Musikalische Gipfelersteigung - der Einstieg in eine neue tonale Großsinfonik des 20.ten Jagrhunderts
Beethoven Bruckner Mahler Frommel
Was wäre gewesen, wenn Beethoven Bruckner noch kennengelernt hätte und diesem etwas Gleichwertiges entgegenzustellen gewollt hätte? Mit Sicherheit so etwas wie Frommels Erste Sinfonie! Das Zeug dazu hatte der Bonner Meister, wie wir alle aufgrund seiner Neunten Sinfonie wissen, die bereits vor Bruckner und Mahler mit erratischer Blockbauweise und filigranen klassisch-gotischen Linien und Details diese beiden Komponisten vereinigend vorwegnahm. Schrieb Beethoven zuvor noch kürzere kleiner dimensionierte Sinfonien, so steigert er sich hier zu einem Großgipfel mit ca 70 Minuten und langwierigen Sätzen.
Frommel Bruckner und Beethovens Neunte
Frommel knüpft an Beethovens Neunter an, mit Mahler-Brucknerschen Dimensionen. Die ursprüngliche Länge von "nur" 45-50 Minuten schmälert dies nicht, da das Werk dreisätzig angelegt ist wie ein philosophischer Dreisatz von These, Antithese, Synthese. Das ist ein mächtiger Block, der viersätzig ebenso bei über einer Stunde gelegen hätte.
Bruns dirigiert Frommel wie den jungen Beethoven
Der Dirigent Fritz Brun plaziert ihn mit dem sehr gut aufgelegten Jenaer Orchester in einer sehr gelungenen Talentprobe sehr geistvoll und temperamentgeladen, allerdings bezieht er es stärker an Beethovens frühe Klassik, und nicht so sehr an Bruckners Alpenhafte Großgestein-Bauweise mit mächtigen Adagio-Gesten. Für mich klingt die Bruns-Aufnahme genial, sie ist auch gegenüber der Youtube-Aufnahme mit Alberth viel süßer, klarer und farbiger. Es kommt bei ihm auch der temperamentvolle mediterrane klassiche Geist Frommels besser zur Geltung, und die Musik klingt wirklich überzeugend emotional erfüllt.
Ein alternatives Brucknertempo bei Frommel
Aber ich meine, es lässt sich hier theoretisch denken, dass man zumindest den ersten Satz stärker an Bruckners großen Formulierungen halten kann, mit langsam genüsslichen Ausmalungen - Bruckner überschreitet die Alpen mehr mit Elefanten, statt mit Pferden, er geht durch große Tore statt durch kleine Türen. Eine Alpenpforte ist etwas anderes als ein ländlicher Hohlweg.
Und Frommel macht eigentlich das Gleiche: er durchwandert von Österreich die Alpen nach Italien durch riesige Gesteinsmassen.
Ich gebe mal ein Beispiel: schon der Beginn der Sinfonie beschreibt eine von dunklen Wolken überschattete Gipfelüberwindung in größere Höhen, die man als alles andere als ein unbedenklichen Sieg über die Natur empfindet. Hierzu erklingt zu Anfang das Motto-hafte Einleitungsthema, welches triumphahl-bedrohlich an die Gefahr und Größe mahnt (- 0`39). Dann erklingt ein Überleitungsthemen-Paar (0`40 - 1`21, klingt nach Bruckner Nr 7 und Nr 9 jeweils erster Satz und Pfitzners Käthchen von Heilbronn-Ouvertüre, der Triumph des Paares), das in den Triumph der Ersteigung des gefährlichen Gipfels mündet (1`22 - 2`21). Dieses Triumph-Thema ist dem Einleitungsthema verwandt und gleich und hätte durchaus wie dieses ebenso langsam daher kommen können, also wie ein erhabenes Schreiten denn als ein heiteres leichtes Tanzen. Der "Tanz", wie ich es nenne, lässt nämlich diesen Teil der Exposition irgendwie "einknicken" und wirkt so nicht als ausreichender Gipfelstein des zuvor mächtig klingenden "Berges".
Interessant ist, dass man das dann so fortsetzen kann, denn ab 2`22 kommen nämlich dem Gipfelstürmer Bedenken und es erklingt ein neues Thema, das sich durchaus an den "Ikarus-Himmelsflug" der Vögel aus Walter Braunfels Oper "Die Vögel" orientiert , nämlich in dem Sinne von Pfitzners Eichendorff-Kantate (Schluss Teil 1), dass das, was, man am Tag nicht bedacht hatte, nun in der Nacht auf dem Berg sorgsam bewußt durchdacht wird". Das ließe sich bestimmt auch langsamer machen. Usw.. Das Ganze ist also ein "musikalisches Riesengebirge" und könnte so konitnuierlich im Tempo formuliert werden.
Nebenbei gesagt: genau wie sein Lehrer Pfitzner bringt Frommel Symbole philosophischer Skepsis ein und behandelt modische Themen seiner Zeit mit bewußten Zitat-ähnlichen Anlehnungen sehr verantwortungsbewußt und kritisch hinterfragend! (Ich glaube, er gehörte auch dem Stefan George-Kreis an, zu dem auch Stauffenberg gehörte, und Frommel komponierte George-Gedichte zu Liedern, wie etwa "Der siebente Ring").
Wirklich sehr gute Interpretation
Wie gesagt, das bedrohlich triumphale Alpenthema, so nenne ich es mal, müsste in dem Triumph der Ersteigung des Gipfels ein ähnlich erratisch mächtiges Tempo finden.
Wie man das aber ohne Karajansche Klangtechnik-Nachhilfe wirkungsvoll zaubern soll, mit kleinerem Orchester, wäre mir auch ein Rätsel. Ein gutes Beispiel dafür, wie man eine "Bruckner-hafte" Großpartitur mit kleineren Orchester problematisch und doch manchmal erfolgreich realisiert, ist manchmal die (sehr sympathische) Ivor Bolton-Reihe aller Bruckner-Sinfonien bei Oehms
Insofern hat Bruns hier aber wirklich mit dem sehr guten Jenaer Orchester eine geniale Interpretation mit klassischen Geist bewerkstelligt, und ich hoffe auch, dass er das mit Frommel und anderen so fortsetzen kann.
Vielen vielen Dank! Ein echter Kenner weiß diese CD sehr zu schätzen!!!
Man darf also sehr "zufrieden" sein, denn sowieso gelang es noch nie, anspruchsvolle und völlig neue Meister des 20.ten Jahrhunderts einfach mal ebenso in allen Belangen ganz problemlos zu verwirklichen. Die hier vorliegende Aufnahme hat aber alles gute Machbare realisiert, und mir persönlich hat die Aufnahme nur Freude gemacht, da hier wirklich das bestmögliche Resultat erzielt wurde! !
Technische Abhilfe für Tempoalternativen auf der CD
Und: in unseren Zeiten gibt es angesichts eines Mangels an künstlerischen Möglichkeiten technische Nachhilfe. Bei Tempoalternativen zu einer CD verwende ich gerne auf dem PC elektronische Programme, hierzu verwende ich Magix Music Maker (damit lässt sich das Tempo von Musikstücken einer CD verändern). Ich hatte auch in den letzten Tagen bei frischer steinfeuchter Frühlingsluft und goldener April-Wochend-Sonne ausreichend Zeit, diese sehr schöne Frommel-Aufnahme durch mein Programm zu bringen. Das Ergebnis ist, dass man diese tolle Bruns-Aufnahme für so was ideal nutzen kann, und ich bin gerne bereit, die Zeitangaben für "meine" Version der Frommel-Sinfonie in einem "Kommentar" demnächst (der Button unten rechts) dem Musik.- Freund zur Verfügung zu stellen. Ich habe mit dieser Variante bereits begeisterte Zustimmung gewonnen und sie ist mit 18 Tempoveränderungen und nur einer klanglichen für den Anfänger ganz leicht zu realisieren.