse formelhaft auf Basis von tropfenden und rumpelnden Klängen ein. Danach wendet sich das Blatt. Das Stück bekommt aggressive, kraftvolle Züge verordnet, um dann in einen experimentell-rauschhaften Zustand zu verfallen. Danach beginnt dieser Ablauf wieder von vorn und das ganze Konstrukt wird von Textzeilen begleitet, die Anstrengungen, Bedrohungen und Zwänge aufzählen, welche das Leben schwer machen.

    Ein lebensbejahend-luftiger Takt trägt "Changeable" über die Zeit, wobei Falkevik auch hier Dynamikabstufungen einbauen, so dass es auch lyrische und improvisierte Passagen zu hören gibt, die dem Song abwechselnd eine glatte oder raue Oberfläche verschaffen. Veränderungen können Angst machen, "Changeable" rät poetisch dazu, die Angst wie eine schöne Verkleidung zu ertragen. Der Velvet Underground-Gründer John Cale ging in diesem Punkt sogar noch einen Schritt weiter, als er einst behauptete, dass die Angst der beste Freund des Menschen sei. Als Schutzmechanismus mag das stimmen, wenn sie jedoch die Gedanken lähmt, ist sie kein guter Ratgeber. Der Instrumental-Titel "In Public" hält sowohl klare, kühle Strukturen von romantischer Güte, wie auch gewagte Spielereien mit präpariertem Klavier bereit. Das wirkt insgesamt nicht so schlüssig und überzeugend wie die bisherigen Beiträge.

    Eine "Amputation" ist im wahrsten Sinne eine einschneidende Maßnahme mit katastrophalen Folgen für Leib und Seele. Hier geht es allerdings anscheinend um eine toxische Beziehung. Entsprechend wird das Stück auch von brutalen, unruhigen, beängstigenden und provozierenden Tönen begleitet. Das Tasteninstrument klirrt wie zerberstendes Glas und der Gesang scheint aus einem muffigen Keller zu kommen. Der Art-Punk von Peter Hammills "The Future Now" (1978) und "pH7" (1979) hört sich ähnlich klaustrophobisch an. Bei Hammill trägt der Geiger Graham Smith (ex-String Driven Thing) mit flirrend-nervösen Klängen zu der bedrückenden Spannung bei, hier ist es der norwegische Saiten-Spezialist Ola Kvernberg.

    Ola Kvernberg ist auch bei "Amplify Me" eine Stütze und Bereicherung des Klangspektrums. Nach etwa zwei Minuten, in denen die Band einen hypnotischen Sound aufbaut, trägt er durch seine orientalischen Töne dazu bei, das Stück in fremde Gefilde eintauchen zu lassen. Die Lyrik ist nicht eindeutig, lässt deshalb auch mehrere Schlüsse zu. Vielleicht geht es um das ständige Streben nach mehr Ansehen oder Ruhm, dessen Druck nicht zu bewältigen ist. Deshalb wird eine andere Person gesucht, deren Energie zur Kompensation abgesaugt wird. "Energy Vampires" nannte der schon zitierte Peter Hammill solche Leute beim gleichlautenden Song vom Album "The Future Now" aus 1978.

    "Walts" ist ein weiterer Instrumentaltitel, bei dem sich Tasten und Bass zu einem Dialog treffen, wobei sich die fragenden, nachdenklichen Töne immer mehr annähern und dann gar nicht mehr eindeutig voneinander zu unterscheiden sind. Wie schon beim Erstlingswerk, so wurde auch für "New Constellations" der letzte Track in schwedischer Sprache vertont. Unschuldig und rein, sowie ein wenig verloren und traurig klingt "Og så gikk eg med vill igjen", was soviel wie: "Und dann habe ich mich wieder verlaufen" heißt. Das Lied vermittelt eine innere Einkehr, die von kristallklaren, ausgeruhten Noten begleitet und mit viel Umsicht und Demut dargeboten wird.

    Was darf von "New Constellations" erwartet werden? Wem der Vorgänger "Louder Than I`m Used To" von 2018 schon gefallen hat, der wird auch das zweite Werk von Falkevik schätzen. Die Stärken der Musiker (- innen) wurden konserviert und teilweise sogar ausgebaut. So ist zumindest hinsichtlich der Melodik noch eine Schärfung gegenüber den bisherigen Aufnahmen zu vernehmen. Den Gesang von Julie Falkevik Tungevåg einfach nur als schön und sauber zu bezeichnen, greift zu kurz. Er ist Motor und Seele der Musik. Seinetwegen werden aus intelligenten Kompositionen besonders ausdrucksstarke Songs. Bei der Musik kommen sowohl Wohlklang-Enthusiasten wie auch Kunst-Versteher auf ihre Kosten, denn die Kompositionen bieten anspruchsvolle Eingängigkeit wie auch nachvollziehbare Komplexität. In dieser Hinsicht steht Falkevik schon jetzt auf einer Stufe mit Norah Jones, Jaimie Cullum oder Gregory Porter.
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    Parallel Timeline (CD)
    Sep 10, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Entgegengesetzt wirkende Kräfte, die aufeinander abgestimmt sind, bestimmen die Abläufe und Ereignisse auf "Parallel Timeline", dem fünften Album von Slothrust.

    Slothrust ist ein Trio aus Boston, Massachusetts, dessen Aushängeschild die Sängerin, Komponistin und Gitarristin Leah Wellbaum ist. Als Frontfrau dieser unkonventionell und Genre-übergreifend agierenden Rock-Band geht sie bewusst kompositorische Risiken ein und wird dabei beständig, rebellisch und phantasievoll von ihren Kollegen Kyle Bann (Bass) und Will Gorin (Schlagzeug) in Szene gesetzt. Obwohl Leah auch laut und aggressiv auftrumpfen kann, ist sie keine typische Rock-Röhre, sondern beweist ihre Anpassungsfähigkeit, indem sie zwischen Bissigkeit und Sanftmut vermittelt.

    Entsprechend mehrdeutig und emotional verästelt sind viele Songs ausgefallen: Man stelle sich eine Verschmelzung zwischen "Zombie" von den Cranberries mit Gitarren-Attacken aus "Ramada Inn" von Neil Young & Crazy Horse vor, die durch Laurie Andersons-Gesangs-Verfremdungen und zickige Funk-Splitter angereichert wird. Dann bekommt man eine Vorstellung davon, wie "Cranium" klingt. Hier finden sich einige Stilübungen wieder, die sich durch das gesamte neue Slothrust-Werk ziehen, das ab dem 10. September 2021 in den Plattenläden steht: Melodischer Gitarren-Rock, kräftig-zerrender Garagen-Rock, luftig-weitläufiger Folk-Rock, psychedelischer Art-Pop und gegen den Strich gebürsteter New Wave-Sound. Das alles wird durch die an jede Regung angepasste Stimme von Leah Wellbaum zusammen gehalten.

    Druckvoll und herausfordernd stürzt sich "Once More For The Ocean" ins grenzenlos optimistische Geschehen, welches von einer hohen Geschwindigkeit zu Höchstleistungen angestachelt wird. Bei all seinem sprühenden Schwung bleibt der Song dennoch charmant und differenziert. Das zum Ende eingeflochtene Gitarren-Solo gebärdet sich selbstsicher und triumphierend, was der tatkräftigen Unterstützung der stämmigen Rhythmusgruppe zu verdanken ist.

    Mit "Courtesy" binden Slothrust eine grundsätzlich unsentimentale Ballade ein, die im Verlauf ihre derbe Seite offenbart und somit entkrampfende Dynamiksprünge bereit hält. Auch "The Next Curse" beginnt verhalten, dreht dann aber zu einem förmlich vor Energie berstenden Stück auf, das auch aus der Feder von Kurt Cobain von Nirvana stammen könnte.

    "Strange Astrology" ist ein durchgängig ruhiger Track, der seine ausgleichende Wirkung über die gesamte Laufzeit von vier Minuten verteilt. Das gilt im Prinzip auch für "King Arthur’s Seat", wo sich die reife Pop-Seite der Band zeigt. Der Song lockt mit einem dezenten Barock-Klangbild, das dem verträumt-wehmütigen Anschein einen würdigen Anstrich verpasst.

    Gleichbleibende Stimmungen innerhalb eines Songs sind die Ausnahme bei den ansonsten eher mehrdimensional aufgebauten "Parallel Timeline"-Stücken, die oft laute und leise Strömungen neben- und übereinander präsentieren. So wie bei "Waiting": Während das Piano für Ergriffenheit und der Gesang für Pathos, Wohlklang und Drama sorgt, tobt sich die E-Gitarre mit dröhnend-vibrierenden Tönen ordentlich aus und die Rhythmus-Fraktion bringt zusätzlich Leben in die Bude.

    Der wolkig-ätherische Folk von "A Giant Swallow" kann nach einiger Zeit durch ein nach vorne gemischtes, unnachgiebig marschierendes Schlagzeug auf den Boden der Tatsachen zurück geholt werden. Bei der Classic-Rock-Ballade "White Rabbits" entlädt sich die Intensität nach romantischem Beginn in einem gleißenden Gitarren-Solo. Mit dem harmonischen, mehrstimmigen Folk-Rock "Parallel Timeline" verabschiedet sich das Trio dann ausgleichend-versöhnlich.

    Rock-Musik, die visionär, forschend sowie neugierig ist und dabei Zartes und Hartes berücksichtigt, ist nicht an der Tagesordnung. Slothrust stürzen sich mit "Parallel Timeline" in das Experiment, eine für sie neue Form der Wahrnehmung zu ergründen, wobei sie als kreative Musiker neugierig versuchen, Rock-Musik anders zu definieren, ohne die sattsam bekannten Poser-Klischees zu bemühen. Ihr Grunge-Rock ist erwachsen geworden, hat aber nicht seine Zähne verloren, stellt sich nur vielseitiger auf, was der Vielfalt zugute kommt. Hinzu kommt, dass Leah Wellbaum mit dem Album einen philosophischen Ansatz verfolgt: Da wir im Grunde genommen immer auf uns selbst gestellt sind, ist es sinnvoll, seine eigene Spiritualität zu ergründen, um sich in der Gegenwart mit allen Gegebenheiten arrangieren zu können.

    Die Beobachtung, dass konträre Gegebenheiten wie Liebe oder Hass, Leben oder Tod unser Dasein durchziehen und bestimmen, scheint die Basis der Motivation für die Entstehung von "Parallel Timeline" gewesen zu sein. Bei den Liedern bekommen wir es mit Gegensätzen wie Wut und Zärtlichkeit oder Melodie und Improvisation zu tun. Oft laufen diese Dinge in einem Song ab, um zu symbolisieren, dass das Leben kein einfacher, ebener Weg ist, sondern ständig von unvorhersehbaren Ereignissen beeinflusst wird. Slothrust demonstrieren mit "Parallel Timeline" eine musikalische Weiterentwicklung, die eine unerschrockene Öffnung zu Gunsten von neuen Erfahrungen bedeutet. Das ist auf jeden Fall ein sicherer Weg, um Stillstand zu vermeiden. Der erste Schritt der Diversifizierung ist jedenfalls gelungen, die Metamorphose sollte aber noch nicht abgeschlossen werden, denn hier ist der Weg das Ziel.

    Leah Wellbaum hat bei aller Ernsthaftigkeit bezüglich ihrer sachlichen Weltanschauung noch einen tröstenden Aspekt parat, denn sie ist überzeugt, dass sich hinter den Einschränkungen, die wir aufgrund unserer angepassten, aber nicht optimalen Sinne erfahren, noch eine erfreuliche Verbindung zum Universum verbirgt. Möge sie recht behalten!
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    You Don't Feel Like Home Jack In Water
    You Don't Feel Like Home (LP)
    Aug 27, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5
    Press quality:
    4 of 5

    Vergangenheitsbewältigung für gefestigte Gemüter: Jack In Water führt geläutert durch ein Tal der Tränen.

    "You Don't Feel Like Home" hat einen therapeutischen Ansatz: Der britische Musiker Will Clapsen verkörpert als Jack In Water auf seinem ersten Album - das am 27. August 2021 erscheint - einen sensiblen, nachdenklichen Singer-Songwriter, der sowohl positive wie auch negative Eindrücke aus seiner Kindheit und Jugend verarbeitet. Mit einem gewissen Abstand konnte er seine Erlebnisse und Gedanken jetzt richtig einordnen und die unangenehmen Erfahrungen akzeptieren. Aus dieser Inspiration heraus erschuf er intim-ergriffene Töne, wobei die Songs um Themen wie Familie, Freundschaft und Liebe kreisen, aber auch Probleme behandeln, die aus sexuellem Missbrauch, Alkoholismus und dem allgegenwärtigen Tod resultieren. Das pralle Leben mit all seinen Haupt- und Nebenschauplätzen, seinen Freuden und den tragischen Momenten spiegelt sich wider und wird poetisch in rätselhafte Gleichnisse gehüllt. Die Noten erklingen dazu liebenswert und anmutig, wobei jedoch Grauschleier und dunkle Schatten auf sie fallen.

    Der Titel-Song ist das Protokoll einer Entwurzelung oder einer Trennung oder eines nahenden Todes. Alles ist möglich. Wenn das Gefühl der Geborgenheit fehlt, dann kann Eiseskälte die Seele befallen. Um dieses Gefühl der Isolation zu vermitteln, wurden die Noten würdevoll angeordnet und dazu erhabene Schwebeklänge sowie pastorale Chorstimmen inszeniert, die eine getragene Stimmung erzeugen. Der swingend-groovende Rhythmus ist dabei der Rettungsanker, der für Bodenhaftung sorgt. Der sanft leidende Lead-Gesang justiert das Lied nebenbei als gefühlvoll-sakrale Ballade.

    "Beast Behind Your Eyes" manövriert sich durch dunkle Situationen, wobei die Zustände zunehmend aussichtsloser wirken. Will Clapsen ist bestrebt, Empathie zu zeigen, ohne in Schwermut zu verfallen, was jedoch nicht immer gelingt. Dennoch ist seine gelassene, langsam erzählende Stimme der Dreh- und Angelpunkt für Zuversicht, weil sie als Lotse in schwerem Fahrwasser fungiert. "Just Smile" lässt dann durch Accessoires wie scharfe Blechblas-Töne nebst druckvollem Gesang in Kombination mit einem strammen Rhythmus eine gewisse kämpferische Aggression erkennen, die nicht in gewalttätige Rebellion umschlägt, aber für Auflehnung gegen eine sich androhende Apathie sorgt.

    "For You" wird dagegen von einer harmonisch-gütigen Grundstimmung umweht, die die Welt wie durch eine rosarote Brille erscheinen lässt. Es zeigt sich sogar auf elegante Weise die Sonne, die verschämt hinter den Wolken hervorkommt und jeden Trübsinn verdrängt. Eine Liebesbekundung verpackt Jack In Water für "Unconditional Love" in ein Folk-Tronic-Format, das musikalisch zwischen den Kings Of Convenience und Beck angesiedelt ist. "Ich bin ein Kind, das zu groß wurde. Alles fühlt sich auf einmal anders an" ist eine der poetischen Be- und Umschreibung aus "If I Cared", die die Entwicklung und Veränderung vom Kind zum Erwachsenen anspricht. Der sprudelnde Electro-Pop findet einen separaten Weg heraus aus der Depression und steht für Aufbruch und Hoffnung.

    "Anxious Smothers" gebärdet sich höchst sentimental und reizt die Grenze zur Schnulze voll aus. Will Clapsen jauchzt zeitweise niedergeschlagen, agiert ansonsten entweder nachdenklich oder aufgewühlt. Bei "Monster" geht es um Vergebung und um die Feststellung: "Wir sind aus Freude und Dunkelheit gemacht, geboren in Harmonie. Es gibt keine Ungeheuer". Trotz des Mut machenden Textes ist die Musik tieftraurig und erschütternd. Sie verbreitet aufgrund ihres lethargischen Tempos sowie der Moll-lastigen Streicher und des Klagegesanges niedergeschlagene Grabesstimmung.

    Es gibt Erkenntnisse, die können den Schlaf rauben. Mehr noch, sie bringen einen eventuell an den Rand der Verzweiflung: "Jede Person die man liebt, ist dazu verdammt zu sterben, zu Staub zu verfallen, verloren zu sein." Das ist so ein quälender Gedanke, der sich in "Everyone Will Be Lost" materialisiert. Diese dramatische Einordnung wird entsprechend opulent, düster und bedrohlich vertont. Etwas fraglich ist, um was es wirklich in dem elegischen "Step Down" geht. Handelt es in der Schilderung vielleicht um einen Schutzengel, der nicht mehr gebraucht wird? Auf jeden Fall ist von einem "eingebildeten Helden" die Rede, was wiederum an den Film "Mein Freund Harvey" mit James Stewart aus dem Jahr 1950 erinnert.

    Die Lyrik der Songs für "You Don't Feel Like Home" ist verschlungen und von Schuld und Tragik durchzogen. Sie spricht oft unangenehme Situationen an, trägt teilweise sogar makabre Züge. Es werden auch Themen angesprochen, die von existenzieller Bedeutung sind. Sie erscheinen zunächst bedrückend und offenbaren die verletzliche und geschundene Seele des Autors. Die teilweise enorme Schwermut der Musik löst sich aber mit jedem weiteren Hören zu Gunsten von Mitgefühl, Trost und verlockender Erwartung auf, die auch in den Klängen steckt. Wenn das Tal der Tränen durchschritten ist und das Nachdenken zu einer klaren Wahrnehmung geführt hat, winken als Belohnung bessere Aussichten. Will Clapsen betätigt sich als wissender Missionar auf diesem Weg und beschenkt uns nebenbei mit der bitter-süßen Schönheit der Tristesse.
    Live Susanna & David Wallumrod
    Live (CD)
    Aug 27, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Der exklusive Reiz der diskreten Inspiration.

    Ein Reiz ist eine äußere oder innere Einwirkung auf den Organismus. Er kann demnach sowohl den Körper wie auch den Geist stimulieren. Ein exklusiver Reiz in Form einer diskreten Inspiration ist häufig auch der Ausgangspunkt für die Idee, eine Fremdkomposition speziell zu interpretieren. Wertschätzung und ein sensibles Einfühlungsvermögen sind weitere wichtige Voraussetzungen dafür.

    Die Sängerin und Komponistin Susanna Karolina Wallumrød hat bereits Musikgeschichte geschrieben, zumindest wenn es darum geht, anspruchsvolle Pop-Musik individuell zu definieren. Nicht nur als Susanna & The Magical Orchestra oder unter der Bezeichnung Susanna & The Brotherhood Of Lady ist ihr ein origineller Art-Pop auf sehr hohem Niveau gelungen. Aber auch das Nachspüren von anderen Song-Quellen ist ihr nicht fremd. So spielte sie zum Beispiel mit der Schweizer Harfenistin Giovanna Pessi 2011 "If Grief Could Wait" mit Songs von Henry Purcell, Leonard Cohen und Nick Drake ein. Diese Musik nahm sogar das ehrwürdige, feinsinnige ECM-Label unter seine Fittiche. Und mit "Baudelaire & Piano" erschien 2020 ein Solo-Werk zu Ehren des französischen Dichters Charles Baudelaire, das intensiv und pur nur mit Gesang, Pfeifen und Piano die angenehme Seite der Nachdenklichkeit einfängt.

    Kurz vor der Pandemie absolvierte die Norwegerin dann zusammen mit ihrem Cousin David - der diverse Keyboard-Sounds und gesangliche Hintergrund-Verstärkung beisteuerte - in Oslo (September 2019) und Asker (Januar 2020) eine Reihe von Cocktail-Bar-Konzerten, die auch durch Cover-Versionen gespeist wurden, welche die beiden schon zum großen Teil bereits vor 20 Jahren gespielt, aber nie aufgenommen haben. Von diesen "Live"-Aufnahmen werden jetzt acht Lieder offiziell veröffentlicht und sie zeigen eine große Verbundenheit mit den ausgewählten Kompositionen und ihren Erfindern. Susanna & David Wallumrød haben eine klare Vorstellung davon, wie aus ihrer Sicht mit verehrten Vorlagen umgegangen werden sollte: Ihre Interpretationen drücken sowohl eine kreative Herangehensweise wie auch Respekt gegenüber des Ursprungs aus.

    Den Song "Chelsea Hotel #2" veröffentlichte Leonard Cohen 1974 auf seinem Album "New Skin For The Old Ceremony". Er handelt von seiner kurzen, heftigen Affäre mit Janis Joplin in dem New Yorker Künstlerhotel. Cohen schildert darin die Beziehung etwas wehmütig, aber dennoch mit schonungsloser Offenheit mit abgeklärtem Abstand. David Wallumrød legt einen dunklen, dezent wehenden Keyboard-Klangteppich über den Song, den Susanna mit ihrer klaren, sanft fließenden Stimme durchdringt, ohne die Melancholie abzuschütteln. Sie gleitet förmlich auf den Moll-lastigen Noten dahin und wärmt sich an den traurigen, aber tröstenden Schwingungen.

    Auch "This Flight Tonight" von Joni Mitchell entstand aus einer tragischen Liebesbeziehung. Ihre Liebe zu Graham Nash war zerbrochen und die Affäre mit James Taylor gestaltete sich wegen seiner Heroinsucht zunehmend komplizierter. In dieser Phase nahm Joni 1971 das bitter-süße "Blue" auf, welches "This Flight Tonight" als Zustandsbericht ihres Verhältnisses zu James Taylor enthält. Der mild groovende Country-Folk wird dort durch mehrere verschachtelte Akustik-Gitarren-Spuren dynamisch aufgewertet und erhält wegen der eigentümlichen, hohen Stimme von Joni einen unverwechselbaren Charakter. "Live" präsentiert das Lied als glitzernd-sphärisches Electronic-Folk-Stück mit teils lautmalerischem Gesang, der durch den Hall wie aus einer fremden Welt zu uns zu kommen scheint.

    Eine zentrale Position nehmen drei Tom Waits-Kompositionen auf "Live" ein, welche alle von dessen "Swordfishtrombones" aus 1983 stammen. Die manchmal surreal wirkende Musik berichtet gerne von Außenseitern und transportiert den sperrigen Charme von Brecht/Weill-Liedern oder übernimmt primitive, ruppig-dreckige Blues-Fetzen und verwendet Klangfarben aus exotischen Ländern zur kuriosen Dekoration.

    "Underground" ist der Opener des 15 Tracks starken Werks und zeigt Waits als aggressiven Shouter mit gurgelnder Stimme. Seine Mitstreiter schaffen dazu einen schräg rumpelnden Hintergrund, auf den Don van Vliet alias Captain Beefheart stolz gewesen wäre. Die "Live"-Version von "Underground" hat einen anderen Blickwinkel: Der Song erscheint als nervöser Thriller-Jazz mit extravagant-aggressiven sowie provokativen E-Piano-Figuren, die klangliche Splitterbomben werfen. Susanna kommt gegen diesen störrischen Krach kaum an, trägt ihren Text dennoch unbeeindruckt und stoisch vor.

    "Gin Soaked Boy" fällt im Original als sumpfiger, brodelnder und böser Blues mit fieser, effektiv-dominanter E-Gitarre auf. Der kompromisslos provokante Ausdruck erinnert an die Blues-Legende Howlin` Wolf. Das norwegische Duo verzichtet auf Dreck und Bösartigkeit, setzt stattdessen auf einen straffen Schwung und manifestiert einen groovender Jazz-Rock, der mit einem schmierigen Synthesizer-Bass-Solo protzt.

    "Johnsburg, Illinois" ist ein Liebeslied, das Tom Waits für seine Frau geschrieben hat. Die Künstlerin Kathleen Brennan ist nämlich in Johnsburg, Illinois aufgewachsen. Der Track entpuppt sich beim Verfasser als bluesige Jazz-Ballade, die von einem sentimentalen Bar-Piano getragen wird. Im Gegensatz zum knurrigen Gesang von Waits schwingt sich Susanna hinauf in schwindelnde Höhen, in denen sie das Lied engelsgleich und verträumt als Space-Pop umdeutet.

    Es ist überliefert, dass nicht das romantisch gefärbte Original von "Wrecking Ball", das Neil Young 1989 auf "Freedom" untergebracht hat, sondern die dunkel glühende Variante von Emmylou Harris, die Daniel Lanois 1995 auf ihrem "Wrecking Ball"-Album produktionstechnisch in ein schwül-vernebeltes Ambient-Country-Gewand gesteckt hat, größeren Eindruck bei den Wallumrøds hinterlassen hat. Jetzt beweisen sie, dass "Wrecking Ball" immer noch als berührender Song funktioniert, selbst wenn die Geschwindigkeit weiter reduziert wird. Stehen bei anderen Songs dieser Gattung häufig gescheiterte Beziehungen im Mittelpunkt, so geht es hier jedoch um den Anfang einer Liebe. Um das Werben, Kennenlernen und Komplimente verteilen. Mit dem "Wrecking Ball" ist nämlich in diesem Fall nicht eine Abrissbirne, sondern eine Tanzveranstaltung gemeint.

    Es gibt sowas wie definitiv ausgeprägte Songs, also optimal gelungene Notenzusammenstellungen, die von niemandem übertroffen werden können. Das gilt auch für das christlich geprägte, markig-liebliche Endzeit-Lied "All My Tears" von Julie Miller, das erstmalig 1993 auf "Orphans And Angels" zu Gehör kam und in der ultimativen Fassung auf der "Broken Things"-Platte von 1999 zu finden ist. Zusammen mit ihrem Ehemann Buddy - der hier eine beeindruckend intensive E-Gitarre spielt und eine markant-leidenschaftliche Duett-Stimme beiträgt - entstand ein Song, der zum definitiven Country-Rock-Klassiker taugt. Das wird auch Susanna & David klar gewesen sein, denn sie haben gar nicht erst versucht, in ähnlicher Weise zu brillieren. Ihre Interpretation lehnt sich am introvertierten Jazz mancher ECM-Records-Einspielungen an und beginnt mit einem fast vier Minuten langen Keyboard-Part, der weltmusikalische, schwebende Flöten-Tönen absondert, bevor Susannas inniger Gesang einsetzt und das Stück in Wehmut baden lässt. Hier schließt sich hinsichtlich der Auswahl der Fremdkompositionen einmal mehr ein Kreis, denn "All My Tears" ist auch Bestandteil des "Wrecking Ball"-Albums von Emmylou Harris. Ihr Beitrag war ein hymnisch-sehnsuchtsvoller Track, der seine Energie aus pulsierend-pumpenden Bass-Tönen bezog.

    Die Lieder der Beatles sind fast alle Evergreens geworden und haben damit den Status von allgemeingültiger Pop-Folklore erworben. Dazu gehört hinsichtlich der Qualität auch das barocke Trennungs-Lied "For No One" (von "Revolver" aus 1966), das Paul McCartney schrieb und mit desillusioniertem Gesang ausstattete. In den Händen von Susanna & David wird daraus ein zerbrechlicher Pop-Song, dessen Instrumentierung an ein Spinett erinnert, wodurch auch hier ein gewisser Klassik-Bezug hergestellt wird. Fun Fact: "For No One" hat auch von Emmylou Harris im Jahr 1975 auf "Pieces Of The Sky" hinreißend sentimental gecovert. Die "Live"- Zusammenstellung erweist sich also in jedem Punkt als runde Sache.

    Erst nach dem letzten Song (also "Johnsburg, Illinois") ertönt Applaus. Allerdings nicht so euphorisch, wie es aufgrund der großartigen Musik angebracht wäre. Wegen der Ausblendung des Beifalls und weil sich das Publikum auch sonst so ruhig verhält, dass man es während der Konzerte nicht wahrnimmt, fügt "Live" das Beste aus zwei Welten zusammen: Die Spontanität und Spannung eines Auftritts mit den von Fremdgeräuschen ungestörten, konzentrierten Studio-Arbeiten.

    Die Auswahl der Kompositionen ist erlesen und ihre Deutung lässt ein einfallsreiches Engagement und stilistische Cleverness bei den Arrangements erkennen. Der saubere, klare Gesang von Susanna sollte selbst Menschen mit "Elfen-Phobie" gefallen, weil stets eine sinnliche Komponente mitschwingt. Und die wallende Keyboard-Begleitung ist nicht nur etwas für Ambient-Fans, weil neben Klangmalereien auch melodisch anspruchsvolle Abläufe generiert werden. Die Reize, die von den Ideen der Idole ausgehen, haben zu einer Schärfung der individuellen Stärken von Susanna & David Wallumrød geführt. Der Vergleich mit bisherigen Premium-Cover-Versionen verdeutlicht, dass es den norwegischen Musikern gelungen ist, weitere bisher unbekannte Ansichten und Nuancen der Originale hervortreten zu lassen. "Live" ist dadurch ein vorbildliches Tribut-Album geworden.
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    Garland Garland (CD)
    Aug 20, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Natürlichkeit und Einfühlungskraft zeichnen auch die neuesten Schöpfungen von Songs Of Boda aus.

    "Garland" ist das vierte Album des schwedischen Musikers Daniel "Boda" Skoglund, dem es als Songs Of Boda immer wieder gelingt, ergreifend-schöne Klänge ins Leben zu rufen. Mit "Iago" legte er 2018 sein bisheriges Opus Magnum vor. Danach kam mit "Meanwhiling" im Jahr 2019 ein Solo-Werk heraus, bei dem bis auf eine Ausnahme nur eine akustische Gitarre zu hören ist. "Garland" wird jetzt zeigen, ob der höchst talentierte Singer-Songwriter mit seinen neuen Tracks, die am 20. August 2021 erscheinen, Anschluss an die Elite der Troubadoure halten kann.

    Sein Freund, der Musiker Emil Carlsson Rinstad, hat folgende Meinung zum Status von "Boda" und zum neuen Werk: „Songs of Boda ist ein echter Freund. Die Art, die sich traut, dich in deiner dunkelsten Stunde zu treffen und trotzdem gute Laune und positive Energie mitbringt. Der dir das Gefühl gibt, dass alles in Ordnung ist. Die Art, die nach dem anstrengenden Meeting mit dem Chef bei dir bleibt und dir Kraft gibt. Er wird sich mit dir ins Auto setzen, die Stereoanlage auf Anschlag drehen und mit dir in den Sonnenuntergang fahren. Ohne irgendwelche Erwartungen, ohne jeglichen Stress. Songs of Boda ist der Versuch zu leben und das Leben zu genießen. Wir werden sowieso nicht alle Probleme lösen können, von daher kann man genauso gut versuchen, sich dem Leben mit all seinen Facetten anzunehmen und es für sich und seine Mitmenschen so angenehm wie möglich zu gestalten, zu lernen und weiterzumachen. Dass Daniel Boda Skoglund sich auch in seiner Musik um die großen Themen des Lebens kümmert, spiegelt sich deutlich in seinen Texten wider. Mit einem Hintergrund als Musiker bei Daniel Norgren und Rambling Nicholas Heron, hat Boda als Künstler begonnen, seine Flügel mehr und mehr auszubreiten.

    Mit einem wachsenden Publikum und bereits drei veröffentlichten Alben ("Loophole", 2015, "Iago", 2018 & "Meanwhiling", 2019), zeigt ihn „Garland“ in einem noch größeren Glanz als zuvor. Garland ist sehr „Americana“ und doch offensichtlich schwedisch. Vintage-Gitarren und flatterige Synthies treffen auf abgehangene Beats und diese Millionen-Dollar-Harmonien. Einfache Akkorde mit klug geschnitzten Arrangements. Song of Boda kennt sein Genre und weiß alles über Hiss Golden Messenger, A.A. Bondy und Moondog und wagt es trotzdem, in seinem Songwriting so direkt zu sein wie Paul Simon und McCartney. Virtuos ohne es zu erzwingen, leicht schräg und eigen, wenn es sich ergibt. Genießt es!“

    Ok, das ist die wohlwollende Meinung eines Insiders und innig Verbundenen, dem eventuell die kritische Distanz fehlt. Was ist aber, wenn "Garland" unvoreingenommen betrachtet wird? Hält das Werk dann auch den hohen Erwartungen stand? Gleich beim Opener geht es los, das Gedankenkarussell. Der Abgleich zwischen Wunschvorstellung und Realität muss zunächst durchgeführt werden, um "Straightspitting" richtig einordnen zu können. "Iago" war überwiegend introvertiert veranlagt, der Opener von "Garland" zapft im Gegensatz dazu optimistische Pop-Laune an, die mit einem cool swingenden, abgeklärten Ablauf für ein gelassenes Southern-Rock-Feeling sorgt. Der "Ramblin` Man" der Allman Brothers Band trifft auf Tom Pettys "I Won`t Back Down". Kompetent und souverän wird dabei Anspruch und der Duft von Freiheit und Abenteuer zusammen geführt.

    Mit "Let The Song Be Slow" befindet sich Daniel auf einem Gebiet, das als Americana bezeichnet werden kann. Gelassene Töne werden uneitel und mit Geduld so angeordnet, dass eine ländliche, unverkrampfte Stimmung erzeugt wird. Authentizität zählt bei der Umsetzung mehr als effekthaschender Egoismus, denn die Erzeugung von innig-intimen Klängen steht im Fokus der handelnden Personen. Das Stück ist über 5 Minuten lang, was gar nicht auffällt, so unaufdringlich einschmeichelnd bahnt er sich seinen Wohlfühl-Weg auf sanften Country-und Folk-Rock-Pfoten durch ein harmonisches Noten-Wunderland.

    Auch "Footsteps On The Driveway" bedient sich zunächst am atmosphärisch weitläufigem und sehnsuchtsvollem Roots-Rock, aber schnell wird klar, dass hier doch ein anderer Weg eingeschlagen wird. Der Song scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten und als nach etwa drei Minuten ein wilderndes Saxophon einsetzt, ist es bald vorbei mit der verschleiernden, gemütlichen Beschaulichkeit. Sperrig kreischende Töne zerreißen die milde, laue Einigkeit zunächst, aber das Lied findet zurück zur ruhigen Melancholie und das Saxophon trägt dann etwas gemäßigtere Töne bei, die aber tendenziell weiter unterschwellig aggressiv bleiben.

    Die unauffällig wirkende, aber dennoch weite Räume öffnende Folk-Ballade "Endless River" setzt auf das Aktivieren der Sentimentalität in uns. Durchlässige und tickende Keyboard-Schwaden sowie eine sauber und bestärkend gepickte Akustik-Gitarre tragen das ausgeglichene und bescheidene Lied über die Zeit. "Boda" singt dazu vertrauenserweckend, tröstend und verständnisvoll.

    "I`ll Never Let Go Of Your Hand" zeigt Gegensätze auf: Der erste Teil des Stückes schreitet forsch voran und wurde entschlossen als Power-Pop gestaltet. Dann erfolgt nach etwa zweieinhalb Minuten ein Bruch. Danach fällt der Track in eine betrübte Stimmung, aus der er sich langsam wieder erholt und am Schluss steht dann doch noch eine kraftvolle Zuversicht im Mittelpunkt des Geschehens.

    Ein Alltagserlebnis bildet den Hintergrund zum Text von "Pocket Call": Daniel ist es nämlich irgendwie gelungen, sich selbst anzurufen, als er zwei Handys bei sich trug. Er fragte sich daraufhin, was er sich wohl mitteilen wollte. Dieses Erlebnis war der Zündfunke zur Entstehung des Songs. Skoglund erzeugt mit seinen versierten Partnern einen elastischen Groove, der Eleganz und Bodenständigkeit erkennen lässt. Auch hier ertönt glänzender, erdiger Southern-Rock. Der Track wird von einem dezenten Southern-Soul-Feeling durchzogen, was ihn gelenkig macht. Zudem wird ihm durch ein variables Gitarren-Solo Robustheit verliehen.

    Der texanisch-kalifornische Calexico-Sound-Mix hat anscheinend die Stimmung von "The Beginning Of The End" beeinflusst. Der Song setzt auf aufmunternde und polyrhythmische Takte, so dass er sich durchaus auch für den Tanzboden eignet. "Little Star" gab es schon auf "Meanwhiling" als instrumentale Akustik-Gitarren-Version im introvertierten Stil von Ry Cooders "Paris, Texas". Der Titel spielt sich auf der dunklen Seite des Ausdrucks-Spektrums ab und hätte dadurch auch gut zu "Iago" gepasst.

    "Garland" kann als Übergangs-Album auf der Suche nach ausdrucksstarken, den Horizont erweiternden Klang-Bausteinen angesehen werden. Mit dem Ziel, sich im Meer der Singer-Songwriter abzugrenzen und zunehmende Eigenständigkeit zu erlangen. Das neue Werk ist vielseitig, ohne dass der Wiedererkennungswert dabei verloren geht. Auf "Iago" ragten besonders die geheimnisvollen, verschachtelten Songs heraus, die an David Crosby denken ließen. Davon gibt es aktuell nicht so viele. Daniel "Boda" Skoglund weitet sein Spektrum angemessen aus, wobei die Erwartungshaltung an hochkarätige Songs trotzdem erfüllt wird. Die Arbeit des Musikers bleibt also weiterhin spannend und anregend.

    Die aktuellen Lieder offenbaren das Anliegen des schwedischen Künstlers, seine Möglichkeiten weiter auszudehnen und stilistisch nach allen Seiten offen zu sein. Wie an einer Girlande reiht der einfallsreiche Musiker seine unterschiedlich motivierten Stücke auf und erzeugt Schwingungen, die eine in Summe sehr gehaltvolle, abwechslungsreiche Kompositions-Sammlung bilden. Songs Of Boda bleibt also weiterhin Mitglied im Club der herausragenden Singer-Songwriter.
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    When Light Returns When Light Returns (CD)
    Jul 30, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    4 of 5

    Pur, gefühlvoll und virtuos wird von Martin Tingvall die Rückkehr des Lichts beschworen.

    "When Light Returns" ist eine reine Piano-Solo-Platte. Martin Tingvall kann auch unter diesen Bedingungen eine dreiviertel Stunde mit Stücken füllen, die vom introvertierten Jazz und von der romantischen Klassik beeinflusst sind, ohne zu langweilen. Das können nur wenige Künstler, Keith Jarrett zum Beispiel, der leider aus Alters- und Krankheitsgründen keine Musik mehr machen kann. Aber es gibt ja Martin Tingvall, der Mann der vielen Kontakte und unterschiedlichen Projekte und Perspektiven, der Stille effektvoll mit wirksamen Emotionen füllen kann.

    Tingvall wurde 1974 in Schweden geboren. Er ist ein studierter Musiker mit Abschluss, wobei die Fächer Jazzklavier, Komposition und Improvisation Schwerpunkte seiner Ausbildung darstellten. Nach seinem Diplom-Abschluss zog er 1999 nach Hamburg, wo er mit Musikern wie Udo Lindenberg, Gunther Gabriel, Orange Blue oder Inga Rumpf zusammenarbeitete. Seit 2003 gibt es das Tingvall Trio, dem neben Martin noch Omar Rodriguez Calvo am Bass und der Schlagzeuger Jürgen Spiegel angehören. Unter anderem sorgten die Werke "Cirklar" (2017) und zuletzt "Dance" (2020) auch außerhalb der Jazz-Szene für Aufmerksamkeit. Neben den Trio-Werken gab es auch immer wieder Solo-Platten, wie zum Beispiel 2015 das Album "Distance" und 2019 "The Rocket".

    In seiner Karriere räumte der virtuose Künstler allerlei Preise, wie den Deutschen Musikautorenpreis der GEMA in der Kategorie "Jazz/Crossover" im Jahr 2019 ab. Auch im Rahmen von Film- und Fernsehmusik ist er tätig. So hat er zum Beispiel für die Tatorte "Zorn", "Grenzgänger" und "Durchgedreht" sowie unter anderem für die Fernsehfilme "Für eine Nacht... und immer?", "Die Sache mit der Wahrheit" und "Die Toten von Marnow" die Musik komponiert.

    Für Martin Tingvall scheint es keine musikalischen Schranken zu geben. So erschuf er gemeinsam mit Daniel Karasek, dem Intendanten des Kieler Staatstheaters sowie der Dramaturgin Kerstin Daiber und Regy Clasen, der für die Songtexte zuständig war, aus William Shakespears Verwechslungskomödie "Was ihr wollt" ein Musical. Selbst mit Rolf Zuckowski, der durch seine Kinder- und Weihnachtslieder bekannt wurde, hat er 2017 für das Weihnachtsalbum "Wär uns der Himmel immer so nah" im Studio gestanden. Die Bandbreite des Handelns von Martin Tingvall ist enorm! Nun gibt es also wieder ein Piano-Solo-Werk. Ohne doppelten Boden sowie (fast) ohne zusätzliche Instrumente und Effekte findet die neue Aufführung statt. Ein Mann und sein Instrument im Dialog, gelenkt durch messerscharf geschulten Intellekt und sensibel-individuellen Ausdruck.

    Das titelgebende "When Light Returns" schlägt einen Bogen vom weihevoll-getragenen, verheißungsvollen, balladesken, idyllisch-empfindsamen Spiel zu einem perlend-beschwingten, Horizonte öffnenden, achtsam-optimistischen Ablauf. "Hide And Seek" gelangt von einer romantischen Spielerei zu einem Blues-gefärbten Track, zu dem Martin (nicht nur hier) kaum wahrnehmbaren Singsang beiträgt. Vielleicht eine Referenz an Keith Jarrett? Das Album wurde offensichtlich mit einem empfindlichen Equipment aufgenommen, das jede Schwingung erfasst, denn auch beim heiteren "Little Star" ist ein leichtes Rumpeln, Dröhnen oder Donnern zu vernehmen, das anscheinend von Tingvall nebenbei erzeugt wird und dem eingängigen, melodischen Stück eine natürlich-offene Umgebung verschafft, abseits der Isolierung durch das Tonstudio.

    Der Frühling ist die Zeit des Erwachens, des Neubeginns und der erfreulichen Aussichten. "Spring" befreit sich jedoch nur langsam aus einem Kokon aus Eis, Schnee und Frost und taut auch nicht gänzlich auf. Der Track verbleibt sinnbildlich in einem unklaren Zustand zwischen Traum und Erwachen. Und noch eine Metapher: Der Leuchtturm wird an exponierter Stelle aufgestellt, um herauszuragen, damit sein Licht deutlich erkannt wird und er seine Warnaufgabe zuverlässig erledigen kann. Entsprechend wach und frisch quellen die Töne für "At The Lighthouse" aus dem Piano. Nicht unbedingt aggressiv-übermütig, aber schon bestimmend-selbstbewusst.

    Was mögen die "Yellow Fields" sein, die Martin zu diesem konzentriert-versunkenen, malerisch-herzerwärmenden Stück inspiriert haben? Vielleicht die im Mai leuchtend gelb blühenden Rapsfelder, die nicht nur durch ihre Farbe, sondern auch durch ihren intensiven, ölig-süßlichen Geruch betören. Ein Menuett ist ein französischer Gesellschaftstanz aus der Barockzeit, der aus heutiger Sicht ziemlich gestelzt, ungelenk und affektiert aussieht. Martin Tingvalls "Menuett" klingt deshalb auch nach alter Musik - ist also in der Klassik zuhause - kann aber durch harmonische Überleitungen einen generellen, elitär überdrehten Eindruck abwehren.

    Wenn ein Track schon "Clear Sky" heißt, dann sollten auch klare, helle Töne im Vordergrund stehen. Das ist auch hier weitgehend so. Feingeistig werden die leuchtenden, klirrenden Töne von tragfähigen Klängen im mittleren und unteren Frequenzbereich unterlegt, so dass eine mehrschichtige Kaskade entsteht. Das Thema Tanz als Gedankenrhythmus oder als koordinierter Bewegungsablauf ist für Martin Tingvall schon immer eine große Anregung gewesen. So vermittelt auch der Titel "Dancing Trees" eine gewisse körperliche Beschwingtheit, die sich aber im ästhetisch galanten Ausdruck niederschlägt und nicht in sinnlich-erotischen Zuckungen.

    Bei den etwas rustikalen Momenten von "Fireflies" fallen sofort russische Komponisten wie Rachmaninoff, Strawinski oder Schostakowitsch ein, die neben melancholischen Passagen auch gerne derbe Lebensfreude ausdrückten. Langsam, verträumt und hinreißend melodisch wie ein Adult-Pop-Song kommt dann "Country Road" daher. Hier wäre Gesang angebracht und wertsteigernd gewesen, um das gesamte Potential der Komposition heben zu können.

    "Old Friend" beherbergt eine Taktfolge, von der man glaubt, sie schon mal gehört zu haben, so populär-allgemeingültig klingt sie. Aufgrund seiner Erfahrung mit dem Erfinden von Soundtracks und Werbejingles weiß Tingvall genau, mit welchen Klängen die Wirkung von Bildern abgebildet, verstärkt oder abgeschwächt und daneben ein Kopfkino erzeugt werden kann. Hat er bei "Old Friend" vielleicht tatsächlich Erlebnisse mit einem alten Freund im Kopf gehabt, als er das Stück ersann? Möglich wäre es, so intim und freudig wie es klingt.

    Das abschließende "Flying Carpets" treibt seine intime, eindringliche Schönheit auf die Spitze. Durch das Einbeziehen von Glockenspiel-artigen Tönen wird die Zerbrechlichkeit erhöht und der Flügel arbeitet verbindend und kraftvoll dagegen an, damit das Gebilde nicht auseinander fällt. Aber auch ein leises, sensibles Element bekommt ganz alleine für sich seinen Platz eingeräumt und die hellen Klang-Tropfen entschwinden am Ende in die Stratosphäre.

    Martin Tingvall kann sich sowohl in Schnulzen verlieren wie sich auch für Thelonious Monk, Bill Evans und McCoy Tyner begeistern. Sentimentalität und Ernsthaftigkeit haben auch Einzug in die Kompositionen von "When Light Returns" gefunden, denen bestimmte Gedankenspiele zugrunde liegen. Gibt es bei Instrumental-Stücken keine Erklärung vom Künstler, wie es zu den Namen gekommen ist, kann nur gemutmaßt werden, was dahinter steckt. Aber das Licht ist als Sinnbild für Hoffnung, Neuanfang und Sieg gegen dunkle Mächte Bestandteil und Antrieb für die Musik von Martin Tingvall. Auch wenn Traurigkeit über den Noten liegt, führt sie nicht zur Lähmung des Ausdrucks, sondern bildet nur die Talsohle ab, aus der es zu entkommen gilt. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt und im Spiel von Martin Tingvall ist Hoffnung ständig präsent.
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    Bullseye Charli Adams
    Bullseye (LP)
    Jul 25, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    3 of 5
    Press quality:
    4 of 5

    Zu wertvoll, um im Electronic-Pop zu versauern.

    Die Musikerin Charli Adams aus Alabama betreibt mit ihrem Debüt-Album "Bullseye" Vergangenheitsbewältigung. Sie rechnet mit ihrer Kindheit und Jugend in einem streng konservativen Elternhaus ab, das ihr keine Möglichkeit zur Entfaltung ließ. Erst nach ihrem Umzug nach Nashville konnte sie sich als Musikerin frei entwickeln. In ihrer neuen Heimat traf sie unter anderem auf Justin Vernon (Bon Iver), der sie förderte und ermutigte, ihr eigenes Ding durchzuziehen. Beim Dart spielen verlieh Justin ihr den Spitznamen "Bullseye", der nun die ab 16. Juli 2021 vorliegende Platte ziert, welche von Dan Grech (Lana Del Rey) und Brian Kierulf (Lady Gaga) produziert und von Patrick Dillett (St. Vincent) gemischt wurde. Das ist eine hochkarätige Unterstützung, die zeigt, dass erfahrene, namhafte Künstler an das Talent von Charli Adams glauben.

    Glaube, Liebe und Hoffnung sind Grundlagen des spirituellen Lebens. Was aber, wenn diese Gefühlslagen durch einen Song vermittelt werden? Handelt es sich bei der Ideen-Verwirklichung dann auch um Einflussnahme einer höheren Macht oder können solch ergreifende Schwingungen alleine aus den kreativen Möglichkeiten eines geistig wachen Menschen heraus entstehen? "Emo Lullaby :’(" besitzt diese unsichtbaren Kräfte, die in der Lage sind, starke Emotionen auszulösen. Der Track hat eine herausfordernde Instrumentierung, die psychedelische Wirkungen erzeugt. Der Gesang von Charli Adams ist mitfühlend, ohne durch ein Jammertal zu schreiten und die erzeugte Stimmung ist so idyllisch, dass beim Hören die Außenwelt ausgeblendet wird.

    "In "Cheer Captain" geht es darum, die eigene Meinung zu schätzen und sich zu weigern, sein authentisches Selbst für andere zu verändern. Ich bin noch am Lernen, aber ich dachte, das wäre ein guter Anfang", berichtet Adams über den Inhalt ihrer dritten Single. Musikalisch handelt es sich hier um einen rohen Folk-Song mit melodischem Pop-Kern, wobei die dröhnend-verzerrten elektrischen Gitarren wie ein grollendes Hintergrundgeräusch eingesetzt werden.

    Das wehmütig-sehnsüchtige "Didn’t Make It" wäre ohne stramm-monotone Rhythmus-Begleitung vermutlich nur eine sentimentale Ballade. So wird ein spannender Gegensatz zwischen Sensibilität und Tatkraft erzeugt, wie man ihn ähnlich bei einigen Songs der New Waver The Psychedelic Furs ("The Ghost In You" aus 1984, "Love My Way" aus 1982) erlebt hat.

    Die liebliche Folk-Ballade "Headspace" wird durch den Duett-Gesang des Country-Pop-Songwriters Ruston Kelly verstärkt. Adams Stimme bewegt sich dabei nahe in einem weinerlichen Segment, während Kelly mit seinen nüchtern-unauffälligen Tönen für einen Ausgleich sorgt. Dennoch kann das Lied seinen süßen und klebrigen Schnulzen-Eindruck nicht abstreifen.

    "Get High w/ My Friends" biedert sich durch einen stumpfen Takt und wummernde Bässe am Dance-Pop an, was der sensiblen Künstlerin gar nicht gut steht. "JOKE’S ON YOU (I Don’t Want To)" hat bei einer ähnlichen Ausrichtung wesentlich mehr Ausstrahlung, weil hier rhythmisch nicht ganz so heftig geklotzt wird. Na gut, ein weniger an effekthaschender Elektronik wäre auch hier mehr gewesen. Will heißen: Etwas mehr an feinfühliger Zurückhaltung hätte dem Track wahrscheinlich seine anfängliche, sinnlich-geheimnisvolle Aura bewahrt.

    Für "Maybe Could Have Loved" hat Charli Adams das Electronic-Pop-Duo Nightly aus Nashville als Begleitung engagiert. Die ruhige Nummer wird mit allerlei Synthesizer-Schwirren durchzogen, was sich allerdings nicht nachteilig auswirkt, sondern für einen eigentümlichen, seltsam-reizvollen Sound sorgt. Mit "Bother With Me" findet Charli anfangs zu einer ursprünglichen Folk-Untermalung zurück. Hier kann die Musikerin ihr ganzes Einfühlungsvermögen zur Geltung bringen und überzeugt durch eine gefühlsbeladene Stimme voll und ganz. Nach einer Minute wird das Stück nach und nach üppiger instrumentiert, entwickelt sich zu einer Rock-Pop-Ballade und verliert seine unschuldige Intimität.

    "Remember Cloverland" knüpft an das romantisch-verspielte, aber auch aufmunternde "Didn’t Make It" an und versteht es, durch eine charmant-geduldige Ausstrahlung zu überzeugen. Novo Amor ist ein walisischer, melancholisch-sanfter Folk-Sänger mit hoher Stimme, der "Seventeen Again" seinen Stempel aufdrückt. Das Lied hat einen harmonischen Charakter, läuft bedächtig und beruhigend ab, wirkt beiläufig angehört unspektakulär, gehört aber aufgrund seiner überlegenen Intensität zu den Höhepunkten des Albums. Das Stück "Bullseye" lehnt sich emotional an den Vorgänger an, wurde nur rhythmischer und druckvoller arrangiert, so dass es unter defensivem Grunge-Rock einzuordnen ist.

    Das Album lässt einige Fragen offen: Warum lässt sich Charli Adams manchmal in seichtes Fahrwasser drängen und spielt überzuckerte, relativ belanglose Lieder ein, wo sie doch so viel mehr kann? Warum haben Kenner wie Justin Vernon nicht mehr Einfluss ausgeübt, um gegen diesen Mainstream-Kitsch anzusteuern? Grade hat doch sogar Taylor Swift bewiesen, dass sich Kommerz und Anspruch nicht widersprechen müssen. Ihr engagiertes, sensibles Songwriting hat durch die Zusammenarbeit mit Musikern aus dem The National-Umfeld für großartige Alben ("Folklore" und "Evermore", beide aus 2020) gesorgt, die sich auch gut verkauft haben. Denn nicht nur "Emo Lullaby :’(" und "Seventeen Again" beweisen, dass Charli zu einer ähnlich konzentriert-empfindsamen Leistung fähig ist.

    "Bullseye" ist in einigen Bereichen eine vergebene Chance, wenn es darum geht, raffinierte Country-, Folk- oder Pop-Kunst zu demonstrieren. Nichtsdestotrotz: Charli Adams besitzt genau die richtige Ausstrahlung, um gediegen verschlungenen Country-Folk-Pop-Hymnen die passende Stimme und Stimmung zu verleihen, sie muss das nur konsequenter durchsetzen!
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    The Ghost And The Wall Joshua Radin
    The Ghost And The Wall (CD)
    Jul 25, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Ein Mann, eine Haltung und ihre konsequente Umsetzung.

    Über die Kraft der Musik ist schon viel geschrieben und philosophiert worden. Manche halten sie für esoterischen Quatsch, für andere ist die Aneinanderreihung von Tönen pures Lebens-Elixier. Die letztgenannte Position nimmt auch der Singer-Songwriter Joshua Radin aus Los Angeles für sich ein: "Ich sehe, wo ich heilen muss, und schreibe Songs darüber. Wie das Führen eines Tagebuchs ist das Songwriting für mich etwas sehr Persönliches. Es ist immer kathartisch, nicht nur zu schreiben, sondern auch auf Tour zu gehen und jeden Abend vor Leuten zu spielen. Bei jedem Projekt erlebe ich, wie sich die verletzlichsten Momente meines Lebens auf andere auswirken."

    Der 1974 in Shaker Heights, Ohio, geborene Joshua Radin ist kein Neuling im Musik-Geschäft. Seit 2004 hat er von seinen acht Alben und mehreren Singles mehr als eine Million Exemplare verkauft und über eine Milliarde Streams verzeichnet. Bekannt wurde er durch die Ausstrahlung seines Songs "Winter" in der schräg-genialen Krankenhaus-Serie "Scrubs - Die Anfänger" mit Zach Braff als J.D. (= John Dorian) in der Hauptrolle. Braff ist ein guter Freund von Radin, der seine Musiker-Karriere aus Überzeugung förderte. Joshua bekam sogar einen langfristigen Deal mit dem Label Sony angeboten, aber der Record-Company gefiel sein zweites Werk nicht, weil es keinen offensichtlichen Hit enthielt. Daraufhin kaufte sich der Musiker aus dem Vertrag raus und ging einen eigenen Weg jenseits des großflächigen Marketings. Das nenne ich konsequentes Handeln! Trotz der kommerziellen Verweigerungshaltung verzeichnete der Künstler einen riesigen Erfolg, der ihn jedoch demütig stimmte. Er blieb auf dem Teppich und engagierte sich karitativ. So unterstützt er Organisationen wie Little Kids Rock, die Musikunterricht an öffentlichen US-Schulen ermöglicht und North Shore Animal League America, die sich für Tier-Rettungen- und Adoptionen einsetzt.

    Das neue Werk "The Ghost And The Wall", das am 23. Juli 2021 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, sollte eigentlich wie gewohnt in einem Studio entstehen. Aber COVID-19 hatte was dagegen. Was sich zunächst wie ein Ärgernis anfühlte, wurde dann aber zum Glücksfall: Jonathan Wilson, der für seine psychedelischen Klänge bekannte Musiker und anerkannte Produzent von zum Beispiel Father John Misty, Conor Oberst oder Dawes erklärte sich bereit, die Aufnahmen online zu betreuen, wobei die Kompositions-Entwicklung und die Arrangement-Ideen wechselseitig ausgetauscht und überarbeitet wurden. Wilson kümmerte sich dabei um die instrumentelle Ausgestaltung und Radin nahm zuhause die Gesangs-Spuren sowie die akustische Gitarre auf. Innerhalb von einem Monat wurden auf diese Weise 10 Songs fertiggestellt. Die beiden Künstler verstanden sich auf Anhieb und Joshua Radin fand Produktionsbedingungen vor, die ideal für ihn waren. Zum ersten Mal fühlte er sich bei den Einspielungen nicht durch andere Teilnehmer eingeschüchtert, was sich befreiend auf den kreativen Ausdruck seiner Empfindungen auswirkte.

    Dennoch ist es so, dass Radin zum ersten Mal Songs herausbringt, die er nicht vorher bei seinem Publikum testen konnte. Es ist also eine sehr persönliche Liedersammlung geworden, die ungefiltert die Innenansicht des Musikers widerspiegelt. Joshua verbrachte die Pandemie alleine und versuchte in dieser Zeit seine Selbstliebe zu stärken, um in besseren Zeiten auch andere Menschen intensiver lieben zu können. Der Titel "The Ghost And The Wall" steht für die Beziehungen, die im Laufe der Jahre zu Geistern geworden sind und die Mauern, die er als Schutz vor Enttäuschung um sich herum aufgebaut hat. Joshua Radin ist ein nachdenklicher Musiker, der romantisch-intime Musik macht. Vergleiche sind da schnell gefunden: Elliott Smith, Damien Rice, Nick Drake, Leonard Cohen und Paul Simon.

    Wie findet der Künstler eigentlich seinen Weg und seine Nische bei so übermächtigen Einflüssen? Eindringlichkeit und emotionale Tiefe haben kein Verfallsdatum und viele Gesichter. Von daher ist es irrelevant, ob die Musik an große Namen erinnert, die auf diesem Gebiet schon hervorragendes geleistet haben. Viel wichtiger ist, ob die Kunst authentisch vermittelt wird und die Klänge intensiv berühren.

    Los geht es mit einem Abschied: "Goodbye" ist zart und zerbrechlich und wird sozusagen zu Radins persönlichen "Sounds Of Silence". Die Stimme bewegt sich im Flüstermodus und Jonathan Wilson hat die Akustik-Gitarren-Untermalung noch durch gedämpfte, weiche Instrumenten-Beigaben ergänzt, die den Gesang mild unterfüttern, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Alles wird vorsichtig-behutsam angerührt. Textlich kommt Zerrissenheit zur Geltung: Der Protagonist verlässt seine Liebe, obwohl sie ihm gut tat und er sich an ihr aufrichten konnte. Die Unsicherheit und der Freiheitsdrang waren dann doch stärker. Das Prinzip der zurückgelassenen Beziehungs-Geister der Vergangenheit und der übermächtigen Ego-Mauern wird an diesem Beispiel deutlich.

    "Fewer Ghosts" ist ein Schlüssel-Song des Albums, weil er erklären soll, warum der Musiker noch nicht für eine romantische Liebe bereit ist: Er muss erst zu sich selbst gefunden haben. Daran hinderte ihn, dass er sich bisher selbst zu oft im Wege stand. Eine wachsende weise Gelassenheit soll dieses Problem beseitigen. Hier setzt die Musik als akustischer Wegweiser an und zeigt ein ausgleichendes, erkenntnisreiches, von entspannter Freundlichkeit gekennzeichnetes Gesicht. Ein gemütlicher Takt führt gemächlich durch den Track, der Synthesizer zirpt im Hintergrund leise und lässt an Zykaden denken. Der Gesang versprüht dazu einen ehrgeizigen Willen zur Veränderung.

    Der optimistisch gestimmte Sunshine-Folk-Pop von "Better Life" stellt die Hoffnung in den Mittelpunkt und vertreibt jegliche Melancholie. Das Lied sollte laut beim Fahren im Cabriolet gehört werden, weil es so lebensfroh und beschwingt erscheint! Der Zweifel ist dann wieder bei "Make It Easy" der Vater der Gedanken: "Soll ich bleiben oder gehen - willst du bleiben oder gehen" sind die quälenden Fragen, die dem Lied ihren sorgenvollen Stempel aufdrücken. Joshua tut alles dafür, das Stück hoffnungsvoll klingen zu lassen, aber die bedrückende Schwere der Thematik lässt ihn immer wieder in Wehmut verfallen. Die akustische Gitarre und das Piano bilden zwar eine solide, stärkende Allianz, aber die Orgel lässt bedenkliche Situationen am Horizont erscheinen.

    "Es ist schwer, vor dem Schmerz im Innern davonzulaufen", bekennt Radin in "Hey You". Aber trotzdem möchte er so schnell wie möglich fort von seinem Aufenthaltsort und hofft, so seinen Problemen entfliehen zu können. "Manchmal rennt man, um am Leben zu bleiben", heißt seine Parole. Wie wahr, daraus sprechen erlebte oder beobachtete quälende Erfahrungen! Jonathan Wilson untermalt diese Erkenntnisse mit einem souverän groovenden Country-Folk, der weder sentimental, noch aufbrausend ist.

    Joshua Radin verkündet uns sein Evangelium. Da ist es nur folgerichtig, dass "I'll Be Your Friend" sakral ausgefallen ist. Mit Hall auf der Stimme und mit Unterstützung von schwermütigen Geigen bietet er seine Hilfe an, ist quasi ein "Heiland", der die Last des anderen mittragen möchte. Dick aufgetragen und pathetisch, aber wirkungsvoll und schön. In "You're My Home" scheint die Hauptfigur die große Liebe gefunden zu haben. Zumindest machen romantisch aufgeladene Versprechungen und Angebote die Runde, die für den Versuch einer Beziehung werben. Der kunstvolle Bluegrass wird durch Klatschen und einem aufwühlenden Refrain zu einem schwungvoll-mitreißenden Country-Pop umgewandelt, wie er manchmal von Mumford & Sons praktiziert wird.

    Corona-Panik und die Hoffnung auf bessere Zeiten bestimmen "Not Today". Der Song ist als leichter Folk-Pop angelegt, der unbeschwert daherkommen soll, auch oder grade weil er thematisch Unbehagen erkennen lässt. Bei "Till The Morning" geht es schon wieder ums bleiben oder gehen. Und wieder zerreißt es die handelnde Person beinahe, weil es keine eindeutige Entscheidung zu geben scheint. Das Piano klimpert nervös und erzeugt somit eine gewisse Unruhe. Synthesizer-Ton-Schwaden beschwichtigen, aber die Stimme ist zwischen Vertrauen, Zwiespalt und sinnlicher Verzückung hin und her gerissen. "Next To Me" trägt nochmal den Wunsch nach Harmonie in sich. Hier findet Jonathan Wilson einen würdigen Rahmen, der sowohl seine herausragenden instrumentalen Fähigkeiten beim filigranen Einsatz verschiedener Instrumente betont, gleichzeitig wird aber auch eine Atmosphäre aufgebaut die sowohl luftig, wie auch gedankenvoll ist.

    "The Ghost And The Wall" hat den Charakter einer öffentlichen Sitzung beim Psychotherapeuten. Schmerzliche Innenansichten, die sich inhaltlich überschneiden, werden an die Oberfläche gespült und mit Hilfe von intimen Tönen in Szene gesetzt. Aber nicht nur der Künstler kann dadurch seine Seele reinigen, sondern auch die Zuhörerinnen und Zuhörer gewinnen etwas, wenn sie sich der Herausforderung nach Ehrlichkeit gegenüber sich selbst stellen. Der unkonventionelle und erfahrene Musiker, Produzent und Hippie-Sound-Nerd Jonathan Wilson war genau die richtige Wahl, um "The Ghost And The Wall" davor zu bewahren, zu einem jammervollen Selbstmitleids-Album zu werden. Selbstredend sind die melancholischen Töne in der Mehrzahl, aber die Darreichungsform der Songs entscheidet, wie die Botschaft ankommt. Und da hat Wilson für Abwechslung in der Instrumentierung und unterschiedliche Takt-Formen gesorgt, so dass die Gefahr der Gleichförmigkeit gebannt werden konnte. Letztlich transportiert Wilson durch seine sensibel-ausgleichenden Arrangements eine Sehnsucht nach Geborgenheit, die er selbst schon in ähnlicher Form mit der ländlich geprägten Musik seines Albums "Dixie Blur" (2020) und hier besonders beim Track "69 Corvette" eingefangen hatte. Joshua Radin bekam durch die Zusammenarbeit die Möglichkeit, seinen größten Trumpf, nämlich seine innige Feinfühligkeit unverstellt einzubringen und auszuspielen, wobei er vollkommene künstlerische Rückendeckung bekam. Eine klassische Win-Win-Situation also.
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    Yellow Yellow (CD)
    Jul 16, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Wenn Mut über Kalkül siegt, kann wahre Kunst entstehen.

    Etwa die ersten 30 Sekunden eines unbekannten Musik-Stücks entscheiden bei vielen Menschen darüber, ob sie weiterhören möchten oder nicht. Wenn das so ist, dann wird Emma-Jean Thackray mit dem Opener "Mercury" ihres ersten Albums "Yellow" all diejenigen verschrecken, die mit Jazz so gar nichts am Hut haben. Eine mutige Wahl! Und schade für die Personen, die nicht die Geduld aufbringen, mehr anzuhören. Sie werden wohl nie erfahren, was sie aufregendes verpasst haben.

    Die Bandleaderin, Multiinstrumentalistin und Produzentin, die in Yorkshire/England geboren wurde und nun in London lebt, hat eine klare Linie und ein genaues Ziel vor Augen. "Ich wollte, dass die ganze Sache wie ein psychedelischer Trip klingt. Du legst den ersten Track auf, er führt dich fast eine Stunde lang durch diese intensive Sache, und dann kommst du auf der anderen Seite verwandelt wieder heraus", sagt Thackray über "Yellow". Bei aller denkbaren Lautmalerei gibt es für sie einen ehernen Grundsatz: "Der Groove ist das Wichtigste. Selbst wenn es ein Stück ist, das wirklich verrückt und frei ist und alle möglichen durchgedrehten Sachen passieren, gibt es normalerweise einen Groove - einen Anker, der es festhält." Jawoll, die Frau hat verstanden, worauf es ankommt! Spontane Spielereien sind was für intellektuelle Überflieger, der Groove als Herz und Motor ist was für gewandte, erfahrene, anspruchsvolle Sound-Gourmets.

    Emma-Jean Thackray steht eine eingespielte Begleit-Band zur Verfügung, die sie rigoros und kompromisslos für ihre eigenen Zwecke und Vorstellungen ausschlachtet. Wenn es dem großen Ganzen nützt, baut Emma-Jean nämlich brauchbare Elemente aus den Studio-Sessions so um, dass sie zu ihren Kompositionen passen. Alles andere, also Arrangements, Fills, instrumentale Ergänzungen und Gesang bringt sie sowieso selber ein. Sie liebt reichhaltige Sound-Collagen. Brian Wilson, Gil Evans, Alice Coltrane, Madlib und Sun Ra gehören zu ihren Vorbildern, wobei auch Soul und Funk den Sound beeinflussen.

    Der Eröffnungs-Track "Mercury" hält Klangsplitter bereit, die Außerirdischen und Klanginstallations-Liebhabern gefallen werden. Aber auch Space-Jazz-Momente finden statt, wie sie in ähnlicher Form schon Alice Coltrane Anfang der 1970er Jahre erdachte. Das hört sich an, als ob Spiritualität mit freiem Jazz und kosmischer Energie zu einer universellen Klangorgie zusammen geführt wird. "Say Something" geht in eine völlig andere Richtung. Moderner Rhythm & Blues bestimmt die Außenwirkung, entführt auf den Tanzboden, lässt den Jazz-Groove aber nicht aus der Verantwortung. Wer Angst vor anspruchsvollem Dance-Pop hat, der animalische Gefühle heraufbeschwört, aber trotzdem kopflastige Prozesse ablaufen lässt, wird sich wundern, wie anregend sowas klingen kann. Das Leitbild des Stückes, das grundsätzlich für das ganze Album gilt, beschreibt Emma-Jean so: "Es ist eine Platte über Zusammengehörigkeit, die Einheit aller Dinge im Universum, das Zeigen von Liebe und Freundlichkeit, menschliche Verbindung. Ich bin an die Platte herangegangen, indem ich versucht habe, eine lebensverändernde psychedelische Erfahrung zu simulieren, eine Stunde, in der wir hinter den Vorhang zu einer verborgenen Dimension sehen, in der die physische Welt wegschmilzt und wir endlich sehen, dass wir alle eins sind."

    Und schon wieder dreht sich die Ausrichtung: "About That" ist im improvisierten Jazz angekommen. Blasinstrumente bestimmen mit ihrer Vorherrschaft die Klang-Landschaft, die ungezwungen und aufrührerisch erscheint. "Venus" widmet sich nach einer Orientierungs-Phase dem vom Gospel geprägten Jazz-Funk, bei dem das E-Piano eine gestaltende Rolle übernimmt. Das Stück reißt gesanglich mit und versprüht mit positiver Energie einen unbändigen Tatendrang. "Green Funk" hält mit Emma-Jean Thackray (Stimme, Synthesizer, Trompete), Lyle Barton (Wurlitzer E-Piano, Orgel), Ben Kelly (Sousaphone), Tamar Osborne (Bariton-Saxophon), Chelsea Carmichael (Tenor-Saxophon) und Rosie Turton (Pausaune) eine schlagkräftige Besetzung bereit, um schweißtreibend-komplexe Brass-Band-Töne lässig unter die Leute zu bringen. Betty Davis und George Clinton standen wahrscheinlich für diesen selbstbewussten Track Pate.

    Neben einer üppigen Bläser-Fraktion wird für "Third Eye" noch ein Streicher-Terzett und ein dreistimmiger Chor integriert, um einen großformatigen Sound im Stil der freigeistigen Arbeiten des Pianisten und Komponisten Keith Tippetts (Centipede, Tapestry) zu realisieren. Keine Überraschung, denn Tippetts war ein Mentor von Emma-Jean. Das Ergebnis erinnert zusätzlich an aufwändige Broadway-Musicals wie "West Side Story". "May There Be Peace" dockt an die fernöstliche spirituelle Tradition des Taoismus an, die Emma-Jean Thackray durch ihren Vater kennen lernte. Unter Einbeziehung von Gebetsglöckchen wird hier für etwa eineinhalb Minuten ein Mantra beschworen ("May there be peace and love and perfection throughout all creation."/ Möge es in der ganzen Schöpfung Frieden und Liebe und Vollkommenheit geben").

    Der cremige Smooth-Soul von "Sun" lässt puren Optimismus gedeihen. Mitreißender Afro-Jazz, glühende Gospel-Opulenz und verdreht aufgeweckter Swing bilden eine verschworene Gemeinschaft, um die Sonne aus der Reserve zu locken. "Golden Green" beschwört dann eine schillernde Pop-Sinfonie herauf, bei der zugunsten einer nachhaltigen Seelenmassage auf schnelllebige Eingängigkeit verzichtet wurde. "Spectre" spinnt diesen Faden weiter. Hier wird ein Tongebilde erzeugt, bei dem der Groove-Grundgedanke als hypnotischer Minimal-Art-Takt die Bodenplatte bildet und die einzelnen Räume des Klang-Gebildes mit Motiven aus Jazz, Soul, Rhythm & Blues und Soundtrack-Fantasien eingerichtet werden. Das alles miteinander verbindende Dach besteht aus dem luftigen, mit Echo versehenem Gesang von Emma-Jean.

    Triebhafte Trommeln, beschwörender Gesang und dralle Funk-Jazz-Madness bestimmen den Sound von "Rahu & Ketu", das durchgängig einen erregten Instrumenteneinsatz vorweist, bevor das Stück am Ende in sich zusammenfällt. Das titelgebende, hypnotische "Yellow" setzt auf die manipulative Wirkung des Wortes und ist nach zwei Minuten schon wieder vorbei. New Orleans-Jazz-Druck, schnelle Polyrhythmen, leidenschaftliche, teils monotone Gesangseinlagen und ein streitsüchtiges E-Piano-Solo bestimmen danach das Klangbild von "Our People", bevor für "Mercury (In Retrograde)" einige Akkord-Folgen des Openers umgekehrt werden, wodurch eine psychoakustische Desorientierung erzeugt werden soll.

    "Yellow" kann durch Vielfalt, Kreativität und Virtuosität beeindrucken, wobei Emma-Jean Thackray ihre künstlerische Entwicklung einer kommerziellen Ausrichtung vorzieht. Das ist ihr hoch anzurechnen. Sie scheut sich überhaupt nicht, unbequem zu agieren. So hat sie sogar schon für die aggressive Post-Punk-Truppe Squid auf deren Album "Bright Green Field" Trompete gespielt. Die Musikerin legt es generell darauf an, dass sich ihre Hörer und Hörerinnen intensiv mit der Musik auseinandersetzen, denn anders lässt sich ihre Kunst nicht honorieren. Wer sich darauf einlässt, wird als Belohnung mit einem sehr anregenden, anspruchsvollen und befriedigendem Hörerlebnis belohnt. Aber die Hauptsache ist immer, dass der Groove am Leben gehalten wird!
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    One comment
    Anonymous
    Sep 24, 2023

    Volltreffer!

    Sowie das Klangprodukt ein Volltreffer ist, so ist's mit der Besprechung! Habe vor zwei Tagen Jaimie Branch entdeckt - RIP Jaimie! Aber sie war Gestern! Emma is Today! Was für ein Talent!!!
    Septet Septet (CD)
    Jun 26, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    John Carroll Kirby: Ein Jazzer mit Hang zum Wohlklang.

    Da sage noch jemand, Jazz-Musiker spielen immer dasselbe. Na gut, das würde niemand über Miles Davis oder Herbie Hancock behaupten, aber im allgemeinen bewegen sich Jazzer ausschließlich in der von ihnen gewählten Ausdrucksform. Egal, ob es nun Dixieland oder Free-Jazz ist. Systemsprenger gibt es zwar auch einige, sie sind aber nicht die Regel.

    John Carroll Kirby ist nicht nur in diesem Zusammenhang ein Vorzeigemusiker: Der in Los Angeles geborene, lebende und arbeitende Künstler ist ein Stil-Chamäleon. Er kennt keine Scheuklappen, wenn es darum geht, mit und für andere Kollegen tätig zu sein. So hat er für so unterschiedlich ausgerichtete Musiker und Musikerinnen wie Miley Cyrus, Sebastien Tellier, Harry Styles, Norah Jones, Frank Ocean, Jonathan Wilson und Solange gearbeitet. Noch nicht berücksichtigt ist dabei seine Soundtrack-Arbeit zum Animations-Film "Cryptozoo".

    Wahrscheinlich hängen Fleiß und Kreativität miteinander zusammen. Zumindest ist es Kirby gelungen, sich gute Ideen zu verschaffen, denn 2020 erschienen kurz hintereinander zwei unterschiedlich gestaltete Alben: Am 2. April das ruhige, meditative, spirituell erscheinende, vom Piano dominierte "Conflict" und am 22. April "My Garden", welches eine breite Palette aus der Kategorie des atmosphärisch-einfühlsamen Jazz aufzeigt.

    Die Idee zu "Septet" ist sogar noch älter. Im September 2019 fand ein Auftritt von Kirby (Keyboards), Deantoni Parks (Schlagzeug), Tracy Wannomae (Holzbläser), Logan Hone (Holzbläser), John Paul Maramba (Bass), Nick Mancini (Vibra- und Marimbaphon) und David Leach (Percussion) im Jazz-Club "The Blue Whale" in Los Angeles statt. Das brachte den Entstehungsprozess des aktuellen Werkes in Gang, das am 25. Juni 2021 als CD, Download und Doppel-LP mit drei Bonus-Tracks ("Sensing Dub", "Jubilee Dub", "Nucleo Dub") erscheint.

    Kirby ist ein Tüftler und Sound-Architekt mit Weitblick und Traditionsbewusstsein. Das ist eine seltene Kombination, die originelle, ausgereifte, visionäre und erhellende Musik entstehen lässt. Solo-Einlagen sind dabei kein Selbstzweck zur Demonstration von Virtuosität, sondern dazu da, um interessante Fixpunkte zu setzen. Bei "Rainmaker" darf und kann alles passieren: Behaglicher Easy Listening-Sound, groovender Space-Jazz mit fiependen, quäkenden und quietschenden Synthesizern sowie dezenter brasilianischer Rhythmik bilden eine Sound-Ästhetik, die Coolness in Verbindung mit Schrulligkeit salonfähig macht. John Kirby erinnern die Tonfolgen sogar an "einen rotierenden Sprinkler, der an einem heißen Tag über den Rasen hin und her tuckert".

    Querflöten sind nicht unbedingt ein Garant für reizvolle Unterhaltung. Zusammen mit ausgleichenden, tropfenden Marimba- und Xylophon-Klängen und weichen, synthetischen Streichern bilden sie für "P64 By My Side" die Basis für leichtfüßige Exotik. Es gibt also doch eine Welt zwischen New Age und Jazz. "P64" ist übrigens die Bezeichnung für einen wild lebenden Puma, der durch Los Angeles streift und das Stück soll die Vorstellung reflektieren, wie es wäre, dieses Tier als Haustier zu halten.

    Unbekannte Kulturen scheinen bei "Sensing Not Seeing" mit mystischen Klangfarben zu locken, die heißblütig und leidenschaftlich in schnellem Takt und durch geheimnisvolle Rhythmen die Ohren und den Verstand verführen möchten. Das gelingt exquisit und lässt Klänge entstehen, die genauso Trance wie Ekstase erzeugen können. "Wo es traditionell ein improvisiertes Solo gäbe, unterstützt die Rhythmusgruppe einen stummen Instrumentalisten, als ob er durch die Dunkelheit wandert, ohne sich von etwas leiten zu lassen", so lautet die Eingebung, die Kirby bei der Realisierung dieses Tracks hatte.

    Wie Santana auf Valium, so schläfrig wurde der Takt von "Swallow Tail" eingestellt. Über die lateinamerikanischen Rhythmen hinweg verteilt Kirby schmierige, betont künstlich klingende Synthesizer-Motive. Von den Flöten kommen folkloristisch-verträumte Sequenzen dazu und so ergibt sich eine melodische Klanglandschaft, die sowohl griffige Jazz-Grooves wie auch malerisch-dekorative Ton-Dichtungen liefert. Vögel und Schmetterlinge, die Kirby von seinem Fenster aus beobachten konnte, inspirierten ihn zu dieser Komposition.

    "Weep" saugt die Bossa Nova auf und gibt sowohl ihre Melancholie wie auch die leichtfüßigen Rhythmen wieder ab. Das Keyboard modelliert den melodischen Verlauf auf intellektuelle Weise und das Vibraphon verbreitet noch zusätzliche stilvolle Extravaganz. "Jubilee Horns" wird durch spritzige Keyboard-Läufe eingeleitet, die in ein Solo übergehen, das sich temperamentvoll steigert. Die Bläser spielen also nicht die alleinigen Hauptrollen bei diesem Track. Sie werden vielmehr in einen warm fließenden, swingenden Latin-Sound eingebettet, bei dem das E-Piano lange die Führung übernimmt. Dann darf sich aber besonders die Flöte noch solistisch auszeichnen, bevor das Vibraphon nochmal für turbulentes Aufsehen sorgt.

    Chico Hamilton war ein legendärer Jazz-Schlagzeuger, der unter anderem für Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Lester Young und Miles Davis arbeitete. Ihm wird mit "The Quest Of Chico Hamilton" ein akustisches Denkmal gesetzt. Das Stück ist eine romantisch gefärbte Jazz-Ballade, bei der das E-Piano viel zu erzählen hat und quasi vor Mitteilungsbedürfnis überschäumt. Im Verlauf wird es dann vom ebenso gesprächigen Vibraphon überlagert. "Nucleo (Boy From The Prebiotic Birth)" beruht auf einem imaginären Schöpfungsmythos über einen Jungen namens Nucleo, der in einer präbiotischen Brühe gezüchtet wird und die Ur-Erde allein durchstreifen muss. Für den Track wird ein Stimmungsbild aufgebaut, dass an einen belebten Marktplatz erinnert, bei dem sich unterschiedliche Sinneseindrücke geschäftig begegnen.

    Musik lebt von Inspirationen. John Carroll Kirby findet sie für "Septet" unter anderem bei den Schöpfungen von Bobby Hutcherson, Roy Ayers, Chic Corea oder Herbie Hancock aus den 1970er Jahren, als die Fusion von Jazz mit allem, was den Musikern in den Sinn kam, das große Ding in der Jazz-Szene war. Aber der Musiker, Produzent und Komponist ist klangtechnisch nicht festgelegt und zu einfallsreich, um sich auf einen bestimmten Retro-Stil reduzieren zu lassen. Schon in den 1950er Jahren gab es eine Jazz-Spielart, die sich Exotica nannte und besonders karibische und andere tropische Musik-Formen adaptierte. Es sollten fremde und freundliche Sehnsuchtsorte erschaffen werden, an die die Menschen aus ihrem Alltag flüchten konnten. Eine ähnliche Wirkung hat auch "Septet". Der Klang ist aufgrund seiner lieblich-abstrakten Fülle nicht nur für Jazz-, sondern auch für Pop-Ohren ansprechend. Außerhalb des Jazz finden sich solche Strömungen, die aufwendige, wohlklingende, orchestralen Arrangements einbeziehen, zum Beispiel in den Aufnahmen von den High Llamas, von Quantic oder von Stereolab wieder. John Carroll Kirby präsentiert sich als Allrounder, der mit seiner einfallsreichen Musik durchaus in der Lage ist, sowohl Jazz-, Weltmusik-, Pop und Soundtrack-Liebhaber zu beglücken.
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    I Know I'm Funny Haha Faye Webster
    I Know I'm Funny Haha (CD)
    Jun 26, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Faye Webster: Kann eine neue Liebe die künstlerische Integrität hörbar beeinflussen?

    Faye Webster ist nicht mehr Solo, sie lebt mit ihrem Partner zusammen und ist glücklich. Ist ein glückliches, unbeschwertes Leben nicht ein Killer für jegliche kritische Distanz, für kreative Leidenschaft und unbequeme musikalische Wendungen? Das wird sich zeigen.

    Außer der Musik liebt Faye gestellte Fotos, dafür gibt sie sich genau soviel Mühe wie für ihre Songs. Das neue Cover zeigt eine offensichtlich nicht erheiterte Frau, die mit vielen "haha"-Aufklebern dekoriert ist. Der Spaß findet - wenn überhaupt - nur im Kopf statt. Das provokante, etwas eklige, unappetitliche Cover-Bild ihrer letzten Platte "Atlanta Millionaires Club" aus 2019 hat sie in drei Tagen zusammen mit Eats Humans entwickelt. Es zeigt, wie sie Schokoladen-Geld isst, wobei ihr die Kakao-Masse aus dem Mund läuft und ihr Gesicht damit verschmiert ist.

    Die Frau aus Atlanta hat ihren eigenen Kopf, auch was Arrangements angeht. So hat sie ein Faible für den Klang einer Steel-Gitarre entwickelt, was sie genüsslich bei ihren Liedern auskostet. Ein Überbleibsel aus den Erfahrungen ihrer Kindheit, denn ihre Mutter stammt aus Texas und zuhause wurde ständig die Western-Swing-Band Asleep at The Wheel gehört. Der mitreißende Sound brennt sich ein und prägt, ob man das nun will oder nicht.

    Am 25. Juni 2021 ist das vierte Album "I Know I`m Funny haha" erschienen, bei dem Faye Webster auf eine feste Begleitung gebaut hat: Produzent und Mixer Drew Vandeberg (Deerhunter, Of Montreal, Kishi Bashi), Harold Brown (Schlagzeug), Bryan Howard (Bass), Nic Rosen (Keyboards) und der prägende Matt “Pistol” Stoessel an der Steel-Guitar bilden die Crew, die für einen direkten, ungefilterten, homogenen Sound mit hohem Wiedererkennungswert sorgen soll.

    Schüchtern und zurückhaltend berichtet uns Faye beim Opener "Better Distractions" von ihrer Sehnsucht zu ihrem Partner. Der Song wird durch einen runden, voluminösen Bass geerdet, der eine effektive Verstärkung durch das Schlagzeug erhält. Gut, dass Matt Stoessel mit an Bord ist, denn grade durch seine weinend-flehenden Töne entsteht die fesselnd-sentimentale Stimmung des cool swingenden Liedes. Der sanft groovende Country-Soul trägt die wehmütigen Töne in schwindelnde Höhen, wo sie durch perlende Piano-Einschübe wieder auf den Boden der Tatsachen begleitet werden.

    Und wieder demonstriert Faye, was für eine außerordentlich sensible und sinnliche Sängerin sie ist. Leise und dennoch prägend schlüpft sie bei "Sometimes" in die Rolle der Verlassenen, die die Gründe der Trennung nicht verstehen und verarbeiten kann ("Und dann verließ er mich für jemanden, der genauso aussieht wie ich"). Ein ruhiger, langsamer Folk-Jazz bildet die Basis für die Übermittlung dieser bleiernen Tristesse.

    Die Schilderung einer alltäglichen Beziehungs-Situation ist die textliche Grundlage für "I Know I’m Funny haha". Es geht dabei um Streit, Zukunftspläne und Erinnerungen an Verwandten-Besuche. Der ganz normale Wahnsinn also. "Dinge, die die Leute vielleicht leicht übersehen und nicht für würdig oder schön genug halten, um sie zu singen", möchte Faye beim Komponieren berücksichtigen. Hin und wieder denkt die Singer-Songwriterin dann: "I Know I`m Funny haha", verrät sie zur Motivation für die Entstehung ihres Platten-Titels. Ein schläfrig-trockener Country-Folk-Rock untermalt die Gedanken, die spontan entstanden zu sein scheinen, mit der gleichen stoischen Abgeklärtheit, mit der Faye auch singt.

    Bei "In A Good Way" geht es darum, dass man vor Glück auch weinen kann. Die Musikerin feiert eine glückliche Beziehung, tut dies aber nicht mit süßlich-schmalzigen Tönen, sondern mit einem Soft-Funk auf Art-Folk-Basis. Also mit romantischer Musik, die Haltung und Niveau beweist.

    Nanu, ist das ein Eagles-Song? Deren "Peaceful Easy Feeling" hat nämlich Einzug in "Kind Of" gehalten. Diese Komposition ist beinahe so friedvoll, gelassen und aufbauend, wie es der Klassiker der kalifornischen Soft-Rocker um Don Henley und Glen Frey ist. Allerdings weist "Kind Of" neben harmonischen Abschnitten auch gefahrlose Sollbruchstellen und unnötige Endloswiederholungen auf.

    "Cheers" ist wesentlich härter, aggressiver und direkter als alle anderen Tracks auf dem Album. Zumindest, was die instrumentelle Unterstützung angeht. Die Rhythmus-Fraktion zeigt sich druckvoll und bestimmend, wobei der Gesang im Kontrast dazu überlegt und überlegen bleibt. Der Heavy Metal-Rhythmus trifft ab und zu auf lieblich-entzückte Gitarren-Einspielungen, die ausgleichend wirken und dem Stück etwas die Schärfe nehmen.

    "Both All The Time" schafft es, alleine durch Lässigkeit und einem verschleppten Tempo eine Stimmung aufzubauen, die sowohl traurig wie auch zuversichtlich wirkt. Es ist viel Platz zwischen den Noten, der durch eine bittere Süße gefüllt wird. Für "A Stranger" werden große Geschütze aufgefahren, um reichlich Pathos zu erzeugen. In Wehmut schwelgende Streicher, die von der winselnden Steel-Gitarre unterstützt werden, sind nur ein Eckpfeiler der Melancholie-Offensive. Der Rhythmus befindet sich kurz vorm Herz-Stillstand und der Gesang wird soweit zurück gefahren, dass es bisweilen zu Erzählungen kommt. Die Zeichen stehen also auf Resignation.

    Bei "A Dream With A Baseball Player" geht es darum, wie eine Schwärmerei für einen Star das Leben verändern und beeinflussen kann. Gemeint ist hier der Atlanta Braves-Baseballspielers Ronald Acuña Jr., den Faye tatsächlich treffen konnte, als sie 2019 eingeladen wurde, bei einem Spiel der Atlanta Braves zu singen. Das Stück kommt elegant, erfahren und mit gebremstem Funk rüber. Das Saxophon wird einschmeichelnd-sanft geblasen und der Rhythmus ist weich, exakt und ausgeruht. So erotisch kann Soft-Rock klingen.

    "Overslept" könnte als hypnotisierend langsame Folk-Tronic-Ballade beschrieben werden, die unter gesanglicher Mithilfe der gleichgesinnten japanischen Singer-Songwriterin Mei Ehara entstand. Die hellen, hohen Stimmen erzeugen dabei eine kristalline, kühl schimmernde, unwirkliche Atmosphäre. "Half Of Me" präsentiert Faye zum Abschluss pur an der akustischen Gitarre. Zerbrechlich, verloren und einsam legt sie nochmal ihre Seele frei.

    Das Album "I Know I`m Funny haha" ist von der neuen Beziehung von Faye Webster geprägt, was sich zwar thematisch auswirkt, aber musikalisch nicht dazu führt, dass es seicht, nachvollziehbar oder langweilig ausgefallen ist. Die Platte wurde überwiegend in Moll gehalten, verursacht aber trotzdem keine schlechte Laune, weil die Songs eine dezente erotische Ausstrahlung versprühen. Wie schon angedeutet, ist auf die Begleitmusiker Verlass. Sie verpassen Faye Webster ein schützendes Korsett, das es ihr ermöglicht, sich auszuleben und ihre gesanglichen Qualitäten voll einzubringen. Diese bestehen besonders darin, eine verletzte oder verletzliche Persönlichkeit zu offenbaren, die authentisch mit den Themen verschmilzt. Mit dem Steel-Guitar-Player Matt “Pistol” Stoessel scheint es sogar eine telepathische Verbindung zu geben, denn die Interaktionen wirken wie eine unsichtbar abgestimmte, sensible und wirkungsvolle Aktion zweier Individuen.

    Nicht ohne Grund hatte Barack Obama das Stück „Better Distractions“ von "Atlanta Millionaires Club" auf seine Jahres-Playlist für 2020 gesetzt. Der Mann weiß schließlich was er tut und er hat einen erlesenen Musik-Geschmack. Auch "I Know I`m Funny haha" hält wieder einige potentielle Lieblings-Stücke parat. Man darf gespannt sein, welchen Song der ex-Präsident für seine Bestenliste von 2021 auswählt. Jedenfalls sind trotz veränderter Lebensbedingungen keine Qualitätseinbußen zwischen dem hervorragenden "Atlanta Millionaires Club" und "I Know I`m Funny haha" festzustellen.
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    Jun 12, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5
    Press quality:
    4 of 5

    Eine halbe Stunde voller wohlklingender skandinavischer Melancholie.

    Der Schwede Kristoffer Bolander ist der Chef der Alternative-Folk-Band Holmes und gehört zu den Singer-Songwritern, die durch ihre Verletzlichkeit, Intimität und Fragilität an Leonard Cohen oder an den akustischen, sensiblen Neil Young oder an die schmerzvollen Lieder von Elliott Smith erinnern. Der Multiinstrumentalist präsentiert seine Kompositionen jedoch aktuell nicht als purer Folk-Sänger, sondern stattet sie gerne mit einem verheißungsvoll-mystischen Grundrauschen, einem energischen Rhythmus sowie elektrischen, melodischen Gitarren-Soli aus. Das verleiht ihnen neben Farbe auch Kontrast und verschafft abwechslungsreiche Gestaltungsmöglichkeiten. Dies belegte der introvertierte Künstler erstmalig 2015 auf dem von Samuel Beckett inspirierten Solo-Debüt "I Forgive Nothing". 2018 folgte dann "What Never Was Will Always Be" und nun gibt es mit "3" acht neue Songs zu hören.

    Für "The Child" projiziert Kristoffer eine verträumte Landschaft in die Hirnwindungen. Die Rhythmus-Abteilung demonstriert parallel auch Kraft und Tatendrang. Bolander windet seine leidvoll-schwerelose Stimme - die Betroffenheit und Mitgefühl ausdrückt - um die elegischen Gitarrentöne, was dem Stück zusätzliche Inbrunst verleiht. Eine sakrale Demut paart sich wie selbstverständlich mit einem lebensbejahenden Puls, der von dem Herzschlag-Takt des Schlagzeugs ausgeht. Die E-Gitarre sendet gleichzeitig ein souveränes und starkes Durchhaltesignal aus. Gemischte Gefühle bestimmen ständig unser Dasein und beeinflussen das Denken und Handeln so lange, bis sich eine Entscheidung eingependelt hat. Kristoffer Bolander bereitet genau diesen Entscheidungsprozess mit seiner Musik sorgfältig und nachvollziehbar auf.

    Auch bei "Am I Wrong?" arbeitet ein treibender Rhythmus gegen einen nüchternen, vorsichtigen Erzählstil an, der den Musiker geläutert erscheinen lässt. Die Musik erinnert spontan an The Cure in einer Light-Version. Diese Illusion bezieht sich allerdings nur auf wenige prägende Bestandteile, wobei die besonderen Eigenarten im Sound der Düstermänner nicht ungefiltert nachgeahmt werden, sondern wie eine flüchtige Erinnerung erscheinen.

    Bei "Evelyn" konkurriert die Klarheit des Folk mit einem dumpf grollenden Bass, der wie ein Donnergrollen eine erhöhte Wachsamkeit aktiviert, weil sich Gefahr ankündigt. Deshalb gerät das Stück zwischen die Gegensätze Frohsinn und Bedrohung und wird von ihnen erbarmungslos eingeklemmt. Die erschütternde Traurigkeit in der Stimme des Schweden wird bei "Replace Me" durch eine feinsinnige, aber raumgreifende Begleitung aufgefangen und zu Gunsten einer cremigen und leicht prickelnden Stimmung abgeschwächt. Es ist sehr plastisch nachzuempfinden, wie die Reinheit der Gitarren den Nebel der Keyboards verdrängt.

    Der Gesang schwelgt in Wehmut und das Harmonium verbreitet Behaglichkeit, bevor eine gradlinige Orgel, eine singende Pedal-Steel-Gitarre und eine melodische E-Gitarre dafür sorgen, dass "The Rogue" vollends in einen von wohliger Sentimentalität geprägten Klang-Rausch versetzt wird. Bei "Attaboy" klingt sowohl der getriebene Dark-Wave solcher Bands wie Echo & The Bunnymen, wie auch der weitläufige, silbrig schimmernde Country-Rock der Byrds von ihrem "Notorious Byrd Brothers"-Album aus 1968 an. Wohlgemerkt als Referenz und Inspiration aus der Ferne, nicht als Kopie.

    Der Country-Folk von "Her World" trägt eine Heiterkeit in sich, die deutlich zum Tragen kommt, aber nicht überschwänglich, sondern gezähmt übermittelt wird und von freundlicher Distanz geprägt ist. Dadurch erhält der Titel eine innere Spannung, die sich aus rhythmischer Eleganz und melancholischer Feinsinnigkeit ergibt. Ein monotones, akustisches Leonard-Cohen-Gedächtnis-Gitarren-Picking bestimmt die sorgsam und exakt gestaltete Erzähl-Geschwindigkeit und die erwartungsvolle Grundstimmung von "The Animal". Das ist ein Song, der sich aus eigener Kraft aus dem traditionellen Folk-Gerüst heraus schält und zu einem symphonischen, opulenten Pop heran wächst.

    Kristoffer Bolander bekommt bei der Formung seiner wohltuenden Tristesse bei seinem dritten Werk Hilfestellung von Joakim Olsson am Schlagzeug und Theo Stocks an der Pedal Steel Gitarre. Die schwedische Electro-Ambient-Künstlerin ANNELIE (Johansson) soll außerdem mit ihrer Stimme bei zwei Stücken für eine sehr diskrete, einfühlsame Begleitung sorgen.

    Skandinavische Kunst wird häufig von Schwermut und von der Vorstellung von einer weiten, leeren Landschaft geprägt. Introvertierte Sänger sind typisch für diese Region, aber auf beinahe wundersame Weise wirken sie oft trotz ähnlicher Herangehensweise interessant, glaubwürdig und originell, ohne dass es einen Abnutzungseffekt bei der Darstellung ihrer Traurigkeit gibt.

    Da macht auch "3" keine Ausnahme. Die halbe Stunde geht ans Herz, wirkt sowohl vertraut, wie auch neu erfunden und bildet instrumentell und gesanglich eine Symbiose. Wobei gegenläufige Stimmungen, wie aktiver Rhythmus und ruhiger Gesang, keine offensichtlichen Gegner sind, sondern sich ergänzen und harmonische Reibungen hervorrufen. Mit anderen Worten: Die Musik von Kristoffer Bolander ist wie alter Wein in neuen Schläuchen und so angenehm wie ein guter Freund, der jederzeit willkommen ist.
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    Rare Pleasure Mndsgn
    Rare Pleasure (CD)
    Jun 4, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    5 of 5

    Die Pop-Symphonie "Rare Pleasure" wird vom Bewusstsein und vom Unterbewussten gespeist.

    So verschroben und geheimnisvoll wie die Buchstabenkombination des Künstlernamens ist, so verwunschen, aus der Zeit gefallen und ungewöhnlich ist auch die Musik von Ringgo Ancheta, der sich Mndsgn nennt, was "Mind Design" bedeuten soll. Das neue Werk "Pure Pleasure" ist ein Testament der Reife, der Schönheit und des gestalterischen Eigensinns. Laut Aussage des Künstlers reflektieren die Kompositionen, an denen bereits seit 2018 gearbeitet wurde, seine Wertschätzung für das Leben. Mndsgn wurde ursprünglich von Rap und HipHop geprägt und hat jetzt seine Berufung in der Erzeugung von harmonischen Soundscapes und luftigen Art-Pop-Songs gefunden.

    Ringgo Ancheta wurde in San Diego in eine Familie mit philippinischen Wurzeln hinein geboren und wuchs in New Jersey auf. Seit 2011 lebt er in Los Angeles. 2014 erschien nach ein paar Jahren als Mitglied des Künstler-Kollektivs Klipmode sein erstes richtiges Solo-Debüt ("Yawn Zen"), gefolgt von diversen digitalen und physischen Veröffentlichungen wie "Vivians" (2015), "Bodywash" (2016) sowie "Snax" (2018) und "Snaxx" (2019). Ihn trieben stets philosophische Themen rund um die menschliche Existenz um. So fragt er sich, wie es gehen soll, dass wir uns selbst treu bleiben, wie wir Schönheit im Alltäglichen und Unbekannten ergründen können und was die Magie der Vergänglichkeit ausmacht. Bei der Übersetzung dieser Fragen in Noten waren Kiefer Shackelford (Klavier), Swarvy (Gitarre, Bass), Will Logan (Schlagzeug), Carlos Niño (Percussion), Fousheé, Devin Morrison und Anna Wise (Gesang) sowie Miguel Atwood Ferguson (Streicher) beteiligt, die die 13 Stücke zu einem in sich geschlossenen Gesamtkunstwerk verknüpften.

    Das einleitende, kurze, instrumentale "Rare Pleasure I" baut eine Atmosphäre auf, die gefälligen Jazz-Rock und unverbindliche, manipulative Feuilleton-Musik zu einer erwartungsvollen Mischung zusammen setzt, die keine Aufschlüsse über den weiteren Verlauf zulässt. Dieses Eröffnungs-Thema wird noch drei weitere Male aufgegriffen und in abgewandelter Form über das Album verteilt. Das Stück "Rare Pleasure II" lebt von einem lockeren Jazz-Groove und die dritte Variante läuft verlangsamt ab. Wobei sowohl ein perlendes E-Piano, das zwischen dem linken und rechten Kanal hin und her schwingt, wie auch eine hoch gestimmte E-Gitarre den Klang bestimmen. Mit "Rare Pleasure IV" ist der Track zum schnellen Samba mutiert und strotzt somit vor überschäumender Lebensfreude.

    Mit "Truth Interlude" folgt dann eine originalgetreue Cover-Version eines Jingles des brasilianischen Radio-Senders Jovem Pan aus den 1970er Jahren. Auch hier liegt - wie schon bei den "Rare Pleasure"-Einschüben - in der Kürze die Würze. Schon nach einer Minute endet dieser gefällige, seidige Easy Listening-Track, der mit Bossa Nova-Lässigkeit flirtet.

    Der ausgeglichene Lead-Gesang von "3 Hands/Divine Hand I" übernimmt zunächst eine beruhigende, sanftmütige Rolle, die eine schöne neue Welt simuliert, welche durch einen synthetischen Beat kontrolliert wird. Dann gerät die Stimme in einen rauschhaften Strudel und der Rhythmus wechselt von mechanisch-künstlich zu wandelbar-individuell. Im Zuge dieser Veränderung wird der Track ausgeblendet, lebt aber mit einem an Walgesänge erinnernden Saxophon und sphärischem Rauschen als Begleitung nochmal auf. Der Song kann grundsätzlich mit einer exakten und eleganten Raffinesse punkten, auch wenn der zunächst geschmeidige Klang später zu Gunsten der Abwechslung aufgegeben wird. Auch dieser Titel hat einen zweiten Teil bekommen ("Divine Hands II"), der sich am Ende des Werkes befindet und die sirenenhaften Gesänge sowie ein Stakkato-Schlagzeug in den Mittelpunkt stellt.

    "Hope You`re Doin` Better" ist ein wohlklingendes Chanson geworden, das Soft-Rock-Eleganz mit elastischem Smooth-Soul und spritzigem Cocktail-Jazz anreichert. Das Lied ist als Zeichen der Verbundenheit mit Ringgos Vater gedacht, der einen heftigen Burn-Out erlitten hatte, was sich auf den Zustand aller Familienmitglieder negativ auswirkte.

    Der "Slowdance" fängt eine Gefühlslage ein, als würde Müdigkeit den Antrieb verringern. Das vorhandene Wohlbefinden sorgt aber parallel für eine geistig wache, angeregte Entspannung. Der Titel steht auch als Sinnbild für die verletzlichen Gefühle, die in einer frischen Beziehung vorherrschen. Solch eine fragile Verbindung sollte wie ein junges Pflänzchen gehegt und gepflegt werden, um gedeihen zu können. Entsprechend rücksichtsvoll und vorsichtig werden die Töne zusammengesetzt. Sie bilden einen zarten Schleier, der jedoch für Zuneigung und Hoffnung durchlässig bleibt. Böse Falle für Radio-DJ`s: Auch dieser Track wird ausgeblendet und bekommt dann noch ein sensibles, introvertiertes Outro verpasst.

    Das kurze, instrumentale "Abundande" ziert sich nach anfänglichem Jubel, in einen gelösten Zustand überzugehen und verfällt stattdessen in einen zurückhaltenden Art-Jazz-Klang. "Masque" verbindet Minimal-Art-Abläufe mit inniger Spiritualität und verträumt-gelöstem, psychedelischem Folk-Jazz-Flair. Der Song entführt in ein musikalisches Märchenland, bei dem Singspiel, Kunst-Lied und Traum-Sequenzen eine wichtige Rolle spielen. Es geht bei den Masken ausnahmsweise mal nicht um Corona, sondern sinnbildlich um die Fassaden, hinter denen wir uns verstecken, wenn wir nicht wollen, dass unser wahres Ich zum Vorschein kommt, weil wir Schutz benötigen.

    "Medium Rare" zeigt auf, dass Kunst und Kitsch manchmal eng beieinander liegen, sich aber zum gegenseitigen Vorteil gehaltvoll befruchten sollten. Der sentimentale Gesang und die gefühlvoll-weiche Begleitung treffen hier auf ein komplexes Instrumentengerüst mit feinsinnigen Abstufungen und originellen Einfällen. "Colours Of The Sunset" offenbart dann die Essenz aus allen Bestandteilen, die "Rare Pleasure" als Konzeptalbum prägen: Charmante Experimente, betörende Gesänge, eingängige Melodiephrasen und eine brillante, konstruktive Begleitung.

    Mndsgn versucht mit "Rare Pleasure" eine Palette von Emotionen abzubilden, die wiederkehrende und einzigartige Momente im Leben ins Gedächtnis rufen. Heraus kommt eine individuelle Sicht, die für die Zuhörer und Zuhörerinnen etliche Identifikationspunkte bereit hält. Und falls diese Übereinstimmungen nicht nachvollzogen werden können, so entführen die Klänge zumindest in eine nicht alltägliche, anziehend-feinsinnige, verführerisch-elegante, exotische und freundlich gestimmte Welt, so dass sich das musikalische Abenteuer wie ein Kurzurlaub in unbekannte Gefilde anfühlt.

    Aber es handelt sich eigentlich um eine Simulation dessen, was landläufig als Easy Listening bezeichnet wird. Wobei hier nichts "leicht" im Sinne von "banal" ist! Die geschmackvollen Details sind wichtig für die Beurteilung des Unterschieds zwischen Esoterik-Schund und Ambient-Kunst. Manche Klänge sind so weich und rund, dass das Gehirn sie eigentlich gar nicht richtig wahrnimmt und deshalb Tür und Tor für manipulative Prozesse geöffnet werden. Dieses Verfahren wird nicht genutzt, um seichte Töne zu verbreiten, sondern um facettenreich-anspruchsvolle Klänge ansprechend und appetitlich zu verpacken. Ringgo nutzt den Wohlklang mit der Absicht, niemanden von vornherein vor den Kopf zu stoßen, was er im Rap und HipHop ganz anders kennen gelernt hat.

    Die aktuellen Töne dienen als selig machender Impfstoff gegen das allgegenwärtige Mittelmaß und als Bastion gegenüber den schrillen, Effekt-haschenden Dünnbrettbohrern und unflexiblen, auf Einheitsbrei konditionierten Chart-Abonnenten. Das ist ein guter Ansatz, um mehr Substanz unter die Leute zu bringen. Es wäre wünschenswert, wenn dieser Plan aufgehen würde. Aber es ist leider nicht grade verkaufsfördernd, sich stilistisch in einem Sound zu suhlen, der zwischen Steely Dan ("Aja"), Mark-Almond, Stereolab, Sergio Mendes ("Crystal Illusions"), Esquivel und Beach Boys ("Friends") angesiedelt ist. "Rare Pleasure" ist eine Life-Balance-Suite, die für Achtsamkeit, Lebensfreude und Ausgeglichenheit wirbt. Mndsgn befindet sich dabei mit seinem retro-gestützten, intellektuell-behaglichen Sound in guter Gesellschaft mit The High Llamas und Jazz Is Dead.

    Die Pop-Symphonie "Rare Pleasure" wird vom Bewusstsein und vom Unterbewussten gespeist und singt ein Loblied auf das menschliche Dasein. Die Instrumente und Stimmen - die teilweise auch wie Instrumente eingesetzt werden - drücken mit jeder Idee das Besondere aus, das jedes Individuum grundsätzlich ausmacht: Die Fähigkeit zum selbstlosen Lieben, eine einzigartige Ausdruckskraft und eine natürliche Begabung, über den Tellerrand zu sehen. Das ermöglicht unter anderem, durch die Verzahnung von Realität und Wunschdenken Innovationen aufzuspüren und freizusetzen. So, wie es bei "Rare Pleasure" geschehen ist. Was für ein seltenes Vergnügen!
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    Wir rufen dich, Galaktika Dota
    Wir rufen dich, Galaktika (CD)
    May 30, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Dota bietet durchweg gute Unterhaltung.

    "Dota Kehr schreibt die Lieder, singt und spielt Gitarre, Jan Rohrbach spielt E-Gitarre, Janis Görlich ist am Schlagzeug, 2017 ist Patrick Reising dazu gekommen und spielt Keyboards und Synthesizer und seit 2020 ist Alex Binder am Bass mit dabei." Das ist auf der Homepage von Dota zu lesen, die auch als Dota und die Stadtpiraten und als Kleingeldprinzessin bekannt geworden ist.

    Die Berliner Band Dota praktiziert deutschsprachige Pop-Musik, die von Kleinkunst, Kulturbotschaft, Kabarett, Kirmes und Kindergeburtstag durchdrungen ist und sowohl nach dem Mikrokosmos des (Zusammen)-Lebens wie auch nach der großen weiten Welt riecht. Die Lieder basieren auf Erkenntnis-Texten voller poetischer Be- und Umschreibungen, bei denen gerne mal um die Ecke gedacht werden darf. Dota Kehr reichert die luftig arrangierten Kompositionen, die sich nicht an gängige Trends anpassen wollen, durch eine heitere Gelassenheit in ihrer Stimme mit sympathischen Schwingungen an. Das verleiht den Liedern einen gewinnenden, kumpelhaften Anstrich.

    "Wir rufen dich, Galaktika" ist der Titel der neuesten Platte, die am 28. Mai 2021 erscheint. Er wurde aus einer Szene der Kindersendung "Hallo Spencer" abgeleitet. Auf der Fanseite der Hand-Puppe ist dazu folgendes zu lesen: "Ich rufe dich, Galaktika, vom fernen Stern Andromeda..." - So fängt das Lied an, mit dem die Dorfbewohner die gute Fee herbeirufen, wenn im Runddorf mal wieder irgendein Problem aufgetreten ist, dass sie nicht alleine lösen können! Die beiden folgenden Zeilen des Liedes, die sich unbedingt reimen sollten, beinhalten für gewöhnlich das Problem, zu dessen Beseitigung Gali von Andromeda herbeizitiert wird. Leider rufen die Dorfbewohner die arme Gali oftmals aufgrund irgendwelcher Kleinigkeiten, was unsere Fee verständlicherweise auf die Palme bringt. Aber ihr bleibt nichts anderes übrig, denn sie muss sich an die berühmt-berüchtigten "Andromedanischen Gesetze" halten, die nicht nur für die Dorfbewohner schwer verständlich sind..."

    "Wir rufen dich, Galaktika" ist das sechste Werk unter dem Namen Dota und enthält im Gegensatz zu den Gedicht-Vertonungen auf "Kaléko" vom Vorjahr wieder eigene Texte. Die Veröffentlichung kommt als Standardwerk mit 12 Liedern (+ 1 Bonus-Titel) oder als erweiterte Ausgabe mit 11 zusätzlichen Stücken (inklusive eines ungelisteten Bonus-Tracks) auf den Markt. Dann gibt es noch eine limitierte Edition, die die Doppel-CD sowie ein Strandtuch, zwei Postkarten (davon ist eine signiert) und ein Buch mit Texten und Akkorden enthält.

    Die Darbietung beginnt mit "Als ob". Dieser ruhig-intime, teils (zweck)optimistisch gestimmte Folk-Pop scheint mit seiner Anmut die Worte zu vergolden und ihnen damit noch mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Inhaltlich geht es darum, dass es manchmal ganz angenehm sein kann, gedanklich die Routine des Alltags zu durchbrechen. Es kann gut tun, sich zwecks Erhaltung des Seelenfriedens in eine Scheinwelt zu begeben. Das ist dann wie ein Kurzurlaub aus der Realität.

    "Bademeister*in" ist musikalisch die kleine Schwester von "Die Diebe" aus dem Album "Keine Gefahr" (2016), kommt also unbekümmert, flott und auf charmante Weise eingängig rüber. Dreimal gehört und nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Und die Moral von der Geschicht`: Unterschätze Frauen in "Männerberufen" nicht! Das sollte ein Hit in allen Frei- und Hallenbädern werden!

    Bei der unsentimentalen Ballade "Besser als nichts" wird wieder einmal deutlich, worin ein besonderer Reiz der Dota-Kompositionen liegt: Die jeweils darzustellende Gefühlslage wird nicht extrem ausgewalzt, vielmehr wird sie ausgewogen und emotional austariert präsentiert. So ist diese Ballade nicht etwa tieftraurig, sondern zeigt trotz großer Wehmut auch ermutigende Tendenzen. Die Band findet einen Sound, der die Geschichte verträumt, aber trotzdem selbstbewusst und zielstrebig untermalt. Andere Lieder offenbaren ähnlich ausgleichende Verfahren: Manche sind witzig, aber nicht albern. Und einige Stücke klingen leicht, ohne dabei leichtgewichtig zu sein.

    Einsichtig formuliert Dota Kehr in "Ich bin leider schuld" ihren Anteil an der Umweltzerstörung und am Klimawandel: Das schädliche Handeln und das begünstigende Denken, welches zu Fehlverhalten und Ignoranz führt, wird als Selbstanklage und Schuldeingeständnis in Szene gesetzt. Die Schlussfolgerungen daraus sind entwaffnend ehrlich und schon beinahe grotesk. Eine herrliche Real-Satire! Ein Pseudo-Reggae mit Folk-Jazz-Einschlag umweht die sorgsam ausgewählten Worte und trägt sie gefühl- und ausdrucksvoll durch die Noten.

    Ein fingerschnipsender Takt gibt dem Track "Wir rufen dich, Galaktika" sofort Schwung und erzeugt eine sonnige, kindliche Unbeschwertheit, die auch im weiteren Verlauf des Liedes beibehalten wird. Die Erfüllung des Wunsches, eine lila Fee möge kommen und die drängenden Probleme der Zeit lösen, wird händeringend herbeigesehnt. Aber ohne unser Engagement ist keine Besserung zu erwarten. Galaktika wird uns jedenfalls nicht retten.

    Im Kontrast dazu wirkt "Ich halte zu dir" demütig. Die Protagonistin gibt ein Plädoyer dafür ab, dass an einer guten Freundschaft festgehalten werden sollte, selbst nach einem Fehlverhalten. Reue, Vergebung und ein Bekenntnis zum Zusammenhalt können das Vertrauen wieder herstellen. Das Gerüst für die Untermalung des zur Schau gestellten Innenlebens bildet ein swingender Folk-Jazz, dem ein synthetischer Break-Beat und ein paar Space-Sounds als Begleiter an die Seite gestellt werden. Die anfänglichen Riffs auf der akustischen Gitarre lassen übrigens an "Seven Nation Army" von The White Stripes denken.

    Dota Kehr verfügt über ein abgeschlossenes Medizinstudium. Im Rahmen dieser Ausbildung bekam sie ein Stipendium für einen Auslandsaufenthalt in Brasilien. Dort konnte sie ihre Erfahrung mit Bossa Nova intensivieren. Die Bossa Nova kann sowohl melancholische wie auch ausgelassene Stimmungen erzeugen und beide Möglichkeiten haben auf "Sommer für Sommer" abgefärbt. Deshalb transportiert der Track bei aller Lockerheit auch eine gewisse Melancholie.

    "Ich hasse es" handelt davon, dass uns durch einen Algorithmus im Internet vermittelt wird, was wir gut finden sollten. Wenn das denn auch noch stimmt, fühlen wir uns durchsichtig. Entsprechend aufmüpfig und angeschrägt ist dieser kurze, im New Wave-Milieu von Devo beheimatete Electro-Pop ausgefallen.

    Eine der größten Herausforderungen im Leben ist es, mit einem anderen Menschen eng verbunden zu bleiben, ohne dass dabei der Respekt leidet. "Funken schlagen" beschreibt diesen Spagat zwischen Hoffen und Glauben oder Begeisterung und Resignation, den es zu bewältigen gilt. Flüchten oder Standhalten, das ist hier die Frage. Als musikalische Begleitung zu diesem Thema wurde ein cool groovender Alternative-Pop gewählt. "Fotosynthese" gehört textlich eher zu den amüsanten Ausflügen und musikalisch zu den unkomplizierten Mitsing-Nummern. Bei aller Spaßigkeit schwingt aber trotzdem noch eine Portion Gesellschaftskritik mit.

    "Wenn`s am schönsten ist, dann soll man gehen, wenn`s am allerschönsten ist, dann soll man bleiben," lautet die Alltagsweisheit, die als Extrakt den Inhalt von "Bleiben" ausmacht. Dota verwöhnen uns mit allerlei Redewendungen, die zu geflügelten Worten werden können. Hier ist es die Bemerkung: "Es ist so still, man hört in tausend Kilometern Gletscher kalben." Akustische und elektronische Instrumente haben sich hier zu einer harmonischen Einheit zusammen gefunden und üben sich in einer aktuellen Ausprägung von erwachsenem Pop.

    Das ausgeglichen-friedvolle Lied "In allem Gedankenlosen" vermittelt sachlich und lyrisch Selbstbesinnung. Diese gelassene, folkloristische Stimmung wird von sphärischen Geräuschen umwoben, die den Track aus den irdischen Problemzonen in die Weiten des Kosmos entführt. Und wieder gibt uns Dota einen Vers mit auf den Weg, der zum Innehalten anregt: "In allen Gedanken ist ein Haken und in allem Gedankenlosen auch."

    Es folgt noch der Bonus-Track "Einfach so verloren", der nochmal den Blick auf schwierige Beziehungs-Situationen legt. Manchmal kommt es vor, dass man sich - ohne es vorzuhaben - aus den Augen verliert. Das Interesse aneinander geht verloren. Einfach so - ohne Absicht. Der Soundtrack zu dieser Misere schaukelt locker-sanft dahin, klagt nicht an, sondern stellt nur fest, dass etwas nicht richtig gelaufen ist. Die Stimmung pendelt sich entsprechend zwiegespalten zwischen leichter Trauer und trottender Bequemlichkeit ein.

    Die 11 Songs auf der Bonus-CD sind nicht nur für Fans interessant, denn sie sind kein Ausschuss. Es gibt hier Glanzstücke, Ergänzungen, Früh-Versionen sowie Lieder, die nicht auf das Hauptwerk passten, zu hören. Zu den Highlights gehören "Halluzinogene" und "Die Flut". Das sind Lieder mit klugen Texten und Hang zum psychedelischen Folk-Rock.

    "Der erste Samstag im Frühling" verbreitet eine lebendige, menschenfreundliche Atmosphäre, wie sie häufig auch von Reinhard Mey dargeboten wird. Mit einer Variante von "Besser als nichts", die nur an der akustischen Gitarre begleitet wird, gibt es dann einen Einblick in den Entstehungsprozess der Komposition, die als fertige Version auf dem Standardwerk zu finden ist.

    "Keine Zeit" hat den Untertitel "Fridays For Future Song" und ist als Protest-Song und Unterstützung für die Klimaschutzbewegung anzusehen. Das intime "Nicht das Paradies" besticht durch eine präzise Analyse dessen, was bei einer Beziehung an Erwartungshaltung bestehen kann. Verbunden mit musikalischer Einfühlsamkeit ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild der Schilderung einer Konflikt-Situation, die zu oft romantisch verklärt wird.

    Für "Boot fahren" konnte Moritz Krämer von Die Höchste Eisenbahn als Duett-Gesangspartner bei diesem Gute-Laune-Lied gewonnen werden. "Meine Liebe aus der Ferne" lässt danach die Tradition des Jazz-Schlagers wieder aufleben, wie es auch Lisa Bassenge und Götz Alsmann praktizieren.

    "Brandenburg Laziness" orientiert sich stilistisch in etwa am entspannten ECM-Jazz, so dass sich die instrumentale Begleitung wie eine Light-Version von "Crystal Silence" von Chick Corea & Gary Burton anhört. "Ein bisschen zu still" erweist sich als ein unbeirrbarer, zielstrebiger Art-Pop und der Bonus-Titel "Die Oberfläche" ist als Chanson-Noir mit TripHop-Ambitionen überwiegend in sich gekehrt

    Dota bietet durchweg gute Unterhaltung. Das ist ein schwieriges Geschäft, denn dazu gehört es, die Balance zwischen Eingängigkeit und Anspruch zu wahren. Naiv klingende Einschübe werden durch ernste Abläufe kompensiert, so dass unterm Strich eine breite Vielfalt herrscht. Oder wie es in "In allem Gedankenlosen" heißt: "Spaßig und traurig und schön soll es sein...". Genau diese Attribute machen die einnehmende Wirkung der Stücke aus und sorgen für Abwechslung, Anregung und Anziehungskraft.

    Dota zeigt zum Beispiel auf, dass es durchaus auch mal sentimental zugehen kann, ohne dass dabei billiger Kitsch heraus kommt. Das funktioniert übrigens wie selbstverständlich ohne Qualitätseinbußen. Auf die Haltung kommt es eben an und auf die vermittelnde Persönlichkeit. Wenn diese glaubhaft, überzeugend und charmant agiert, wird alles gut. Die Lieder sind herzerfrischend uneitel, aufrichtig, intelligent und sensibel. Die Musik besitzt eine unaufdringliche Brillanz, die sie mit jedem Hördurchgang wachsen lässt. Dota bietet eben genüssliche Unterhaltung für Menschen mit Herz und Verstand.
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    Sound:
    4 of 5
    Music:
    5 of 5
    Press quality:
    4 of 5

    Die Sons Of Raphael bieten opulente Pop-Musik zwischen Traum und Realität.

    Die Sons Of Raphael sind die Brüder Ronnell und Loral Raphael, die sich zwar äußerlich unterscheiden mögen, aber inhaltlich eine homogene Masse bilden, wenn es darum geht zu definieren, welche Bestandteile interessante Musik beinhalten sollte. Dadurch erinnern sie an Ron und Russell Mael von den Sparks. Die Lieder der Sons Of Raphael dürfen gerne ungewöhnlich, bizarr oder verlockend anders sein. Hauptsache ist, sie sorgen für Erstaunen, beeindrucken nachhaltig und regen an oder sogar auf.

    Die besten und skurrilsten Geschichten schreibt immer noch das wahre Leben: Die Entstehung von "Full Throated Messianic Homage" hat unglaubliche sieben Jahre voller Irrungen und Wirrungen mit allerlei richtungsweisenden Ereignissen gedauert. So spülte eine zufällige Wette auf ein NBA-Spiel soviel Geld in die Kasse, dass sich die Brüder ein 35-köpfiges Begleitorchester samt Chor für die Studioaufnahmen leisten konnten. Das war ein entscheidendes Plus für die Verwirklichung ihrer komplexen Sound-Vorstellungen.

    Mit dieser Verstärkung im Rücken beginnt "Revolution" wie eine religiöse Messe, bevor eine geschlechtlich nicht eindeutig zuordenbare Stimme mit einem Disco-Beat im Gepäck das geistliche Klima plötzlich auflöst und die Tanzfläche in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Dieser Zustand ist allerdings nicht von Dauer, denn das Wechselbad der Gefühle wiederholt sich ständig. Es klingt, als würden die feierlaunigen Pet Shop Boys ihren ausgelassenen Electro-Pop gegen den vertrackten, barocken Art-Pop-Sound eines Van Dyke Parks verteidigen müssen. Manchmal hört es sich auch an, als wäre der Gesang aus einem entfernten Nachbarraum dazu gespielt worden. Ein munter pfeifendes Theremin verbreitet zum Ende hin noch skurrile, gut gelaunte Easy Listening-Space-Age-Sounds. Aus dieser Synthese heraus gelang ein gefälliger, schwungvoller Pop-Song voller Dramatik und schräger Ideen. Ein Widerspruch in sich? Nicht für Ronnell und Loral Raphael.

    Anfangs wabern noch 1960er Jahre Science Fiction-Sounds und Heavy Metal-Riffs dumpf durch den Äther. Bis dann Philly Soul-Euphorie um die Ecke lugt und sich Harmony-Pop breit macht, der bei "He Who Makes The Morning Darkness" allmählich konzertante Strukturen annimmt und den Song genüsslich mit Glücksgefühlen auffüllt. Ein Rap-Versuch gleitet bei "Siren Music" sauber und beweglich in einen psychedelischen Groove über. Die Stil-Akrobaten ermöglichen so die Entstehung eines belebenden Cocktails mit positiv geladenen, fremdartigen Klangnebeln, die sich betörend und suggestiv in die Großhirnrinde brennen, um dort die Sinne zu verwirren.

    Absichtlich verstimmte Gitarren führen bei "On Dreams That Are Sent By God" noch tiefer hinein in das psychedelische Wunderland. Überall zirpt, surrt, schnurrt, klingelt und geigt es. Der Gesang wirkt wie leicht betäubt, führt aber trotzdem sicher durch dieses unbekannte Terrain. Wäre da nicht der gleichmäßige, herzschlagartige Rhythmus, würde sich das Lied im Rausch der verzaubernden Klänge verlieren.

    Das schläfrige "# 9 Dream"-Gedanken-Karussell von John Lennon kollidiert bei "Devil Devil" ansatzweise mit dem punk-poppigen Aufruhr der Buzzcocks und entfesselt auf diese Weise ein vitales Assoziations-Gewitter. Bubblegum-Pop trifft dann bei "Yeah Yeah Yeah" auf eine Progressive-Rock-Fassade und gemeinsam gehen sie eine tolerante, vergnügliche Symbiose ein. Der daraus abgeleitete Refrain zerfrisst die Gehörgänge, weil er sich dort unvermittelt und penetrant festsetzt.

    "Oh Momma" ist ein trauriger Walzer, der langsam und schleppend abläuft. Im Hintergrund geht es verwunschen zu: Synthesizer, Theremin und Geigen pfeifen und surren, als wollten sie den Soundtrack zu "Alice im Wunderland" neu interpretieren und als Drogenhymne aufführen, was die Erzählung ja vielleicht sogar ist. Da ist er wieder, der schon bei "Revolution" als brachial empfundene Lebenslust-auf-Teufel-komm-raus-Schwung. Der verleiht "I Sing Songs For The Dead" ein hohes Tempo und könnte bei passender Gelegenheit wahrscheinlich tatsächlich Tote zum Leben erwecken. Das Lied bleibt überwiegend aufwühlend-pompös, wird aber in den kurzen Verschnaufpausen auch mal pathetisch-theatralisch.

    Der vertonte Todeswunsch von "Let’s All Get Dead Together" lässt die intim-erhabene, prachtvoll klingende Atmosphäre des Beach Boys-Meisterwerks "Pet Sounds" in einem veränderten Gewand aufleben: So übernimmt der Synthesizer hier den Orgel-Part, die Streicher sind dominanter als bei der Vorlage und der Chor klingt optimistischer. Der sakrale, balladeske Dream-Pop "The Sand Dunes Lift Up" badet in schwelgerischem Gesang und wird mit allerlei stimmungsvollen Details gefüttert, so dass er das Album opulent und verzückt zu einem würdigen Abschluss bringt.

    Man muss schon positiv verrückt sein, wenn man solch ein aus der Zeit gefallenes Projekt nach sieben Jahren Reife auf das Publikum loslässt, ohne moderne, verkaufsfördernde Attribute einzubauen. Das dokumentiert Leidenschaft, Enthusiasmus und Liebe zur Pop-Kultur, die Respekt abfordert.

    Die Musik vermittelt über weite Teile den Eindruck, als käme sie aus einer Welt zwischen Traum und Realität, so verwaschen, verspielt und unwirklich klingen dann die Töne. Die Musik ist eine sinnvolle, willkommene Erweiterung der aktuellen Pop-Landschaft, denn sie ist kunstvoll oder verträumt und bewegt sich dynamisch zwischen Leichtigkeit und Nachdenklichkeit unbekümmert hin und her. Das gibt es nicht so oft in dieser Qualität. Für die Brüder ist die Schallplatte eine "Hymne an das Leben und den Tod, an Sünde, Liebe und Wiederauferstehung", was sich auch in den mit spirituellen Metaphern durchzogenen Texten widerspiegelt. Sieben Jahre der Hungersnot lägen hinter ihnen, behaupten die kreativen Brüder. Mögen sie durch "Full Throated Messianic Homage" reich und berühmt werden. Verdient hätten sie es.
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    Showtunes Lambchop
    Showtunes (CD)
    May 23, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    5 of 5

    Showtunes für Leute, die die üblichen Showtunes nicht mögen

    2019: "This (Is What I Wanted To Tell You"), 2020: "TRIP", 2021: "Showtunes". Von Album zu Album entfernten sich Lambchop zunehmend von den elektronischen Spielereien und dem verfremdetem Gesang, die "FLOTUS" (2016) so befremdlich erscheinen ließ. Dafür ließen die Künstler wieder mehr Raum für verdeckten Soul, klare Americana-Strukturen und anmutige Tondichtungen zu. Lambchop ist zwar ein offenes Projekt von Freunden, aber der Denker und Lenker ist eindeutig Kurt Wagner. Der charismatische Musiker bestimmt, welcher Weg eingeschlagen und welches Konzept verfolgt wird. Und auch, welche Musiker an den Produktionen beteiligt werden.

    Für "Showtunes" holte er sich Ryan Olson von den Bands Gayngs und Poliça ins Boot, der für die Produktion, die Arrangements und Sound-Manipulationen zuständig war. Dann noch seinen alten Freund James McNew am Kontra-Bass, dessen "Weather Blues" für das Cover-Versionen-Werk "TRIP" ausgesucht wurde und dessen Stammband Yo La Tengo heißt. CJ Camerieri kümmerte sich um alle Blasinstrumente und Andrew Broder (von Fog) saß am Flügel und bediente die Turntables. Co-Produzent Jeremy Ferguson und Schlagzeuger Eric Slick sorgen für Percussion-Fills und der Kölner Hip Hop Produzent Twit One (der 2016 den Song "FLOTUS" remixte) steuerte Beats und Effekte dazu. Wagner singt, spielt MIDI-Piano sowie Gitarre und gibt seinen Kompositionen den letzten Schliff.

    Die "Showtunes" hinterlassen den Eindruck einer abstrakten Rekonstruktion der opulenten Kompositionen von George & Ira Gershwin, Cole Porter und Richard Rodgers & Oscar Hammerstein, die dem sogenannten Great American Songbook zugeordnet werden. Von Lampchop werden sie wie durch einen Zerrspiegel in die Gegenwart gelenkt und umgedeutet. Die aktuellen Lambchop-Schöpfungen würden also besser im abstrakten Musik-Theater funktionieren, als im Musical-Kontext, dazu sind sie einfach zu skurril und bizarr. Kurt Wagner entwickelt außerdem einen individuellen Ausdruck, der Traurigkeit zulässt und sie auf eine hoffnungsvolle Ebene hievt. Zusammen mit künstlerischen Elementen wird so eine neue Hörerfahrung hervorgerufen. Das ist vergleichbar mit den Arbeiten der Tindersticks oder von The Blue Nile. Diese konstruktive Melancholie in Verbindung mit gehaltvollen, fordernden Tonfolgen führt zu einer Besinnung auf das Wesentliche und somit zu einem Blickwinkel, von dem aus sich neue Perspektiven eröffnen.

    Der Opener "A Chef's Kiss" wirkt in diesem Zusammenhang anfangs durch eine andächtige, moll-lastige Kirchenorgel noch bedrückend. Aber im weiteren Verlauf bekommt der Track bei aller Zurückhaltung und Schwere in der Stimme von Kurt Wagner trotzdem eine beinahe schwerelose Komponente verliehen, als wäre inzwischen jeglicher irdischer Ballast abgeworfen worden. "Drop C" ist das Ergebnis einer Klang-Collage, die aus einigen, über eine lange Zeit gesammelten Einfällen zu bestehen scheint. Monotone Akkord-Wiederholungen, Spoken-Word-Einblendungen, elektronische Percussion und Wall Of Sound-Bläser sind dabei nur ein paar der Zutaten, mit dem dieser anspruchsvolle, barocke, um Wohlklang bemühte Art-Pop garniert wurde. Gesanglich hat Kurt Wagner in Bill Callahan einen Gleichgesinnten, denn er setzt seine Stimme genauso betont und bedächtig ein und verfügt über die gleichen stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten.

    Der witzige Titel "Papa Was A Rolling Stone Journalist" hat musikalisch nichts mit der Funk-Nummer "Papa Was A Rolling Stone" der Temptations zu tun. Mit diesem Stück zeigen Lambchop, dass es zwischendurch auch mal gut tut, die Instrumente eine Geschichte erzählen zu lassen. Sprache stört nur, wenn Schwingungen erzeugt werden können, die für sich selbst sprechen. Dramatik, Romantik, lasziver Bar-Jazz und mächtige Fanfaren treffen unkonventionell zusammen und gestalten einen Soundtrack für einen Film, den es gar nicht gibt.

    Es ist mutig, seinen Fans solch ein abstraktes, um Harmonie bemühtes, aber in surrealen Sequenzen gefangenes Stück wie "Fuku" zuzumuten. Darin hat Kurt Wagner inzwischen Routine. Auf dem Vorgänger "TRIP" war die Deutung von Wilcos "Reservations" auch schon solch eine anspruchsvolle Herausforderung. Bei diesen Stücken geht die konsequente Abkehr von traditionellen Mustern in Richtung der Spätwerke von Scott Walker oder erinnert an "Arrythmia" von Stuart A. Staples. Das sind alles Gleichgesinnte, wenn es darum geht, Hörgewohnheiten aufzubrechen.

    Bei "Unknown Man" lässt Kurt Wagner quasi die Stille atmen, bevor sich das Geschehen verdichtet und sich der Track zu einem fiktiven, abstrakten The Band-Song entwickelt. Das ist genau der Moment, wo der Americana-Sound und das Great American Songbook zu einem Konstrukt verschmelzen und es entsteht Musik, die auch für das epische Theater von Bertold Brecht geeignet gewesen wäre.

    Für "Blue Leo" verfremdet Wagner seine beruhigende, weise Stimme, so dass sie einer kaputten Computer-Ansage gleicht. Ein klopfender, elektronisch erzeugter Takt schlägt sich auch noch auf die Seite der Maschinenklänge. Aber ein sonorer Bass, ein für edle Schönheit sorgendes Piano und eine mild angeblasene, gestopfte Trompete vermitteln als Gegengewicht Geborgenheit und Sanftmut. Siehe da: Die Gitarre wurde doch nicht gänzlich eingemottet. Beim gesanglosen, ruhigen, von verhaltenen Bläser- und Keyboard-Teppichen getragenen "Impossible Meatballs" steuert sie silbrige Töne bei, die Bilder von weiten Landschaften hervorrufen, die von Sehnsucht begleitet sind. Wer dabei an "Paris, Texas" von Ry Cooder denkt, liegt nicht falsch.

    Wie aus einer fremden Welt oder einem nicht beachteten Radio dringt bei "The Last Benedict" gelegentlich weiblicher Opern-Arien-Gesang ans Ohr. Diese Begegnung ist ungewöhnlich und trägt seltsame Züge, als ob sich die Töne unabsichtlich eingeschlichen hätten. Oberflächlich betrachtet stören sie den einträchtigen Ablauf dieser um Harmonie bemühten Ballade, aber eigentlich bereichern sie den Song, weil sie grundsätzlich unvereinbare Bestandteile zusammen bringen möchten.

    Die neuen Lieder entstanden an einem Midi-Piano, nicht wie sonst an der Gitarre. Die Beschäftigung mit dem Tasten-Instrument schuf neue Möglichkeiten und machte andere Ausdrucksformen erst möglich. Der Sound kann manchmal sowohl als entschleunigend wie auch wohlklingend angesehen werden, so dass er nur noch von der Stille an Intensität übertroffen wird. Aber einen abstrakten Kunstverstand sollte man auch haben, um alle Tracks einordnen und würdigen zu können. Die Musik, die nur knapp eine halbe Stunde dauert, ist nämlich manchmal auch vertrackt, komplex arrangiert und nicht einfach zu hören. Es gibt im Sinne eines traditionellen Pop-Songs nur wenige markante Melodielinien und keine mitreißenden Rhythmen. Dafür Atmosphäre satt, erhabene Stimmungen, interessante Sounds und eine Stimme mit hohem Wiedererkennungswert und besonders eindrucksvollem Timbre.

    Die Kompositionen sind Showtunes für Leute, die die üblichen Showtunes nicht mögen, sagt Kurt Wagner. Mit etwas Fantasie kann man sich diesen Song-Zyklus tatsächlich als Grundlage einer Bühnenshow mit wild-romantischem, teilweise verwirrendem Ablauf vorstellen. Lambchop haben jedenfalls mit "Showtunes" ein Gesamtkunstwerk vorgelegt, in das Zeit investiert werden muss, um es vollständig zu ergründen.
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    You Are The River You Are The River (CD)
    May 23, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    3 of 5

    Zwischen Pop und Americana: Anders Enda Barnet sucht seine Identität.

    Anders Enda Barnet ist der Künstlername des schwedischen Musikers Anders Göransson und "You Are The River" ist sein zweites Album nach "I Was Quiet" von 2016. Anders ist unter anderem Fan von Warren Zevon und Elton John. Dessen Musik brachte ihm sein Vater - ein Jazz-Schlagzeuger - nahe, um ihn als Kind zum Klavier spielen zu animieren (hat ja auch geklappt).

    Auf "You Are The River" wird der Schwede von erfahrenen Musikern auf seinem Weg begleitet. Das sind im Einzelnen: Anders Grahn, der auch für die Black Eyes Peas und Anastacia arbeitete und in der Band von Daniel Norgren Bass spielt. Dann unterstützt ihn noch Daniel Skoglund, der als Songs Of Boda beispielsweise im Jahr 2018 das wunderbare Album "Iago" einspielte sowie der Schlagzeuger Per Svenner, der Mitglied der Bands Räfven und Maybe Canada ist. Vervollständigt wird das Ensemble noch durch Lars Niklas Hedström, der als Rambling Nicholas Heron "Indiefolkrockboogieblues" zu seinem Markenzeichen gemacht hat.

    Anders Enda Barnet liebt das Spiel mit Identitäten und Verweisen. Für das unkompliziert groovende "Sunshine Hits Your Eyes" setzt er eine quäkend-fiepsende Farfisa-Orgel ein, die direkt an The Black Keys erinnert. Andere schwirrende Keyboard-Töne lassen eher an Creedence Clearwater Revival denken. Rhythm & Blues, Roots-Rock und Sunshine-Pop begegnen sich hier auf Augenhöhe.

    Der erste Eindruck bei "Easy Way Of Living" war: Das ist leichter Pop fürs Radio, sicherlich angenehm bei langen Autofahren, gewinnt aber keinen Innovations-Preis. Helle, hohe Keyboard-Töne unterstützen die Melodie und wirken wie aus einem Billig-Synthesizer der 1980er Jahre entliehen. Die Rhythmus-Fraktion hält stark, druckvoll und tapfer dagegen und am Ende des Stückes gibt es durch ein engagiertes Gitarren-Solo noch Rettung vor dem klebrigen Pop-Sumpf. Der zweite Eindruck war: Was für ein freundlicher, gradliniger Ohrwurm!

    Bei "You Turned Off All The Lights" erinnert der Gesang und der Songaufbau tüchtig an Conor Oberst und Bright Eyes. Das ist sicher nicht unbedingt eine schlechte Referenz, aber die Ähnlichkeit ist doch zu frappierend. Allerdings sorgt die Flöte für eine besondere, seltene Klangfarbe. Im Rahmen der Entwicklung von "A Heavier Lid" hat Anders dann jedoch sein Gespür für interessante, geschmackvolle Arrangements eingebüßt. Der Song ist seicht und schmalzig. Die Panflöte vermittelt außerdem noch den Eindruck von aufgesetzter, schnöder Touristen-Unterhaltung.

    "Easy To Leave" entstand, als Anders mit einer alten Drum-Machine rumspielte, die aus dem Bestand seines Vaters stammte. Der elektronische Beat erinnert an "In The Air Tonight" von Phil Collins, zumindest meint Anders das. Die schwermütige Ballade wird von schwirrenden Tönen umgeben, die sie in einen Traum-ähnlichen Zustand versetzt. Der Track "You Are The River" beschwört gesangstechnisch die Eindringlichkeit und bittere Süße von Gram Parsons. Aber dessen wehmütiger Schmerz in der Stimme bleibt wohl einzigartig und unerreicht. Zumindest beweist Anders Enda Barnet, dass er starke Vorbilder hat, nach denen er sich ausrichtet.

    Mit "High Like Mountains" legt es der Schwede wieder einmal darauf an, einen anrührenden Dauerbrenner zu installieren. Das Prinzip: Eine sanfte Melodie, die zum schwelgen einlädt, macht den Türöffner. Der zuckersüße Refrain erwischt einen dann eiskalt, wickelt die Sinne ein und ob man will oder nicht, der Song hakt sich fest. Der Instrumentaltitel "Back To Back" verbindet danach Tragödien-Soundtrack-Stimmung mit Jazz-Improvisation und schafft sowohl eine spannende wie auch undurchsichtige Atmosphäre.

    Anders Enda Barnet setzt leichte Duftmarken, aber noch keine eindeutigen, bedeutenden Zeichen, was seine musikalische Souveränität angeht. Jeder Song liefert Referenzen, transportiert verlässliche Werte und schmeichelt den Ohren. Aber bei der Einverleibung von Inspirationen leidet manchmal doch die Originalität, weil das Gedankengut zu offensichtlich eingesetzt wird.

    Die besondere Stärke von Anders Enda Barnet liegt darin, dass er entwaffnende Pop-Songs schreiben und interpretieren kann. Diese Lieder sind zwar einfach und durchsichtig strukturiert, aber man kann sich ihrer einnehmenden Wirkung nicht entziehen ("Sunshine Hits Your Eyes", "Easy Way Of Living", "Easy To Leave", "High Like Mountains"). Das abschließende Instrumental-Stück geht in die entgegengesetzte Richtung und zeigt den Musiker als ernsthaften Erzeuger von Kopfkino stiftenden Tönen. Auch das gelingt überzeugend. Wie gesagt, "You Are The River" ist noch nicht der große Wurf, dürfte aber ein wertvoller Schritt auf dem Weg zur eigenen Identität sein.
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    Daddy's Home St. Vincent
    Daddy's Home (CD)
    May 14, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    "Daddy`s Home" vermittelt übersprudelnden Ideenreichtum.

    Annie Erin Clark wurde 1982 in Tulsa, Oklahoma geboren und als sie sieben Jahre alt war, zogen ihre Eltern in die Einöde von Texas. Schon früh wurde das Mädchen vom Künstler-Virus infiziert, denn sie lernte bereits mit 12 Jahren Gitarre zu spielen und hatte das Privileg, als Teenager mit ihrem Onkel Tuck Andress vom Jazz-Duo Tuck & Patti auf Tournee gehen zu dürfen. Nach dem Abitur studierte das strebsame Talent an der Berklee School Of Music und nahm 2003 zusammen mit anderen Studenten unter dem Namen Ratsliveonnoevilstar eine EP auf. 2004 war es verlockender, sich dem ausgeflippten Chor The Polyphonic Spree als Gitarristin und Sängerin anzuschließen, als auf der Uni zu bleiben. Nach Stationen bei Glenn Branca, Arcade Fire und Sufjan Stevans war es Zeit für eine eigene musikalische Identität und für einen passenden Künstlernamen. Das Pseudonym St. Vincent wurde sowohl von der Großmutter wie auch vom Namen des New Yorker Hospitals inspiriert, in dem der Poet Dylan Thomas starb.

    Innerhalb weniger Jahre nach Veröffentlichung des ersten Longplayers "Marry Me" in 2007 hat sich St. Vincent dann vom Insider-Tipp über einen Kritiker-Liebling zu einer etablierten, festen Größe im Alternative-Rock gemausert. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Unterstützung renommierter Musiker wie David Byrne, mit dem sie 2012 die Platte "Love This Giant" aufnahm. Eine besondere Ehre wurde ihr jetzt durch Paul McCartney erwiesen, der sich persönlich für ihren Remix von "Women And Wives" auf "McCartney III Imagined" bedankte. Bei soviel Wohlwollen und Anerkennung ist die Erwartungshaltung an das neue Werk, welches am 14. Mai 2021 erschienen ist, besonders hoch.

    St. Vincent geht bei ihrem sechsten Solo-Album "Daddy`s Home" mit großem Selbstbewusstsein zu Werke und vertraut voll auf ihre Erfahrungen sowie den zahlreich erworbenen Fähigkeiten. Die neuen Schöpfungen wurden entsprechend zielsicher mit unverbrauchter Energie und großen Gesten ausgestattet. Der Titel der Platte spielt auf den Sachverhalt an, dass Annies Vater 2010 wegen Wirtschaftskriminalität inhaftiert wurde und nach dem langen Gefängnisaufenthalt wieder nach Hause kam. Die lange andauernde Verarbeitung der surrealen Situation, plötzlich eine enge Bezugsperson verloren zu haben und die Überlegungen, was eine Vaterrolle eigentlich ausmacht, inspirierten sie zu dem aktuellen Werk. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit hat auch Erinnerungen an die Musik zurückgebracht, die sie als Kind hörte und auch diese Eindrücke haben Spuren bei "Daddy`s Home" hinterlassen.

    Los geht es mit "Pay Your Way In Pain", wo nach einem Vaudeville-Intro kokette, kräftige Funk-Merkwürdigkeiten im Stil von "Come" (vom gleichnamigen Prince-Album) die Regie übernehmen. Oder sind hier etwa Streiflichter der Funk- und Disco-Pioniere aus den 1970er Jahren eingeflossen, die womöglich durch die Räume und Flure des Elternhauses von Annie hallten? Auf jeden Fall geistern David Bowies Ausflüge in schwarze Musik - und hier besonders der Song "Fame" von "Young Americans" (1975) - durch die Komposition. Der Bass pumpt kräftig und der Groove wird durch einige Breaks abgelenkt, was den Track in die Jetztzeit befördert. In dem Lied geht es um die tägliche Bewältigung des Alltags, die ohne Kampfeswillen nicht zu meistern wäre. Eindeutig retro-orientiert ist auch "Down And Out Downtown". Hier gibt es psychedelischen, harmonisch swingenden Jazz-Folk zu hören, wie er ab Mitte der 1960er Jahre von Fred Neil, Tim Buckley oder Pentangle entworfen und kultiviert wurde. Annie Clark trägt den Song voller Leidenschaft mit Würde und einer großen Portion Optimismus vor.

    Lasziver Nachtclub-Jazz hat den Track "Daddy's Home" geprägt. Das Stück verbreitet den distanziert-erwartungsvollen Charme einer Schleichkatze und die Frivolität einer Burlesque-Show. Eine lässige Eleganz - wie sie von Steely Dan`s "Gaucho" bekannt ist - umschlingt und umweht die Noten und bringt noch eine coole Cleverness mit ein, die den Song zu einem besonders raffinierten Kleinod werden lässt. Der perfekte Easy-Listening-Pop der Carpenters stand Pate für die zuckersüße Verpackung des zeitlupenhaften "Live In The Dream". Aber St. Vincent wäre nicht St. Vincent, wenn ihr nur diese eine Assoziation für die Gestaltung eines Songs reichen würde. Und so gibt es auch noch ein kurzes Gitarren-Solo, das sehr gut auf "Wish You Were Here" von Pink Floyd gepasst hätte.

    Country-Rock, Joni Mitchell-Referenzen, Space-Rock, spirituelle Gesänge und Fleetwood Mac-Pop-Harmonien sind nur ein paar Zutaten, die für "The Melting Of The Sun" zu einem betörenden Art-Pop-Gebilde zusammen geführt wurden. Der Song ist als Liebeslied an starke Künstlerinnen gedacht und symbolisiert unter anderem, dass edler Sanftmut wahre Stärke bedeutet.Das Chanson "The Laughing Man" wirkt mondän, souverän, ausgeglichen und frivol. St. Vincent zeigt sich als verführerische Dame von Welt, die alle um die Finger wickeln kann und die Gestaltungs-Fäden fest in der Hand hält. Das Lied ist also sexy, geheimnisvoll und entspannt zugleich.

    Der Disco-Funk "Down" wirkt euphorisierend und wurde angenehm vertrackt gestaltet. Es soll sich hier eigentlich um eine Rache-Phantasie handeln. Annie Clark versteht es aber, durch differenzierte Rhythmus-Linien zu überzeugen, statt wild aufzutrumpfen. Sie muss nicht klotzen, um leidenschaftliche Töne zu erzeugen, sie erschafft diesen Effekt schon alleine durch das gezielte Setzen von markanten Ausrufezeichen. Der Country-Folk-Pop "Somebody Like Me" weist Dream-Pop-Tendenzen auf, geht aber aufgrund seiner entwaffnenden Natürlichkeit zu Herzen. Die Krönung vollbringt hier Greg Leisz mit seiner hinreißenden, jauchzenden Pedal-Steel-Guitar-Einlage. "Liebe ist eine einvernehmliche Täuschung. Das ist für mich sehr poetisch und sehr romantisch.", sagt St. Vincent zum Inhalt des Textes.

    "My Baby Wants A Baby" ist ein klassischer Pop-Song, der von Wohlklang-Spezialisten wie den beinahe vergessenen Künstlern The Zombies, The Left Banke, Emitt Rhodes oder Seals & Crofts ersonnen worden sein könnte. Ist er aber nicht. Es ist ein Original von St. Vincent. Der Funk-Jazz-Pop "At The Holiday Party" wäre neben einigen anderen Songs auf dem Album in einer besseren Welt ein Radio-Hit. Das Lied hat alles, was ein Sympathieträger benötigt: Einen Gesang mit Wiedererkennungswert, eine einprägsame Melodie, einen Ohrwurm-Refrain und Ecken und Kanten, die den Track lange interessant und spannend halten.

    "Candy Darling" war eine transsexuelle Schauspielerin aus dem Umfeld von Andy Warhol. Diese Hommage an sie ist genauso einfühlsam wie wehmütig und schon nach kurzer Zeit vorbei. Wie das Leben der Protagonistin, die mit nicht einmal 30 Jahren in New York an AIDS starb. Auf dem Cover-Foto von "Daddy`s Home" zeigt sich Annie Clark in ähnlicher Kleidung und mit ähnlichem Haarschnitt wie die Warhol-Ikone. Um die vielen Eindrücke zu verwischen und Verwirrung zu stiften, werden an Position 6, 9 und 14 kurze, atmosphärisch verwehte Einspieler unter dem Namen "Humming (Interlude 1-3)" eingeblendet, die dem Werk eine geheimnisvolle Aura verpassen.

    Wird Annie Clark nur von ihrer Vergangenheit eingeholt oder hat sie den richtigen Zeitpunkt gewählt, um auf Spurensuche zu gehen und Bewährtes aus der Pop-Historie mit Umsicht, Feingefühl und kreativem Bewusstsein aufzuarbeiten? Egal, jedenfalls passt alles wundersam zusammen, denn "Daddy`s Home" ist das vielseitigste, stilistisch offenste Werk geworden, welches St. Vincent bisher veröffentlicht hat. Die intelligente Künstlerin wuchert mit Versatzstücken, die nicht unbedingt von tatsächlich existierenden Vorlagen entliehen sein müssen, aber zumindest den Eindruck hinterlassen, sie kämen aus dem kollektiven Bewusstsein der Pop- und Rock-Historie. Was das Album so stark macht, ist sein übersprudelnder Ideenreichtum, der nicht als Selbstzweck dasteht. Er wird vielmehr genutzt, um Songs ins Leben zu rufen, die überraschend sind, aber für den langjährigen Musikhörer etliche Referenzen bereithalten, so dass sie sofort heimisch und vertraut klingen, dabei aber originell und unverbraucht klingen. Das ist eine große Kunst, die nicht viele Musiker beherrschen. Chapeau!

    Das Album hat das Zeug dazu, auch noch am Jahresende so zu beeindrucken, dass es in den Bestenlisten von 2021 ganz weit oben steht. Zeitlose Brillanz und spannendes Songwriting kommen hier wie Nitro und Glyzerin zusammen, um ein Feuerwerk an Einfällen abzubrennen.
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    Slow Travels (CD)
    May 14, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Liv Solveig kombiniert beschwingten Pop, Singer-Songwriter-Ästhetik, Klassik und Jazz miteinander.

    Die Eltern von Liv Solveig Wagner kommen aus Norwegen und Deutschland. Sie wohnte als Kind und Jugendliche unter anderem in Tübingen und Stuttgart, hat in Karlsruhe Geige und in New York Jazz-Gesang studiert und lebt jetzt in Berlin. Auf ihrem Debüt "Slow Travels" verarbeitet die Musikerin unter anderem beschwingende Einflüsse aus Pop, Singer-Songwriter-Ästhetik, Klassik-Motive und Jazz-Themen. Die Jazz-Gesang-Ausbildung kommt in seiner ursprünglichen Form allerdings nicht so sehr zur Geltung. Der Titel des Werkes ist sinnbildlich für die lange Reise anzusehen, die bei Liv Solveig zu einer musikalischen Definition geführt hat, die sie selber als "Sinfonic Scandinavian Indie" bezeichnet.

    Alle Songs des Albums wurden übrigens schon 2017 fertig gestellt und damals mit einem Folk-Background versehen. So richtig zufrieden war Liv Solveig dann aber doch nicht mit den Aufnahmen. Deshalb überarbeitete sie die Songs und hat dabei noch entscheidende Änderungen vorgenommen. Die Corona-Einschränkungen gaben ihr die Muße, mit Abstand Zusammenhänge zu hinterfragen und aus den gewonnenen Erkenntnissen neue Schlüsse zu ziehen. So kam es, dass zum Beispiel akustische mehrmals durch elektrische Gitarren ersetzt und Songs gekürzt wurden. Letztlich kamen alle Details auf den Prüfstand und wurden abermals auf ihre Tauglichkeit hin untersucht.

    Dennoch sind grundsätzliche Prägungen geblieben: Die endlosen Landschaften Norwegens mit ihren Wäldern, Seen und Fjorden finden in den Liedern weiterhin ihren kühlen, bedächtigen, weitläufigen Widerhall. Entschleunigung und Achtsamkeit, haben bei der Entwicklung der Kompositionen eine große Rolle gespielt. Genauso wie Einflüsse, die aus der Beschäftigung mit klassischer Musik heraus entstanden sind. Da ihre Mutter Kirchenorganistin war, liefen Werke von Vivaldi und Bach im elterlichen Haus, waren aber auch bei der Geigen-Ausbildung wichtig. Dabei lernte sie nebenbei, welche wichtige Funktion Disziplin bei der Erlernung eines Instrumentes bedeutet. Beim Jazz-Gesang-Studium kam dann die Improvisation dazu. Neben einer guten Technik war jetzt auch Fantasie gefragt. So kamen Pflicht und Kür zusammen. Eine Paarung, die sich wie Yin und Yang ergänzen und sich bei der Erforschung von Grenzen und Unterschieden als nützlich erweisen. Dieses Rüstzeug lässt die Musik sowohl ernst wie auch verspielt erscheinen.

    Ein weiteres Bestreben von Liv Solveig ist es, Gegensätze harmonisch vereinen zu wollen: Lead- und Hintergrund-Stimmen sorgen bei "Cold Heart" für Anmut und Andacht, bevor Schlagzeug, E-Gitarre und Piano weltlichen Schwung und Ausgelassenheit verbreiten. Die Geige verbindet dann die konträren Emotionen zu einer Einheit und sorgt somit für den Klebstoff in dem sich dynamisch steigernden Song, während die Trommeln weiter unnachgiebig voran preschen. Für "Sleepless With Endless Thoughts" wird beschaulicher Folk in kräftigen Folk-Rock transformiert. Aus Lagerfeuer-Romantik wird somit ein weitläufiges, cooles Spaghetti-Western-Feeling abgeleitet. Schwüle, schleppend-hypnotische Voodoo-Percussion-Einschübe verleihen dem Stück zeitweise eine mysteriöse, fremdartige Stimmung.

    Die Piano-Ballade "Why Were You Smiling" ist zwischen nachdenklich und aufmunternd angesiedelt. Die Komposition verbindet also traurige Tonlagen mit positiv-optimistischer Pop-Leichtigkeit und generiert daraus demütige Anmut und eigentümliche Reize. "Words" taucht in dunkle Gefilde ab, die trübe und geheimnisvoll erscheinen. Die E-Gitarre flirrt eruptiv und dröhnt bedrohend, während die Rhythmus-Instrumente stetig die Atmosphäre aufwühlen. Im Hintergrund lodert flankierend eine beängstigende Untermalung auf. Liv Solveigs Lead-Gesang ist aber bemüht, sich nicht über Gebühr in eine Verunsicherung treiben zu lassen.

    "Start Again" ist ein zuversichtlich klingender Titel, die Musik dazu zeigt sich jedoch bedrückt, introvertiert und feinfühlig. Die teils gegen den Strich gebürsteten Streicher klingen wie zu Tönen gewordene Eiszapfen, überhaupt ist die Stimmung eher frostig als warm. Aber der Gesang transportiert zumindest eine tröstende, hoffnungsvolle Klang-Farbe und erscheint dadurch wie ein Licht am Ende des Tunnels. Das Licht wird mit "How Far" erreicht. Es geht voran, Tauwetter ist angesagt, die Natur erwacht, Aufbruchstimmung macht sich breit. Alle diese Assoziationen verbreitet dieser Pop-Song mit dem einprägsamen Refrain "How Far Is The Ocean? How Far Is The Moon? Can I Reserve A Place In Your Heart?"

    "Heartbeat Of Shibuya" verarbeitet Eindrücke, die Shibuya, ein Stadtbezirk von Tokyo, hinterlassen hat. In Shibuya liegt die berühmte Fußgänger-Straßenkreuzung, die oft in Reiseberichten zu sehen ist. Mit über 36 Meter diagonaler Länge ist sie die größte ihrer Art, bei der 5 Straßen aufeinander treffen. Je Grün-Phase wird die Kreuzung von durchschnittlich 3.000 Personen überquert, zu Spitzenzeiten können es sogar 15.000 Menschen sein. Der hektische Großstadt-Dschungel kommt hier Tag und Nacht nicht zur Ruhe. Diese Intensität wird in dem auf- und abschwellenden Lied vertont, welches sowohl Begeisterung für die fremde Kultur, wie auch Verwunderung über die gehetzten Abläufe ausdrückt.

    Ist "You" ein Liebeslied? Wenn ja, ein sehr persönlich empfundenes, inniges Stück voller überfließender, in Moll gegossener Emotionen. Ein Wehklagen, das dankbare Erfüllung oder auch verzweifelte Sehnsucht ausdrückt. Je nach Perspektive. Das Lied wird mit mitfühlenden Bläsern und klagenden Geigen gefüllt, so dass es zusammen mit dem von wohligem Schmerz erfüllten Gesang vor Dramatik überzulaufen droht. So intensiv, so berührend, so schön. "One Morning In Harlem" handelt davon, wie es ist, wenn man einschläft, während die Stadt erwacht. Die Nacht wurde zum Tag gemacht und nun fordert der strapazierte Körper seinen Tribut. Jetzt ist eine Art Wiegenlied hilfreich, um angenehm in die Zwischenwelt zu gelangen. Und so etwas ähnliches wird hier praktiziert, aber mit Niveau und nur für Erwachsene.

    Musik braucht Weite, sagt Liv Solveig und diese steckt ganz besonders im abschließenden "Slowly, Travels", das nochmal ein Füllhorn an Stilen, Stimmungen, Solo-Aktivitäten und laut/leise-Abstufungen in viereinhalb Minuten unterbringt. Der abgeklärte Gesang verströmt zudem die Altersweisheit einer Marianne Faithfull. Es wird eine sakrale, sanfte Atmosphäre erzeugt. Die Solo-Geige erzählt dazu eine phantasievolle Geschichte, wie man sie zuletzt so bewegend bei "White Bird" von It`s A Beautiful Day im Jahr 1968 gehört hat (aber hier gibt es sie in Kurzfassung). Das lockt auch die Rhythmus-Abteilung, die Blasinstrumente und den Synthesizer aus der Reserve, die zum Schluss noch mal aufdrehen wollen, aber ihre Bemühungen verhallen unvollendet.

    Liv Solveig ist auf der Suche nach einem individuellen Weg. Vielleicht hat sie ihn ja auch schon gefunden. Die Zusammenarbeit mit And The Golden Choir, Get Well Soon, Alin Coen und Balbina erweiterte ihren Horizont und versetzte sie in die Lage, die Arbeiten der Kolleginnen und Kollegen mit ihren Vorstellungen abzugleichen. Deshalb brauchte "Slow Travels" wohl auch eine lange Reifezeit, damit so viele musikalische Anregungen wie möglich einfließen und qualitativ überprüft und bearbeitet werden konnten.

    Es empfiehlt sich, "Slow Travels" zuerst über Kopfhörer zu hören und erst dann über die Anlage laufen zu lassen. Dann prägen sich die wichtigen Details besser ein, die eventuell sonst einem verwehten Klangbild zum Opfer fallen würden. Denn es sind die ineinander laufenden Instrumente und die bedeutenden Einzelheiten, sowie die kurz eingestreuten Zwischen-Töne oder die im Hintergrund ablaufenden leisen Sequenzen, welche in den Arrangements raffinierte Überraschungen erzeugen. Mit diesen Zutaten werden aus sehr guten die ganz besonderen Kompositionen. Was Liv Solveig auszeichnet, ist ihr behutsamer, aber wirkungsvoller Umgang mit Einflüssen und Vorlieben. Dadurch können Abgrenzungen zwischen Unterhaltsmusik und ernster Musik ad absurdum geführt werden, denn durch Stil-Fusionen erfolgt eine Konservierung von schönen und anregenden Klängen. Aus konträren Stimmungslagen entstehen feinfühlige, sich innerlich reibende Ton-Muster. Dafür braucht es aber keine Zuordnungs-Schublade. Gute Musik spricht nämlich für sich selbst.
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    One comment
    Anonymous
    Oct 17, 2023

    Großen Respekt...

    ... vor dieser eindrücklichen und objektiven und vor allem sehr umfangreichen Rezession! Das Album hat schon das gewisse Extra und ist in der Tat nicht so schnell umschrieben.
    Motivational Speaking Old Sea Brigade
    Motivational Speaking (CD)
    May 14, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    5 of 5

    Americana-Sound, der weder eindeutig Folk noch Country zugeordnet werden kann.

    "Ode To A Friend" - das erste Album von Old Sea Brigade aus dem Jahr 2019 - war vom Selbstmord des besten Freundes von Ben Cramer beeinflusst. Ben Cramer ist das Gesicht hinter Old Sea Brigade. Der Singer-Songwriter und Multiinstrumentalist stammt aus Atlanta, lebt aber in Nashville und saugt dort alle Spielarten des Americana auf, um zu untersuchen, welche Bestandteile für sein Verständnis von seelenvoller, ergreifend-schöner, geschmeidig ablaufender Musik in Frage kommen und was in seinem Sinne umgewandelt werden sollte.

    "Motivational Speaking" möchte Veränderungen im Leben und den Umgang mit der Vergänglichkeit beleuchten. Schwere Kost, könnte man meinen. Aber die Platte strömt bei aller thematischen Belastung eine Wärme, Durchlässigkeit, Gewandtheit und innere Ruhe aus, die sie aus der Masse der Singer-Songwriter-Veröffentlichungen hervorstechen lässt. Ihre Komplexität und Harmonie haben die Lieder gewissermaßen der Corona-Pandemie zu verdanken, denn Ben Cramer hatte das Album eigentlich schon mit Hilfe einiger Freunde fertiggestellt, als der Lockdown die Musiker zu einer Auszeit zwang. Deshalb nahm er sich die Aufnahmen noch einmal vor und kam zu dem Entschluss, dass noch eine Überarbeitung nötig täte. Nicht, um die Musik perfekt erscheinen zu lassen, sie also aufzupolieren, sondern um mit ein wenig Distanz das Beste aus den Kompositionen herauszuholen. "How It Works" setzt sich mit den Mechanismen der Musik-Industrie auseinander, die oft nicht zum Wohle der Musiker eingesetzt werden. Trotzdem ist keine Aggression oder Frustration in diesem Song zu spüren. Im Gegenteil, locker groovend, mit markantem Bass und Schlagzeug-Takt zieht er seine sanften Bahnen und Ben Cramer versorgt das Lied durch seine weiche, liebevolle Stimme mit friedvollen Schwingungen.

    "Day By Day" ist laut Aussage des Old Sea Brigade-Chefs der lauteste, chaotischste Song, den er bisher für sich selber geschrieben hat. Dann muss der Musiker wirklich ein sehr ausgeglichener Typ sein. Es gibt zwar einen monoton getakteten Rhythmus und treibende Gitarren, aber alles bleibt trotz dynamischer Steigerung in einem für Rock-Verhältnisse gemäßigtem Rahmen. Für "Salt" gab es eine Ausweitung des Instrumenteneinsatzes, denn es ist der erste Old Sea Brigade-Song mit Banjo. Aber deshalb ist das Lied nicht zu einem Hinterwäldler-Folk geworden, sondern wird als romantischer Pop-Song mit eigentümlicher Begleitung wahrgenommen, die aus akustischen und elektronischen Elementen besteht. Und das Banjo ist in diesem Zusammenhang kaum als solches zu erkennen. Die Ballade "Nothing Clever" macht kurze Abstecher in Jazz-Gefilde, ist aber im Kern ein Barock-Folk mit Art-Pop-Kern. Sehr ausgewogen und behutsam verbindet Ben Cramer die verschiedenen Einflüsse miteinander.

    "American Impressions" lässt sich als elegant flimmernder Folk-Rock mit ausdrucksstarken Folk-Jazz-Ambitionen definieren. Oder als lockerer Soft-Rock mit Soul-Groove. Alle diese Zuordnungen macht das offen gestimmte Stil-Fusions-System von Old Sea Brigade möglich, ohne störende Nahtstellen aufzuweisen. Auch "Caroline" ist milde gestimmt und bevorzugt eine einfache, von Gitarre, Bass und Schlagzeug bestimmte Roots-Rock-Struktur, die den Song eher wie eine spontane Übungsraum-Aufnahme und nicht wie eine ausgeklügelte, aufwändig überarbeitete Song-Idee erscheinen lässt. "Mirror Moon" vermittelt zunächst einen unspektakulären Eindruck: Der Rhythmus läuft gleichförmig im Vordergrund ab, die Gitarren knurren dagegen im Hintergrund vor sich hin und der Gesang möchte sich nicht unbedingt dominant in Szene setzen. Die Melodie plätschert scheinbar unaufgeregt dahin, zieht die Zuhörer jedoch trotzdem auf unaufdringliche Weise in ihren Bann.

    "High Times" ist ein knackig-cooler Folk-Rocker, der anders arrangiert auch als moderner Electro-Pop durch gehen würde und eine ganz andere Klientel ansprechen könnte. So erfreut er alle Fans von z.B. Tom Petty, den Rolling Stones oder R.E.M. an dem unkomplizierten, angenehmen Sound. Eine bedächtige Drum-Machine bestimmt das schleppende Tempo von "Walls". Der Song erhält zwischendurch eine Keyboard-Begleitung, die ihn wie eine aufgeplusterte Komposition von Vangelis klingen lässt, obwohl es sich sonst um eine melancholische Alternative-Rock-Nummer handelt. Durch die sakral anmutende Klang-Umgebung bekommt "Still" ein spirituelles Gospel-Feeling verordnet, das durch frisch durchblutete Drum-Takte und spritzige E-Gitarren-Akkorde in die Realität zurück geholt wird.

    "Come Tomorrow" zeigt, wie klare Strukturen reinigend, betörend und anregend zugleich sein können. Der Pop-Folk lässt sich Zeit, seine sympathische Wirkung zu entfalten, protzt nicht mit Effekten und Spielereien, sondern setzt auf ehrlich empfundene, einfach strukturierte und umgesetzte Werte. Die ergreifende Schönheit des ruhigen Art-Pop-Stückes "4th Of July" erinnert danach an die Elegien von Blue Nile aus Schottland. Die Sprache der Musik ist eben universell und wird von sensiblen Menschen überall auf der Erde verstanden und ähnlich gedeutet.

    Die Musik von Old Sea Brigade rückt vom üblichen Americana-Schema ab: Es gibt ein anders zusammengesetztes Instrumentenspektrum und stilistisch ist das Ergebnis weder dem Folk noch dem Country zuzuordnen. Die Songs besitzen eine Feinmotorik, wie sie auch von Hiss Golden Messenger oder The Low Anthem angewendet wird, um die Kreationen besonders sensibel erscheinen zu lassen. Das bewährt sich auch hier und nutzt sich nicht ab, sondern holt auch noch das letzte Quäntchen Empathie aus den Songs heraus. Die Lieder wirken stets aufbauend und tröstend, auch bei gedämpfter Tonlage. Dazu trägt besonders der Gesang von Ben Cramer bei, der alle negativen Schwingungen eliminiert und so auch zur Deeskalation bei schwierigen Themen beiträgt. Das Album soll als Ablenkung vom Chaos in der Welt dienen. Ben Cramer möchte, dass es sich wie eine Reise anfühlt, an dessen Ende man sich erfrischt fühlt. Das kann gut nachvollzogen werden.

    Der Kultursender Bremen Zwei wirbt für sein Musikprogramm mit dem Slogan "Lässige Singer- Songwriter und Pop für die Seele". Demnach wäre "Motivational Speaking" genau für diese Radio-Welle zugeschnitten worden.
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    Hinüber Hinüber (CD)
    May 4, 2021
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Deutschsprachige Pop-Musik mit Haltung, Witz und Poesie.

    Mine wurde am 19. Januar 1986 als Jasmin Stocker geboren und wuchs in der Nähe von Stuttgart auf. Schon als Kind genoss sie eine Musikerziehung und nahm an Gesangswettbewerben teil. Mit 20 Jahren studierte sie Jazz-Gesang und absolvierte anschließend ihr Master-Studium an der Pop-Akademie Baden-Württemberg im Fach Producing und Composing. Unter ihrem Spitznamen Mine fand dann 2013 die erste Tournee statt und es erschien simultan die EP "Herzverleih". Daneben gab es auch Auftritte im Vorprogramm von z.B. Lukas Graham, Dear Reader oder Enno Bunger.

    2014 brachte sie mit "Mine" ihr erstes Solo-Album raus und 2016 folgte mit "Das Ziel ist im Weg" der Nachfolger. 2017 gab es eine gemeinsame Aufnahme mit dem Rapper und Schauspieler Fatoni unter dem Namen "Alles Liebe Nachträglich". 2018 wurde der Konzert-Mitschnitt ("Mine und Orchester (Live in Berlin)") als Crowdfunding-Aktion veröffentlicht und 2019 kam ein neues Studioalbum ("Klebstoff") auf den Markt. Im März 2021 räumte Mine den Deutschen Musikautorenpreis der GEMA in der Kategorie "Text Chanson/Lied" ab. Das ist eine beachtliche Auszeichnung und die Aufzählung des Tonträger-Werdegangs zeigt eine konsequente Verfolgung der eigenen Karriere. Sowas geht nicht ohne Durchhaltevermögen und Talent.

    Mine setzt sich bei ihrer Platte "Hinüber", die am 30. April 2021 erscheint, stilistisch offenbar zwischen alle Stühle. Sie gehört weder eindeutig der Fraktion der aktuellen Schlager-Stars oder Electro-Popper, noch einem Neue Deutsche Welle-Retro-Trend oder der Liedermacher-Szene an. Obwohl es kleine Schnittmengen zu diesen Genres gibt, sind es vor allem die Künstler, die sich ihre Individualität bewahren wollen und alternative Ausdrucksformen suchen, die als Anregung geltend gemacht werden können. Wie zum Beispiel Sophie Hunger (die einen Gastautritt hat), Balbina, Dota, Karl die Große, Lydia Daher, Cäthe oder Alligatoah.

    Für “Hinüber” wurden zehn Lieder verfasst, die ihre Inspiration aus dem HipHop, dem Electro-Pop, dem Kunstlied oder der alternativen Folk-Bewegung ziehen und als Ganzes den Eindruck vermitteln, dass die Suche nach einem persönlichen Ausdruck bei Mine noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Genau deshalb zelebriert die professionelle Künstlerin für uns ein quirliges Sammelsurium an Eindrücken, Stimmungen, Experimenten und Nichtigkeiten, die zwar nicht zusammen passen wollen, aber eine Bandbreite von Möglichkeiten aufzeigen, die von Mine erforscht und kreativ gestaltet werden. Ihre Lyrik scheint konkrete Sachverhalte anzusprechen, bleibt aber oft in der Mitte stehen. Es werden Gedanken angerissen, ohne Lösungen bereit zu stellen. Der wache Geist der Hörer und Hörerinnen ist gefordert, damit ein Weiter- und zu Ende denken stattfinden kann.

    Den Anfang macht der Track "Hinüber" mit der Gleichgesinnten Sophie Hunger als Gesangs-Unterstützung. Dunkel gefärbte Streicher vermitteln Ernsthaftigkeit, dröhnende Bässe sorgen für Dramatik und rhythmisch vertrackte Schlaginstrumente verpassen dem Stück eine mächtige, dominante Komponente. Dieses rätselhafte, stilistisch diffuse Chanson setzt ein anspruchsvolles, attraktives Ausrufezeichen. Thematisch geht es um große Probleme unserer Zeit, wie die Umweltzerstörung ("Das Meer ist aus Plastik..."). Denn wenn nicht endlich ein Umdenken in Richtung qualitatives, statt quantitatives Wachstum geschieht, dann ist sowieso bald alles hinüber. Mit dem nötigen Engagement können wir uns aber auch gemeinsam in eine Welt hinüber retten, in der eine humane Gesellschaft nach ökologischen Grundsätzen in Frieden lebt.

    Ein hüpfender, elektronisch erzeugter Takt muntert "Bitte bleib" auf, das als Kontrast dazu von überwiegend melancholisch veranlagtem Gesang getragen wird. Der Text zeigt zunächst in die falsche Richtung: "Bitte bleib, bitte bleib" lässt eine verzweifelte Trennungs-Situation vermuten, aber dann folgt: "Bitte bleib nicht wie Du bist" und so wird aus dem vermeintlichem Klammern ein Aufruf, über die eigenen Unzulänglichkeiten nachzudenken.

    "KDMH" ist die Abkürzung für "Kannst Du mich halten?". Diese Frage wird auch prompt mit "Kannst Du nicht" beantwortet. Das ist ein Zeichen dafür, dass Geborgenheit gesucht und vermisst, aber nicht gefunden wird. "Ich habe keinen Boden, keinen Grund, keinen Grund zu gehen", sind die um Hilfe rufenden Worte der Protagonistin. Anscheinend fehlt die Zuversicht, eine stabile Zukunft erwarten zu können. Die Textinhalte spiegeln also Aussichtslosigkeit wider. Als Untermalung dazu dienen stumpfe, monotone Beats, die die emotionale Ausnahmesituation drastisch aufbereiten. Weitere Textpassagen lassen vermuten, dass ein Suizid(versuch) beschrieben wird. Die Musik blüht dazu üppig auf und wird spannungsgeladen aufgebauscht. Dann bricht sie abrupt ab. Es bleibt das Schlimmste zu befürchten...

    Die ausgebildete, stabile, ausdrucksstarke Stimme von Mine klingt bei "Mein Herz" traurig, sehnsüchtig, wütend und betörend. Sie bleibt jedoch bei jeder Regung voluminös, beweglich und klar. Die sentimentale Ballade zieht alle Register, um den Wehmut einer gescheiterten Beziehung aus Sicht der verlassenen, gekränkten Person so nahbar und authentisch wie möglich erscheinen zu lassen.

    Was ist ein "Audiot"? Nach der Auffassung dieses provokanten Liedes ist das offensichtlich jemand, der ständig von Musik, Podcasts, Hörbüchern und anderen audiophilen Reizen umgeben ist und sich davon über Gebühr lenken und verzaubern lässt. Aber wenn eine Meinung zum Dogma wird, kann das zu einer intoleranten Haltung führen. Die Rapper Dexter und Crack Ignaz geben ihren Senf zu diesem Thema dazu und machen aus diesem HipHop-Pop mit Jazz-Grooves quasi ein Mini-Hörspiel.

    Ist "Eiscreme" wirklich ernst gemeint oder handelt es sich bloß um eine Parodie des Songs "Like Ice In The Sunshine" von Beagle Music Ltd., mit dem in den 1980er Jahren der Verkauf von Speise-Eis einer bestimmten Firma in den Kinos angekurbelt werden sollte? Genauso sonnig-naiv wie der damalige Werbe-Jingle ist nämlich auch hier der Refrain gestrickt. Unbekümmert und einfach rauscht dieser Electro-Pop vorbei, ohne anspruchsvolle Spuren zu hinterlassen. Es muss auch mal was Positives raus in die Welt, mag sich Mine gedacht haben, als sie dieses leichte Lied erfunden hat. Diese Einstellung gilt wohl auch für "Lambadaimlimbo". Das Stück erinnert aufgrund seiner seichten, unspezifischen Urlaubsatmosphäre an den Neue Deutsche Welle-Hit "Carbonara" von Spliff - der ehemaligen Begleit-Band von Nina Hagen - aus dem Jahr 1982.

    Auch "Elefant" klingt nach den 1980er Jahren. Nämlich nach einer Produktion von Trevor Horn, der gerne einen peitschenden Beat nach vorne gemischt und den Sound durch allerlei Klangfarben bunt ausgefüllt hatte. Und ein packender Refrain musste auch noch eingebaut werden. So wie es bei "The Lexicon Of Love" von ABC um Martin Fry 1982 praktiziert wurde. "Elefant" ist ein netter Electro-Pop fürs Radio geworden, der auch zur Untermalung von Sport-, Spiel- und Freizeitaktivitäten geeignet ist. Unkompliziert, aber nicht unsympathisch.

    Mit ordentlich Wumms in den Bässen geht es dann bei "Tier" weiter, wobei dieses Stück tiefschürfende Gedanken aufgreift: "Der Unterschied zwischen mir und einem Tier ist, dass ich fragen kann, was will ich hier. [...] Und ich sehe, was mir durch die Hände fällt und ich frag mich, was mich noch am Leben hält. Ist es nur die Sucht am Leben selbst?". Aktuelle Sinn-Fragen kollidieren im Folgenden mit Ratschlägen, die im Rahmen der Erziehung verinnerlicht wurden, was zu Konflikten führt. Diese Ballade wird durch tröstende Streicher und sakrale Orgelklänge gestützt, so dass die pumpenden Bässe in diesem Zusammenhang wie ein unruhiger, von Unsicherheit begleiteter Herzschlag klingen.

    Mit "Unfall" präsentiert Mine ein Lied, das akustische und elektronische Elemente attraktiv miteinander ausbalanciert und gegeneinander verbiegt. Es findet ein dynamischer Prozess statt, der sich sowohl sperrigen Folk-Rock, Drum & Bass-Hektik, Science-Fiction-Soundtrack-Flirren und Klassik-Seriosität einverleibt. Der Track macht indirekt darauf aufmerksam, dass aufgrund der derzeit vorherrschenden Pandemie-Nachrichtenlage viele andere Probleme nicht ins richtige Licht gesetzt werden können.

    Immer dann, wenn Mine musikalische Welten kollidieren lässt und sich dabei Schwierigkeiten vornimmt, ist sie am wirkungsvollsten. Dann blühen ihre erlernten und wahrscheinlich inzwischen verinnerlichten Producing- und Composing-Künste voll auf und erstrahlen in schillernd leuchtenden Farben, zeigen sich in verblüffenden Formen und erhellen die Ohren mit phantasievollen Klang-Lichtern. Einfacher strukturierte Sachen wie "Eiscreme" oder "Lambadaimlimbo" fallen dagegen ab, wenn eine homogene, ernsthafte Darstellung der Musik erwartet wird. Sie stören zumindest den Fluss eines durchgängig anregenden und dabei sensiblen Ablaufs.

    Die konträren Gestaltungsebenen unterstützen die eingangs getätigte Vermutung, dass sich Mine noch auf der Suche nach dem alles erleuchtenden Musenkuss befindet. Aber sie sorgt schon heute erfreulicherweise dafür, dass sich ihre vielfältige deutschsprachige Musik nicht zu stromlinienförmig bewegt. Und wenn ihr sprudelndes Talent mit einem künstlerisch wertvollen Konzept zusammentrifft, entstehen poetisch nachhaltig wirkende Lieder, die sich in einem musikalisch umtriebigen Umfeld ihren Weg durch struppiges Gelände bahnen. Es bleibt spannend, in welche Richtung(en) sich die Musikerin in Zukunft entwickeln wird, denn sie hat ihr Potential noch lange nicht ausgeschöpft.
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    Better Angels (CD)
    Apr 23, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Flexible Roots-Music-Klänge von einem Amerikaner, der in Norwegen lebt.

    Die Lebensumstände in den USA und in Norwegen sind für viele musikalische und persönliche Inspirationen, die Adam Douglas geprägt haben, verantwortlich. Der 40jährige Singer-Songwriter verbrachte nämlich seine Jugend in Oklahoma, das im mittleren Westen liegt und lebt seit 2007 (hauptsächlich der Liebe wegen) in Harestua, das 46 Kilometer nördlich von Oslo zu finden ist. Zwischen diesen Stationen war er viel unterwegs, mit Haltepunkten in Chicago und Minneapolis. Einige Roots-Music-Spielarten kreuzten dabei seinen Weg: Folk, Country, Rhythm & Blues, Soul oder Gospel. Natürlich auch Rock & Roll und Jazz. In Norwegen fühlt er sich wohl und zuhause, hier ist sein beständiger Lebensmittelpunkt. Künstlerisch hat ihn die Zugehörigkeit zu zwei Ländern zu einem relativ unkonventionellen Grenzgänger reifen lassen. Seine Songs lassen sich nämlich keinem Stil direkt zuordnen, sie entstehen vielmehr aus den oben skizzierten Vorlieben, ergeben sich aus den erworbenen Erfahrungen und schöpfen aus den geschärften Instinkten für einen interessanten Klang und eine gute Melodie. Alle diese Zutaten werden für die Kompositionen zusammen geschüttet, umgerührt, verkostet und individuell verkettet.

    "Better Angels" ist nun nach "I May Never Learn" (2015) und "The Beauty & The Brawn" (2018) der dritte Longplayer des vielseitigen Musikers. Beim Eröffnungs-Track "Joyous We’ll Be" findet die Begeisterung des Gospel, die rhythmische Frische der Karibik, die respektvolle Seriosität des Big-Band-Jazz und die flirrende Grazie des von Lowell George geprägten Little Feat-Sounds ihren Widerhall.

    Der schlaksige Jazz-Funk von "Into My Life" bekommt durch den gelenkigen Soul-Gesang von Adam Douglas und die verspielten Geigen, die sich wie gewandt fliegende Schwalben in der Abendsonne bewegen, ein samtenes Gegengewicht. Der Groove wird für "Build A Fire" knackig und zackig herausgestellt. Die Bläser fallen mit feurigen Attacken in den federnd-swingenden Sound ein, so dass das Lied dadurch an Schärfe, Konturen und Kraft gewinnt. Der Gesang wirkt sehnsüchtig und bringt sexuelle Aufladung ins Spiel. Mit einem saftigen E-Gitarren-Solo zeigt Adam seine individuelle Klasse auf diesem Instrument. Außerdem tritt dabei eine wilde, natürlich aggressive Seite zu Tage, die ihm sehr gut steht und die er noch ausbauen sollte. Der dynamische Sound fährt in die Glieder und setzt sich in den Ohren fest. Das ist ein heimlicher Hit!

    Mit "So Naive" wird die erste Pop-Ballade eingestreut. Mr. Douglas bewegt sich als Schnulzensänger auf dem schmalen Grad zwischen Kitsch und Kunst, kann sich aber aufgrund des ausgereiften Song-Materials souverän behaupten. Auch "Change My Mind" schwelgt in innig-romantischen Gefühlswelten, rührt in sentimentalen Momenten zu Tränen und kann sich mit den bekanntesten Rock-Balladen hinsichtlich schmachtender Hingebung messen. Der Track wurde durch die Zustände im vom Krieg gezeichneten und vom Flüchtlingselend gebeutelten Beirut beeinflusst. Das dazugehörige Video sendet bei allem zu vermutenden Leid auch viel Lebensfreude und Zuversicht aus, weswegen es wie ein vorbildliches, Mut spendendes Mahnmal erstrahlt.

    Das erfrischende "Where I Wanna Be" verbindet unverbraucht und homogen Elemente aus Pop, Rock, Jazz, Funk und Soul. Als Gesangspartnerin fungiert hier die großartige Jazz-Pop-Musikerin Beady Belle, die sich ausgezeichnet in das luftig-belebende Klang-Bild einfügt. Das schwüle, bluesige "Blue White Lie" scheint aus den Südstaaten der USA zu stammen, so erdig und vom Southern Soul durchdrungen kommt es aus den Lautsprechern. Aber das Stück ist genau wie die anderen Aufnahmen im hohen Norden Norwegens entstanden. Adam Douglas kann seine US-amerikanischen Wurzeln jedoch wieder einmal nicht verleugnen. Mit Würde und erhobenem Kopf knüpft er an die Roots-Rock-Errungenschaften solcher Kollegen wie John Hiatt an und präsentiert sich als erlesener White-Soul-Interpret.

    T. Rex, ZZ Top, die Neville Brothers und Tony Joe White haben ihre Spuren beim Glam-Funk-Boogie "A Whistle To Blow" hinterlassen. Das ausgeprägte Pop-Geschichtsbewusstsein von Adam Douglas lässt ihn solch wertige Einflüsse anzapfen, ohne als Plagiator dazustehen. Gegen diese Vorgehensweise ist gar nichts einzuwenden, denn Adam ist ein Sammler. Ein Sammler von Eindrücken, Ausdrücken, Gefühlsäußerungen, Zitaten und Sounds, die ins kollektive Bewusstsein gelangt sind. So gibt es bei "Both Ways" Streiflichter, die Klänge aus der British Invasion der mittleren 1960er Jahre aufflackern lassen und auf diese Weise an The Kinks oder The Rolling Stones erinnern. Und das, obwohl das Lied eher ein melodischer Pop-Song und kein harter Rocker ist. Das spricht für einen universellen Überblick und unverkrampften Umgang mit Vorlagen. Adam Douglas knüpft mit seinem Fingerspitzengefühl einen illustren Klangteppich aus Erinnerungen und Vorlieben, der sich Kategorisierungen entziehen möchte. Ist übrigens ein feiner, griffiger, sympathischer, angenehm anzuhörender Song geworden, dieses "Both Ways".

    Al Green und Graham Parker & The Rumour kommen in den Sinn, wenn "Just A Friend" läuft. Der weiche Rhythm & Blues wird von beseeltem Gesang flankiert und führt den Hörer fast unmerklich von einer nachdenklichen Stimmung zu einer aufbauenden, aufbegehrenden und lichtdurchfluteten Sichtweise. "Lucky Charm" lässt sich dann noch einmal tief ins Herz blicken und beschwört die Kraft der sinnlich-sanften Töne herauf, wobei der Bogen zur süßlich-sentimentalen Betonung überspannt wird. Weniger Schmalz hätte wahrscheinlich für mehr Authentizität gesorgt. "Dying Breed" macht dann auf gute Laune und versucht, durch einen swingenden Folk-Rock einen optimistischen Ausgleich und Ausklang zu schaffen. Das ist nicht zielführend, weil Adam Douglas eher als melancholisch veranlagter Singer-Songwriter überzeugend ist.

    Das Album "Better Angels" beschwört die Werte der US-amerikanischen Verfassung herauf, die Abraham Lincoln in seiner Antrittsrede verkündet hatte. Er wollte den Instinkt der vernünftigen, anständigen Menschen als Leitlinie ansetzen, wenn es Konflikte zu bewältigen gibt. Diese Maxime ist heute aktueller denn je, denn auch Präsident Joe Biden gab zu bedenken, dass es an der Zeit sei, die "besseren Engel" im amerikanischen Volk zu Wort kommen zu lassen. Optimismus, Vernunft und Menschlichkeit sind Grundwerte, die auch über die Musik von Adam Douglas transportiert werden sollen - zum Nutzen für alle Menschen.

    Künstler wie Adam Douglas fallen oft durchs Wahrnehmungsraster, weil sie häufig spontan mit anderen Musikern verglichen und dann vorschnell als mögliche Nachahmer gebrandmarkt werden. So könnten z.B. Paul Weller oder Elvis Costello als Verweis einfallen, aber das schmälert die dargebrachte Leistung des Exil-Amerikaners in keiner Weise. Was ihn auszeichnet, ist die Suche nach musikalischen Herausforderungen, an denen er wachsen möchte. Er besitzt nämlich den Ehrgeiz, sich ständig verbessern zu wollen. Grade hat er auch seine Flexibilität demonstriert, als er bei seiner Pop-Kollegin Rikke Normann bei "Don`t You Worry" von "The Art Of Letting Go" (veröffentlicht am 19. März 2021) im Duett gesungen hat.

    Der privat schüchterne, aber auf der Bühne ausgelassene Musiker hat seine speziellen Eigenarten dazu verwendet, eine reife Midlife-Analyse abzuliefern. Seine Stil-Fusionen sind ausgewogen, klingen zumeist tröstend oder hoffnungsvoll und werden von seinen norwegischen Begleitmusikern und Gästen wie Jeff Wassermann und Cory Chisel vollmundig, voluminös und emotional tiefgründig umgesetzt. Der Gesang ist so flexibel, dass er sich bei niemandem anlehnen muss und die Songs sind so ideenreich, dass sie sich nicht gegenüber anderen großartigen Liedern verstecken müssen. "Better Angels" ist ein schönes, clever organisiertes Werk geworden, das allen Leuten, die Interesse an undogmatischer Roots-Music haben, empfohlen werden kann.
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    Apr 9, 2021
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Pop für Genießer.

    Der Niederländer Tim Berkestijn - der hinter dem Namen Benny Sings steckt - gehört zu der Garde von jungen Musikern, für die Pop-Musik nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit trendigen, kommerziell orientierten Sounds ist. Das gilt zum Beispiel auch für so unterschiedliche, aber im Geiste verwandte Künstler wie Joel Sarakula, Mayer Hawthorne, Young Gun Silver Fox oder Zervas & Pepper, die auffällig melodisch, dabei aber auch raffiniert und spannend klingen. Und bei all diesen Namen kommt immer wieder die Gruppe Steely Dan um die innovativen Soundtüftler Donald Fagen und Walter Becker als Einfluss in den Sinn. Deren elegante, ausgeklügelte Songs dienen immer noch vielen Musikern als sinnvolle, wichtige und geistreiche Fixpunkte und sind somit eine nicht enden wollende Quelle an Inspirationen für kluge, wendige, attraktive und dabei in sich geschlossen wirkende Kompositionen.

    "Music" ist seit 2003 bereits das achte Album, dass unter dem Pseudonym Benny Sings erschienen ist. Tim Berkestijn macht Musik, die man sich ins Radio wünscht. Gleich der Opener "Nobody’s Fault" gibt das Credo des Nachfolgealbums von "City Pop" aus 2019 wieder: Spielerische Leichtigkeit darf durchaus auch mit komplexen und verwinkelten Momenten gespeist werden. Solange dadurch nicht der milde, weltoffene Charme, die elastischen Tonfolgen oder der lässige Groove verloren gehen. In diesem Sinne ist "Nobody’s Fault" ein Musterbeispiel an unterschwellig ausgedrückter Leidenschaft mit nobler Ausdrucksweise geworden. Das Lied beinhaltet sowohl Heiterkeit wie auch überlegene Souveränität. Die ausgelassene Stimmung bekommt eine kunstvolle Füllung aus stabiler Rhythmik und anspruchsvoller Instrumentierung verpasst.

    Für "Here It Comes" wird das Temperaments-Level mindestens einen Gang zurück geschaltet, was dem Track eine gewisse Unscheinbarkeit zu verleihen scheint. Aber weit gefehlt: Die sich behäbig dahin schleppenden Töne finden zwar nur langsam, dafür aber effektiv ihren Weg, der sie tief in die Gehörgänge führt. Dort sorgen sie für einen ständigen Widerhall. Ein unverhoffter Ohrwurm ist geboren. Der "Sunny Afternoon" wird nicht ausgelassen gefeiert, sondern besonnen und leicht beschwingt genossen. Benny Sings bietet einen lässigen Sound an, bei dem gegen Ende froh gestimmte Geigen einen zusätzlichen Lichtblick generieren.

    Bei "Rolled Up" singt Benny im Duett mit Mac DeMarco. Beide setzen sich gesanglich gegenüber stolpernden, unsicheren Takten durch und erzeugen so das merkwürdige Gefühl, das sich ergibt, wenn man sich grundlos niedergeschlagen fühlt. Die Stimmen versinken jedoch nicht in Selbstmitleid, sondern schaffen es mit Hilfe von Zweckoptimismus, die schlechte Laune zu überlisten. Sie begegnen sich dafür im Call & Response-Modus und ergänzen sich in ihrer unterschiedlichen Stimmfarbe wirkungsvoll.

    "Lost Again" läuft zuversichtlich und optimistisch ab. Wie beim sprichwörtlichen Pfeifen im Walde werden hier die trüben Gedanken durch muntere Klänge vertrieben. Musikalisch kann man von einer Fake-Swing-Imitation sprechen, bei der vor dem geistigen Auge das Rat-Pack um Frank Sinatra, Sammy Davis jr. und Dean Martin erscheint, nur eben in einer aktuellen Variante. "Break Away" nutzt danach die Methoden des Philly-Soul, um dessen unverbindliche Vergnüglichkeit als Kompensation für die grundsätzlich ernste Gemütslage einzusetzen.

    "Kids" ist ein beliebter Titel für einen Song geworden. So wurde er z.B. 2007 von MGMT und 2020 von Young Gun Silver Fox verwendet. Hier entstand er in Zusammenarbeit zwischen Tim Berkestijn und dem Rapper KYLE aus Los Angeles, der die zweite Sing-Stimme bei diesem, mit dem HipHop verwandten Pop-Song übernimmt. Das Lied "Run Right Back" federt so jazzig-gepflegt, dass es sich wie ein Outtake des Wunderwerks "Gaucho" (1980) von Steely Dan anhört. Das ist cool und clever umgesetzt und nachempfunden worden! Die Chorstimmen von Emily King und Peter Cottontale von The Free Nationals aus Los Angeles erzeugen dann für "Miracles" ein erbauliches und gleichzeitig schwungvolles Gospel-Feeling. Dadurch bekommt das Stück Kraft, Sicherheit und Vertrauen verliehen.

    „Wenn die Sache Dir zu nahe geht, wenn Dein Herz in Schutt und Asche liegt, ist da immer noch, immer noch die Musik“. Davon wusste schon Niels Frevert auf seinem Album "Putzlicht" (2019) zu berichten. Genau dieselbe Ansicht vertritt auch Benny Sings mit dem mild groovenden Soft-Rock-Track "Music" und eigentlich gilt diese Einschätzung für das ganze Album: „Es passiert so leicht in der heutigen Welt, dass man mit zu vielen Reizen überschüttet wird“. „Wir brauchen Licht und Luft… wir brauchen etwas, das uns Energie gibt.“ „Ich werde für immer fasziniert sein von dieser magischen Kraft der Musik: Wie da etwas entstehen kann, das einfach so alles transzendiert.“ So lässt sich Tim Berkestijn zum Konzept seiner aktuellen Platte zitieren.

    Benny Sings ist mit seiner Pop-Musik auf der Höhe der Zeit, verleugnet aber auch nicht die Segnungen der Vergangenheit. Die Klänge suchen das Harmoniezentrum des Gehirns auf, streicheln auf diese Weise die Seele und sorgen durch ihre reichhaltigen, gefühlvollen, intelligenten und professionellen Arrangements für eine angenehme Atmosphäre. Das ist populäre Musik, die im engeren Sinne unterhaltsam ist, dabei aber auch anspruchsvoll erscheinen möchte. Das gelingt nahezu auf ganzer Linie und somit sei diese Platte allen Menschen empfohlen, für die auch eingängige Musik gewisse Qualitätskriterien erfüllen muss und nicht nur bloße Berieselung bedeutet.
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