York Höller: Sphären für großes Orchester & Live-Elektronik auf CD
Sphären für großes Orchester & Live-Elektronik
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
(soweit verfügbar beim Lieferanten)
+Der ewige Tag für gemischten Chor, großes Orchester & Live-Elektronik
- Künstler:
- WDR Rundfunkchor Köln, WDR SO Köln, Semyon Bychkov
- Label:
- Neos
- Aufnahmejahr ca.:
- 2001/2008
- Artikelnummer:
- 1239110
- UPC/EAN:
- 4260063110399
- Erscheinungstermin:
- 1.8.2013
- Gesamtverkaufsrang: 7543
- Verkaufsrang in CDs: 3145
Musikalischer Beziehungsreichtum
Mit seinem Orchesterzyklus Sphären hat der Komponist York Höller ein großformatiges Werk geschaffen, das wie in einem Brennpunkt die literarischen, künstlerischen und persönlichen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte bündelt. Sphären besteht aus sechs »Klangbildern« unterschiedlichen Charakters, von denen die ersten fünf während der Jahre 2001 bis 2005 entstanden sind; nach dem Tod seiner Ehefrau Ursula Höller-Heidemann im Januar 2006 fügte Höller noch den abschließenden sechsten Satz hinzu und widmete die Musik »in Liebe und Dankbarkeit« dem Andenken der Verstorbenen. Mit der Benennung sowohl des Zyklus’ wie auch der Einzelsätze bringt der Komponist auf der Ebene der Titelgebung einen Beziehungsreichtum ins Spiel, der einige Anregungen und Impulse der Werkentstehung spiegelt.
Das Titel gebende Bild der Sphäre erinnert zunächst – im Sinne des Begriffs »sphaira« (griech.: Hülle) und anspielend auf die antike Naturphilosophie mit ihren vier Elementen Luft, Wasser, Erde und Feuer – an eine in sich geschlossene Gesamtheit und alles umhüllende Totalität. Von dieser Bedeutung her benennt es den zusammenfassenden Charakter, der dem Sphären-Zyklus, gleichsam als Summe von kompositorischen Erfahrungen, im Schaffen Höllers zukommt. Exemplarisch realisiert der Komponist hier seine Idee vom Kunstwerk als »organisch-energetischem System«, in dem alle Bestandteile nicht nur funktionell aufeinander bezogen sind, sondern auch auf einheitliche strukturelle Grundlagen, die so genannten »Klanggestalten«, zurückgehen, die – vergleichbar dem menschlichen Erbgut – alle melodischen, harmonischen, rhythmischen und formalen Entwicklungsmöglichkeiten des Werkes keimhaft in sich tragen und sie im zeitlichen Verlauf der Musik entfalten. Jeder Einzelsatz der Sphären lotet demnach bestimmte Lesarten einer dem ganzen Zyklus zugrunde liegenden Klanggestalt aus und lässt sie auf individuelle Weise, aber dennoch kompositorisch auch auf die übrigen Stücke bezogen, hervortreten.
Während die atmosphärischen Wechsel der ersten vier Klangbilder Wolkengesang, Windspiel, Erdschichten und Regen-Kanon sich Höller zufolge »regelmäßigen Aufenthalten in der oberitalienischen Alpensee-Landschaft und den damit verbundenen Natureindrücken« verdanken, handelt es sich beim fünften Stück, Feuerwerk, um die orchestrale Adaption eines Ensemblewerks, das der Komponist 2005 anlässlich des 75-jährigen Bestehens seiner Geburtsstadt Leverkusen im Hinblick auf die spätere Integration in den Sphären-Zyklus geschrieben hat. Eine besondere Bedeutung des Titels Sphären eröffnet sich schließlich angesichts des nachträglich hinzugefügten Klangbilds Sphärentrauer, wenn man dem Hinweis des Komponisten auf Peter Sloterdijks philosophisches Hauptwerk Sphären (1998–2004) folgt und ihn mit Höllers Widmung des Zyklus’ an seine verstorbene Ehefrau zusammendenkt. Denn Sloterdijk benutzt den Begriff der »Sphäre« für jenen gemeinsamen Erlebnis- und Erfahrungsraum, in dem die aus zwei Menschen gebildete Polarität eines Paares zum gemeinsam verstandenen Seinsverhältnis des Zusammengehörens wird: ein Verhältnis, das jedoch immer auch durch Instabilitäten gefährdet ist – am gravierendsten durch den Tod des Gegenübers.
Vor diesem Hintergrund lässt sich Sphärentrauer als künstlerischer Versuch der Bewältigung einer existenziellen Krise auffassen: Höller legt dem Satz das Stück Tastengeläut aus dem Klavierzyklus Monogramme (1995–2003) zugrunde, damit der Assoziation des Glockenklangs nachgebend, die im Tonsatz mitschwingt. Im neuen Klanggewand ist der Vorlage ein primär akkordisch gearbeiteter Einleitungsteil vorgelagert, der harmonisch auf dem ersten Segment der Klanggestalt von Sphären basiert und den Satz dadurch eng an die übrigen fünf Stücke bindet. In melodischer Hinsicht sind diesem Abschnitt jene Strukturen eingeschrieben, die Franz Schubert im Rückgriff auf sein eigenes Lied dem Variationssatz des Streichquartetts Der Tod und das Mädchen zugrunde gelegt hat – ein Thema, das Höller dann im weiteren Verlauf des Orchesterstücks als Klangsymbol in die Textur einarbeitet und als Konkretisierung dessen erscheinen lässt, was melodisch und harmonisch ohnehin bereits in der Musik verborgen war. Dieses »memento mori« beschließt einen zu Musik kristallisierten Erfahrungsschatz, der durch vielfältige Formen von expressiver Intensität beeindruckt und den Hörer zu musikalischem Erleben anstiften möchte.
Auf anderer Ebene eignet auch der Komposition Der ewige Tag für Chor und Orchester (1998–2000, rev. 2002) ein zusammenfassender Charakter. Die von Höller ausgewählte Lyrik umspannt in drei miteinander korrespondierenden Textstationen Zeit und Raum und greift damit die im Titel thematisierte Idee eines in die Ewigkeit hinein ausgedehnten Tageslaufs, einer Art mythischen Sonnenwanderung von Ost nach West, auf – sie zugleich mit dem Bild einer friedlichen Koexistenz dreier unterschiedlicher Kulturen verschränkend: Sie gibt den Gedanken des mittelalterlich arabisch-islamischen Dichters Ibn Scharif zu Morgen und Orient Raum, verknüpft diese mit dem expressionistischen Blick Georg Heyms auf Bilder aus der antiken griechischen Mythologie, die für die Zeit vom späten Vormittag bis zum milden Abend stehen, und geleitet den Hörer schließlich, im Zwischenspiel von irrlichternden Zitaten aus Gustav Mahlers 7. Sinfonie unterstützt, zu Pablo Neruadas Zeilen über »uralte Nacht und Dünste von Salz« aus der lateinamerikanischen Gegenwart, die – lokalisiert an den Ufern des Stillen Ozeans – den Blick wieder darauf richten, dass am nächsten Morgen die Sonne im »Osten erglüht«. Auf der Textebene ist der Komposition damit eine unendliche Bewegung eingeschrieben, die musikalisch mit Höllers plastischer Behandlung von Chor und Orchester korrespondiert und darauf zielt, die im Titel thematisierte Utopie des »ewigen Tages« nachzuzeichnen: eines Tages, der, im Sinne eines »ewigen Kreislaufs«, »nicht endet, sondern am Punkt seines Endes mit dem Anfang kurzschließt und wieder neu beginnt« (Höller). Das Werk ist Wolfgang Becker gewidmet.
Stefan Drees
Disk 1 von 1 (CD)
Sphären (2001-06) (für großes Orchester und Elektronik)
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1 1. Satz: Wolkengesang
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2 2. Satz: Windspiel
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3 3. Satz: Erdschichten
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4 4. Satz: Regen-Kanon
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5 5. Satz: Feuerwerk
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6 6. Satz: Sphärentrauer
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7 Der ewige Tag (1998-2000, rev. 2006) (für Chor, großes Orchester und Elektronik)
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