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    Webervogel Top 100 Rezensent

    Aktiv seit: 10. April 2017
    "Hilfreich"-Bewertungen: 32
    166 Rezensionen
    Trophäe

    Gaea Schoeters
    Trophäe (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    15.03.2024

    Ausnahmebuch

    Bei diesem Roman lässt sich so vieles hervorheben; zum Beispiel die präzise, elegante Sprache und die eindrückliche Darstellung von Tieren und Natur. „Trophäe“ ist dicht erzählt und konzentriert sich auf wenige Protagonisten und Handlungsschauplätze. Hauptfigur ist der amerikanische Jäger Hunter White – der Name ein Klischee, der Mann dahinter jedoch nicht zu unterschätzen. Hunter ist ein Trophäenjäger mit Ethos, zumindest stellt er sich selbst so dar und seine Perspektive ist den Leserinnen und Lesern am nächsten. Nicht zum ersten Mal ist er mit einer teuer erkauften Jagdlizenz nach Afrika gekommen, doch diese hier war vermutlich die kostspieligste: Hunter will ein Nashorn erschießen und damit die Big Five vollmachen – Löwe, Büffel, Elefant und Leopard hat er also bereits erlegt. Kein Wunder, dass er mit seinem südafrikanischen Jagdtourenorganisator schon gut befreundet ist – van Heeren weiß genau, was Hunter White will. Eine halbwegs authentische Jagderfahrung, Übernachtungen im Zelt, keinen Firlefanz. Die Tage des ausgewählten Nashorns sind gezählt, doch erstmals läuft nicht alles nach Plan und es sieht ganz so aus, als müsste Hunter mit leeren Händen zurückreisen. Doch dann erzählt ihm van Heeren von den Big Six und plötzlich erscheinen alle moralischen und ethischen Fragen, mit denen Gaea Schoeters ihre Leser*innen bis dahin konfrontiert hat, wie leichte Aufwärmübungen …

    Die flämische Autorin geht von Anfang an in die Vollen. Hunter Whites Respekt vor der Beute hat mir beim Lesen durchaus welchen abgenötigt, seine Argumentation, warum Trophäenjagd Artenschutz bedeutet, klingt erschreckend logisch. Nebenbei lässt Gaea Schoeters ihren passionierten Jäger immer wieder Erfahrungen machen, die ihm zeigen: Westliche Wertevorstellungen muss man sich erstmal leisten können. Vom amerikanischen oder auch deutschen Sofa aus mag Gut und Böse klar trennbar sein, in Afrika stellt sich aber einiges anders dar. Darf man urteilen, wenn man die Komplexität von Situationen interkulturell gar nicht erfassen kann? Und als sie mich als Leserin endlich soweit hatte, dass ich alte Gewissheiten mit neuer Demut in Frage stellte, trieb es die Autorin erbarmungslos auf die Spitze. Ein verstörender Roman, der fasziniert, herausfordert und erschreckt. Ungewöhnlich und absolut lesenswert.
    Arctic Mirage

    Terhi Kokkonen
    Arctic Mirage (Buch)

    3 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern Inaktiver Stern
    18.02.2024

    Nachlassende Sogwirkung

    Das Cover dieses Buchs wirkt sanft, fast verträumt. Eine Frauengestalt, klein in einer riesigen Schneelandschaft, im Hintergrund dunkle Berge und ein pastellfarbener Himmel. Terhis Kokkonens Roman ist allerdings eher das Gegenteil von sanft und verträumt; schon der kurze Prolog ist brutal, scheint außerdem das Ende vorwegzunehmen und lässt Leserinnen und Leser mit vielen Fragezeichen zurück.

    Das titelgebende „Arctic Mirage“ ist ein Luxushotel in Lappland, in dem die Protagonisten Karo und Risto unfreiwillig landen. Eigentlich waren sie am Ende ihres Urlaubs schon auf dem Weg zum Flughafen, hatten dann jedoch einen Autounfall. Ins Krankenhaus muss das mittelalte Pärchen nicht, doch der sie untersuchende Arzt empfiehlt, eine Nacht vor Ort zu bleiben, die Hotelangestellte insistiert, dass ein Aufenthalt von zwei Nächten das Minimum ist und schlussendlich verbringen die beiden doch mehrere Tage im Arctic Mirage. Doch wirklich erholsam ist der Aufenthalt nicht – irgendwas liegt in der Luft, die Nerven sind angespannt, die Stimmung brüchig. Und die Situation spitzt sich zu …

    Der mit 192 Seiten eher kurze Roman entwickelt in den ersten zwei Dritteln eine ziemliche Sogwirkung – obwohl gar nicht so viel passiert. Es gibt kleine Rückblicke, mehrere Nebenfiguren werden eingeführt, Karo und Risto scheinen in der Luxusanlage eher so vor sich hinzudümpeln. Trotzdem mochte ich das Buch nicht aus der Hand legen und wollte gerne ergründen, was da eigentlich vor sich geht. Doch das änderte sich irgendwann. Tatsächlich war es zunächst wohl einfach ein Nebenschauplatz zu viel, der mich nicht interessierte und auch im Nachhinein keine Relevanz für die Geschichte hatte. Dadurch, dass einigen Randfiguren relativ viele Seiten eingeräumt werden, hatte ich von ihnen vermutlich mehr erwartet. Außerdem hat mich die Tristesse irgendwann ermüdet – so unterschiedlich die Protagonisten dieses Buches sein mögen, niemand ist sympathisch, niemand scheint mit seinem Leben im Reinen. Wobei die Autorin dazu kein Wort zu viel verliert. Zum Teil bestätigt „Arctic Mirage“ die Klischees, die einem bei einem in Finnland spielenden Roman in den Sinn kommen: depressive, wortkarge Figuren, Einsamkeit und Kälte. Das Ende hat zwar manches aufgeklärt, mich aber auch deprimiert. Richtig rund ist dieses Buch auch im Rückblick nicht.
    Schneesturm

    Schneesturm (Buch)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    02.02.2024

    Gute Spannungsunterhaltung trotz Logikschwächen

    Thriller, in denen ein Mord passiert, wenn eine Gruppe von Menschen entweder geplant oder ungewollt von der Außenwelt abgeschnitten ist, gibt es viele. Sehr viele. Da es unendliche Möglichkeiten gibt, diese Ausgangssituation auszugestalten, ist das aber kein Problem. Tríona Walsh hat sie auf die abgelegene irische Insel Inishmore verlagert, auf der immerhin über 900 Leute leben. Die Clique, die sich nach zehn Jahren dort wiedersieht, ist also nicht wirklich unter sich. Das Cover grenzt die Identität des Mörders/der Mörderin allerdings trotzdem schon stark ein – wer es schafft, sollte also am besten drauflos lesen und sich das Buch nicht zu genau angucken. Ganz interessant ist allerdings die Karte in der hinteren Umschlagklappe – die hätte ich wiederum fast übersehen.

    Hauptfigur Cara ist die (einzige) Inselpolizistin auf Inishmore und verwitwete Mutter von zwei Kindern. Nachdem ihr Mann Cillian bei einem tragischen Unglück vor 10 Jahren gestorben ist, hat sich die Clique um die beiden zerstreut – nur drei der Freunde wohnen noch auf der Insel, zwei leben in London und Cillians Bruder Seamus hat sogar in den USA Karriere gemacht. Doch zu diesem traurigen Jubiläum treffen sie sich zwischen den Jahren in Cillians‘ und Seamus‘ verwaistem Elternhaus. Draußen tobt ein Schneesturm, doch richtig kuschlig wird es drinnen auch nicht. Nähe und Vertrautheit lassen sich nicht auf Knopfdruck wieder herstellen – vor allem nicht, wenn mehrere Anwesende Geheimnisse hüten …

    Das Cover von „Schneesturm“ wirkt durch die Farbgebung und die hinter den Bergen verschwindende Schrift ziemlich bedrohlich (der orange Farbschnitt passt perfekt dazu und ist ein toller Hingucker!). Der Thriller selbst kann da nicht ganz mithalten – tatsächlich geht „Schneesturm“ vielleicht eher in Richtung Krimi; ganz am Ende kam es sogar zu einer Situation, bei der ich an Hercule Poirot denken musste. Zweifellos gibt es spannende Passagen, aber atemlos mitgefiebert habe ich nicht. Teilweise verfranst sich die Geschichte auch etwas, doch am Ende schafft es Tríona Walsh erstaunlich gut, die losen Enden wieder zusammenzuführen. Bei näherem Nachdenken erschien mir längst nicht alles so richtig logisch, gut unterhalten habe ich mich jedoch trotzdem gefühlt.
    Ford, O: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn

    Ford, O: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn (Buch)

    3 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern Inaktiver Stern
    09.01.2024

    Vorhersehbarer Wohlfühlroman

    Das Cover dieses Romans macht nicht nur Lust auf Schokoladenkuchen, es passt auch perfekt zum Inhalt. Hauptfigur von „Der späte Ruhm der Mrs. Quinn“ ist eine 77-jährige Hobbybäckerin, wobei dieses Wort ihrer Leidenschaft kaum gerecht wird: Jenny Quinn backt täglich, für Freunde, Nachbarn und ihren Ehemann Bernard, hütet Familienrezepte ihrer Eltern und früherer Generationen und findet ihre Erfüllung darin. Passenderweise ist jedes Kapitel mit dem Namen einer darin vorkommenden Kreation überschrieben, von Brandy Snaps bis Yorkshire-Kuchen mit Trockenfrüchten. Viele der Backwaren sagten mir nichts, oft habe ich mir Bilder gewünscht – oder zumindest das ein oder andere Rezept am Buchende. Leider wurde hier nichts aufgenommen.

    Auch in Jenny Quinns Lieblingsfernsehsendung geht es um das Thema Backen. Sie verpasst keine Folge von „Das Backduell – Backen auf der Insel“ und sieht schließlich einen Aufruf, dass neue Kandidat*innen für die Sendung gesucht werden. Mrs. Quinn kann sich nicht vorstellen, tatsächlich in eine Fernsehsendung eingeladen zu werden – ist sie nicht zu alt oder überhaupt gut genug? Doch die Sehnsucht ist geweckt und sie bewirbt sich; ohne Bernard, mit dem sie seit 59 Jahren glücklich verheiratet ist, etwas zu verraten. Denn vermutlich klappt es ja eh nicht – diese Begründung fand ich allerdings etwas dürftig, nachdem Bernard als herzensguter, sie immer unterstützender Ehemann geschildert wird. Leserinnen und Leser ahnen natürlich schon, dass Jenny Quinn Teilnehmerin des Backduells wird. Die Szenen rund um die Fernsehproduktion habe ich dann auch am liebsten gelesen.

    Es gibt allerdings auch immer wieder Einschübe aus der Vergangenheit, die Mrs. Quinns Leben nacherzählen und schließlich ein großes, lange zurückreichendes Geheimnis lüften. Auch hier lässt sich bald erahnen, worum es sich handelt. Und das hat mich an „Der späte Ruhm der Mrs. Quinn“ generell gestört: Der Roman ist ziemlich vorhersehbar. Die Geschichte plätschert relativ glatt vor sich hin, kein Charakter schert aus der Rolle, alle benehmen sich so, wie man es von ihnen erwarten würde, keine Brüche, kaum Unvorhersehbares. Dabei hätten mehrere Figuren das Potential gehabt, neue Facetten oder etwas mehr Tiefgang hineinzubringen, sie bleiben aber stattdessen etwas eindimensionale, farblose Komparsen. Bernard ist liebend und verständnisvoll, die Großnichte einfach niedlich, Jennys junger Konkurrent Azeez ein richtiger Schatz und die Producerin Carys ihr größter Fan. Ich habe gar nichts gegen Wohlfühlromane, aber von dem hier hatte ich mir doch etwas mehr versprochen. Das Potential wäre durchaus dagewesen, es hätte einfach ein paar Ecken und Kanten gebraucht.
    Väter sind was Wunderbares, das muss man den Müttern nur immer wieder sagen

    Alexander Bayer
    Väter sind was Wunderbares, das muss man den Müttern nur immer wieder sagen (Buch)

    3 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern Inaktiver Stern
    18.11.2023

    Aus dem Leben eines Dreifachvaters

    Humor ist bekanntermaßen Geschmackssache und Alexander Bayers und meine Wellenlängen kreuzen sich leider nur gelegentlich. Sein „Insiderbericht von der Windelfront“ deckt von der Verkündung der Schwangerschaft bis hin zum Leben mit Schulkind alle möglichen Themenbereiche rund ums Familienleben ab. Über Geburtsvorbereitungskurse etc. hatte ich vielleicht einfach schon zu viele Kalauer gehört; die ersten Kapitel waren nicht so meins. Dann wurde es stellenweise viel besser; insbesondere die Passagen mit längeren Dialogen zwischen Vater und Kindern haben mir gefallen; schnelle Wortwechsel, viel Situationskomik und Mitgefühl für den Vater habe ich auch bekommen. Oft blieb mir Bayers Humor aber zu übertrieben. Vielleicht ist das Buch eher für Väter als für Mütter?
    Weihnachtszeit! Bald ist's so weit

    Annette Moser
    Weihnachtszeit! Bald ist's so weit (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    03.11.2023

    Niedliches Weihnachtsbilderbuch für kleine Entdecker

    Dieses sehr süße Pappbilderbuch ist großformatig und enthält auf sechs Doppelseiten mehr als 30 Klappen – wow! Man entdeckt gar nicht alle auf den ersten Blick, weil sie sich auf jeder Seite an unterschiedlichen Stellen verstecken, teils sehr groß und teils klein sind. Jede Doppelseite ist einem Tier oder einer Tierfamilie und ihren Weihnachtsvorbereitungen gewidmet und immer fehlt irgendwas, was kleine Leserinnen und Leser hinter einigen der Klappen für die Tiere wiederfinden können. Auf der letzten Doppelseite versammeln sich dann alle Tiere mit vielen (aufklappbaren) Geschenken unterm leuchtenden Tannenbaum – und wer aufgepasst hat, kann zuordnen, welches Tier sich über welches Präsent freuen darf. Die singende Eule hat sich z.B. eine Flöte gewünscht, Doro Dachs ist begeisterte Handwerkerin …

    Die Texte sind nicht zu lang und gut verständlich und die Illustrationen liebevoll und detailliert. Auch wenn es kein Wimmelbuch ist, gibt es viele Kleinigkeiten zu entdecken, so dass auch mehrmaliges Anschauen absolut nicht langweilig wird. Trotzdem werden Kleinkinder nicht überfordert – Spaß an den Klappen kann man sogar schon mit unter zwei Jahren haben; Texte und Bildersuche sind dann für etwas Ältere. Mit ihnen kann man spielerisch darüber ins Gespräch kommen, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, Dinge wiederzufinden, die man verlegt hat und was zur Weihnachtszeit alles dazu gehört.
    Eigentum

    Wolf Haas
    Eigentum (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    09.10.2023

    Hommage

    Der österreichische Autor Wolf Haas erzählt in „Eigentum“ von seiner fast 95-jährigen Mutter. Er schildert die Gespräche mit der Hochbetagten an ihren letzten Lebenstagen im Altenheim, gibt ihre Erinnerungen wieder und lässt seinen Gedanken freien Lauf. Diese springen zwischen der Situation, der Vergangenheit, einer anstehenden Poetikvorlesung und der zu planenden Beerdigung hin und her. Das Ganze liest sich keineswegs schwermütig, sondern ist eine feine Mischung nüchterner, anrührender und skurriler Betrachtungen – und eine Hommage an die Mutter.

    Marianne Haas war offensichtlich kein einfacher Charakter und tickte ganz anders als der Autor selbst. Man war sich vermutlich fern, fremd und nah zugleich, wie das nur in engen familiären Beziehungen der Fall sein kann. 1923 in ärmlichen Verhältnissen geboren, hatte die Frau ein oft hartes und karges Leben und immer ein Ziel vor Augen, das der Autor auch als Titel seines Romans gewählt hat: Eigentum. Doch Marianne Haas konnte nie Eigentum erwerben, trotz „sparen, sparen, sparen“ (sie war eine Liebhaberin von dreifachen Wortwiederholungen). Die notwendige Anzahlung wurde immer erhöht, wenn das Sparziel in greifbarer Nähe schien, Inflation entwertete das Geld – im Jahr der Hyperinflation geboren, scheint sich dieses Motiv durch ihr Leben zu ziehen. Erst als ihr Mann beerdigt und auf dem Friedhofskreuz auch bereits ihr Name verewigt ist, ist dem Gefühl nach eigener Grund und Boden da – wenn auch anders als vom Leben erhofft.

    Wolf Haas lässt seine Mutter selbst zu Wort kommen, wenn es um ihre Lebenserinnerungen geht. Familiengeschichte, Servierkurs, Arbeit im Grandhotel, Kriegserinnerungen werden aus ihrer Perspektive und in einem ihr eigenen, unemotionalen Erzählstil geschildert. Dazwischen hängt der Sohn seinen Gedanken nach. „Eigentum“ ist ein schmales Büchlein von 157 Seiten mit keinerlei Längen. Es betrachtet ein Leben und das Leben äußerst kurzweilig, liest sich mal tragisch, mal amüsant und hat mich so manches Mal wegen einer knapp geäußerten Lebensweisheit, einer scharfsinnigen Betrachtung, eines bittersüßen Einschubs oder ein paar unerwarteten Humorfunken innehalten lassen. Ein gutes Buch, eine gelungene Hommage. Lesen, lesen, lesen.
    Meine Produktempfehlungen
    • Das glückliche Geheimnis Arno Geiger
      Das glückliche Geheimnis (Buch)
    Die Affäre Alaska Sanders

    Die Affäre Alaska Sanders (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    19.07.2023

    Wiedersehen mit Marcus Goldman

    Ich habe fast alle Romane von Joël Dicker gelesen – ach was, verschlungen; er ist einer der wenigen Autoren, dessen Hardcover ich mir sogar ohne Kenntnis der Inhaltsangabe kaufen würde. Sein neuestes Buch „Die Affäre Alaska Sanders“ ist die dritte Begegnung mit seinem Ich-Erzähler Marcus Goldman, auf die ich mich sehr gefreut habe. Als einziges bedauert habe ich bei der Lektüre, dass es schon eine ganze Weile (achteinhalb Jahre?) her ist, dass ich „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ gelesen habe – die Bezüge in „Die Affäre Alaska Sanders“ sind zahlreich, die Protagonisten zum Teil die gleichen und ich konnte mich an viele leider nur noch rudimentär erinnern. Dicker-Fans, die mehr Lesezeit als ich haben, würde ich daher empfehlen, den Marcus-Goldman-Erstling nochmal zu lesen. Man kann „Die Affäre Alaska Sanders“ aber auch sonst sehr genießen, und genau das habe ich getan.

    Die titelgebende Alaska Sanders – 22 Jahre alt, bildhübsch, zielstrebig und immer freundlich – wird Anfang April 1999 in der Nähe der Kleinstand Mount Pleasant, New Hampshire, ermordet. Der Fall kann postwendend gelöst werden: Ihr Ex Walter gesteht nach seiner Festnahme den Mord und begeht noch auf der Polizeistation Suizid. Seinen besten Freund Eric hat er vorher als Mittäter verraten, worauf dieser zu lebenslanger Haft verurteilt wird.
    Das alles ist elf Jahre her, als der Schriftsteller Marcus Goldman, beruflich erfolgreich, privat etwas verloren, durch seinen alten Bekannten Sergeant Perry Gahalowood auf den Fall stößt. Gahalowood war damals an den Ermittlungen beteiligt und bekommt nun den Hinweis, dass etwas faul ist. (Das ist die Kurzversion – hierbei spielen eine private Tragödie, Irrungen und Umwege eine Rolle, die fast eine eigene Geschichte in der Geschichte sind – typischer Dicker-Stil eben.) Und so ermitteln der Sergeant und der Schriftsteller wieder. Marcus Goldman versucht außerdem, seinen früheren Mentor Harry Quebert ausfindig zu machen, kommt dabei aber genauso wenig voran wie in der Affäre Alaska Sanders.

    Der Roman hat 592 Seiten und dabei keinerlei Längen. Er wird zum Teil in Rückblenden und aus verschiedenen Perspektiven erzählt und hat mich nicht losgelassen. Auch wenn ein Mord im Zentrum steht, ist „Die Affäre Alaska Sanders“ von einem herkömmlichen Krimi weit entfernt mit den vielen Schleifen, die Dicker erzählt. Trotzdem ist der Roman spannend und hat mich keine Sekunde gelangweilt. Joël Dickers Erzählkunst begeistert mich einfach und ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen mit Marcus Goldman und Sergeant Gahalowood – das gelungene Ende macht Hoffnung, dass irgendwann vom Mordfall Gaby Robinson erzählt werden wird. Darauf freue ich mich jetzt schon!
    Meine Produktempfehlungen
    • Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Joël Dicker
      Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert (Buch)
    • Die Geschichte der Baltimores Joël Dicker
      Die Geschichte der Baltimores (Buch)
    Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden

    Chelsea Conaboy
    Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden (Buch)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    04.07.2023

    Mutter werden ist nicht schwer ...

    Na ja, eigentlich doch. Wege zur Schwangerschaft verlaufen sehr unterschiedlich und können durchaus steinig sein, ebenso wie die Zeit, die das Austragen eines Babys dauert. Doch auch das Muttersein ist kein Spaziergang, zumindest kein Selbstläufer.

    Die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Chelsea Conaboy räumt mit einem Irrglauben auf, der seit langer Zeit tief im Menschen verwurzelt ist: dem der unfehlbaren Mutter, die bei der Geburt gleichermaßen mit Mutterinstinkt, intuitivem Wissen und grenzenloser Liebe beschenkt wird und ab da eine mehr oder weniger perfekte Vollblutmama ohne größere eigene Bedürfnisse ist. „Dieses Narrativ hat mit der Erfahrung erster Mutterschaft ungefähr ebenso viel zu tun wie die Märchenprinz-Geschichten von Disney mit der heutigen Dating-Welt“ ist einer meiner Lieblingssätze aus ihrem pointierten Sachbuch „Mutterhirn“.
    Die Lektüre ist einerseits entlastend, weil sie der Tatsache nachgeht, dass Mutterwerdung trotz aller Hormone ein Prozess mit Höhen und Tiefen ist. Gleichzeitig zeigt Conaboy auf, dass das Gehirn durch Mutterschaft durchaus große und unwiderrufliche Veränderungen erfährt. Dabei ist weniger entscheidend, dass man ein Kind geboren hat, sondern dass man es als eine Hauptbezugsperson aufzieht. Wer seine eigenen Bedürfnisse konstant hintenanstellt, um sich um einen kleinen Menschen zu kümmern, verändert sich. Conaboy geht sowohl auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse ein als auch darauf, dass diese Veränderungen einem Angst machen können, z.B. in Form von Sorgen, die man sich plötzlich macht. Sie schreibt von Schuldgefühlen, die entstehen können, weil man nicht wie erwartet funktioniert und erläutert, wie Geschichte, Politik und Gesellschaft das Mutterbild geformt haben. Dabei bringt sie viele Beispiele, die „Mutterhirn“ zu einer lebendigen Lektüre machen, mich aber gleichzeitig öfters zu Lesepausen verleitet haben: Zu viel mit den Sorgen, Ängsten und Komplexen anderer Mütter wollte ich mich dann doch nicht beschäftigen. Dennoch ein sehr interessantes Buch über ein wenig erforschtes Themenfeld, das von Idealvorstellungen befreit und mehr Platz für wissenschaftliche Realität schafft.
    Wenn Worte töten

    Anthony Horowitz
    Wenn Worte töten (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    16.05.2023

    Kurios, intelligent und unvorhersehbar

    Der britische Autor Anthony Horowitz schreibt eine Krimireihe, in der der britische Autor Anthony Horowitz der Ich-Erzähler ist – schon das ist so kurios, dass es mich sehr neugierig gemacht hat. Ich habe allerdings erst durch den dritten Band davon erfahren und kann nun aus eigener Erfahrung sagen, dass man diesen unabhängig von den Vorgängerbüchern lesen kann, das aber so viel Spaß macht, dass man sich Band eins und zwei nach der Lektüre eh besorgen will.

    In „Wenn Worte töten“ ist Hauptfigur Anthony Horowitz zu einem neuen, kleinen Literaturfestival auf der Kanalinsel Alderney eingeladen – zusammen mit Privatermittler Daniel Hawthorne, der ihn beauftragt hat, als Biograf über ihn zu schreiben. Obwohl die beiden schon eine längere Arbeitsbeziehung hinter sich haben, ist keine größere Vertrautheit oder gar Freundschaft bemerkbar. Horowitz ist allerdings sehr zufrieden, dass er diesmal nicht den Detektiv begleitet, sondern ein Heimspiel hat – mit Literaturfestivals kennt er sich aus, für Hawthorne sind sie unbekanntes Terrain. Als jedoch der Sponsor des Summer Festivals ermordet wird, ändert sich das schlagartig. Hawthorne hört sich um, scheint nebenbei jedoch auch noch eine ganz eigene Agenda zu verfolgen. Horowitz dagegen stellt wilde Überlegungen in alle Richtungen an und findet dabei vieles verdächtig, was mir als Leserin auch aufgefallen war. Überflüssig zu erwähnen, dass wir beide oft der gleichen falschen Fährte folgten.

    Mir hat „Wenn Worte töten“ großen Spaß gemacht – die Selbstironie des Autors, der sich selbst als etwas tapsige, nur mittelmäßig erfolgreiche Hauptfigur eingesetzt hat, die Darstellung der anderen Schriftsteller und des Literaturbetriebs und letztendlich natürlich auch der Fall. Leicht irritiert hat mich nur, dass Hawthorne Horowitz beständig „Sportsfreund“ nennt. Ich musste jedes Mal an einen älteren Landadeligen denken, dabei ist der Privatermittler erst 39 Jahre alt und der Krimi spielt in der Gegenwart – dieser antiquierte Ausdruck passt da einfach nicht. Das englische „Pal“, was hier vermutlich übersetzt wurde, klingt in der Originalausgabe sicherlich geläufiger. Abgesehen von dieser Kleinigkeit liest sich „Wenn Worte töten“ wunderbar und ist ein intelligenter, literarischer Krimi mit unvorhersehbaren Wendungen.
    Reider, K: Bildergeschichten zum Mitmachen: Hier kommt Finni

    Reider, K: Bildergeschichten zum Mitmachen: Hier kommt Finni (Buch)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    27.03.2023

    Alltagsabenteuer niedlich erzählt

    Mit Finni Fuchs werden sich kleine Buchangucker wunderbar identifizieren können: Morgens ist das fröhliche Fuchskind noch vor seinen Eltern wach und sorgt dafür, dass das nicht lange so bleibt. Finni und sein Papa machen dann das Frühstück und dann geht’s für Finni auch schon in den Kindergarten. In der darauffolgenden Geschichte wird eingekauft, danach backen Finni und seine Mama einen Kuchen, weil Oma und Opa zu Besuch kommen. Und in der letzten Kurzgeschichte ist es dann auch schon Zeit, schlafen zu gehen.

    Alle Alltagssituationen sind liebevoll und detailreich illustriert. Besonders die Mimik des kleinen Fuchses ist äußerst niedlich. Ab und zu gibt es Fragen zu den Bildern, wenn Finni beispielsweise seine Lieblingstasse vermisst. So lässt sich beim Vorlesen gleich ins Gespräch kommen. Erzählt werden Finnis Erlebnisse mit einem Augenzwinkern und amüsieren so auch größere Leserinnen und Leser – wenn Finni z.B. seinem Vater beim Einkaufstaschen tragen hilft, der Vater aber wiederum Finni tragen muss.

    Ob es die Finni-Anziehfigur mit drei verschiedenen Outfits am Ende wirklich gebraucht hätte, weiß ich nicht, aber auch diese ist auf jeden Fall niedlich. Ein schönes Vorlesebuch für die Kleinsten, um sich über Finnis und den eigenen Alltag zu unterhalten.
    Reider, K: Bildergeschichten zum Mitmachen: Hier kommt Finni

    Reider, K: Bildergeschichten zum Mitmachen: Hier kommt Finni (Buch)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    27.03.2023

    Alltagsabenteuer niedlich erzählt

    Mit Finni Fuchs werden sich kleine Buchangucker wunderbar identifizieren können: Morgens ist das fröhliche Fuchskind noch vor seinen Eltern wach und sorgt dafür, dass das nicht lange so bleibt. Finni und sein Papa machen dann das Frühstück und dann geht’s für Finni auch schon in den Kindergarten. In der darauffolgenden Geschichte wird eingekauft, danach backen Finni und seine Mama einen Kuchen, weil Oma und Opa zu Besuch kommen. Und in der letzten Kurzgeschichte ist es dann auch schon Zeit, schlafen zu gehen.

    Alle Alltagssituationen sind liebevoll und detailreich illustriert. Besonders die Mimik des kleinen Fuchses ist äußerst niedlich. Ab und zu gibt es Fragen zu den Bildern, wenn Finni beispielsweise seine Lieblingstasse vermisst. So lässt sich beim Vorlesen gleich ins Gespräch kommen. Erzählt werden Finnis Erlebnisse mit einem Augenzwinkern und amüsieren so auch größere Leserinnen und Leser – wenn Finni z.B. seinem Vater beim Einkaufstaschen tragen hilft, der Vater aber wiederum Finni tragen muss.

    Ob es die Finni-Anziehfigur mit drei verschiedenen Outfits am Ende wirklich gebraucht hätte, weiß ich nicht, aber auch diese ist auf jeden Fall niedlich. Ein schönes Vorlesebuch für die Kleinsten, um sich über Finnis und den eigenen Alltag zu unterhalten.
    Das glückliche Geheimnis

    Arno Geiger
    Das glückliche Geheimnis (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    12.03.2023

    Skurril, originell, authentisch

    Manche Rezensent*innen erwähnen zuerst die Sprache, wenn sie über ihre Lektüren reden. Ich bin dagegen „Team Inhalt“ – wenn mich die Geschichte nicht packt, können Stil und Sprache für mich auch nichts mehr retten. Dachte ich bisher, aber was Arno Geiger angeht, würde ich wohl eine Ausnahme machen. Seine Sätze sind so elegant, klar und prägnant, dass ich immer wieder das Bedürfnis hatte, sie zu markieren (was ich mir allerdings verkniffen habe und was bei der Fülle von schönen Sätzen auch wenig Sinn machen würde).

    Und der Inhalt? „Das glückliche Geheimnis“ handelt vom Doppelleben von Arno Geiger, der 2005 den ersten Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Schriftstellerisch tätig war er zu diesem Zeitpunkt schon seit vielen Jahren. Dass er außerdem noch einer anderen Tätigkeit regelmäßig nachging, verheimlichte er jedoch bis jetzt erfolgreich: Arno Geiger hat jahrzehntelang containert. Und zwar speziell in Wiener Papiercontainern. Seine Runden hat er systematisch bei Wind und Wetter am frühen Morgen gedreht und dabei Bücher, Briefe, Fotos gefunden – und vieles mehr, oftmals nichts davon von Wert oder Bedeutung. Es waren aber auch immer wieder alte oder seltene Ausgaben dabei, die er zu Geld machen konnte und die an der Finanzierung seines Schriftstellerlebens grundlegenden Anteil hatten. Und Briefsammlungen, die Einblicke in Seelenleben gaben, die ihm sonst verwehrt geblieben wären. Eindrucksvoll beschreibt Geiger, wie er Briefwechsel so lange seziert hat, bis quasi nichts mehr vom Original übrig war – und wie er die so herausgearbeitete Essenz dann wieder in seine Bücher einfließen lassen konnte. Generell fand ich diese Passagen am stärksten, in denen der Autor über den Schreibprozess oder auch den Literaturbetrieb an sich berichtet. Die Beziehung zu seinen Eltern nimmt keinen größeren Raum an, liest sich aber anrührend, zumal einem Geigers Vater aus seinem Buch „Der alte König in seinem Exil“ bereits bekannt ist. Weniger interessiert haben mich Geigers Liebesbeziehungen und die für meinen Geschmack etwas zu ausführlich beschriebenen, mit ihnen verbundenen Irrungen und Wirrungen, aber vermutlich waren sie in den jeweiligen Phasen seines Lebens so wichtig und prägend, dass er sie auch nicht weglassen konnte.

    „Das glückliche Geheimnis“ ist ein besonderes Buch; mir fällt nichts Vergleichbares ein. Dass der Autor sein lange gehütetes Doppelleben hier enthüllt, hat auch mich tatsächlich ein bisschen glücklich gemacht – er verdeutlicht originell und authentisch, wie Schein und Sein auseinanderklaffen können. Und dass das nicht das Schlechteste ist, wenn man etwas hat, was einen erdet – selbst wenn es ein skurriles, geheimes Hobby ist. Sein glückliches Geheimnis hat Arno Geigers Leben bereichert; wie schön, dass er es jetzt teilt.
    Fang jetzt bloß nicht an zu lieben

    Mhairi McFarlane
    Fang jetzt bloß nicht an zu lieben (Buch)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    22.12.2022

    RomCom mit Humor und Tiefgang

    Mhairi McFarlane schreibt romantische Komödien, die sich durch Humor und Tiefgang auszeichnen – jeweils in einem für dieses Genre ungewöhnlichen Maße. 08/15-„Girl Meets Boy“-Geschichten sind nicht ihr Ding, auch wenn Titel und Cover ihres neuesten Romans genau das nahelegen. Schade – ihren bisherigen Büchern hatte der Knaur Verlag einen verspielteren, originelleren Look verpasst. Dass bei „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ auch noch eine brünette Frau das Cover dominiert, nachdem schon auf den ersten Seiten die dicken blonden Haare der Hauptfigur eingehend beschrieben werden, lässt mir die Gestaltung etwas lieblos erscheinen.

    Der Inhalt hat mich dagegen wieder mal gepackt. Mhairi McFarlanes Protagonistin Harriet ist passionierte Hochzeitsfotografin und mit dem wohlhabenden Jon liiert, der sie vergöttert. Dass er ihr am Hochzeitstag seiner Eltern vor der versammelten Familie einen Heiratsantrag macht, ist allerdings etwas voreilig. Bald darauf sucht Harriet eine neue Bleibe und wird eher zufällig die Mitbewohnerin von Cal, der vom Bund fürs Leben ebenso wenig zu halten scheint wie sie selbst. Als sie dann auch noch ihren Ex-Freund Scott wiedertrifft, ist das Chaos in Harriets Leben perfekt.

    „Gaslighting“ war mir bisher nur vage ein Begriff, den Mhairi McFarlane jetzt mit viel Leben gefüllt hat: Es ist eins der zentralen Themen ihres Buches und mag Leser*innen überraschen, die in erster Linie eine Liebesgeschichte erwarten. Hier geht es eher um eine Mittdreißigerin, die ein paar unbequeme Entscheidungen treffen muss, um sich selbst treu zu bleiben. Die Spezialität von McFarlane sind extrem sympathische Hauptfiguren mit Schrammen, Ecken und Kanten. Und so ist mir „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ nahegegangen, hat mich zum Mitleiden und -lachen gebracht. Ein Pageturner, der viel facettenreicher ist, als sein Cover glauben machen will.
    Stachlige Eltern und Schwiegereltern

    Jörg Berger
    Stachlige Eltern und Schwiegereltern (Buch)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    16.11.2022

    Wertvolle Hilfestellung

    Zwischenmenschliche Beziehungen können so ihre Fallstricke haben – vor allem die, die man sich nicht aussucht und die trotzdem eng sind bzw. zumindest den Anspruch haben, eng zu sein. Der Psychotherapeut Jörg Berger hat ein Buch geschrieben, das dabei unterstützt, Konflikte mit Eltern und Schwiegereltern zu entschärfen. Sein Ansatz hat mir gefallen: Er erkennt an, dass diese Beziehungen höchst kompliziert, emotional aufgeladen und manchmal sogar schwer erträglich sein können und bietet Hilfestellungen, um sie bewusst anders zu gestalten. Nun gehören zur Gestaltung einer Beziehung eigentlich zwei; Berger zeigt allerdings, dass auch durch eine einseitige Veränderung vieles verbessert werden kann. Der Autor gibt seinen Leser*innen Werkzeug in die Hand, das ermöglicht, selbst auf Behandlung von oben herab auf Augenhöhe zu reagieren. Er ermächtigt erwachsene Kinder und Schwiegerkinder, der anderen Seite den Wind aus den Segeln zu nehmen und zeigt Wege auf, aus alten Verhaltensmustern auszubrechen. Einen seiner Tipps konnte ich bereits anwenden und war sehr zufrieden mit dem Ergebnis: Mir ging es besser und die Gegenseite war zwar verwundert, aber nicht verletzt. Berger geht davon aus, dass seine Leser*innen die Beziehung zu Eltern und Schwiegereltern nicht eskalieren lassen, sondern verbessern möchten, und bietet in erster Linie Kommunikationsstrategien für verschiedene (Schwieger-)Elterntypen. Was alle eint: Sie nehmen den schwierigen Gesprächspartner bzw. die schwierige Gesprächspartnerin an, zeigen aber gleichzeitig Grenzen auf, ohne komplett vor den Kopf zu stoßen.

    „Stachlige Eltern und Schwiegereltern“ ist kein Buch, um es in einem Rutsch durchzulesen – zumindest habe ich das nicht getan. Durch Bergers anschauliche Beispiele lässt sich schnell eingrenzen, zu welchem Typus die eigenen Altvorderen gehören; die jeweils relevanten Stellen lassen sich also gut rausfiltern. Die vom Autor geschilderten Situationen zeigen dann, wie mit verschiedenen Situationen umgegangen werden kann. Mir hat das geholfen und ich kann dieses Buch empfehlen.
    Freiheitsgeld

    Andreas Eschbach
    Freiheitsgeld (Buch)

    3 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern Inaktiver Stern
    23.10.2022

    Abzug in der B-Note

    Bedingungsloses Grundeinkommen, Neubauten aus dem 3-D-Drucker, großflächige Naturschutzzonen überall in Deutschland - eine schöne neue Welt ist das, die Autor Andreas Eschbach für das Jahr 2064 entworfen hat. Mit dem sogenannten Freiheitsgeld richten sich die Figuren des gleichnamigen Romans völlig unterschiedlich ein: Sie hängen zugedröhnt zu Hause ab, gehen einem Job aus Leidenschaft nach oder zahlen einen hohen Preis, um sich besonderen Luxus leisten zu können, der Durchschnittsbürger*innen nicht mehr zur Verfügung steht. Eschbach gelingt ein faszinierendes, durchdachtes und dichtes Worldbuilding, das am besten funktioniert, wenn er es wie nebenbei in die Handlung einfließen lässt. Ein Teil der Informationen wird allerdings auch über längere Monologe und Gedankenstränge vermittelt. Dies wirkt nicht weniger stimmig, liest sich aber etwas aufgesetzt.

    Ich habe mich sehr auf die Lektüre von „Freiheitsgeld“ gefreut und war gespannt, welche Dystopie Eschbach aus der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens entwickelt. Der Roman liest sich dann auch fesselnd und teilweise erschreckend. Einige Passagen haben mich allerdings ziemlich irritiert und mir so etwas Lesefreude genommen: Wenn es um Paarbeziehungen geht, von denen es in „Freiheitsgeld“ einige gibt, wird die Darstellung oft schwächer. Die Schilderung der meisten Charaktere bleibt sehr oberflächlich, stellt Interaktionen stereotyp dar und hat mich auch ab und zu verwirrt, da sich Protagonisten öfters unstimmig verhalten. Die Ausgestaltung neuer Lebenswelten liegt dem Bestseller-Autor offensichtlich mehr, als sich in zwischenmenschliches Verhalten einzufühlen.
    Als zweite große Schwäche von „Freiheitsgeld“ empfinde ich, dass der Roman trotz gleich mehrerer Verbrechen, die ein junger, ehrgeiziger Polizist zu lösen versucht, sehr lange nur vor sich hinzuplätschern scheint. Die eigentliche Action kommt erst kurz vor Schluss und verpufft dann auch gleich wieder. Nach dem aufwändigen Worldbuilding bin ich doch etwas enttäuscht, wie unbedeutend die Rollen einiger Figuren letztendlich sind. Es bleibt das Gefühl, dass Eschbach aus „Freiheitsgeld“ mehr hätte machen können. Er hatte eine spannende Idee und beschreibt eine Welt, die so dicht an der Realität und dann doch wieder so anders ist, dass es mich gleichzeitig fasziniert und gegruselt hat. Die eigentliche Handlung und die von ihm geschaffenen Charaktere fallen dahinter zurück, als hätte der Autor auf ihre Ausgestaltung keine rechte Lust mehr gehabt. Wie schade, denn eigentlich hat „Freiheitsgeld“ alle Anlagen, um eine 5-Sterne-Bewertung zu bekommen.
    Wie wir Menschen die Welt eroberten

    Yuval Noah Harari
    Wie wir Menschen die Welt eroberten (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    10.10.2022

    Die spannendste Geschichtsstunde überhaupt

    Ich weiß noch, wie ich in der sechsten Klasse Geschichtsunterricht bekam und mich eigentlich darauf freute. Und dann ging es ewig um das Thema „Jäger und Sammler“, was mein Lehrer und dieses dröge beige Geschichtsbuch gleichermaßen einschläfernd rüberbrachten. Schnell war mir klar: Geschichte ist das langweiligste Schulfach, das es gibt.
    Fast 30 Jahre später habe ich nun Yuval Noah Hararis Jugendbuch „Wie wir Menschen die Welt eroberten“ in die Hände bekommen und merke: Selbst über die Steinzeit kann man spannend berichten! Vielleicht sogar gerade über die. Harari ist ein begnadeter Erzähler, der mir zum einen einiges Wissen über Neandertaler, Homo Sapiens und weitere Menschenarten vermittelt hat, das mir vollkommen neu war, und der es zum anderen in seinen kurzen Kapiteln immer wieder schafft, Spannung aufzubauen. Was ist denn eigentlich die Superkraft des Menschen, dem doch verschiedenste Tiere körperlich weit überlegen sind? Wieso sind Mammuts ausgestorben, Kaninchen aber nicht? Und welche Verhaltensweisen aus der Steinzeit sind heute noch in uns Menschen verankert?
    Harari berichtet fesselnd; er appelliert an die Vorstellungskraft seiner Leser*innen und fordert sie nicht zuletzt durch kleine Cliffhanger immer wieder zum Mitdenken auf. Und das macht richtig Spaß, auch wenn man dem Jugendbuchalter längst entwachsen ist. „Wie wir Menschen die Welt eroberten“ ist ansprechend illustriert und lässt sich durch den durchdachten Aufbau auch wunderbar nach und nach lesen. Harari schafft es, Begeisterung zu wecken – für die Forschung, die Steinzeit und nicht zuletzt eben für die Menschheitsgeschichte. Ich hoffe so sehr, dass Geschichtslehrer*innen ihren Schülerinnen und Schülern das Buch zumindest empfehlen, wenn nicht sogar Auszüge daraus in ihren Unterricht integrieren. Auch Urgeschichte kann packend erzählt werden und wir können aus dem Verhalten unserer Ahnen sogar lernen. Neben der spannendsten Geschichtsstunde überhaupt ist Hararis Sachbuch auch ein Plädoyer für Umweltschutz und Eigeninitiative. Ganz klare Leseempfehlung!
    Vertrauen

    Dror Mishani
    Vertrauen (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    25.03.2022

    Fallstricke und Gewissenskonflikte

    Avi Avraham, Oberinspektor im Ayalon-Polizeidistrikt in Tel Aviv, ist mit seinem Job nicht mehr zufrieden und plant eine berufliche Umorientierung, was seinen Chef aus allen Wolken fallen lässt. Bevor es jedoch zu einer Versetzung kommt, stellt sich Avis neuer Fall als weniger trivial heraus, als er angenommen hatte: Der aus einem Hotel verschwundene europäische Gast, der angeblich bei israelischen Verwandten untergekommen ist, hat seiner Tochter erzählt, er würde für den Mossad arbeiten. Und auch sonst gibt es einige Ungereimtheiten, die Avi skeptisch werden lassen. Seine Kollegin ist dagegen relativ schnell einer Frau auf die Spur gekommen, die einen Säugling ausgesetzt hat. Allerdings ist sie weder die Mutter des Kindes noch auf irgendeine Art und Weise kooperativ. Oberinspektor Avi will zwar genau solchen Fällen den Rücken kehren, aber sie lesen sich durchaus spannend und vermitteln darüber hinaus auch noch einmal einen Eindruck vom Leben in Israel. Der Schreibstil des Tel Aviver Autors Dror Mishani macht außerdem Spaß: unaufgeregt, in die Tiefe gehend und seine komplexen Figuren mit ihren unterschiedlichen Perspektiven immer ernst nehmend. „Vertrauen“ ist ein literarischer Krimi mit wenig Blut und ohne wilde Verfolgungsjagden. Aber er stellt seine Leser*innen immer wieder vor die Frage, wie sie sich entscheiden oder vorgehen würden, er zeigt Fallstricke und Gewissenskonflikte und ist dadurch stellenweise interessanter und packender als ein klassischer „Whodunit“-Roman. Selbst wenn Oberinspektor Avi tatsächlich beruflich weiterziehen sollte – ich würde ihn gerne lesend begleiten.
    Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest

    Thomas Kehl
    Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    08.03.2022

    Verständlich, lebendig, erstaunlich

    Der selbstbewusste Titel dieses Buches ließ mich erst skeptisch werden. Ratgeber, die schon auf dem Cover verkünden, was Leserinnen und Leser tun sollten, sind mir suspekt. Andererseits klang es natürlich verlockend, über das eher dröge Thema Finanzen nur ein einziges Buch lesen zu müssen – vor allem für jemanden wie mich, der bisher einen größeren Bogen um derartige Werke gemacht hat.

    Hält „Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest“ denn nun, was es verspricht? Aus Mangel an vergleichbaren Lektüren kann ich das nicht unbedingt beantworten. Es stimmt allerdings, dass die Autoren Thomas Kehl und Mona Linke ihre Leser*innen gewissermaßen an die Hand nehmen, um sie durch den Dschungel möglicher Geldanlagen zu führen. Geduldig beginnen sie mit verbreiteten Denkfehlern, streifen das Thema Versicherungen und kommen schließlich zu Non-Profit-Bankanlagen, Immobilien, Aktien und Investmentfonds. Alles wird in kurzen Kapiteln erklärt und von verschiedenen Seiten betrachtet – und zwar so, und das fand ich wirklich bewundernswert, dass es weder langweilig noch unverständlich wird. Vergleiche, persönliche Erfahrungsberichte und Beispiele sorgen dafür, dass dieses Sachbuch lebendig bleibt und seine Leser*innen bei der Stange hält. Wer sich hier und da doch schon einmal mit seinen Finanzen beschäftigt hat, wird bereits einiges wissen – doch in einer so komprimierten, klar auf den Punkt gebrachten Form mit weiterführenden Erklärungen sind mir Finanzthemen noch nie begegnet. Ich habe beim Lesen tatsächlich viel gelernt und Berührungsängste abgebaut. Gleichzeitig schreiben Kehl und Linke weniger forsch, als der Titel ihres Werks vermuten lassen würde: Sie informieren und sprechen allgemeine Empfehlungen aus, aber sie verkaufen nichts – weder den einen todsicheren Geheimtipp noch ein weiterführendes Mentoring o.ä. Und so hat mich dieses Buch tatsächlich irgendwie begeistert, was ich weder vom Thema noch vom Titel her erwartet hätte.
    Manifesto

    Bernardine Evaristo
    Manifesto (Buch)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    14.02.2022

    Fordernd und bereichernd

    Gleich das erste Kapitel von Evaristos „Manifesto“ fand ich am packendsten: Hier geht es um „Herkunft, Kindheit, Familie, Ursprünge“ und die Autorin beschreibt ihr Aufwachsen als viertes von acht Kindern in einer britisch-nigerianischen Familie. Wobei das nigerianische Erbe erst einmal keine große Rolle spielt, denn Evaristos Vater hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen, pflegte keine Kontakte in seine Heimat und versuchte erst gar nicht, Sprache, Tradition o.ä. an seine Kinder weiterzugeben. Was allerdings für die Nachbarschaft bis hin zur Oma mütterlicherseits eine große Rolle spielte: seine Hautfarbe und die der Evaristo-Kinder. Die Autorin wurde 1959 in ein Land geboren, in dem ihr von klein auf vermittelt wurde, als person of colour keine echte Engländerin zu sein. Was es bedeutet, nur die englische Kultur zu kennen, ihr aber gleichzeitig nicht als zugehörig bzw. ebenbürtig angesehen zu werden, macht Evaristo für ihre Leser*innen annähernd erlebbar.

    In weiteren Kapiteln beschäftigt sich die Autorin mit den Prägungen durch ihre wechselnden Wohnsituationen und ihr mindestens ebenso abwechslungsreiches Liebesleben, außerdem mit ihrer kreativen Entwicklung am Theater und schließlich als Autorin. Evaristo gewährt dabei zwar sehr persönliche Einblicke in ihr Seelenleben, bewahrt aber trotzdem eine gewisse Distanz, was vermutlich daran liegt, dass sie beim Schreiben ihres „Manifesto“ bereits um die 60 Jahre alt war und vor allem auf ihr deutlich jüngeres Ich zurückblickt. Vor allem die Einblicke in ihr Arbeitsethos und ihre Herangehensweise an den Schreibprozess fand ich interessant. Aber auch ihr Umgang mit den großen Themen Rassismus und Gender im Wandel der Zeit ist überaus reflektiert und bietet viele Denkanstöße. Bernardine Evaristo wirkt sehr ehrlich mit ihren Leser*innen, fordert sie aber auch mit komplexen Themen und Gedankengängen, die jedoch immer nachvollziehbar bleiben, weil sie eine Meisterin im Umgang mit Sprache ist (und die Übersetzerin Tanja Handels ihr Buch offensichtlich sehr gekonnt ins Deutsche übertragen hat). Wieder eine äußerst bereichernde Lektüre dieser Autorin.
    Meine Produktempfehlungen
    • Mädchen, Frau etc. Bernardine Evaristo
      Mädchen, Frau etc. (Buch)
    Die Enkelin

    Die Enkelin (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    21.11.2021

    Stimmig und fordernd

    Dass der kinderlose Buchhändler Kaspar Wettner je Großvater werden würde, hat er selbst nicht kommen sehen. Doch nach dem Tod seiner Frau Brigit deckt er deren Lebenslüge auf: Birgit hatte eine Tochter, die sie gleich nach der Geburt weggegeben hat – nur wenige Monate, bevor sie 1965 aus der DDR zu ihm nach Westdeutschland geflohen ist, wo sich die beiden in Berlin ihr gemeinsames Leben aufgebaut haben. Nun erfährt Kaspar, dass seine Frau lange damit gerungen hat, die verlorene Tochter wiederzufinden und beschließt, an ihrer Stelle zu suchen. Schließlich begegnet er Birgits Enkelin. Die beiden trennt vieles – ihre einzige Gemeinsamkeit ist die Neugier aufeinander.

    In seinem neuesten Roman entführt Bernhard Schlink seine Leserinnen und Leser zunächst in eine andere Zeit und dann in eine andere Welt. Erst wird Birgits Geschichte erzählt, das Aufwachsen in der DDR thematisiert, ihre Abwendung vom Staat, ihre Flucht. Der westdeutsche Kaspar hat die DDR nur als Besucher erlebt, doch weitaus fremder als sie ist ihm die Welt, in der Birgits Enkelin Sigrun heranwächst: Sie lebt in einer völkischen Gemeinschaft mit klaren Feindbildern. Kaspar versucht, dem Mädchen seine Welt zu zeigen – unter den wachsamen Blicken der Eltern. Das fragile Band zwischen den beiden zieht sich über ein Spannungsfeld. Ich habe mitgebangt, ob es hält.

    Egal welcher Weltanschauung, welchem Stück Zeitgeschichte sich Bernhard Schlink annimmt – er schildert es virtuos und scheut dabei weder Widerspruch noch Kritik. Mit klarer, präziser Sprache hat er auch hier wieder einen Roman geschaffen, bei dem einfach alles stimmt. Die Geschichte ist tragisch, stimmig und aufwühlend in einem, die Figuren haben Ecken, Kanten und immer Tiefgang. Es gelingt dem Autor, alle unterschiedlichen Motivationen irgendwie verständlich erscheinen zu lassen, ohne dass er es einer der Hauptfiguren besonders leicht machen würde. Denn eine klare Einteilung in schwarz und weiß, gut und böse – die gibt es bei Schlink nie. Ein sehr lesenswerter Roman, der extrem unterschiedliche deutsche Leben porträtiert und seine Leserinnen und Leser auch immer wieder dazu herausfordert, Position zu beziehen.
    Wenn ich wiederkomme

    Marco Balzano
    Wenn ich wiederkomme (Buch)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    04.11.2021

    Die im Dunkeln sieht man nicht

    Eine Mutter verlässt ihre Familie und es fällt ihr so schwer, dass sie sich nicht mal verabschiedet. So beginnt Marc Balzanos neuester Roman; eine tragische und doch leichtgängig erzählte Geschichte, die mich nicht mehr losgelassen hat. Danielas Kinder und Mann bleiben nicht lange im Unklaren: Die Rumänin hat einen Zettel hinterlassen und meldet sich auch schon bald – aus Mailand, wo sich Daniela nun um einen Pflegebedürftigen kümmert. Win-win, könnte man meinen – sie verdient Geld, mit dem sie ihren Kindern im rumänischen Heimatdorf eine gute Ausbildung finanziert sowie den Ausbau des Eigenheims, während der alte Mann dank ihr in seiner gewohnten Umgebung bleiben kann. Aber es ist ebenfalls Lose-lose: Daniela hat nie zuvor als Pflegerin gearbeitet und auch keine Neigung zu dem Beruf. Sie ist ein anständiger Mensch und kümmert sich fast rund um die Uhr so gut um den Patienten, wie es ihr – auch psychisch – möglich ist. Ideal ist die Situation jedoch für keinen von beiden.

    Doch zunächst geht es in „Wenn ich wiederkomme“ weniger um Daniela und mehr um die Familie, die sie zurücklässt: ihren arbeitslosen Mann, ihre im Nachbarhaus wohnenden Eltern und ihre Kinder, die fast erwachsene Tochter Angelica und den zwölfjährigen Manuel. Letzterer scheint unter der Abwesenheit der Mutter am meisten zu leiden, ihre täglichen Anrufe sind kein Ersatz und halten die gegenseitige Entfremdung kaum auf. Seine schulischen Leistungen lassen nach, er zieht sich zurück. Und dann passiert etwas.

    Marc Balzano skizziert ein Modell, das in vielen europäischen Ländern gelebt wird: Die osteuropäische Pflegekraft, die als 24-Stunden-Inhouse-Hilfe im Westen ihr Geld verdient – mehr Geld, als es ihr in ihrer Heimat möglich wäre (und natürlich weniger, als eine Einheimische oder ein Einheimischer bekommen würde). Doch der Autor widmet sich auch dem in der Regel unbeachteten Thema, das dahintersteht: Wie geht es eigentlich denen, die zurückbleiben? Und denen, die irgendwann zurückkehren? In „Wenn ich wiederkomme“ habe ich zum ersten Mal von der Italienkrankheit gelesen. Danielas Auslandsjahre gehen an keinem Familienmitglied spurlos vorbei; aufzuholen sind sie erst recht nicht. Hat sich ihr Opfer gelohnt?

    Eine große Stärke dieses sehr gelungenen Romans ist, dass er keine einfachen Lösungen serviert, Haupt- und Nebenfiguren nicht in gut und böse einteilt und auch sonst nicht urteilt. Balzano bietet einen Einblick in verschiedene Schicksale und sensibilisiert für eine Thematik, über die gerne hinweggeschaut wird. Ein Roman über die fast Unsichtbaren, die in der Pflege vielerorts unersetzlich geworden sind – und über die Lücken, die sie woanders hinterlassen.
    Schweig!

    Judith Merchant
    Schweig! (Buch)

    3 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern Inaktiver Stern
    28.09.2021

    Zähes Psychoduell

    Es hätte ein packendes Kammerspiel in Thrillerform werden können: Die erfolgreiche Familienmanagerin Esther besucht ihre jüngere Schwester Sue, um ihr ein Weihnachtsgeschenk vorbeizubringen. Es ist der 23. Dezember, beide haben sich in diesem Jahr noch gar nicht gesehen und hoffen, Esthers Überraschungsbesuch möglichst schnell hinter sich zu bringen. Sue erträgt die Anwesenheit ihrer Schwester kaum und diese will eigentlich sofort wieder abfahren – sobald sie sich sicher ist, dass es Sue gut geht und sie sie beruhigt alleine lassen kann. Doch dieser Eindruck stellt sich zunächst so gar nicht ein …

    Schnell wird deutlich: Zwischen den Schwestern ist viel im Argen. Wie viel, zeigt sich durch ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die Begegnung. Kleinigkeiten – die Begrüßung, das Servieren von Tee, die Einrichtung – werden abwechselnd aus beiden Blickwinkeln geschildert, und schnell wird deutlich: Esther und Sue nehmen die gleiche Situation höchst unterschiedlich wahr. Beide sind geprägt von verdrängten Erinnerungen, die durch ihr Treffen nach und nach hochkommen. Und schließlich weiß man als Leserin oder Leser kaum noch, was man glauben soll: Ist Sue labil, Esther ein Kontrollfreak, oder steckt noch etwas ganz anderes hinter ihrer toxischen Schwesternbeziehung?

    Eigentlich eine wunderbare Ausgangslage für einen Thriller, doch statt Fahrt aufzunehmen, wird dieser nach und nach zäh. Beide Schwestern sehnen das Ende ihres Wiedersehens vehement herbei, doch ihr Treffen zieht sich – und mit ihm dieses Buch. Dabei gibt es unerwartete Enthüllungen, Verwicklungen und Erkenntnisse und ich musste meinen Eindruck von beiden mehrmals korrigieren. Doch trotzdem wabert die Geschichte eher schleppend vor sich hin – vielleicht, weil das Verhalten der Schwestern in einigen Punkten so wenig nachvollziehbar bleibt. Oder, weil große Teile der Geschichte durch die unterschiedlichen Perspektiven doppelt erzählt werden und so das Tempo gedrosselt wird. Auch der finale Twist konnte das für mich nicht mehr rausreißen. Am Ende war ich froh, dieses zähe Psychoduell überstanden zu haben.
    Du hast mir gerade noch gefehlt

    Mhairi McFarlane
    Du hast mir gerade noch gefehlt (Buch)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    21.09.2021

    Letzte Nacht

    „Du hast mir gerade noch gefehlt“ scheint auf den ersten Blick ein typischer Mhairi-McFarlane-Roman zu sein. Schon das verspielt illustrierte Cover mit dem eher nichtssagenden Titel und dem leicht chaotischen Schriftzug fügt sich bestens in die Reihe der bisherigen sechs Romane ein. Eve Harris, die Hauptfigur, könnte auf den ersten Blick auch in jedem der anderen Bücher vorkommen: eine sympathische Single-Frau mit kleinen Unsicherheiten, die ihren Job nicht mag, ihren Kater liebt und alles für ihre Freunde tun würde. Ihre Clique besteht seit Schulzeiten aus Susie, Justin und Ed; der feste Treffpunkt der Mittdreißiger ist das Pub-Quiz, bei dem sie noch nie gewonnen haben. Und so beginnt der Roman mit einem ganz normalen Kneipenabend, bei dem dann allerdings Eds Freundin Hester die Bühne kapert und ihm einen Antrag macht. Eve, die seit Jahren heimlich in Ed verliebt ist, zieht es den Boden unter den Füßen weg – denkt sie. Doch die wahre Katastrophe steht ihr erst noch bevor.

    Ich hätte Mhairi McFarlane nicht zugetraut, dass sie einem Schicksalsschlag so viel Raum gibt, wie es in diesem Roman geschieht. Sie schildert einfühlsam und authentisch, wie eine Tragödie Eves Leben und das ihrer Freunde durcheinanderwirbelt. Wer einen Liebesroman erwartet hat, wird vielleicht irritiert sein, doch mir hat sehr gefallen, dass die Geschichte so viel mehr bietet und sich in keine Schublade stecken lässt. McFarlane beweist, dass sie neben den lustigen und romantischen Tönen auch die traurigen und verzweifelten trifft – selbst auf der Langstrecke. Sie bringt Humor und Tiefgang stimmig zusammen, und so ist „Du hast mir gerade noch gefehlt“ eine runde Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verlust und Weiterleben, die viele gute Gedanken enthält – und der ihr 08/15-Titel absolut nicht gerecht wird. Im Original heißt der Roman schmucklos „Last night“, was ich weitaus passender finde. Doch so oder so ist es der perfekte Roman, um es sich mit einer Tasse Tee (very British) auf dem Sofa gemütlich zu machen und einfach mal ein paar Stunden durchzuschmökern.
    Meine Produktempfehlungen
    • Ein ganzes halbes Jahr Ein ganzes halbes Jahr (Buch)
    • Ein ganzes halbes Jahr Thea Sharrock
      Ein ganzes halbes Jahr (DVD)
    Was fehlt dir

    Was fehlt dir (Buch)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    15.08.2021

    Gedankentreiben

    Was fehlt dir – diese Frage könnte die Ich-Erzählerin des gleichnamigen Romans sicher nicht so einfach beantworten. Überhaupt ist sie kein Typ für schnelle Antworten, sondern eher eine abwägende Beobachterin; eine Schriftstellerin, die sich viele Gedanken macht und dabei nachsichtig mit ihren Mitmenschen umgeht: Sie lässt ihnen ihre falschen Erinnerungen, ihre Widersprüchlichkeiten und ihre Urteile. Die Namenlose wirkt, als würde sie sich vom Leben treiben lassen. Und die Lesenden werden mitgetrieben.

    Sigrid Nunez Roman „Was fehlt dir“ besteht vor allem aus Gedanken, Erinnerungen, Bewertungen von Situationen aller möglichen Art, die oft etwas schwermütig daherkommen, mich aber doch ziemlich in ihren Bann gezogen haben. Die Autorin schreibt klug und empathisch über zwischenmenschliche Beziehungen, wobei ihre Erzählerin zu Menschen und Ereignissen generell eine gewisse Distanz wahrt. Ihrem stream of consciousness lässt sich gut folgen und sogar dem Krimi, den sie immer wieder zur Hand nimmt.
    Sehr gefallen haben mir Stil, Sprache und Gedanken. Die eigentliche Handlung, die erst im zweiten Teil wirklich beginnt, ist berührend – die Begleitung einer krebskranken Freundin durch die Ich-Erzählerin. Der sehr kurze, dritte Teil enthielt allerdings nicht das von mir erwartete Romanende – eigentlich enthält er gar kein Ende. Dass so vieles offen und unausgesprochen bleibt, hat mich ziemlich überrascht – als wären der Autorin ihre Themen auf den letzten Seiten abhandengekommen. Aber gerade dadurch lässt einen „Was fehlt dir“ nicht richtig los. Ich kann mir gut vorstellen, noch weitere Romane der New Yorkerin zu lesen.
    51 bis 75 von 166 Rezensionen
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