wiederzuentdecken
Diese Besprechung gilt dem fragmentarischen Haydn Sinfonien Zyklus mit Max Gobernman und dem Wiener Staatsopernorchester. Wirlkich mit diesem Orchester? Entgegen der Behauptung im Textheft ist das vielleicht so nicht ganz richtig. Es gab in 50zigern udn 60zigern die seltsamsten Bezeichnungnen für Aufnahmeorchester in Österreich (und nicht nur dort) - aus rechtlichen Gründen. Es könnte sich hier auch um Mitglieder der Wiener SINFONIKER handeln - also vielleicht nichts mit "verdeckten" PHILHARMONIKERN)
Diese Rezension ist mal etwas ganz anderes: eine „Gemeinschaftsarbeit“!
Ich verwende in Auszügen die phantastische Rezension von John Fowler, die ich flüchtig (mit dessen freundlicher Zustimmung) ins Deutsche übersetzt habe - sowohl zum Teil gekürzt, als auch geringfügig von mir erweitert:
HINTERGRUND
In den frühen Jahren der LP ('50er und 60er Jahre) gab es vier abgebrochene Versuche, komplette Haydn-Zyklen aufzunehmen:
- Jonathan Sternberg mit der Wiener Staatsoper (Mono-Aufnahmen) auf dem Label Haydn Society – erweitert mit Dirigaten von Heiller, Mogens-Wöldike, Litschauer, Swarowsky und Baltzer.
- Hermann Scherchen mit der Wiener Staatsoper (meist mono, einige Stereo) für Ultraphon und Westminster.
- Leslie Jones mit dem Little Orchester of London (stereo) für Pye und Nonesuch.
- Max Goberman mit der Wiener Staatsoper (stereo) für "The Library of Recorded Masterworks".
Die ersten drei sind kommerzielle Unternehmen, aber Max Gobermans Projekt war eine „Liebesmüh“: Er finanzierte die Haydn Sinfonie Projekt aus eigener Tasche.
"Library of Recorded Masterworks" LPs wurden im Abonnement verkauft, was etwas Geld einbrachte, aber Goberman glich dann privat den finanziellen Fehlbetrag aus.
Er konnte sich das leisten, weil er einer der gefragtesten Dirigenten am Broadway (siehe "West Side Story" Originalbesetzung CD) war - mit sehr gutem Einkommen.
Nach drei Jahren Arbeit - Goberman hatte fast die Hälfte der Sinfonien geschafft - starb er im Jahr 1962 an einem schweren Herzinfarkt. Er war erst 52 Jahre alt. 45 Sinfonien und drei Ouvertüren wurden bis dahin aufgenommen:
Symphonies 1-6, 7-9 (Morgen, Mittag und Abend), 10 bis 17, 19, 20, 21, 22 (Philosoph), 23, 24, 26 (Beweinung Christi), 27, 32, 34, 35, 37, 40, 41, 48 (Maria Theresia), 49 (La Passione), 51, 52, 55 (Schulmeister), 56, 57, 60 (Il Distratto), 65, 92 (Oxford), 96 (Miracle) und 98
+ Symphonies A und B (Hob 107 + 108)
+ Ouvertüren zu "L'infedelta delusa", "Lo Speziale" und "Acide et Galalea"
In den späten 60er Jahren erwarb Columbia Records (USA) die Rechte an "The Library of Recorded Masterworks", und kündigte die Absicht an, das Haydn Sinfonie Projekt auf dem Niedrigpreis (Sub)Label Odyssey zu vollenden.
Charles Mackerras und das London Symphony Orchestra wurden für die verbleibenden Arbeiten rekrutiert, aber nur weitere 18 Sinfonien wurden aufgenommen, bevor das Projekt eingestellt wurde.
Das Cover-Design der Odyssey LPs wurde für die Gestaltung dieser hier besprochenen Box von Sony verwendet. Leider sind die 18 Sinfonien mit dem Dirigenten Mackerras nicht mit in die Box einbezogen. Schade, denn so war das ja damals von Columbia geplant.
- Die erste Gesamtaufnahme von 106 Haydn Sinfonien wurde von 1969 bis 1972 von Antal Dorati mit der Philharmonia Hungaria aufgezeichnet und auf Decca Records veröffentlicht. (Auf CD in zwei Ausgaben bei Amazon erhältlich). Es ist eine sehr gute und fundierte Einspielung mit wissenschaftlichen Anmerkungen. Wie sich wohl eine vollendete Ausgabe mit Goberman / Mackerras daran gemessen hätte?
Dorati hat einen Vorteil gegenüber neueren Gesamteinspielungen: einen Anhang mit zwei Versionen der Sinfonien 22 und 63, vier Finale für die 53te, und zwei Finalsätzen für die 103er (derzeit nur in der Dorati Box erhältlich).
Es gäbe übrigens noch einen zweiten etwa zeitgleich entstandenen Zyklus von Ernst Maerzendorfer mit dem Wiener Kammerorchester, der noch nicht auf CD veröffentlicht ist.
In jüngerer Zeit gibt es „komplette“ Einspielungen mit Adam Fischer (auf Brilliant, sehr empfehlenswert!) und Dennis Russell Davies (m.E. nur eingeschränkt empfehlenswert, u.a. wegen der Verwendung von zweifelhaften Ausgaben, z.B. bei der 48ten …).
Die in den Fischer und Davies Boxen enthalten Broschüren sind nicht so detailliert wie die in der Dorati Box.
Eine CD-Box aller 106 Sinfonien, welche auf Originalinstrumenten gespielt werden, gibt es noch nicht:
- Der verstorbene Christopher Hogwood kam mit der Academy of Ancient Music der Vollendung mit 81 Sinfonien am nächsten.
- Roy Goodman hat mit der Hanover Band 62 Sinfonien geschafft.
- Bei Derek Solomons mit L'Estro Armonico waren es mindestens 30 Sinfonien für CBS, von denen nur wenige auf CD erschienen sind.
- Trevor Pinnock zeichnete mit dem English Concert 22 frühe Sinfonien auf.
- Thomas Fey produziert mit den Nürnberger Symphonikern eine fortlaufende Serie für Hänssler (55 Sinfonien in 15 Jahren) mit modernen Instrumenten, welche aber im Stil der damaligen Zeit gespielt werden.
Dorati, Fischer, Hogwood, Pinnock und Solomons sind übrigens auf YouTube zu hören.
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KLANGQUALITÄT UND VERPACKUNG
14 CDs in Mini-LP Hüllen, aber nicht als richtige original Cover. Leider gibt es auf den CD-Rückseiten auch keine näheren Hinweise zu Spielzeiten oder Aufnahmedaten.
Es gibt ein kleines 36-seitiges Booklet mit fünf Seiten deutschem Text über Max Goberman und Trackauflistung der CDs mit Spielzeiten, aber wiederum als Aufnahmedaten nur die pauschale Angabe „Wien 1960-1962“ und natürlich nichts zu den Sinfonien selbst. Bei den LPs gab es Texte von HC Robbins Landon. Ein Tipp: Beim englischen Wikipedia gibt es Informationen zu allen Sinfonien.
Leider sind einige der 3-Spur-Masterbänder verloren gegangen, bevor Sony die Columbia mit ihren Ton-Archiven übernahm. Die Übertragung auf CD wurde für Sony von Andreas K. Meyer betreut, welcher in der Vergangenheit Qualitätsarbeit beim Remastern erbracht hat. Wo keine originalen Masterbänder vorhanden waren, griff man auf die bestmöglichen Kopien oder auch Schallplatten zurück. Das Ergebnis kann sich hören lassen! Sind wir froh, dass das in solch guten Qualität möglich war!
Es ist nur Schade, dass nicht dokumentiert ist, welche CD von welcher Quelle stammt. Das finde ich ein echtes Manko. EMI, DG und auch die ebenfalls bei Sony beheimatete RCA machen das deutlich besser – naja, auch nicht in allen Ausgaben …
Anfang der 60er Jahre Stereo bedeutet deutliche Ortbarkeit und klare Platzierung der einzelnen Instrumente. Das Klangerlebnis ist auf Nähe ausgerichtet, nicht auf "Konzertsaal Realismus".
Erste und zweite Geigen sind auf den gegenüberliegenden Seiten des Orchesters plaziert - so wie sie es bei Haydn auch historisch korrekt sein sollten!
In den 1960er Jahren war es durch einflussreiche Dirigenten wie Bernstein, Karajan und Solti ansonsten eigentlich üblich geworden, die hohen Streicher (1te und 2te Violinen) auf der linken Seite – also historisch und "sinnhaft" falsch - kompakt zusammenzusetzen. Grundsätzlich wurde so das Orchester auf zwei Streichergruppen reduziert - links die hohen und rechts die tiefen.
Jedoch: die älteren Dirigenten Otto Klemperer und Bruno Walter hielten an der althergebrachten (eben korrekten) Spielweise bei ihren Stereoaufnahmen fest. Max Goberman folgte ihrem Beispiel. Dorati und Fischer verwenden (leider) wieder den modernen Sitzplan mit allen Geigen auf der linken Seite.
Bei Gobermans Aufführungen der frühen Sinfonien ist das Orchester etwas kleiner wie es bei den mittleren Sinfonien verwendet wird. Auch wenn es für heutige Maßstäbe bestimmt zu groß war, so erscheint es witzigerweise doch „kleiner“ als bei Fischer - was auch durchaus daran liegen kann, dass bei Fischer mehr Raum mitklingt, welcher ja auch immer mehr Klang schafft.
Übrigens ist von den leider nur wenigen hier eingespielten späten Sinfonien die 98te hervorragend, die anderen sehr gut.
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Neben dem Haydn Sinfonien-Projekt aus Wien gäbe es als Entdeckung für den CD-Markt noch das (ebenfalls unvollendete) Projekt Gobermans, die gesamten Konzerte von Vivaldi aufzunehmen: 75 wurden mit der "New York Sinfonietta" aufgezeichnet – ebenso sehr gelungen Bachs Brandenburgische Konzerte.
DAs alles ebenfalls in dem Dreijahreszeitraum von 1960 bis 1962.
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FAZIT
Wer eine anregende Alternative der früheren Sinfonien Haydns zu Adam Fischers Zyklus haben oder einfach die selten gespielten Werke kennenlernen möchte, der kann guten Gewissens den Preis von ca. 2.-€ pro CD ausgeben. Es erwartet sie ein sehr lebendiges, manchmal erstaunlich sprechendes und differenziertes Musizieren!