leider etwas blass . . .
SCHALLERS BESONDERHEITEN BEI BRUCKNER-AUFNAHMEN
Das herausragende Verdienst Gerd Schallers ist, dass er wenig oder noch nie gespielte Fassungen (fast immer von Carragan) eingespielt hat:
1te (1866, ohne spätere Nachbesserungen wie sonst meist verwendet)
2te (1972, mit von Carragan geöffnete Strichen)
3te (1874, eine Fassung, die es so eigentlich gar nicht gibt)
4te (1888, eine der zwei Einspielungen - nämlich die als Einzel-CD veröffentlichte - ist mit dem "Volksfest-Finale")
8te (1887-Fassung, mit Änderungen von 1888)
9te (mit Finale, erstellt von Carragan)
5te, 6te und 7te verwenden die üblichen Ausgaben.
DIE ACHTE IN DER FASSUNG VON 1888 - EINE WELTPREMIERE
Bei der hier vorliegenden Achten ist die Grundlage die Erstfassung von 1887 mit ein paar Änderungen, die Bruckner 1888 vorgenommen hat. Manches davon fällt dem, der die 1887-Fassung gut kennt auf - es ist aber eher wenig bzw. nicht gravierend.
Natürlich ist es höchst lobenswert und auch interessant, hier hören zu können, was Bruckner an Änderungen von Kleinigkeiten vollzog und wie er diese durchführte. Aber einen ersten Ansatz zur Entscheidung einer Neufassung - dem später durchgeführten echten Konzeptwandel - hat der Komponist hier noch nicht vollzogen.
INTERPRETATION
Die Interpretation bewegt sich in moderatem bis eher langsamen Tempi. Die Artikulation ist gut verständlich und Farbigkeit groß.
Das Orchester ist (international gesehen) sehr gut, aber nicht wirklich herausragend. Die Intonation zeigt keine "Auffälligkeiten", die Grenzbereiche des Instrumentalen sind im tiefen Blech sehr gut gelungen, in der Höhe gibts kleinere Probleme. Das fällt aber nicht störend auf.
Das Herz einer jeden Einspielung ist für mich --- eben das Herz der Einspielung!
Und deshalb gibt es von mir persönlich für diese Aufnahme nur drei Sterne. Mir ist da zu wenig Gestaltendes, "Geschichte" des Werks oder Vision. Die Achte hat nicht umsonst den (zutreffenden, aber nicht von Bruckner stammenden) Beinamen "Apokalyptische".
Dazu ein paar Sätze aus meiner Rezension der Aufnahme der Erstfassung mit Fedoseyev:
"Bruckner ist hier ein „katholischer Luther“ auf der Kanzel, der die Welt entstehen lässt und dem Hörer die Schrecken (seine eigenen und allgemeine) so drastisch vor Augen führt, dass dieser sich - obwohl in der Kirche bzw. Konzertsaal - schon in der Hölle, dem Fegefeuer oder dem Himmel wähnt. Hier scheint nirgends mild verklärtes Licht, behäbige Gewohnheit, dafür gibt es Sehnen, Schmerz, Schockwellen, Gewalt, Stärke, himmelsstürmende Freude, Visionen …"
DAVON ist in dieser Einspielung mit Schaller leider nichts zu spüren. Kraft, Konstanz, Lyrik, Übersicht, Struktur - ja ... aber nichts Exaltiertes oder Extremen oder ein an die Grenzen gehen, was Die Achte erst zur ACHTEN macht!
Die Aufnahmetechnik ist für eine Einspielung in einem Kirchenraum (Abteikirche Ebrach, Juli 2012) ausgezeichnet.
EDITORISCHES
Ein Schwachpunkt aller Bruckner-CDs mit Schaller bei Hänssler sind die ungenauen, lückenhaften oder "Osterei"-Angaben (fröhliches Suchen im Text!) über die Fassungen, Entstehung und Besonderheiten. Gerade bei solch einem Projekt, dass hier den Schwerpunkt setzt, ist das völlig unverständlich. Man sollte - wie es ja sogar bei diesbezüglich weniger ambitionierten Aufnahmen der Fall ist - alle wichtigen Details übersichtlich auf der Rückseite oder in der Aufstellung des Texthefts sehen können.
Ansonsten ist die Ausgabe voirbildlich.
Ach ja - nicht zu vergessen:
KITZLER - DEM ANDENKEN ANTON BRUCKNERS
Ein schöner romantischer fast vierzehnminütiger Trauermarsch. Im A-Teil mit einer deutlichen stimmungsmäßigen Anleihe bei der "Götterdämmerung", im Mittelteil gibt es eine Ähnlichkeit zum "Gretchen"-Satz aus Liszts "Faust-Sinfonie". Direkt mit Bruckners Musik habe ich keine Parallelen entdecken können.
Die Interpretation ist äußerst stimmig und adelt das Stück zusätzlich. Sehr gutes orchesterspiel, ein paar wunderbare Linien der Solo-Trompete.
FAZIT
Wenn man nicht gerade so verrückt ist wie ich und hörend "in Bruckners Kopf und Herz" sehen möchte bzw. seine Beweggründe für Änderungen erspüren bzw. die Schritte erkennen möchte, dann ist diese CD nicht zwingend nötig. Wer die Erstfassung der Achten in einer ausgezeichneten Einspielung hören möchte, der halte sich unbedingt an Fedoseyev (feurig visionär) oder Nagano (mystisch langsam).
- - - - -
Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!