Radikale Weiterentwicklung
Noch gereifter, eigenwilliger und selbstbewusster kommt das 1969er Werk „Happy Sad“ daher. Tim Buckley hatte grade den Saxophonisten John Coltrane für sich entdeckt. Deshalb heben deutliche Jazz-Improvisationseinflüsse dieses Album dann auch aus dem bisherigen Folk-Rock-Umfeld ab. Da Larry Beckett zum Militär eingezogen wurde, schrieb Tim die Songs nun vollständig selber. „Happy Sad“ ist ein mächtiges, in sich geschlossenes, innovatives Album geworden. Es hält perfekt die Balance zwischen Improvisation und Komposition. Das Zusammenspiel von Lee Underwood und David Friedman erzeugt eine einzigartige halluzinative Atmosphäre. Buckley schöpft mit seinem Gesang seinen vollen Oktavenumfang aus. Er ist dominant, nach vorne gemischt und dadurch Dreh- und Angelpunkt der Songs. Die Platte besteht nur aus sechs Aufnahmen.
Der Opener „Strange Feelin`” gibt die Richtung vor: verspielte Gitarrenparts und Vibraphoneinschübe lassen kaum Rückschlüsse auf Tim Buckleys Folk-Vergangenheit zu. „Strange Feelin`” lehnt sich an Miles Davis`“All Blues“ von „Kind of Blue“ an. Melodisch ist die Komposition etwas ungelenk, was bei „Buzzin` Fly“ besser funktioniert. Hier harmoniert die Melodik mit der Improvisation. Tim spielt seine harsche zwölfsaitige akustische Rhythmusgitarre, worüber Lee Underwood trockene, elektrische Akkorde legt. David Friedman untermalt das Ganze mit sinnesöffnenden Vibraphoneinlagen. Das über 10minütige „Love from Room 109 at the Islander“ ist in 5 Abschnitte unterteilt und wird von immer wiederkehrenden live aufgenommenem Meeresrauschen begleitet. Es wurde eingeblendet, weil der Tontechniker Bruce Botnick vergaß, die Rauschunterdrückung einzuschalten und nun dienten diese Frequenzen dazu, den Fehler zu neutralisieren. Das Stück ist eine Meditation in Moll mit unsterblich schönen Tonfolgen. Ein weiteres Wunderwerk ist der Song „Dream Letter“: Lee Underwood und David Friedman eröffnen ihn mit klaren, hellen Gitarren- und Vibraphon-Sprengseln, dann setzt ein Cello ein und Tim ergänzt mit einer sehnsüchtigen, verschachtelten Melodie. Sie wird unterbrochen, aber Cello, Gitarre und Vibraphon improvisieren kurz weiter. Dann setzt Tim mit einer neuen Idee auf – so wird der Song stetig am Köcheln gehalten. Tim hat das Stück für seinen Sohn Jeff geschrieben. Er bedauert darin die Trennung von ihm und fragt sich, wie er sich charakterlich entwickelt hat. Im wahren Leben sahen sich Vater und Sohn nur einmal, als Jeff 8 Jahre alt war. Bei „Gypsy Woman“ kommt Carter C.C. Collins mit seinen Congas das erste Mal ins Spiel. Er begleitet die anderen Bandmitgliedern bei einem sich rhythmisch und vom Tempo her steigernden Thema. Tims Gesang ist hier extrovertiert, teilweise überdreht laut. Insgesamt ist die Komposition mit über 12 Minuten zu lang geraten, da sie über keine tragfähige Melodie verfügt. Stilistisch passt diese improvisiert wirkende Nummer aber gut ins Konzept. Das Album schließt mit der sinnlichen Ballade „Sing a song for you“, die wie ein Outtake von „Goodbye and Hello“ klingt. „The Wind covers me cold“ singt er hier inbrünstig und man glaubt ihm sofort, dass er diese Empfindung kennen gelernt hat. Das Album war trotz der radikalen Weiterentwicklung ein Erfolg und erreichte Platz 81 der U.S.-Billboard-Charts.