Gefühls- und Gedankenwelt eines Kindes, dessen Vater an Depressionen erkrankt ist
(C. N.: Depressionen, Suizidgedanken)
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„Es gibt Menschen, die nie ganz glücklich werden. Egal, was man auch tut, sie sind immer ein bisschen traurig. Manchmal werden sie so traurig, dass sie im Krankenhaus leben müssen (…).“
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INHALT:
Plötzlich ist Papa einfach verschwunden, sein Platz am Frühstückstisch bleibt leer. Er fehlt.
Erst nach einiger Zeit erfährt Zoe, dass er sich nun in einer psychiatrischen Klinik befindet. Er ist krank geworden.
Zusammen mit Mama besucht sie ihn.
In der Klinik wird Papa von „Engeln“ in Weiß versorgt, die auf ihn achtgeben, dass er nicht „davonfliegt“. Dabei hat er gar keine Flügel.
Ob er je wieder gesund wird, ist ungewiss. Papa weiß gerade auch nicht, ob er überhaupt wieder nach Hause kommen mag. Denn er ist so traurig, dass er eigentlich gar nicht mehr leben möchte.
Für Zoe ist das schwer nachzuvollziehen, schließlich gibt es so viel Schönes auf der Welt.
Manche Dinge sind schwer zu begreifen, auch dass Papa sie eines Tages gar nicht mehr sehen und allein sein möchte.
Doch sie fährt trotzdem weiter zu ihm in die Klinik und wartet auf ihn. Sie muss lange warten.
Dabei freundet sie sich mit Schwimmerin Sabina an, die auch in der Klinik lebt und immer einen roten Badeanzug unter ihrem blauen Bademantel trägt. Gemeinsam schwelgen sie in ihrer Fantasie und treffen sich jeden Tag zum „Schwimmen“ …
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MEINUNG:
An Bilderbüchern schätze ich besonders, dass man Kindern auf niederschwellige Weise auch schwere Themen nahebringen kann, für die uns Erwachsene im Alltag manchmal die Worte fehlen.
Leidet ein Elternteil unter Depressionen, ist das gerade auch für Kinder häufig schwer zu verstehen.
Umso schöner, dass es mittlerweile Bilderbücher wie dieses gibt, die Kindern dieses Krankheitsbild und deren mögliche Auswirkungen einfühlsam vor Augen führen.
Die Geschichte wird aus der Perspektive von Zoe erzählt.
Ich denke, das Buch ist vor allem für Kinder geeignet, die selbst ein an Depressionen erkrankten Elternteil haben.
Denn es greift gekonnt mögliche Gefühle und Gedanken auf, die bei diesen Kindern entstehen können: Wo ist Papa? Was ist los mit ihm? Warum möchte er nicht nach Hause kommen? Wie kann er nicht mehr leben wollen? Wie kann er mich nicht sehen wollen?
Protagonistin Zoe, die eine starke Resilienz aufweist, macht Kindern durch ihre Geschichte deutlich, dass sie nicht allein mit dieser Situation sind, auch wenn es ihnen vielleicht gerade so erscheint. Und dass es nicht für alle Fragen eine Antwort gibt. Aber auch das ist okay.
Die Figur von Sabina zeigt, dass Fantasie ein hilfreicher Weg sein kann, um mit schweren Zeiten umzugehen und gibt Kindern diese als Bewältigungsstrategie mit an die Hand.
Zudem ist es für Kinder in solchen Situationen wichtig, Bezugspersonen zu haben. Im Buch wird die erwachsene Sabina zu einer Freundin und hilft dem Mädchen, die schwere Zeit zu überstehen.
Für Kinder, die noch nicht mit Erwachsenen in ihrer Umgebung in Berührung gekommen sind, die an Depressionen leiden, könnte das Buch vielleicht etwas zu abstrakt wirken und die Erkrankung noch weniger greifbar.
So oder so sind bei dieser Thematik Bezugspersonen hilfreich, mit denen sich Kinder bei der Bilderbuchbetrachtung austauschen und denen sie Fragen stellen können.
Die Illustrationen sind in Aquarell-Optik gehalten und fangen die Gefühlswelt der Protagonistin gut ein. Der Schnee spiegelt zu Beginn die Trauer wider. Vor allem gegen Ende, als es Sommer wird, werden die Farben kräftiger, strahlender und schenken Hoffnung.
Beim Text ist manches im übertragenen Sinn zu verstehen, z. B. die „Engel“ (Ärzte) oder, „dass er nicht davonfliegt“ (sein Leben nicht beendet). Vor allem Letzteres dürfte für jüngere Kinder noch schwer verständlich sein. Trotzdem finde ich die gefundenen sprachlichen Bilder sehr gelungen und berührend.
Das Buch wird vom Verlag für Kinder ab 5 Jahren empfehlen. Früher würde ich es auch nicht einsetzen. Ich denke, man muss hier individuell schauen. Ausgesprochen gut kann ich es mir auch in der Grundschule vorstellen, um gemeinsam über das Thema Depression zu sprechen.
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FAZIT: Ein äußerst berührendes Bilderbuch, das auf einfühlsame Weise die Gefühls- und Gedankenwelt eines Kindes beschreibt, dessen Vater an Depressionen erkrankt ist. Es zeigt vor allem betroffenen Kindern ab ca. 5 Jahren auf, dass sie nicht allein sind, dass es gut ist, auch in schweren Zeiten Freunde/ Bezugspersonen zu haben und, dass Fantasie eine geeignete Bewältigungsstrategie in solchen Situationen darstellen kann.
Eine klare Empfehlung und 5/5 Sterne!