2 von 5
Anonym
30. Juli 2017
Gesamteindruck:
2,0 von 5
Künstlerische Qualität:
2,0 von 5
Repertoirewert:
1,0 von 5
Große Chancen mit vollen Händen verschenkt - ein Trauerspiel!
Bachs Matthäuspassion - wohl eines der meist (ein-)gespieltesten Werke des Meisters - nun neu auch vom Experten Bernius - endlich, möchte man meinen, hat der Meister des klaren Chorklangs so lange geschwiegen um nun einen echten Durchbruch zu wagen? Mitnichten. In dieser Einspielung herrscht Langeweile und seelenloses Dahinsingen und-spielen - beides zugegeben auf hohem Niveau. Aber der Reihe nach. Gibt es einen erkennbaren neuen interpretatorischen oder aufführungspraktischen Ansatz des Ensembles, des Herrn Bernius?
Nunja, vielleicht das vollständige Fehlen eines solchen, es scheint hier wurde sich um nichts geschert und vieles scheint einfach um der Kostenersparnis willen so geraten: Es gibt nur 5 Solisten, wo doch ganz klar in der Partitur von 10 (2x SATB + Evangelist und Jesus) die Rede ist. Die beiden Orchester sind nicht vollständig sondern ergänzen sich pragmatisch immer wieder gegenseitig - eklatantestes Beispiel: Die eine mikrige (Klop?) Continuo-orgel welche im Gedeckt 8' dahinnäselt, leidlich unterstützt von einer Laute (warum die Laute wird an keiner Stelle musikalisch deutlich und auch nicht im Booklet erwähnt) und einem manchmal etwas rohem Cello/Bassspiel (letztere klingen, als würden die beiden Spieler Teichmanis/Maldfeld absichtlich das Gegenteil vom jeweils anderen tun). So bleibt auch das schöne Sesquialtera der Orgel im Eingangschor erbärmlich auf der Strecke, ebenfalls eine klangliche Absetzung der gesungenen Choralstimme, einer von vielen verschenkten Aspekten dieser Einspielung. Die beiden Chöre (respektive Orchester) sind räumlich schlecht von einander getrennt. Sie musizieren klar und rein und schnörkellos.
Die Wahl der Solisten ist einfach ebenfalls nicht nachvollziehbar: Tilman Lichdi als Allround-Tenor muss hier, wie gesagt sämtliche 3 Partien ausfüllen, was er insgesamt hervorragend tut, Hannah Morisson singt großartig ihre Sopranpartien und ist sicherlich die beste Solistin der CD, Peter Harvey klingt zwar in erster Linie routiniert bis leicht gelangweilt aber dennoch klangschön - allen Dreien hätte eine klare interpretatorische und musikalische Führung gut getan, um - abseits ihres technischen Könnens - dieser armen Aufnahme Seele einzuhauchen. Ich schrieb eben "nicht nachvollziehbar" - vor allem die Mischung dieser Drei genannten mit den zwei anderen Kollegen. Sophie Harmsen scheint wenig bis keine Ideen von barocker Linienführung oder Phrasierung zu haben, auch in keiner Weise eine Klangvorstellung - unendlich öde und regelrecht stampfend dröhnt sie zB ihre Arie "Können Tränen meiner Wangen" dahin, das ist im Grunde nicht zu ertragen, die 7 Minuten die das Stück geht (hier allerdings auch besonders schlecht unterstützt vom Orchester das dumpf den Takt mit stapft). Vielleicht lohnt es sich, diese Altistin noch einmal, mit Brahms, zu hören um ein günstigeres Bild zu zeichnen - hier hätte sich einfach nichts verloren gehabt. Aber jetzt, last AND least Christian Immler als Jesus. Mit gurgeldem Vibrato, abgeduckelten Vokalen und sturem Aussingen aller Nebensilben und unbetonten Satzteile, quasi regelrechtem "Aufphrasieren" (statt "abphrasieren") stellt er das klangliche Gegenteil aller Tugenden dar, die doch dem Kammerchor Stuttgart eigentlich wichtig sind - und doch auch Herrn Bernius - kannte er Herrn Immler vorher nicht? Hat Bernius schlicht auf den Namen vertraut oder auf eine Agentur? Wie kann ein solcher "Wotan" diese wunderbare Partie zerbrüllen ohne das Bernius ihn zurückpfeifft oder besser - ersetzt? Völlig unverständlich und jammerschade!
So könnte man fortfahren - die eigentliche Tragik dieser völlig überflüssigen Einspielung ist jedoch die enorme Resourcenverschwendung - ist doch der Chor fabelhaft, das Orchester meistens auch sicher und klangschön, 3 der 5 Solisten auch in Ordnung - und doch: Es bleibt alles trostlos trocken und berührt nicht. Große Chancen mit vollen Händen verschenkt - ein Trauerspiel!