Wenn Kinder im Müll nach Essen suchen - aufrüttelnd, bewegend; bleibt noch lange im Kopf!
INHALT:
Im Norden (...) schmiegte sich ein kleines Dorf an einen bewaldeten Hügel: alle Fenster erleuchtet, heimelige Lichter. Der Junge war sich sicher, dass irgendwo in einem solchen Dorf das Haus stand, das für ihn und seine Mutter bestimmt war.
Doch Fehlanzeige. Vom Berghangslum geht es auf die Blumeninsel eine große Mülldeponie am Rande der südkoreanischen Metropole Seoul, auf der der 13-jährige Glupschaug mit seiner Mutter und 2000 weiteren Familien von nun an leben und arbeiten wird. Zum Wohnen dient ihnen eine selbst zusammengebaute Baracke, direkt angeschlossen, an die des Barons, welcher ein Auge auf die Mutter geworfen hat und nun die Rolle des Stiefvaters einnehmen soll. Das gefällt Glupschaug überhaupt nicht. Doch dann ist da noch der jüngere Glatzfleck, der von seinem Vater ignoriert und für Glupschaug zu einem kleinen Bruder wird. Gemeinsam stehlen sie sich davon, wenn zu Hause mal wieder dicke Luft herrscht.
Sie ernähren sich hauptsächlich von Essensresten, oder abgelaufenen Lebensmitteln, die sie im Müll finden. Waschgelegenheiten gibt es nicht vor Ort, und wenn sie ausnahmsweise mal in die Stadt gelangen, riecht man sie von Weitem. Denn die Menschen dort sind sauber, gut gekleidet, essen, was ihnen schmeckt und in den zahlreichen Läden gibt es einfach alles zu kaufen.
Ganz im Gegensatz zur Mülldeponie. Es war ein Misthaufen. Hier landeten Sachen, die man weggeworfen hatte. Verbraucht, nicht mehr interessant, kaputt. Und auch die Menschen, die hier lebten, waren von der Stadt aussortierte und entsorgte Existenzen.
MEINUNG:
Während das Wirtschaftswunder in Südkorea für Wohlstand in den Städten sorgte, ging es gleichzeitig durch den großen Konsumhunger der Leute, mit einem großen Entsorgungsproblem einher. Das Buch spielt scheinbar in den 80er oder 90er Jahren, als es vor Ort noch kein staatlich organisiertes Recyclingsystem gab. So war die Deponie Lebensgrundlage vieler ärmerer Menschen.
In Vertraute Welt kritisiert Hwang Sok-Yong unsere moderne Wegwerfgesellschaft. Eindrücklich vergleicht er z. B. Wohnen und Arbeiten auf der Mülldeponie, mit dem in der Stadt.
Und ja, es gibt einem zu denken! Wie oft werfen wir Lebensmittel weg, die man eigentlich noch essen kann? Erst die letzten Tage habe ich gelesen, dass wir in Deutschland immer mehr Elektroschrott produzieren. Von dem vielen Plastikmüll ganz zu schweigen. Selbst Haustiere, die in der Pandemiezeit angeschafft wurden, werden aktuell einfach wieder abgegeben.
Der Autor appelliert hier für einen nachhaltigeren und verantwortungsbewussteren Umgang. Und mir hat er zudem wieder gezeigt, wie sehr wir wertschätzen sollten, was wir haben, denn es ist nicht selbstverständlich!
Von Anfang an hat mich dieses Buch gepackt und gegen Ende auch gar nicht mehr losgelassen. Von Armut zu lesen, tut weh. Vor allem, wenn Kinder mitbetroffen sind.
Glupschaug und Glatzfleck sind mir so ans Herz gewachsen! Ich war froh, dass sie sich an diesem sonst eher trostlosen Ort, gefunden haben. Wenn die Kinder der Mülldeponie unter sich waren, vergaßen sie teilweise die bittere Realität. Gemeinsam konnten sie dieser dann eine Weile entfliehen. Dies gab der sonst eher traurigen Stimmung im Buch, glücklicherweise immer wieder einen Hoffnungsschimmer.
Zwischendurch war es recht dramatisch und als ich das Buch zugeklappt habe, war ich sprachlos.
Es ist für mich eines der Bücher, deren Geschichte man nicht so schnell vergisst. Es rüttelt auf und wird noch lange in mir nachwirken
Womit man zurechtkommen sollte, wenn man das Buch lesen möchte, sind ein paar leicht übernatürliche Szenen, die nicht immer von Anfang an klar zu deuten sind. Insgesamt hat das aber für mich gut gepasst. Ich habe bisher leider noch zu wenige Bücher aus dem asiatischen Raum gelesen, kannte diese Tendenz aber z. B. schon von Banana Yoshimoto.
In der Leserunde, in der ich das Buch gelesen habe, hatten manche Schwierigkeiten mit der Übersetzung. Zugegeben, bei manchen Sätzen habe ich auch gedacht, das hätte man auch anders übersetzen können. Aber ich denke, im asiatischen Raum verwendet man ja zum Teil auch eine andere, manchmal höflichere Wortwahl (z. B. nennt man andere Onkel oder Großvater, obwohl diese nicht verwandt sind). Kleine Ungereimtheiten haben mich hier nicht wirklich gestört. Ich war vielleicht auch zu sehr in der Geschichte versunken.
FAZIT: Ein eher trauriges, aber aufrüttelndes und teilweise sehr dramatisches Buch mit kleinen Hoffnungsschimmer, welches ich euch unbedingt ans Herz legen möchte, wenn ihr mit Themen wie (Kinder-) Armut umgehen könnt. 4,5-5/5 Sterne!