Vom Vinyl zur Bluray: Herbert von Karajans "Ring" in bestem Glanz und Gloria
Herbert von Karajan hatte eine Vision: Regie der Inszenierung und Dirigat in einer Hand, so wie es idealtypisch Richard Wagner für seine Musik gefordert hatte, und für die Aufführung ein eigens dafür errichtetes Festspielhaus, um auch dem Bühnenbildner die bestmögliche Voraussetzung zu geben, in Kombination mit den besten Sängern der Welt und einem Orchester von Weltrang, den Berliner Philharmonikern.
Diese Vision wurde ab 1967 mit den Salzburger Osterfestpielen Realität. Los ging es allerdings nicht mit dem von Richard Wagner als „Vorabend zum Bühnenfestspiel ‚Der Ring des Nibelungen‘“ bezeichneten „Rheingold“, sondern mit der „Walküre“. „Das Rheingold“ folgte bei den Osterfestspielen 1968, danach „Siegfried“ 1969 und die „Götterdämmerung“ 1970, jeweils mit gefeierten Bühnenbildern von Günther Schneider-Siemssen. Das Design dieses „Rings“ gehört auf der Bühne bis heute zu den mit Abstand bedeutendsten.
Zu Karajans Gesamtkonzept gehörte es bei Operninszenierungen, vor den Probenarbeiten in Salzburg eine Studioaufnahme mit gleicher Besetzung zu erstellen. Auf diese Weise gelangte die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Werk bis zur eigentlichen Bühnenaufführung zu einer bis heute unerreichten Präzision, als Nebeneffekt konnte die Studioaufnahme als „Einspieler“ für Probenarbeiten in Salzburg genutzt werden; diese Vorgehensweise hielt er bis zu seiner letzten Inzenierung des „Ballo in Maschera“ für die Salzburger Festspiele 1989 bei.
So entstand die hier vorliegende Aufnahme des „Rings“ in verschiedenen Zeitabschnitten zwischen August 1966 und Oktober 1969 in der Berliner Jesus-Christus-Kirche für die Deutsche Grammophon. Bereits die Erstveröffentlichungen auf Vinyl errangen zahlreiche Schallplattenpreise.
Mit der Einführung der CD stand ein neues, digitales Medium zur Verfügung, welches die Fortschritte der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls digitalen Aufnahmetechnik abzubilden vermochte. Für Karajan war, einem berühmten Bonmot zufolge, „alles andere Gaslicht“, und so begann er, viele seiner früheren Einspielungen erneut digital für die CD aufzunehmen. Zu einer Neueinspielung des „Rings“ kam es jedoch nicht.
Daher erfolgte zunächst die Überspielung der ursprünglichen Vinyl-Veröffentlichung auf CD. Erst Ende der 90er Jahre wurde ein erstes Remastering der Aufnahmen mit dem „Original Image-Bit Processing“-Verfahren der Deutschen Grammophon für die „The Originals“-Serie durchgeführt und 1998 veröffentlicht. Zum damaligen Zeitpunkt sicherlich ein Meilenstein, der im Vergleich zur bisherigen CD-Veröffentlichung wesentliche klangliche Verbesserungen brachte und das musikalische Genius Karajans, das in dieser Aufnahme steckt, intensiviert zum Vorschein bringt (dieses Set ist bis heute erhältlich; meine Ausführungen zu den klanglichen Verbesserungen unten beziehen sich auf diese Ausgabe).
Der technische Fortschritt bezüglich der Möglichkeiten des Remasterings alter Aufnahmen ging natürlich weiter und wurde in den vergangenen Jahren für den Gesamtkatalog der konzertanten Karajan-Aufnahmen für die Boxen „Karajan 1960s“, „Karajan 1970s“ und „Karajan 1980s“ mit herausragenden Ergebnissen genutzt (vgl. meine Rezensionen dort).
Für die Box „Karajan-Opera Recordings“ wurden im Gegensatz zur bisherigen Vorgehensweise jedoch nicht alle Opernaufnahmen neu remastert, sondern für einige der Aufnahmen wurde auf bereits vorhandene Remasterings zurückgegriffen, so auch für den „Ring“. Dies blieb für lange Zeit die größte Enttäuschung dieser Box.
50 Jahre nach der Premiere der „Walküre“ bei den Osterfestspielen 1967 erscheint nun die Ring-Gesamtaufnahme endlich in einem neuen Remastering der Emil-Berliner-Studios von 2016, welches direkt von den Original-Masterbändern der damaligen Aufnahmen in 24 bit/96-khz gefertigt wurde. Aufgrund des Formats Bluray wird dieses Remastering anstelle auf 14 CD’s nun ohne Qualitätsverlust, in Studioqualität, auf einer Bluray-Disc zugänglich. Die Bluray befindet sich in einem 400-seitigen Hardcover-Booklet, welches wiederum in einem stabilen Schuber enthalten ist. Das Booklet enthält neben einführenden Texten zu jeder Oper auch die vollständigen Libretti, jeweils auf Englisch und Deutsch. Die Einführungstexte zu den Opern sind jedoch nicht neu, sondern entsprechen den Texten, die bereits bei der Auflage in der "Originals"-Serie Verwendung fanden.
Die spannendste Frage für den Hörer ist natürlich, ob diese Ausgabe einen erneuten Kauf der Aufnahme rechtfertigt, insbesondere, wenn man wie ich die ursprüngliche „Originals“-Veröffentlichung genauso besitzt, wie die klanglich identische Veröffentlichung im Rahmen der „Opera Recordings“-Box.
Die klare Antwort: Ja, unbedingt, oder, um es mit Karajan zu sagen: Alle anderen Veröffentlichungen sind Gaslicht!
Niemals zuvor waren Orchester und Sänger ausgewogener, stets in glasklarer Brillanz und außergewöhnlicher Detailtiefe zu hören. Orchesterstimmen und Sänger überlagern sich nicht, sondern bilden eine perfekte klangliche Einheit. Die Räumlichkeit, die die Ausgabe vermittelt, ist herausragend und zeigt referenzartig die großartige Akustik der Berliner Jesus-Christus-Kirche. Die Probleme des vorhergehenden Remasterings, wie z.B. eine Überbetonung des Bandrauschens zugunsten klanglicher Klarheit, sind Geschichte. Diese Bluray bringt endlich, und ich möchte sagen, abschließend, die Genialität von Karajans Ansatz für den „Ring“ zum Vorschein: Das Orchester trägt die Sänger, ohne sie jemals mit wagnerianischem Bombast zu übertönen, aber dort, wo er am besten passt, lässt Karajan ihn perfekt dosiert aus dem Orchester donnern oder fließen; wer nachvollziehen möchte, was ich meine, höre sich den Walkürenritt, Siegfrieds Rheinfahrt oder den Trauermarsch an, um nur einige der vielen Fundstellen zu nennen. Viele nennen seinen Ansatz „kammermusikalisch“ und ich habe dies immer positiv verstanden, denn er hat mir seinerzeit den besten Zugang zu Wagners Tetralogie ermöglicht, und noch nie hat er besser geklungen, als jetzt.
So wehmütig ich war, als ich entdeckte, dass die „Opera Recordings“-Box kein neues Remastering des „Rings“ enthielt, so begeistert bin ich nun von dieser Veröffentlichung. Qualitatv perfekter geht es meiner Meinung nach nicht, und dies ist sicher auch ein später Verdienst des Toningenieurs Günter Hermanns, dessen Aufnahmetechnik mit vielen Einzelmikrofonen den heute hörbaren Detailreichtum der Aufnahmen erst ermöglicht hat.
Eine Anmerkung zum Schluss: Um diese Qualitätsverbesserungen der Aufnahme zu erleben, benötigt man nicht unbedingt High-End-Equipment. Mein Höreindruck entstand mit einem Sony Bluray-Player BDP-S1700 und einem hochauflösenden Kopfhörer Sony MDR-1R.