Kurze Lektüre aus Momentaufnahmen einer psych. WG
„Ich bin in meine Einzelteile zerfallen, wir versuchen, mich zusammenzukehren, doch wenn Türen sich öffnen, wirbelt der Wind Staub auf.“
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INHALT:
Fünf junge Menschen zwischen 18 und 23 Jahren, bewohnen nach einem längeren Klinikaufenthalt in der Psychiatrie, eine Art betreute psychiatrische Übergangs-WG. Diese soll ihnen Struktur und Halt geben und sie auf dem Weg in ein selbstständiges und verantwortungsvolles Leben begleiten.
Die namenlose Protagonistin erlebt die Routinen im Alltag als extrem wichtig. Ein Leben außerhalb der Einrichtung, wo sie für sich selbst und ihr Handeln Verantwortung übernehmen müsste, kann sie sich nur schwer vorstellen.
Laut ihr haben die Jungs hier Schizotypie oder sind schizophren, während die Mädchen mit Borderline, Zwangsstörungen und Essstörungen zu kämpfen haben.
Gemeinsam planen und führen sie Aktivitäten im Alltag durch, gehen einkaufen, wechseln sich beim Kochen ab, besuchen Therapien und entwickeln Strategien, um mit ihren Erkrankungen besser umgehen zu können.
Dabei hat jeder seine Geschichte und sein Päckchen zu tragen …
„Man sollte nie versuchen, die Klinik zu einem Zuhause zu machen, dafür ist sie einfach nicht gedacht, aber man muss wenigstens versuchen, es sich erträglich zu machen.
Ich betrachtete sie als Hotel; nicht weil der Aufenthalt dort etwas von Urlaub hatte, sondern weil ein Hotel eine andere Art von Ruhe ausstrahlt als ein Zuhause. Ein Hotel kann, wenn schon nichts anderes, das Zeitgefühl aufheben, dasselbe gilt für die Klinik.“
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MEINUNG:
Zu diesem Buch kann ich leider nicht allzu viel schreiben, ohne zu spoilern. Mit seinen 176 Seiten, die oft nur zur Hälfte bedruckt sind, ist die Lektüre recht kurz.
Auch die Kapitel erstrecken sich meistens nur um die 1-2 Seiten.
Dadurch wirkt der Text etwas abgehackt. Ich persönlich habe es als Stilelement aufgefasst, durch das die innere und manchmal auch äußere Unruhe der Protagonistin gut widergespiegelt wird. Sie kann nachts nicht schlafen, wird überrannt von Gedanken, wirkt impulsiv und neigt hin und wieder noch zu aggressiven Wutanfällen. Daher hat das für mich an dieser Stelle ganz gut gepasst.
In einer anderen Rezension hatte ich bereits gelesen, dass es sich im Buch hauptsächlich um Momentaufnahmen handelt. Mir ist lieber, ich weiß das vorher und bin dann nicht enttäuscht, wenn es weniger Handlung gibt, als gedacht.
Letztendlich gab es aber mehr Entwicklungen, als ich vermutet hatte, und die kurzen Episoden haben für mich gut zum Inhalt gepasst.
Die Protagonistin erzählt dabei manchmal etwas nüchtern (vllt. Durch ihr Krankheitsbild beeinflusst?) von verschiedenen Situationen im Alltag. Manche Stellen lösen Mitgefühl beim Lesen aus – davon hätte es gerne noch ein paar mehr geben können.
Der sonst recht bildliche Schreibstil hat mir gut gefallen, auch wenn er durch die kurzen Kapitel weniger zur Geltung kommt.
Das vermutlich symbolisch gemeinte und offene Ende erschien mir etwas seltsam, da ich die anderen Sequenzen als weniger symbolisch empfunden habe. Oder, ich habe hier etwas übersehen/ falsch verstanden.
Gut unterhalten hat mich das Buch dennoch.
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FAZIT: Eine kurze, aber unterhaltsame Lektüre, welche überwiegend aus Momentaufnahmen besteht - ideal für zwischendurch. 4/5 Sterne!
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(C.N.: v. a. Selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität, Essstörungen, Ableismus)