Manfred Trojahn: Streichquartette Nr.3 & 4 auf CD
Streichquartette Nr.3 & 4
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
(soweit verfügbar beim Lieferanten)
+Fragmente für Antigone für Streichquartett; Chant d'insomnie III - Nr. 6 aus "Lettera amorosa"
- Künstler:
- Henschel Quartett
- Label:
- Neos
- Aufnahmejahr ca.:
- 2009
- Artikelnummer:
- 4562554
- UPC/EAN:
- 4260063110177
- Erscheinungstermin:
- 1.8.2013
Bislang sind in Manfred Trojahns Werkliste vier Streichquartette verzeichnet, und zwar aus den Jahren 1976, 1979 / 80, 1983 und 2009. Indessen hat Trojahn noch weitere Werke für diese Besetzung geschrieben, mitunter erweitert durch zusätzliche Instrumente – wie bereits im 2. Streichquartett, wo in drei Sätzen Mezzosopran und Klari-nette das Streicherensemble ergänzen. In der Sonata IV »Printemps« von 1995 tritt eine Flöte hinzu, und in der Schubert-Hommage Palinsesto von 1996 eine Sopran-stimme.
In dem siebensätzigen Zyklus Lettera amorosa von 2007 wiederum gehen Streichquartett, zwei weitere Violinen und zwei Soprane satzspezifische Besetzungskombinationen ein. Insgesamt gilt auch für Trojahns Quartettschaffen, was spätestens seit Beethovens letzten Quartetten für die Gattung paradigmatisch ist: Auch Trojahns Quartette sind – wie im jeweils angeschlagenen Ton, so in der Konzeption – unverwechselbare Unikate.
Auch sie sind, anknüpfend an Beethovens hochgeschraubte Ansprüche ans eigene Komponieren, Zeugnisse kompositorischer Ambitioniertheit; und auch sie bieten, den verinnerlichten Ausdrucksgestus des Beethovenschen Quartett-Œuvres aufgreifend, den Hörern sozusagen ein Privatissimum der persönlichen Mitteilung.
Das aus sechs aphoristischen Stücken bestehende Werk Fragmente für Antigone von 1988 war ursprünglich als Bühnenmusik für eine Aufführung von Friedrich Hölderlins Antigone-Übersetzung in Bochum gedacht. Die Musik blieb dann aber unbenutzt, weil sie sich, so Trojahn »wegen ihrer radikalen Kargheit … der Eingliederung in das Schauspiel widersetzte«.
Versehen mit fragmenthaften Satzüberschriften aus Hölderlins Text, formuliert die Musik gleichsam Endstationen der Antigone. Disparat gefügte, mit zwei oder drei Motivgesten auskommende Stücke wechseln mit monomotivischen Stücken ab. Insbesondere in ihnen verzichtet Trojahn wegen des blockartigen Einsatzes des Instrumentariums auf den traditionellen Quartettsatz mit flexiblem Rollenspiel.
Im letzten Stück, das lediglich den Ton c im steten Klopfmetrum des Cellos und den Pizzicato-Einschüben der übrigen Streicher präsentiert, wird die »Ein-Tönigkeit« im ursprünglichen Wortsinn zum fatalistischen Ausdrucksgestus der Schritt für Schritt aus dem Leben vertriebenen Titelheldin.
Eine ganz andere musikalische Faktur weist der Chant d’insommnie III, der sechste Satz des Zyklus’ Lettera amorosa auf, der Anno 2007 zur Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar uraufgeführt wurde: Nachdem die Molto-Adagio-Einleitung das Quartett zunächst als einmütig agierendes Espressivo-Ensemble vorgestellt hat, nimmt die kompositorische Struktur in der Rollenaufteilung zwischen Begleitpatterns und Kantilenen Maß an der Tradition, und es entstehen postromantische Farbwerte.
Es mag sich in diesem »Gesang der Schlaflosigkeit« das poetische Bild eines zwischen Wachen, Halbschlaf und Wiederaufschrecken sich wälzenden Liebenden einstellen, der schließlich im schwerelos flirrenden Wohllaut des Schlussparts vollends ins Reich der Träume entrückt zu sein scheint.
Mit dem weichen Melos dieser Nachtmusik kontrastiert Trojahns konzentriert-knappes 3. Streichquartett von 1983 deutlich. In flexibler, von Beethovens Quartettkunst inspirierter Disposition reagieren die Parte höchst spannend aufeinander und benötigen zur Kommunikation nur ein kleines Repertoire von scharf konturierten, kurzen und prägnanten Klanggesten. Die Satztypen der Tradition sind allenfalls noch zu erahnen: etwa in der Disparatheit der Motivik im 1. Satz, im ruhigen Tempo des in eine Siciliano-Bewegung mündenden 2. Satzes oder dem auf Brüche, rhythmische Kontraste und Umschwünge setzenden 3. Satz.
Im Schlusssatz mit seiner kleinen Scherzando-Episode wiederum ist das Prinzip der Reihung wirksam, so dass die Motiv-Bausteine aufgrund ihrer mehrfachen Wiederkehr eine Rondo-Anmutung geben. Während die Komprimiertheit des musikalischen Geschehens aus der Auseinandersetzung mit Werken der Wiener Schule hervorgegangen sein mag, schlägt sich in der avancierten Harmonik, die allenfalls flüchtige Anklänge an die Tonalität einfließen lässt, der Zeitstil des späten 20. Jahrhunderts nieder.
Freilich ist Avantgardismus kein Selbstzweck des Trojahnschen Komponierens – umso mehr die künstlerische Bekundung einer geschichtsbewussten Individualität. Und so bietet Trojahns 4. Streichquartett nichts weniger als eine moderne Fortschreibung der musikalischen Romantik. Bereits im mit tristanesker Chromatik aufwartenden Eingangssatz ist tonale Fixierung einkalkuliert. Kantilenen und duettierende Passagen evozieren die Vorstellung einer elegischen Szene.
Indem Trojahn dem 2. Satz, einem brillanten Scherzo, das mit durchbrochener Arbeit und virtuoser Spielfreude aufwartet, den Untertitel »Erste fremde Szene« gibt, überlässt es der Komponist dem Hörer, herauszubekommen, worin die Fremdheit besteht. Mit Blick auf das Uraufführungsjahr 2009 liegt es angesichts von Felix Mendelssohn Bartholdys 200. Geburtstag nahe, an eine turbulente Mendelssohniade zu denken.
Der 3. Satz wiederum knüpft stimmungsmäßig an den ersten an. Sanglichkeit, die Einfärbung der melodischen Hauptlinien durch Begleitstimmen lassen Schubert- oder Dvořák-Nähe vermuten, wobei insbesondere im Schlussteil durch verfremdete Spielweisen jener fragil-schwebende Klangeindruck entsteht, der für Trojahns Quartettschaffen insgesamt typisch ist. Eine »Zweite fremde Szene« setzt Trojahn in ironisch herbeizitierter Kehraus-Tradition an den Schluss des Werks. Tarantellahafte Rhythmik kontrapunktiert und stört volksliedhafte Sextenseligkeit.
Mit einem Augenzwinkern in Tönen stellt Trojahn damit zwischen Komponist und Hörern jenes kommunikative Einvernehmen her, das zwar beim Hörer aktive Rezeption voraussetzt, von der eigenen Musik aber ein Miteinbeziehen überkommener Tonfälle und Idiome verlangt, so dass »der Gedankenschluss vollzogen werden könnte«, so Trojahn 1989, dass »Hörer und Komponist ähnliche Erfahrungen und Kenntnisse verbinden«.
Robert Maschka
Disk 1 von 1 (CD)
Streichquartett Nr. 3 (1983)
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1 1. Molto adagio
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2 2. Sehr zart, äußerst langsam
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3 3. Agitato
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4 4. Sehr langsam, mit äußerster Ruhe
Fragmente für Antigone (Stücke für Streichquartett Nr. 1-6) (1988)
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5 Nr. 1 ...wenn uns nicht im Finstern hält die Zeit
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6 Nr. 2 Nicht kam ein Wort zu mir...
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7 Nr. 3 ...marmornen Glanz...
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8 Nr. 4 ...dieselben Stöße der Seele
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9 Nr. 5 O mir, grad vor dem Tode ist dies das Wort
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10 Nr. 6 ...und nicht wohin ich gehe
Lettera amorosa (2007) (Auszug)
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11 Nr. 6 Chant d'insomnie Nr. 3
Streichquartett Nr. 4 (2009)
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12 1. Molto moderato
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13 2. Moltissimo vivace: Erste fremde Szene
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14 3. Lento, rubato
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15 4. Andante, leggiero, sempre un poco staccato: Zweite fremde Szene
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