Realistischer Blick auf das Dorfleben im Wandel
Ingo und Lara Fenske sind Eltern von zwei Kindern im Grundschulalter. Sie ist freiberufliche Grafikdesignerin, er Mitgründer eines sehr erfolgreichen Start-Ups in Hamburg. Auf Laras Wunsch haben sie einen großen Resthof mit erheblichem Sanierungsbedarf in einem schleswig-holsteinischen Dorf mit 200 Einwohnern erworben. Der Traum vom idyllischen Landleben mit viel Natur, Entspannung und Ruhe erweist sich schnell als Trugschluss. Hohe Hypotheken, lange Fahrt- und Arbeitszeiten für Ingo, die zusätzliche Arbeitsbelastung, die Haus und Grundstück fordern und Laras alleinige Zuständigkeit für Kindererziehung und alles, was sonst so anfällt – die Beziehung zwischen Lara und Ingo verschlechtert sich zusehends.
Als Ingo völlig übermüdet eine weiße Hirschkuh anfährt, muss das Tier erschossen werden. Uwe, Jäger und Schweinezüchter aus dem Dorf, kommt ihm zu Hilfe, erzählt aber auch von dem Aberglauben, dass die Tötung des Tieres innerhalb eines Jahres Unglück und Tod bringt. Vordergründig wird diese Prophezeiung als Unsinn abgetan, aber sie schwebt das ganze folgende Jahr über dem Paar. Der Kontakt zu den Alteingesessenen nimmt durch dieses Ereignis zu. Insbesondere zwischen Uwe und Ingo bahnt sich eine Verbindung an, die auf den ersten Blick erstaunt. Unterschiedlicher können zwei Menschen eigentlich nicht sein. Doch Ingo genießt die Ruhe und das anspruchslose Zusammensein, das mit Uwe möglich ist. Lara hat für diese Beziehung allerdings kein Verständnis. Sie hat in der Zwischenzeit langsam Kontakt zu anderen Bewohnerinnen des Dorfes aufgenommen und beginnt sich über die Teilnahme am Dorfleben stärker zu integrieren.
Das Paar aus der Großstadt steht zwar eindeutig im Mittelpunkt dieses Romans, aber die gar nicht so einheitliche Dorfbevölkerung wird in sehr detaillierten, liebevoll gezeichneten Charakterstudien in all ihren Facetten geschildert.
Dazu gehören Jutta und Armin, die vor 30 Jahren als Teil einer WG von einem alternativen Leben geträumt haben, aber schnell als einzige geblieben sind und vielleicht etwas mehr als nur eine Wohngemeinschaft sind.
Es gibt den unsympathischen, gewaltbereiten Schweinezüchter, der traditionell arbeitet und seine Ehefrau so mies behandelt, bis auch sie die Hoffnung auf Besserung aufgibt.
Im Gegensatz dazu hat der sensible, etwas eigenartige Uwe seinen Betrieb gewinnbringend auf hochmoderne Technik umgestellt, weil er dazu gedrängt wurde.
Es gibt noch eine überschaubare Anzahl ganz unterschiedlicher Menschen, die Teil dieser Gemeinschaft sind, in sie hineingeboren wurden oder vor vielen Jahren durch Heirat hinzugekommen sind und sich immer noch nicht als ganz zugehörig fühlen.
Anhand dieses Mikrokosmos zeigt die Autorin sehr anschaulich den Wandel in der Landwirtschaft auf. Betriebe müssen aufgeben oder kämpfen ums Überleben, andere sind wirtschaftlich erfolgreich durch Hochtechnisierung. Wieder andere stellen auf Biolandwirtschaft um. Die Übernahme der Höfe durch Söhne oder Töchter ist nicht mehr sichergestellt, weil diese einträglichere Berufe in der Stadt anstreben.
Auf der anderen Seite sind da die Städter, die sich ein Bullerbü-Leben vorstellen und mit dieser Erwartung aufs Land ziehen. Doch sie unterschätzen Anfahrtswege, die deutliche Mehrarbeit, die ihre größeren Häuser und Grundstücke bedeuten, und sie stellen sich die Aufnahme in gewachsene Gemeinschaften viel zu einfach vor.
Martina Behm hat in ihrem lesenswerten Debütroman nicht nur einen realitätsnahen Blick auf ein fiktives Dorf im Wandel geworfen, sondern auch sehr feinsinnig sich verändernde Beziehungsstrukturen aufgezeigt. Allerdings wird am Beispiel ihrer Hauptpersonen auch deutlich, wie schnell unterschiedlich hohe Einkommen und gemeinsame Kinder Paare in längst überholt geglaubte patriarchale Muster zurückbefördern.
Vielschichtige Charaktere, eine glaubwürdige Handlung und am Ende ein realistischer und vorsichtig optimistischer Blick in die Zukunft sind die Bestandteile dieses auch sprachlich überzeugenden Romans. Uneingeschränkte Leseempfehlung!