Is it Jazz ?
Um dieses Album wurde anlässlich seines 50-jährigen Jubiläums ein Hype gemacht in der Art "Bestes-Jazz-Album ?" Mich hatte Kind of Blue nie so begeistert wie "Walkin", "Cookin", "Steamin", "Relaxin", "Milestones", "ESP" "Nefertiti" oder viele andere Platten von Miles. Der Biograph Wolfgang Sandner bezeichnet es als "musikalisches Gesamtkunstwerk, das mehr ist als die Summe seiner wunderbar aufgeführten Teile" (2010, S.185) und vergleicht den gestopften Trompetenton mit Chopinschen Regentropfen, die auf die Harmoniewechsel von Bill Evans fallen. Ian Carr betitelt sein Kapitel über diese Phase in Miles' Schaffen mit der Frage "Is it Jazz?" und liegt damit genau richtig. Natürlich ist es Jazz, da die Musik sehr spontan entstand und improvisiert wurde. Fast nichts hatte Miles aufgeschrieben, fast nichts hatte er seinen Musikern vorgegeben. Und es ist mehr als Jazz. Heute gibt es den Begriff Weltmusik. Vielleicht ist dies das erste Weltmusik-Album? Mit Sicherheit aber ein Jazz-Album, das auch Menschen gefallen kann, die sonst keinen Jazz hören. Mit seiner ruhigen Atmosphäre erinnerte Kind of Blue mich neulich, als ich die CD mit der angehängten alternativen Version von Flamenco Sketches, das dadurch 19 Minuten dauert, hörte, an Mahler's 9. Sinfonie mit seinem 23-minütigen Schluss-Satz Adagio - molto adagio. Ich bin sicher, dass Gustav Mahler "Kind of Blue" gefallen hätte. Ja, Sandner hat recht, es ist ein "rares musikalisches Meisterwerk". Ob es Jazz ist? Miles lehnte den Begriff "Jazz" sowieso ab, aber er sagte ja auch "don't write about the music, the music speaks for itself". Nun ja, es gibt Musik, die man beim ersten Hören "versteht" und es gibt Musik, die man immer wieder neu entdeckt. Kind of Blue kann man immer neu entdecken.