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    2. Alle Rezensionen von Webervogel bei jpc.de

    Webervogel Top 100 Rezensent

    Aktiv seit: 10. April 2017
    "Hilfreich"-Bewertungen: 31
    161 Rezensionen
    Weihnachtszeit! Bald ist's so weit Annette Moser
    Weihnachtszeit! Bald ist's so weit (Buch)
    03.11.2023

    Niedliches Weihnachtsbilderbuch für kleine Entdecker

    Dieses sehr süße Pappbilderbuch ist großformatig und enthält auf sechs Doppelseiten mehr als 30 Klappen – wow! Man entdeckt gar nicht alle auf den ersten Blick, weil sie sich auf jeder Seite an unterschiedlichen Stellen verstecken, teils sehr groß und teils klein sind. Jede Doppelseite ist einem Tier oder einer Tierfamilie und ihren Weihnachtsvorbereitungen gewidmet und immer fehlt irgendwas, was kleine Leserinnen und Leser hinter einigen der Klappen für die Tiere wiederfinden können. Auf der letzten Doppelseite versammeln sich dann alle Tiere mit vielen (aufklappbaren) Geschenken unterm leuchtenden Tannenbaum – und wer aufgepasst hat, kann zuordnen, welches Tier sich über welches Präsent freuen darf. Die singende Eule hat sich z.B. eine Flöte gewünscht, Doro Dachs ist begeisterte Handwerkerin …

    Die Texte sind nicht zu lang und gut verständlich und die Illustrationen liebevoll und detailliert. Auch wenn es kein Wimmelbuch ist, gibt es viele Kleinigkeiten zu entdecken, so dass auch mehrmaliges Anschauen absolut nicht langweilig wird. Trotzdem werden Kleinkinder nicht überfordert – Spaß an den Klappen kann man sogar schon mit unter zwei Jahren haben; Texte und Bildersuche sind dann für etwas Ältere. Mit ihnen kann man spielerisch darüber ins Gespräch kommen, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, Dinge wiederzufinden, die man verlegt hat und was zur Weihnachtszeit alles dazu gehört.
    Eigentum Wolf Haas
    Eigentum (Buch)
    09.10.2023

    Hommage

    Der österreichische Autor Wolf Haas erzählt in „Eigentum“ von seiner fast 95-jährigen Mutter. Er schildert die Gespräche mit der Hochbetagten an ihren letzten Lebenstagen im Altenheim, gibt ihre Erinnerungen wieder und lässt seinen Gedanken freien Lauf. Diese springen zwischen der Situation, der Vergangenheit, einer anstehenden Poetikvorlesung und der zu planenden Beerdigung hin und her. Das Ganze liest sich keineswegs schwermütig, sondern ist eine feine Mischung nüchterner, anrührender und skurriler Betrachtungen – und eine Hommage an die Mutter.

    Marianne Haas war offensichtlich kein einfacher Charakter und tickte ganz anders als der Autor selbst. Man war sich vermutlich fern, fremd und nah zugleich, wie das nur in engen familiären Beziehungen der Fall sein kann. 1923 in ärmlichen Verhältnissen geboren, hatte die Frau ein oft hartes und karges Leben und immer ein Ziel vor Augen, das der Autor auch als Titel seines Romans gewählt hat: Eigentum. Doch Marianne Haas konnte nie Eigentum erwerben, trotz „sparen, sparen, sparen“ (sie war eine Liebhaberin von dreifachen Wortwiederholungen). Die notwendige Anzahlung wurde immer erhöht, wenn das Sparziel in greifbarer Nähe schien, Inflation entwertete das Geld – im Jahr der Hyperinflation geboren, scheint sich dieses Motiv durch ihr Leben zu ziehen. Erst als ihr Mann beerdigt und auf dem Friedhofskreuz auch bereits ihr Name verewigt ist, ist dem Gefühl nach eigener Grund und Boden da – wenn auch anders als vom Leben erhofft.

    Wolf Haas lässt seine Mutter selbst zu Wort kommen, wenn es um ihre Lebenserinnerungen geht. Familiengeschichte, Servierkurs, Arbeit im Grandhotel, Kriegserinnerungen werden aus ihrer Perspektive und in einem ihr eigenen, unemotionalen Erzählstil geschildert. Dazwischen hängt der Sohn seinen Gedanken nach. „Eigentum“ ist ein schmales Büchlein von 157 Seiten mit keinerlei Längen. Es betrachtet ein Leben und das Leben äußerst kurzweilig, liest sich mal tragisch, mal amüsant und hat mich so manches Mal wegen einer knapp geäußerten Lebensweisheit, einer scharfsinnigen Betrachtung, eines bittersüßen Einschubs oder ein paar unerwarteten Humorfunken innehalten lassen. Ein gutes Buch, eine gelungene Hommage. Lesen, lesen, lesen.
    Meine Produktempfehlungen
    • Das glückliche Geheimnis Arno Geiger
      Das glückliche Geheimnis (Buch)
    Die Affäre Alaska Sanders Die Affäre Alaska Sanders (Buch)
    19.07.2023

    Wiedersehen mit Marcus Goldman

    Ich habe fast alle Romane von Joël Dicker gelesen – ach was, verschlungen; er ist einer der wenigen Autoren, dessen Hardcover ich mir sogar ohne Kenntnis der Inhaltsangabe kaufen würde. Sein neuestes Buch „Die Affäre Alaska Sanders“ ist die dritte Begegnung mit seinem Ich-Erzähler Marcus Goldman, auf die ich mich sehr gefreut habe. Als einziges bedauert habe ich bei der Lektüre, dass es schon eine ganze Weile (achteinhalb Jahre?) her ist, dass ich „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ gelesen habe – die Bezüge in „Die Affäre Alaska Sanders“ sind zahlreich, die Protagonisten zum Teil die gleichen und ich konnte mich an viele leider nur noch rudimentär erinnern. Dicker-Fans, die mehr Lesezeit als ich haben, würde ich daher empfehlen, den Marcus-Goldman-Erstling nochmal zu lesen. Man kann „Die Affäre Alaska Sanders“ aber auch sonst sehr genießen, und genau das habe ich getan.

    Die titelgebende Alaska Sanders – 22 Jahre alt, bildhübsch, zielstrebig und immer freundlich – wird Anfang April 1999 in der Nähe der Kleinstand Mount Pleasant, New Hampshire, ermordet. Der Fall kann postwendend gelöst werden: Ihr Ex Walter gesteht nach seiner Festnahme den Mord und begeht noch auf der Polizeistation Suizid. Seinen besten Freund Eric hat er vorher als Mittäter verraten, worauf dieser zu lebenslanger Haft verurteilt wird.
    Das alles ist elf Jahre her, als der Schriftsteller Marcus Goldman, beruflich erfolgreich, privat etwas verloren, durch seinen alten Bekannten Sergeant Perry Gahalowood auf den Fall stößt. Gahalowood war damals an den Ermittlungen beteiligt und bekommt nun den Hinweis, dass etwas faul ist. (Das ist die Kurzversion – hierbei spielen eine private Tragödie, Irrungen und Umwege eine Rolle, die fast eine eigene Geschichte in der Geschichte sind – typischer Dicker-Stil eben.) Und so ermitteln der Sergeant und der Schriftsteller wieder. Marcus Goldman versucht außerdem, seinen früheren Mentor Harry Quebert ausfindig zu machen, kommt dabei aber genauso wenig voran wie in der Affäre Alaska Sanders.

    Der Roman hat 592 Seiten und dabei keinerlei Längen. Er wird zum Teil in Rückblenden und aus verschiedenen Perspektiven erzählt und hat mich nicht losgelassen. Auch wenn ein Mord im Zentrum steht, ist „Die Affäre Alaska Sanders“ von einem herkömmlichen Krimi weit entfernt mit den vielen Schleifen, die Dicker erzählt. Trotzdem ist der Roman spannend und hat mich keine Sekunde gelangweilt. Joël Dickers Erzählkunst begeistert mich einfach und ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen mit Marcus Goldman und Sergeant Gahalowood – das gelungene Ende macht Hoffnung, dass irgendwann vom Mordfall Gaby Robinson erzählt werden wird. Darauf freue ich mich jetzt schon!
    Meine Produktempfehlungen
    • Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Joël Dicker
      Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert (Buch)
    • Die Geschichte der Baltimores Joël Dicker
      Die Geschichte der Baltimores (Buch)
    Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden Chelsea Conaboy
    Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden (Buch)
    04.07.2023

    Mutter werden ist nicht schwer ...

    Na ja, eigentlich doch. Wege zur Schwangerschaft verlaufen sehr unterschiedlich und können durchaus steinig sein, ebenso wie die Zeit, die das Austragen eines Babys dauert. Doch auch das Muttersein ist kein Spaziergang, zumindest kein Selbstläufer.

    Die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Chelsea Conaboy räumt mit einem Irrglauben auf, der seit langer Zeit tief im Menschen verwurzelt ist: dem der unfehlbaren Mutter, die bei der Geburt gleichermaßen mit Mutterinstinkt, intuitivem Wissen und grenzenloser Liebe beschenkt wird und ab da eine mehr oder weniger perfekte Vollblutmama ohne größere eigene Bedürfnisse ist. „Dieses Narrativ hat mit der Erfahrung erster Mutterschaft ungefähr ebenso viel zu tun wie die Märchenprinz-Geschichten von Disney mit der heutigen Dating-Welt“ ist einer meiner Lieblingssätze aus ihrem pointierten Sachbuch „Mutterhirn“.
    Die Lektüre ist einerseits entlastend, weil sie der Tatsache nachgeht, dass Mutterwerdung trotz aller Hormone ein Prozess mit Höhen und Tiefen ist. Gleichzeitig zeigt Conaboy auf, dass das Gehirn durch Mutterschaft durchaus große und unwiderrufliche Veränderungen erfährt. Dabei ist weniger entscheidend, dass man ein Kind geboren hat, sondern dass man es als eine Hauptbezugsperson aufzieht. Wer seine eigenen Bedürfnisse konstant hintenanstellt, um sich um einen kleinen Menschen zu kümmern, verändert sich. Conaboy geht sowohl auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse ein als auch darauf, dass diese Veränderungen einem Angst machen können, z.B. in Form von Sorgen, die man sich plötzlich macht. Sie schreibt von Schuldgefühlen, die entstehen können, weil man nicht wie erwartet funktioniert und erläutert, wie Geschichte, Politik und Gesellschaft das Mutterbild geformt haben. Dabei bringt sie viele Beispiele, die „Mutterhirn“ zu einer lebendigen Lektüre machen, mich aber gleichzeitig öfters zu Lesepausen verleitet haben: Zu viel mit den Sorgen, Ängsten und Komplexen anderer Mütter wollte ich mich dann doch nicht beschäftigen. Dennoch ein sehr interessantes Buch über ein wenig erforschtes Themenfeld, das von Idealvorstellungen befreit und mehr Platz für wissenschaftliche Realität schafft.
    Wenn Worte töten Anthony Horowitz
    Wenn Worte töten (Buch)
    16.05.2023

    Kurios, intelligent und unvorhersehbar

    Der britische Autor Anthony Horowitz schreibt eine Krimireihe, in der der britische Autor Anthony Horowitz der Ich-Erzähler ist – schon das ist so kurios, dass es mich sehr neugierig gemacht hat. Ich habe allerdings erst durch den dritten Band davon erfahren und kann nun aus eigener Erfahrung sagen, dass man diesen unabhängig von den Vorgängerbüchern lesen kann, das aber so viel Spaß macht, dass man sich Band eins und zwei nach der Lektüre eh besorgen will.

    In „Wenn Worte töten“ ist Hauptfigur Anthony Horowitz zu einem neuen, kleinen Literaturfestival auf der Kanalinsel Alderney eingeladen – zusammen mit Privatermittler Daniel Hawthorne, der ihn beauftragt hat, als Biograf über ihn zu schreiben. Obwohl die beiden schon eine längere Arbeitsbeziehung hinter sich haben, ist keine größere Vertrautheit oder gar Freundschaft bemerkbar. Horowitz ist allerdings sehr zufrieden, dass er diesmal nicht den Detektiv begleitet, sondern ein Heimspiel hat – mit Literaturfestivals kennt er sich aus, für Hawthorne sind sie unbekanntes Terrain. Als jedoch der Sponsor des Summer Festivals ermordet wird, ändert sich das schlagartig. Hawthorne hört sich um, scheint nebenbei jedoch auch noch eine ganz eigene Agenda zu verfolgen. Horowitz dagegen stellt wilde Überlegungen in alle Richtungen an und findet dabei vieles verdächtig, was mir als Leserin auch aufgefallen war. Überflüssig zu erwähnen, dass wir beide oft der gleichen falschen Fährte folgten.

    Mir hat „Wenn Worte töten“ großen Spaß gemacht – die Selbstironie des Autors, der sich selbst als etwas tapsige, nur mittelmäßig erfolgreiche Hauptfigur eingesetzt hat, die Darstellung der anderen Schriftsteller und des Literaturbetriebs und letztendlich natürlich auch der Fall. Leicht irritiert hat mich nur, dass Hawthorne Horowitz beständig „Sportsfreund“ nennt. Ich musste jedes Mal an einen älteren Landadeligen denken, dabei ist der Privatermittler erst 39 Jahre alt und der Krimi spielt in der Gegenwart – dieser antiquierte Ausdruck passt da einfach nicht. Das englische „Pal“, was hier vermutlich übersetzt wurde, klingt in der Originalausgabe sicherlich geläufiger. Abgesehen von dieser Kleinigkeit liest sich „Wenn Worte töten“ wunderbar und ist ein intelligenter, literarischer Krimi mit unvorhersehbaren Wendungen.
    Reider, K: Bildergeschichten zum Mitmachen: Hier kommt Finni Reider, K: Bildergeschichten zum Mitmachen: Hier kommt Finni (Buch)
    27.03.2023

    Alltagsabenteuer niedlich erzählt

    Mit Finni Fuchs werden sich kleine Buchangucker wunderbar identifizieren können: Morgens ist das fröhliche Fuchskind noch vor seinen Eltern wach und sorgt dafür, dass das nicht lange so bleibt. Finni und sein Papa machen dann das Frühstück und dann geht’s für Finni auch schon in den Kindergarten. In der darauffolgenden Geschichte wird eingekauft, danach backen Finni und seine Mama einen Kuchen, weil Oma und Opa zu Besuch kommen. Und in der letzten Kurzgeschichte ist es dann auch schon Zeit, schlafen zu gehen.

    Alle Alltagssituationen sind liebevoll und detailreich illustriert. Besonders die Mimik des kleinen Fuchses ist äußerst niedlich. Ab und zu gibt es Fragen zu den Bildern, wenn Finni beispielsweise seine Lieblingstasse vermisst. So lässt sich beim Vorlesen gleich ins Gespräch kommen. Erzählt werden Finnis Erlebnisse mit einem Augenzwinkern und amüsieren so auch größere Leserinnen und Leser – wenn Finni z.B. seinem Vater beim Einkaufstaschen tragen hilft, der Vater aber wiederum Finni tragen muss.

    Ob es die Finni-Anziehfigur mit drei verschiedenen Outfits am Ende wirklich gebraucht hätte, weiß ich nicht, aber auch diese ist auf jeden Fall niedlich. Ein schönes Vorlesebuch für die Kleinsten, um sich über Finnis und den eigenen Alltag zu unterhalten.
    Reider, K: Bildergeschichten zum Mitmachen: Hier kommt Finni Reider, K: Bildergeschichten zum Mitmachen: Hier kommt Finni (Buch)
    27.03.2023

    Alltagsabenteuer niedlich erzählt

    Mit Finni Fuchs werden sich kleine Buchangucker wunderbar identifizieren können: Morgens ist das fröhliche Fuchskind noch vor seinen Eltern wach und sorgt dafür, dass das nicht lange so bleibt. Finni und sein Papa machen dann das Frühstück und dann geht’s für Finni auch schon in den Kindergarten. In der darauffolgenden Geschichte wird eingekauft, danach backen Finni und seine Mama einen Kuchen, weil Oma und Opa zu Besuch kommen. Und in der letzten Kurzgeschichte ist es dann auch schon Zeit, schlafen zu gehen.

    Alle Alltagssituationen sind liebevoll und detailreich illustriert. Besonders die Mimik des kleinen Fuchses ist äußerst niedlich. Ab und zu gibt es Fragen zu den Bildern, wenn Finni beispielsweise seine Lieblingstasse vermisst. So lässt sich beim Vorlesen gleich ins Gespräch kommen. Erzählt werden Finnis Erlebnisse mit einem Augenzwinkern und amüsieren so auch größere Leserinnen und Leser – wenn Finni z.B. seinem Vater beim Einkaufstaschen tragen hilft, der Vater aber wiederum Finni tragen muss.

    Ob es die Finni-Anziehfigur mit drei verschiedenen Outfits am Ende wirklich gebraucht hätte, weiß ich nicht, aber auch diese ist auf jeden Fall niedlich. Ein schönes Vorlesebuch für die Kleinsten, um sich über Finnis und den eigenen Alltag zu unterhalten.
    Das glückliche Geheimnis Arno Geiger
    Das glückliche Geheimnis (Buch)
    12.03.2023

    Skurril, originell, authentisch

    Manche Rezensent*innen erwähnen zuerst die Sprache, wenn sie über ihre Lektüren reden. Ich bin dagegen „Team Inhalt“ – wenn mich die Geschichte nicht packt, können Stil und Sprache für mich auch nichts mehr retten. Dachte ich bisher, aber was Arno Geiger angeht, würde ich wohl eine Ausnahme machen. Seine Sätze sind so elegant, klar und prägnant, dass ich immer wieder das Bedürfnis hatte, sie zu markieren (was ich mir allerdings verkniffen habe und was bei der Fülle von schönen Sätzen auch wenig Sinn machen würde).

    Und der Inhalt? „Das glückliche Geheimnis“ handelt vom Doppelleben von Arno Geiger, der 2005 den ersten Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Schriftstellerisch tätig war er zu diesem Zeitpunkt schon seit vielen Jahren. Dass er außerdem noch einer anderen Tätigkeit regelmäßig nachging, verheimlichte er jedoch bis jetzt erfolgreich: Arno Geiger hat jahrzehntelang containert. Und zwar speziell in Wiener Papiercontainern. Seine Runden hat er systematisch bei Wind und Wetter am frühen Morgen gedreht und dabei Bücher, Briefe, Fotos gefunden – und vieles mehr, oftmals nichts davon von Wert oder Bedeutung. Es waren aber auch immer wieder alte oder seltene Ausgaben dabei, die er zu Geld machen konnte und die an der Finanzierung seines Schriftstellerlebens grundlegenden Anteil hatten. Und Briefsammlungen, die Einblicke in Seelenleben gaben, die ihm sonst verwehrt geblieben wären. Eindrucksvoll beschreibt Geiger, wie er Briefwechsel so lange seziert hat, bis quasi nichts mehr vom Original übrig war – und wie er die so herausgearbeitete Essenz dann wieder in seine Bücher einfließen lassen konnte. Generell fand ich diese Passagen am stärksten, in denen der Autor über den Schreibprozess oder auch den Literaturbetrieb an sich berichtet. Die Beziehung zu seinen Eltern nimmt keinen größeren Raum an, liest sich aber anrührend, zumal einem Geigers Vater aus seinem Buch „Der alte König in seinem Exil“ bereits bekannt ist. Weniger interessiert haben mich Geigers Liebesbeziehungen und die für meinen Geschmack etwas zu ausführlich beschriebenen, mit ihnen verbundenen Irrungen und Wirrungen, aber vermutlich waren sie in den jeweiligen Phasen seines Lebens so wichtig und prägend, dass er sie auch nicht weglassen konnte.

    „Das glückliche Geheimnis“ ist ein besonderes Buch; mir fällt nichts Vergleichbares ein. Dass der Autor sein lange gehütetes Doppelleben hier enthüllt, hat auch mich tatsächlich ein bisschen glücklich gemacht – er verdeutlicht originell und authentisch, wie Schein und Sein auseinanderklaffen können. Und dass das nicht das Schlechteste ist, wenn man etwas hat, was einen erdet – selbst wenn es ein skurriles, geheimes Hobby ist. Sein glückliches Geheimnis hat Arno Geigers Leben bereichert; wie schön, dass er es jetzt teilt.
    Fang jetzt bloß nicht an zu lieben Mhairi McFarlane
    Fang jetzt bloß nicht an zu lieben (Buch)
    22.12.2022

    RomCom mit Humor und Tiefgang

    Mhairi McFarlane schreibt romantische Komödien, die sich durch Humor und Tiefgang auszeichnen – jeweils in einem für dieses Genre ungewöhnlichen Maße. 08/15-„Girl Meets Boy“-Geschichten sind nicht ihr Ding, auch wenn Titel und Cover ihres neuesten Romans genau das nahelegen. Schade – ihren bisherigen Büchern hatte der Knaur Verlag einen verspielteren, originelleren Look verpasst. Dass bei „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ auch noch eine brünette Frau das Cover dominiert, nachdem schon auf den ersten Seiten die dicken blonden Haare der Hauptfigur eingehend beschrieben werden, lässt mir die Gestaltung etwas lieblos erscheinen.

    Der Inhalt hat mich dagegen wieder mal gepackt. Mhairi McFarlanes Protagonistin Harriet ist passionierte Hochzeitsfotografin und mit dem wohlhabenden Jon liiert, der sie vergöttert. Dass er ihr am Hochzeitstag seiner Eltern vor der versammelten Familie einen Heiratsantrag macht, ist allerdings etwas voreilig. Bald darauf sucht Harriet eine neue Bleibe und wird eher zufällig die Mitbewohnerin von Cal, der vom Bund fürs Leben ebenso wenig zu halten scheint wie sie selbst. Als sie dann auch noch ihren Ex-Freund Scott wiedertrifft, ist das Chaos in Harriets Leben perfekt.

    „Gaslighting“ war mir bisher nur vage ein Begriff, den Mhairi McFarlane jetzt mit viel Leben gefüllt hat: Es ist eins der zentralen Themen ihres Buches und mag Leser*innen überraschen, die in erster Linie eine Liebesgeschichte erwarten. Hier geht es eher um eine Mittdreißigerin, die ein paar unbequeme Entscheidungen treffen muss, um sich selbst treu zu bleiben. Die Spezialität von McFarlane sind extrem sympathische Hauptfiguren mit Schrammen, Ecken und Kanten. Und so ist mir „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ nahegegangen, hat mich zum Mitleiden und -lachen gebracht. Ein Pageturner, der viel facettenreicher ist, als sein Cover glauben machen will.
    Stachlige Eltern und Schwiegereltern Jörg Berger
    Stachlige Eltern und Schwiegereltern (Buch)
    16.11.2022

    Wertvolle Hilfestellung

    Zwischenmenschliche Beziehungen können so ihre Fallstricke haben – vor allem die, die man sich nicht aussucht und die trotzdem eng sind bzw. zumindest den Anspruch haben, eng zu sein. Der Psychotherapeut Jörg Berger hat ein Buch geschrieben, das dabei unterstützt, Konflikte mit Eltern und Schwiegereltern zu entschärfen. Sein Ansatz hat mir gefallen: Er erkennt an, dass diese Beziehungen höchst kompliziert, emotional aufgeladen und manchmal sogar schwer erträglich sein können und bietet Hilfestellungen, um sie bewusst anders zu gestalten. Nun gehören zur Gestaltung einer Beziehung eigentlich zwei; Berger zeigt allerdings, dass auch durch eine einseitige Veränderung vieles verbessert werden kann. Der Autor gibt seinen Leser*innen Werkzeug in die Hand, das ermöglicht, selbst auf Behandlung von oben herab auf Augenhöhe zu reagieren. Er ermächtigt erwachsene Kinder und Schwiegerkinder, der anderen Seite den Wind aus den Segeln zu nehmen und zeigt Wege auf, aus alten Verhaltensmustern auszubrechen. Einen seiner Tipps konnte ich bereits anwenden und war sehr zufrieden mit dem Ergebnis: Mir ging es besser und die Gegenseite war zwar verwundert, aber nicht verletzt. Berger geht davon aus, dass seine Leser*innen die Beziehung zu Eltern und Schwiegereltern nicht eskalieren lassen, sondern verbessern möchten, und bietet in erster Linie Kommunikationsstrategien für verschiedene (Schwieger-)Elterntypen. Was alle eint: Sie nehmen den schwierigen Gesprächspartner bzw. die schwierige Gesprächspartnerin an, zeigen aber gleichzeitig Grenzen auf, ohne komplett vor den Kopf zu stoßen.

    „Stachlige Eltern und Schwiegereltern“ ist kein Buch, um es in einem Rutsch durchzulesen – zumindest habe ich das nicht getan. Durch Bergers anschauliche Beispiele lässt sich schnell eingrenzen, zu welchem Typus die eigenen Altvorderen gehören; die jeweils relevanten Stellen lassen sich also gut rausfiltern. Die vom Autor geschilderten Situationen zeigen dann, wie mit verschiedenen Situationen umgegangen werden kann. Mir hat das geholfen und ich kann dieses Buch empfehlen.
    Freiheitsgeld Andreas Eschbach
    Freiheitsgeld (Buch)
    23.10.2022

    Abzug in der B-Note

    Bedingungsloses Grundeinkommen, Neubauten aus dem 3-D-Drucker, großflächige Naturschutzzonen überall in Deutschland - eine schöne neue Welt ist das, die Autor Andreas Eschbach für das Jahr 2064 entworfen hat. Mit dem sogenannten Freiheitsgeld richten sich die Figuren des gleichnamigen Romans völlig unterschiedlich ein: Sie hängen zugedröhnt zu Hause ab, gehen einem Job aus Leidenschaft nach oder zahlen einen hohen Preis, um sich besonderen Luxus leisten zu können, der Durchschnittsbürger*innen nicht mehr zur Verfügung steht. Eschbach gelingt ein faszinierendes, durchdachtes und dichtes Worldbuilding, das am besten funktioniert, wenn er es wie nebenbei in die Handlung einfließen lässt. Ein Teil der Informationen wird allerdings auch über längere Monologe und Gedankenstränge vermittelt. Dies wirkt nicht weniger stimmig, liest sich aber etwas aufgesetzt.

    Ich habe mich sehr auf die Lektüre von „Freiheitsgeld“ gefreut und war gespannt, welche Dystopie Eschbach aus der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens entwickelt. Der Roman liest sich dann auch fesselnd und teilweise erschreckend. Einige Passagen haben mich allerdings ziemlich irritiert und mir so etwas Lesefreude genommen: Wenn es um Paarbeziehungen geht, von denen es in „Freiheitsgeld“ einige gibt, wird die Darstellung oft schwächer. Die Schilderung der meisten Charaktere bleibt sehr oberflächlich, stellt Interaktionen stereotyp dar und hat mich auch ab und zu verwirrt, da sich Protagonisten öfters unstimmig verhalten. Die Ausgestaltung neuer Lebenswelten liegt dem Bestseller-Autor offensichtlich mehr, als sich in zwischenmenschliches Verhalten einzufühlen.
    Als zweite große Schwäche von „Freiheitsgeld“ empfinde ich, dass der Roman trotz gleich mehrerer Verbrechen, die ein junger, ehrgeiziger Polizist zu lösen versucht, sehr lange nur vor sich hinzuplätschern scheint. Die eigentliche Action kommt erst kurz vor Schluss und verpufft dann auch gleich wieder. Nach dem aufwändigen Worldbuilding bin ich doch etwas enttäuscht, wie unbedeutend die Rollen einiger Figuren letztendlich sind. Es bleibt das Gefühl, dass Eschbach aus „Freiheitsgeld“ mehr hätte machen können. Er hatte eine spannende Idee und beschreibt eine Welt, die so dicht an der Realität und dann doch wieder so anders ist, dass es mich gleichzeitig fasziniert und gegruselt hat. Die eigentliche Handlung und die von ihm geschaffenen Charaktere fallen dahinter zurück, als hätte der Autor auf ihre Ausgestaltung keine rechte Lust mehr gehabt. Wie schade, denn eigentlich hat „Freiheitsgeld“ alle Anlagen, um eine 5-Sterne-Bewertung zu bekommen.
    Wie wir Menschen die Welt eroberten Yuval Noah Harari
    Wie wir Menschen die Welt eroberten (Buch)
    10.10.2022

    Die spannendste Geschichtsstunde überhaupt

    Ich weiß noch, wie ich in der sechsten Klasse Geschichtsunterricht bekam und mich eigentlich darauf freute. Und dann ging es ewig um das Thema „Jäger und Sammler“, was mein Lehrer und dieses dröge beige Geschichtsbuch gleichermaßen einschläfernd rüberbrachten. Schnell war mir klar: Geschichte ist das langweiligste Schulfach, das es gibt.
    Fast 30 Jahre später habe ich nun Yuval Noah Hararis Jugendbuch „Wie wir Menschen die Welt eroberten“ in die Hände bekommen und merke: Selbst über die Steinzeit kann man spannend berichten! Vielleicht sogar gerade über die. Harari ist ein begnadeter Erzähler, der mir zum einen einiges Wissen über Neandertaler, Homo Sapiens und weitere Menschenarten vermittelt hat, das mir vollkommen neu war, und der es zum anderen in seinen kurzen Kapiteln immer wieder schafft, Spannung aufzubauen. Was ist denn eigentlich die Superkraft des Menschen, dem doch verschiedenste Tiere körperlich weit überlegen sind? Wieso sind Mammuts ausgestorben, Kaninchen aber nicht? Und welche Verhaltensweisen aus der Steinzeit sind heute noch in uns Menschen verankert?
    Harari berichtet fesselnd; er appelliert an die Vorstellungskraft seiner Leser*innen und fordert sie nicht zuletzt durch kleine Cliffhanger immer wieder zum Mitdenken auf. Und das macht richtig Spaß, auch wenn man dem Jugendbuchalter längst entwachsen ist. „Wie wir Menschen die Welt eroberten“ ist ansprechend illustriert und lässt sich durch den durchdachten Aufbau auch wunderbar nach und nach lesen. Harari schafft es, Begeisterung zu wecken – für die Forschung, die Steinzeit und nicht zuletzt eben für die Menschheitsgeschichte. Ich hoffe so sehr, dass Geschichtslehrer*innen ihren Schülerinnen und Schülern das Buch zumindest empfehlen, wenn nicht sogar Auszüge daraus in ihren Unterricht integrieren. Auch Urgeschichte kann packend erzählt werden und wir können aus dem Verhalten unserer Ahnen sogar lernen. Neben der spannendsten Geschichtsstunde überhaupt ist Hararis Sachbuch auch ein Plädoyer für Umweltschutz und Eigeninitiative. Ganz klare Leseempfehlung!
    Vertrauen Dror Mishani
    Vertrauen (Buch)
    25.03.2022

    Fallstricke und Gewissenskonflikte

    Avi Avraham, Oberinspektor im Ayalon-Polizeidistrikt in Tel Aviv, ist mit seinem Job nicht mehr zufrieden und plant eine berufliche Umorientierung, was seinen Chef aus allen Wolken fallen lässt. Bevor es jedoch zu einer Versetzung kommt, stellt sich Avis neuer Fall als weniger trivial heraus, als er angenommen hatte: Der aus einem Hotel verschwundene europäische Gast, der angeblich bei israelischen Verwandten untergekommen ist, hat seiner Tochter erzählt, er würde für den Mossad arbeiten. Und auch sonst gibt es einige Ungereimtheiten, die Avi skeptisch werden lassen. Seine Kollegin ist dagegen relativ schnell einer Frau auf die Spur gekommen, die einen Säugling ausgesetzt hat. Allerdings ist sie weder die Mutter des Kindes noch auf irgendeine Art und Weise kooperativ. Oberinspektor Avi will zwar genau solchen Fällen den Rücken kehren, aber sie lesen sich durchaus spannend und vermitteln darüber hinaus auch noch einmal einen Eindruck vom Leben in Israel. Der Schreibstil des Tel Aviver Autors Dror Mishani macht außerdem Spaß: unaufgeregt, in die Tiefe gehend und seine komplexen Figuren mit ihren unterschiedlichen Perspektiven immer ernst nehmend. „Vertrauen“ ist ein literarischer Krimi mit wenig Blut und ohne wilde Verfolgungsjagden. Aber er stellt seine Leser*innen immer wieder vor die Frage, wie sie sich entscheiden oder vorgehen würden, er zeigt Fallstricke und Gewissenskonflikte und ist dadurch stellenweise interessanter und packender als ein klassischer „Whodunit“-Roman. Selbst wenn Oberinspektor Avi tatsächlich beruflich weiterziehen sollte – ich würde ihn gerne lesend begleiten.
    Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest Thomas Kehl
    Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest (Buch)
    08.03.2022

    Verständlich, lebendig, erstaunlich

    Der selbstbewusste Titel dieses Buches ließ mich erst skeptisch werden. Ratgeber, die schon auf dem Cover verkünden, was Leserinnen und Leser tun sollten, sind mir suspekt. Andererseits klang es natürlich verlockend, über das eher dröge Thema Finanzen nur ein einziges Buch lesen zu müssen – vor allem für jemanden wie mich, der bisher einen größeren Bogen um derartige Werke gemacht hat.

    Hält „Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest“ denn nun, was es verspricht? Aus Mangel an vergleichbaren Lektüren kann ich das nicht unbedingt beantworten. Es stimmt allerdings, dass die Autoren Thomas Kehl und Mona Linke ihre Leser*innen gewissermaßen an die Hand nehmen, um sie durch den Dschungel möglicher Geldanlagen zu führen. Geduldig beginnen sie mit verbreiteten Denkfehlern, streifen das Thema Versicherungen und kommen schließlich zu Non-Profit-Bankanlagen, Immobilien, Aktien und Investmentfonds. Alles wird in kurzen Kapiteln erklärt und von verschiedenen Seiten betrachtet – und zwar so, und das fand ich wirklich bewundernswert, dass es weder langweilig noch unverständlich wird. Vergleiche, persönliche Erfahrungsberichte und Beispiele sorgen dafür, dass dieses Sachbuch lebendig bleibt und seine Leser*innen bei der Stange hält. Wer sich hier und da doch schon einmal mit seinen Finanzen beschäftigt hat, wird bereits einiges wissen – doch in einer so komprimierten, klar auf den Punkt gebrachten Form mit weiterführenden Erklärungen sind mir Finanzthemen noch nie begegnet. Ich habe beim Lesen tatsächlich viel gelernt und Berührungsängste abgebaut. Gleichzeitig schreiben Kehl und Linke weniger forsch, als der Titel ihres Werks vermuten lassen würde: Sie informieren und sprechen allgemeine Empfehlungen aus, aber sie verkaufen nichts – weder den einen todsicheren Geheimtipp noch ein weiterführendes Mentoring o.ä. Und so hat mich dieses Buch tatsächlich irgendwie begeistert, was ich weder vom Thema noch vom Titel her erwartet hätte.
    Manifesto Bernardine Evaristo
    Manifesto (Buch)
    14.02.2022

    Fordernd und bereichernd

    Gleich das erste Kapitel von Evaristos „Manifesto“ fand ich am packendsten: Hier geht es um „Herkunft, Kindheit, Familie, Ursprünge“ und die Autorin beschreibt ihr Aufwachsen als viertes von acht Kindern in einer britisch-nigerianischen Familie. Wobei das nigerianische Erbe erst einmal keine große Rolle spielt, denn Evaristos Vater hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen, pflegte keine Kontakte in seine Heimat und versuchte erst gar nicht, Sprache, Tradition o.ä. an seine Kinder weiterzugeben. Was allerdings für die Nachbarschaft bis hin zur Oma mütterlicherseits eine große Rolle spielte: seine Hautfarbe und die der Evaristo-Kinder. Die Autorin wurde 1959 in ein Land geboren, in dem ihr von klein auf vermittelt wurde, als person of colour keine echte Engländerin zu sein. Was es bedeutet, nur die englische Kultur zu kennen, ihr aber gleichzeitig nicht als zugehörig bzw. ebenbürtig angesehen zu werden, macht Evaristo für ihre Leser*innen annähernd erlebbar.

    In weiteren Kapiteln beschäftigt sich die Autorin mit den Prägungen durch ihre wechselnden Wohnsituationen und ihr mindestens ebenso abwechslungsreiches Liebesleben, außerdem mit ihrer kreativen Entwicklung am Theater und schließlich als Autorin. Evaristo gewährt dabei zwar sehr persönliche Einblicke in ihr Seelenleben, bewahrt aber trotzdem eine gewisse Distanz, was vermutlich daran liegt, dass sie beim Schreiben ihres „Manifesto“ bereits um die 60 Jahre alt war und vor allem auf ihr deutlich jüngeres Ich zurückblickt. Vor allem die Einblicke in ihr Arbeitsethos und ihre Herangehensweise an den Schreibprozess fand ich interessant. Aber auch ihr Umgang mit den großen Themen Rassismus und Gender im Wandel der Zeit ist überaus reflektiert und bietet viele Denkanstöße. Bernardine Evaristo wirkt sehr ehrlich mit ihren Leser*innen, fordert sie aber auch mit komplexen Themen und Gedankengängen, die jedoch immer nachvollziehbar bleiben, weil sie eine Meisterin im Umgang mit Sprache ist (und die Übersetzerin Tanja Handels ihr Buch offensichtlich sehr gekonnt ins Deutsche übertragen hat). Wieder eine äußerst bereichernde Lektüre dieser Autorin.
    Meine Produktempfehlungen
    • Mädchen, Frau etc. Bernardine Evaristo
      Mädchen, Frau etc. (Buch)
    Die Enkelin Die Enkelin (Buch)
    21.11.2021

    Stimmig und fordernd

    Dass der kinderlose Buchhändler Kaspar Wettner je Großvater werden würde, hat er selbst nicht kommen sehen. Doch nach dem Tod seiner Frau Brigit deckt er deren Lebenslüge auf: Birgit hatte eine Tochter, die sie gleich nach der Geburt weggegeben hat – nur wenige Monate, bevor sie 1965 aus der DDR zu ihm nach Westdeutschland geflohen ist, wo sich die beiden in Berlin ihr gemeinsames Leben aufgebaut haben. Nun erfährt Kaspar, dass seine Frau lange damit gerungen hat, die verlorene Tochter wiederzufinden und beschließt, an ihrer Stelle zu suchen. Schließlich begegnet er Birgits Enkelin. Die beiden trennt vieles – ihre einzige Gemeinsamkeit ist die Neugier aufeinander.

    In seinem neuesten Roman entführt Bernhard Schlink seine Leserinnen und Leser zunächst in eine andere Zeit und dann in eine andere Welt. Erst wird Birgits Geschichte erzählt, das Aufwachsen in der DDR thematisiert, ihre Abwendung vom Staat, ihre Flucht. Der westdeutsche Kaspar hat die DDR nur als Besucher erlebt, doch weitaus fremder als sie ist ihm die Welt, in der Birgits Enkelin Sigrun heranwächst: Sie lebt in einer völkischen Gemeinschaft mit klaren Feindbildern. Kaspar versucht, dem Mädchen seine Welt zu zeigen – unter den wachsamen Blicken der Eltern. Das fragile Band zwischen den beiden zieht sich über ein Spannungsfeld. Ich habe mitgebangt, ob es hält.

    Egal welcher Weltanschauung, welchem Stück Zeitgeschichte sich Bernhard Schlink annimmt – er schildert es virtuos und scheut dabei weder Widerspruch noch Kritik. Mit klarer, präziser Sprache hat er auch hier wieder einen Roman geschaffen, bei dem einfach alles stimmt. Die Geschichte ist tragisch, stimmig und aufwühlend in einem, die Figuren haben Ecken, Kanten und immer Tiefgang. Es gelingt dem Autor, alle unterschiedlichen Motivationen irgendwie verständlich erscheinen zu lassen, ohne dass er es einer der Hauptfiguren besonders leicht machen würde. Denn eine klare Einteilung in schwarz und weiß, gut und böse – die gibt es bei Schlink nie. Ein sehr lesenswerter Roman, der extrem unterschiedliche deutsche Leben porträtiert und seine Leserinnen und Leser auch immer wieder dazu herausfordert, Position zu beziehen.
    Wenn ich wiederkomme Marco Balzano
    Wenn ich wiederkomme (Buch)
    04.11.2021

    Die im Dunkeln sieht man nicht

    Eine Mutter verlässt ihre Familie und es fällt ihr so schwer, dass sie sich nicht mal verabschiedet. So beginnt Marc Balzanos neuester Roman; eine tragische und doch leichtgängig erzählte Geschichte, die mich nicht mehr losgelassen hat. Danielas Kinder und Mann bleiben nicht lange im Unklaren: Die Rumänin hat einen Zettel hinterlassen und meldet sich auch schon bald – aus Mailand, wo sich Daniela nun um einen Pflegebedürftigen kümmert. Win-win, könnte man meinen – sie verdient Geld, mit dem sie ihren Kindern im rumänischen Heimatdorf eine gute Ausbildung finanziert sowie den Ausbau des Eigenheims, während der alte Mann dank ihr in seiner gewohnten Umgebung bleiben kann. Aber es ist ebenfalls Lose-lose: Daniela hat nie zuvor als Pflegerin gearbeitet und auch keine Neigung zu dem Beruf. Sie ist ein anständiger Mensch und kümmert sich fast rund um die Uhr so gut um den Patienten, wie es ihr – auch psychisch – möglich ist. Ideal ist die Situation jedoch für keinen von beiden.

    Doch zunächst geht es in „Wenn ich wiederkomme“ weniger um Daniela und mehr um die Familie, die sie zurücklässt: ihren arbeitslosen Mann, ihre im Nachbarhaus wohnenden Eltern und ihre Kinder, die fast erwachsene Tochter Angelica und den zwölfjährigen Manuel. Letzterer scheint unter der Abwesenheit der Mutter am meisten zu leiden, ihre täglichen Anrufe sind kein Ersatz und halten die gegenseitige Entfremdung kaum auf. Seine schulischen Leistungen lassen nach, er zieht sich zurück. Und dann passiert etwas.

    Marc Balzano skizziert ein Modell, das in vielen europäischen Ländern gelebt wird: Die osteuropäische Pflegekraft, die als 24-Stunden-Inhouse-Hilfe im Westen ihr Geld verdient – mehr Geld, als es ihr in ihrer Heimat möglich wäre (und natürlich weniger, als eine Einheimische oder ein Einheimischer bekommen würde). Doch der Autor widmet sich auch dem in der Regel unbeachteten Thema, das dahintersteht: Wie geht es eigentlich denen, die zurückbleiben? Und denen, die irgendwann zurückkehren? In „Wenn ich wiederkomme“ habe ich zum ersten Mal von der Italienkrankheit gelesen. Danielas Auslandsjahre gehen an keinem Familienmitglied spurlos vorbei; aufzuholen sind sie erst recht nicht. Hat sich ihr Opfer gelohnt?

    Eine große Stärke dieses sehr gelungenen Romans ist, dass er keine einfachen Lösungen serviert, Haupt- und Nebenfiguren nicht in gut und böse einteilt und auch sonst nicht urteilt. Balzano bietet einen Einblick in verschiedene Schicksale und sensibilisiert für eine Thematik, über die gerne hinweggeschaut wird. Ein Roman über die fast Unsichtbaren, die in der Pflege vielerorts unersetzlich geworden sind – und über die Lücken, die sie woanders hinterlassen.
    Schweig! Judith Merchant
    Schweig! (Buch)
    28.09.2021

    Zähes Psychoduell

    Es hätte ein packendes Kammerspiel in Thrillerform werden können: Die erfolgreiche Familienmanagerin Esther besucht ihre jüngere Schwester Sue, um ihr ein Weihnachtsgeschenk vorbeizubringen. Es ist der 23. Dezember, beide haben sich in diesem Jahr noch gar nicht gesehen und hoffen, Esthers Überraschungsbesuch möglichst schnell hinter sich zu bringen. Sue erträgt die Anwesenheit ihrer Schwester kaum und diese will eigentlich sofort wieder abfahren – sobald sie sich sicher ist, dass es Sue gut geht und sie sie beruhigt alleine lassen kann. Doch dieser Eindruck stellt sich zunächst so gar nicht ein …

    Schnell wird deutlich: Zwischen den Schwestern ist viel im Argen. Wie viel, zeigt sich durch ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die Begegnung. Kleinigkeiten – die Begrüßung, das Servieren von Tee, die Einrichtung – werden abwechselnd aus beiden Blickwinkeln geschildert, und schnell wird deutlich: Esther und Sue nehmen die gleiche Situation höchst unterschiedlich wahr. Beide sind geprägt von verdrängten Erinnerungen, die durch ihr Treffen nach und nach hochkommen. Und schließlich weiß man als Leserin oder Leser kaum noch, was man glauben soll: Ist Sue labil, Esther ein Kontrollfreak, oder steckt noch etwas ganz anderes hinter ihrer toxischen Schwesternbeziehung?

    Eigentlich eine wunderbare Ausgangslage für einen Thriller, doch statt Fahrt aufzunehmen, wird dieser nach und nach zäh. Beide Schwestern sehnen das Ende ihres Wiedersehens vehement herbei, doch ihr Treffen zieht sich – und mit ihm dieses Buch. Dabei gibt es unerwartete Enthüllungen, Verwicklungen und Erkenntnisse und ich musste meinen Eindruck von beiden mehrmals korrigieren. Doch trotzdem wabert die Geschichte eher schleppend vor sich hin – vielleicht, weil das Verhalten der Schwestern in einigen Punkten so wenig nachvollziehbar bleibt. Oder, weil große Teile der Geschichte durch die unterschiedlichen Perspektiven doppelt erzählt werden und so das Tempo gedrosselt wird. Auch der finale Twist konnte das für mich nicht mehr rausreißen. Am Ende war ich froh, dieses zähe Psychoduell überstanden zu haben.
    Du hast mir gerade noch gefehlt Mhairi McFarlane
    Du hast mir gerade noch gefehlt (Buch)
    21.09.2021

    Letzte Nacht

    „Du hast mir gerade noch gefehlt“ scheint auf den ersten Blick ein typischer Mhairi-McFarlane-Roman zu sein. Schon das verspielt illustrierte Cover mit dem eher nichtssagenden Titel und dem leicht chaotischen Schriftzug fügt sich bestens in die Reihe der bisherigen sechs Romane ein. Eve Harris, die Hauptfigur, könnte auf den ersten Blick auch in jedem der anderen Bücher vorkommen: eine sympathische Single-Frau mit kleinen Unsicherheiten, die ihren Job nicht mag, ihren Kater liebt und alles für ihre Freunde tun würde. Ihre Clique besteht seit Schulzeiten aus Susie, Justin und Ed; der feste Treffpunkt der Mittdreißiger ist das Pub-Quiz, bei dem sie noch nie gewonnen haben. Und so beginnt der Roman mit einem ganz normalen Kneipenabend, bei dem dann allerdings Eds Freundin Hester die Bühne kapert und ihm einen Antrag macht. Eve, die seit Jahren heimlich in Ed verliebt ist, zieht es den Boden unter den Füßen weg – denkt sie. Doch die wahre Katastrophe steht ihr erst noch bevor.

    Ich hätte Mhairi McFarlane nicht zugetraut, dass sie einem Schicksalsschlag so viel Raum gibt, wie es in diesem Roman geschieht. Sie schildert einfühlsam und authentisch, wie eine Tragödie Eves Leben und das ihrer Freunde durcheinanderwirbelt. Wer einen Liebesroman erwartet hat, wird vielleicht irritiert sein, doch mir hat sehr gefallen, dass die Geschichte so viel mehr bietet und sich in keine Schublade stecken lässt. McFarlane beweist, dass sie neben den lustigen und romantischen Tönen auch die traurigen und verzweifelten trifft – selbst auf der Langstrecke. Sie bringt Humor und Tiefgang stimmig zusammen, und so ist „Du hast mir gerade noch gefehlt“ eine runde Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verlust und Weiterleben, die viele gute Gedanken enthält – und der ihr 08/15-Titel absolut nicht gerecht wird. Im Original heißt der Roman schmucklos „Last night“, was ich weitaus passender finde. Doch so oder so ist es der perfekte Roman, um es sich mit einer Tasse Tee (very British) auf dem Sofa gemütlich zu machen und einfach mal ein paar Stunden durchzuschmökern.
    Meine Produktempfehlungen
    • Ein ganzes halbes Jahr Ein ganzes halbes Jahr (Buch)
    • Ein ganzes halbes Jahr Thea Sharrock
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    Was fehlt dir Was fehlt dir (Buch)
    15.08.2021

    Gedankentreiben

    Was fehlt dir – diese Frage könnte die Ich-Erzählerin des gleichnamigen Romans sicher nicht so einfach beantworten. Überhaupt ist sie kein Typ für schnelle Antworten, sondern eher eine abwägende Beobachterin; eine Schriftstellerin, die sich viele Gedanken macht und dabei nachsichtig mit ihren Mitmenschen umgeht: Sie lässt ihnen ihre falschen Erinnerungen, ihre Widersprüchlichkeiten und ihre Urteile. Die Namenlose wirkt, als würde sie sich vom Leben treiben lassen. Und die Lesenden werden mitgetrieben.

    Sigrid Nunez Roman „Was fehlt dir“ besteht vor allem aus Gedanken, Erinnerungen, Bewertungen von Situationen aller möglichen Art, die oft etwas schwermütig daherkommen, mich aber doch ziemlich in ihren Bann gezogen haben. Die Autorin schreibt klug und empathisch über zwischenmenschliche Beziehungen, wobei ihre Erzählerin zu Menschen und Ereignissen generell eine gewisse Distanz wahrt. Ihrem stream of consciousness lässt sich gut folgen und sogar dem Krimi, den sie immer wieder zur Hand nimmt.
    Sehr gefallen haben mir Stil, Sprache und Gedanken. Die eigentliche Handlung, die erst im zweiten Teil wirklich beginnt, ist berührend – die Begleitung einer krebskranken Freundin durch die Ich-Erzählerin. Der sehr kurze, dritte Teil enthielt allerdings nicht das von mir erwartete Romanende – eigentlich enthält er gar kein Ende. Dass so vieles offen und unausgesprochen bleibt, hat mich ziemlich überrascht – als wären der Autorin ihre Themen auf den letzten Seiten abhandengekommen. Aber gerade dadurch lässt einen „Was fehlt dir“ nicht richtig los. Ich kann mir gut vorstellen, noch weitere Romane der New Yorkerin zu lesen.
    Löwenherzen Löwenherzen (Buch)
    11.08.2021

    Hommage an die Wildnis

    Dieses Buch ist für alle, die wissen wollen, wie es der deutschen Rangerin Gesa Neitzel nach ihrer Ausbildung im südlichen Afrika ergangen ist. Es wird jedem Spaß machen, der sich für die Tierwelt dieses Teils der Erde interessiert. Und es weckt ohne Zweifel Fernweh, mit der Autorin, ihrem Lebensgefährten Frank und Land Rover Ellie die staubigen Straßen von Botswana, Namibia und Sambia zu bereisen.

    Ungefähr drei Viertel von „Löwenherzen“ habe ich sehr gerne gelesen und auch das letzte war nicht schlecht. Während Gesa Neitzel ihre Erlebnisse in Botswana und Namibia jedoch einigermaßen chronologisch zu erzählen scheint, besteht der Sambia-Teil aus eher unzusammenhängenden Fragmenten; außerdem gibt es einen beachtlichen Zeitsprung. Neitzels Safari-Schilderungen lesen sich so anschaulich wie zuvor, dennoch fand ich es schade, wie schnell und bruchstückhaft diese letzten Kapitel abgehandelt wurden.

    Die Teile über Botswana und Namibia erinnern eher an Neitzels Erstling „Frühstück mit Elefanten“. Die Autorin hat ihren authentischen Stil beibehalten und vermittelt viel Wissen über Land und Tiere. Hier und da gibt sie Privates preis, wobei sie alles andere als eine Selbstdarstellerin ist. Ihre Liebe zur Wildnis und zur Beobachtung von Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum wird auf jeder Seite ebenso deutlich wie ihr Respekt für die Natur. Immer wieder schildert Neitzel ihre Faszination, plädiert leidenschaftlich für Umweltschutz und nimmt ihre Leserinnen und Leser mit ins Abenteuer. Entstanden ist ein würdiger Nachfolger von „Frühstück mit Elefanten“, auch wenn sich ihr erstes Buch aufgrund der Fülle an neuen Erfahrungen und Erkenntnissen und der dichteren Erzählweise noch mitreißender las.
    Meine Produktempfehlungen
    • Frühstück mit Elefanten Gesa Neitzel
      Frühstück mit Elefanten (Buch)
    Der Brand Daniela Krien
    Der Brand (Buch)
    01.08.2021

    Sommer unterm Brennglas

    Auf dem Cover dieses Romans scheint die titelgebende Feuersbrunst abgebildet zu sein. Doch von dem Brand, der am Anfang dieser Geschichte steht, wird nur telefonisch berichtet. Die 49-jährige Hauptfigur Rahel erfährt kurz vor der Abreise, dass das seit Langem für den Sommerurlaub gebuchte Quartier abgebrannt ist. Und so fahren sie und ihr Mann Peter nicht in die Alpen, sondern in die Uckermark und hüten dort den Hof von Freunden, was mehr eine Pflichtübung als die ersehnte Auszeit ist. Dabei wollten sie doch Kraft tanken und einander wieder näherkommen – letzteres hatte sich zumindest Rahel erhofft. Als dann noch ihre Tochter mit den beiden Enkelkindern bei dem Paar einfällt, scheint jegliche Entspannung in weite Ferne gerückt.

    „Der Brand“ handelt also von Familie, ist aber weit davon entfernt, eine amüsante Generationengeschichte zu sein. Und das liegt vor allem am sezierenden Stil von Autorin Daniela Krien, die unaufgeregt und schonungslos Gefühle und Situationen schildert. Dabei schafft sie es, ihre Figuren komplex zu charakterisieren, ohne sie zu bewerten oder die Sympathien klar zu verteilen. Krien ist eine dichte Erzählung gelungen, die sich aber auch durch eine überraschende Leichtigkeit auszeichnet, weil einige Themen nur angedeutet und längst nicht alle Krisen detailliert beschrieben oder gar gelöst werden. Dadurch wirkt der Roman sehr lebensnah. Sein großes Thema ist weniger die Geschichte einer Familie oder einer Ehe, sondern die Veränderung von Menschen und ihren Beziehungen im Laufe des Lebens. Die Autorin fängt beides auf eine leise, fast nebensächliche Art und Weise ein, aber ihre präzisen Beobachtungen haben mich das ein oder andere Mal kalt erwischt und einige Sätze hallen nach. Daniela Kriens Roman hinterlässt Spuren.
    Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen? Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen? (Buch)
    28.06.2021

    Kurioser Mix, wunderbar erzählt

    Dieser Titel hat mich gleich angesprochen – im wahrsten Sinne des Wortes. Und das auch noch sehr höflich: „Wie hat Ihnen das Anthropozän bisher gefallen?“ Tja, gute Frage. Laut Wikipedia (das wiederum einen Artikel aus der NZZ zitiert) ist das Anthropozän „[das Zeitalter,] in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist“. Es gibt verschiedene Ansätze, die den Beginn des Anthropozäns unterschiedlich datieren. Fest steht, dass es das einzige Zeitalter ist, das wir kennen. Aber was macht es eigentlich aus?

    John Green nähert sich dieser Frage in kurzen Kapiteln, in denen er über Dinge, Momente und Erfahrungen schreibt, die für ihn mit dem Anthropozän verbunden sind – z.B. Klimaanlagen, Diet Dr Pepper und Jerzy Dudeks sportliche Leistung am 25. Mai 2005. Ich habe Dr Pepper noch nie getrunken und Jerzy Dudek sagte mir nichts. Aber das ist völlig egal, gerade letztere Geschichte habe ich gleich zweimal gelesen, weil sie mir so gut gefallen hat (und vermutlich auch, weil gerade EM ist und es thematisch so schön passt). Viele der Kapitel beziehen sich auf die USA, da Green ein amerikanischer Autor ist – mehrere Überschriften sagten mir gar nichts. Doch das stört beim Lesen in keiner Weise, denn von diesem Autor lässt man sich einfach gerne lesend an die Hand nehmen und zu den verschiedensten Themen dieses bunten Mixes führen.

    Allerdings erzählt John Green nicht nur – er bewertet auch, nach der bewährten 5-Sterne-Skala, die wir alle aus dem Internet kennen. Sogar sein eigenes Buch ist nicht vor ihm sicher; er lässt sich kritisch über Copyrightseite, Titelseite und die Buchwerbung am Schluss aus. Ansonsten bewertet er von Kanadagänsen (zwei Sterne) über unsere Fähigkeit zu staunen (dreieinhalb Sterne) bis hin zum Halleyschen Kometen (viereinhalb Sterne) jedes Thema, das er unter die Lupe nimmt – aber erst, nachdem er es sorgsam von mehreren Seiten beleuchtet hat. Green schreibt über seine persönliche Beziehung dazu, seine Gedanken, seine Erlebnisse und reichert das Ganze mit Fakten und (zum Teil wunderbar unnützem) Wissen an. Das liest sich mal faszinierend, mal skurril, mal anrührend, macht großen Spaß und bringt gleichzeitig zum Nachdenken. Die Art, in der John Green über Emotionen schreibt, hat mich dabei an Matt Haig erinnert und mir sehr gefallen.

    Apropos: Wie hat mir das Anthropozän denn nun bis jetzt gefallen? Die Antwort auf diese Frage in eine 5-Sterne-Skala zu pressen, erscheint mir unmöglich. Aber John Greens Buch, dem gebe ich viereinhalb Sterne.
    Dein ist das Reich Dein ist das Reich (Buch)
    05.06.2021

    Auf Südsee-Mission

    „Dein ist das Reich“ – was für ein mächtiger Titel. Er scheint gleich auf Mehreres anzuspielen: auf das Gottvertrauen der Protagonisten, aber auch auf das Reich Gottes, das sie den Papua auf Neuguinea nahebringen wollen. Die Idee, in ein fremdes Land einzudringen und den Einheimischen die eigene Kultur aufzuzwingen, könnte ebenfalls mitschwingen. Denn um all das geht es in diesem Buch, in dem die Autorin Katharina Döbler ihre eigene Familiengeschichte verarbeitet.

    1913 verlassen Döblers spätere Großväter Heiner Mohr und Johann Hensolt ihre fränkische Heimat und begeben sich auf eine lange Schiffsreise – noch nicht ahnend, dass sie dadurch dem Ersten Weltkrieg entgehen werden. Die jungen Männer sind von dem lutherischen Missionswerk in Neuendettelsau entsandt und auf dem Weg nach Kaiser-Wilhelms-Land, wie die deutsche Südsee-Kolonie heißt. Johann wird dort als Missionar arbeiten und Heiner als Pflanzer für die Bewirtschaftung einer Palmenplantage verantwortlich sein. Beide sind erst Anfang zwanzig.
    Nach dem Ersten Weltkrieg wird die Kolonie australisches Mandatsgebiet, doch die deutschen Missionsabgesandten dürfen bleiben und sogar ihre Bräute aus Deutschland nachholen. Marie und Linette sind grundverschieden und lernen sich auch erst viele Jahre später kennen, da die Familien in unterschiedlichen Teilen Neuguineas leben. Doch ihre Kinder, von denen sich zwei – Döblers Eltern – nach dem Zweiten Weltkrieg verloben werden, eint die Sehnsucht nach dem inzwischen verlorenen Paradies.

    Man kann sich heute kaum vorstellen, wie es ist, die Heimat zu verlassen, um in einem Land zu leben, das man nur von ein paar Reiseberichten und Schwarzweißfotografien kennt. Und dann geht es noch nicht mal „nur“ um das Leben in der Fremde, sondern sie soll auch noch nach deutschen Vorstellungen bewirtschaftet und gestaltet werden, die indigenen Völker erzogen und missioniert. Die vier Franken glauben an ihren Auftrag, gehen mit der Herausforderung jedoch so unterschiedlich um wie mit dem später aufkeimenden Nationalsozialismus.

    Döblers Roman tastet sich behutsam an die fiktionalisierten Schicksale ihrer Großeltern heran. Immer wieder werden alte Fotos und ihre Erinnerungen an Gespräche mit Familienangehörigen beschrieben. Doch am Lebendigsten lesen sich die Geschehnisse in Neuguinea. Was Kolonialismus bedeutet, wie Mission funktioniert – oder eben auch nicht: Döbler macht diese Themen nahbar. „Dein ist das Reich“ ist keine leichte oder bequeme Kost, der koloniale Rassismus und die Verkennung der politischen Entwicklung schmerzen ab und zu richtiggehend. Die unterschiedlichen Haltungen von Linette, Johann, Marie und Heiner regen außerdem zum Nachdenken an: Welche Irrungen sind im historischen Kontext nachvollziehbar – und welche nicht? Was macht Macht mit Menschen? Eine spannende Ergänzung wäre die Sicht der Papua auf die beschriebenen Missionsabgesandten, doch diese hätte den Roman sicher gesprengt. „Dein ist das Reich“ zerrt ein Stück eher unbekannter deutscher Kolonialgeschichte ans Licht, gewährt einen vielschichtigen Zugang dazu und trägt dazu bei, es vor dem Vergessen zu bewahren.
    Jodl, A: Laudatio auf eine kaukasische Kuh Jodl, A: Laudatio auf eine kaukasische Kuh (Buch)
    06.05.2021

    Zwischen Männern und Kulturen

    „Laudatio auf eine kaukasische Kuh“ – das klingt nach einem Hohelied auf die Viehhaltung. Die Kuh spielt allerdings nur eine kleine Nebenrolle in diesem Roman. Hauptfigur ist die angehende Ärztin Olga Evgenidou, die in Bonn kurz vor dem letzten Staatsexamen steht und mit ihrem Medizinerfreund Felix van Saan glücklich zu sein scheint. Einziger Wermutstropfen: Irgendwann muss sie ihm ihre in München lebende Familie vorstellen und blickt diesem Culture Clash mit Grauen entgegen. Denn auch wenn sie schon viele Jahre in Deutschland leben, sind Olgas Eltern und Großmutter noch sehr in der griechisch-georgischen Kultur verwurzelt. Außerdem versucht ihre Mutter, Olga zu verheiraten, seit diese 15 Jahre alt ist. Natürlich weiß die Familie nichts von Felix – und natürlich hat sie sehr konkrete, eigene Vorstellungen vom zukünftigen Schwiegersohn …

    Der Spagat zwischen ihrem unabhängigen Leben und ihrer Familie verlangt Olga einiges ab und liest sich dabei oft amüsant. Doch plötzlich steht sie nicht nur zwischen zwei Kulturen, sondern auch zwei Männern. Und ab da konnte ich ihre Gefühlslagen nicht mehr so recht nachvollziehen; Felix‘ Rivale Jack Jennerwein ist nämlich zunächst vor allem eins: aufdringlich. Die Annäherungsversuche des rastlosen Lebenskünstlers gehen schon in Richtung Stalking.

    Auch mit einigen familiären Beziehungen tat ich mich schwer; Olgas Mutter ist zum Beispiel eine manipulative Drama-Queen, der die Gefühle der eigenen Tochter herzlich egal sind. Die nahbareren Charaktere bleiben eher blass. Und so konnte ich auf der zwischenmenschlichen Ebene nicht so richtig mitfühlen und mitfiebern; vermutlich fand ich die Entwicklungen deswegen auch etwas langatmig erzählt. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse dann; die schnelle Abhandlung der letzten Kapitel wurde der Geschichte und den Protagonisten in meinen Augen allerdings auch nicht gerecht.
    Etwas aufgefangen hat das der Georgien-Teil, denn im Laufe der Geschichte verschlägt es den Großteil der Protagonisten in das Herkunftsland von Olgas Eltern. Im Gegensatz zur Autorin war ich noch nie dort, aber die „Laudatio auf eine kaukasische Kuh“ macht große Lust, das zu ändern: Georgien wird als facettenreiches und gastfreundliches Land bunt und liebevoll geschildert. Der Roman vermittelt einen lebhaften ersten Eindruck von Sitten und Gebräuchen, Essen und Wein – letzterer wird mehrmals so anschaulich beschrieben, dass ich mir zur Lektüre gerne selbst ein Gläschen eingeschenkt hätte. Und so ist mein Interesse an der kaukasischen Kuh bzw. Georgien an sich doch etwas größer geblieben als das an Olgas Beziehungsleben.
    51 bis 75 von 161 Rezensionen
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