Coming-of-Age-Roman für junge Erwachsene: Aufwachsen mit einer bipolaren Mutter
„Je älter Philipp wurde, desto weniger süß wurden die Nachmittage. Bubble Tea und Schoko-Bons wurden abgelöst von vagen Andeutungen und nicht zu begreifenden Stimmungswechseln. Ihn zu fragen, hatte keinen Zweck, Philipp wollte nicht darüber sprechen, was zu Hause los war."
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INHALT:
Der 17-jährige Philipp steht kurz vor den Abitur-Prüfungen.
Daheim versucht er, sich mit der neuen Freundin seines Vaters zu engagieren.
„Stella hatte so gar nichts Mütterliches an sich, als sie in Philipps Leben trat. Sie fuhr einen Mini und trug große Kreolen in den Ohren.“
„Sie waren verfeindet, verbündet, gleich und ungleich.“
Der Vater wirkt unnahbar.
Was Philipps Leben jedoch richtig ins Wanken bringt, ist seine psychisch kranke Mutter, die ihre Tabletten nicht nimmt, von der Bildfläche verschwindet und schließlich von der Polizei gesucht wird.
„Seine Mutter war ein Geist. Und Geister rufst du oder sie suchen dich heim, aber am Ende bist du immer über Gebühr damit beschäftigt, sie wieder loszuwerden.“
„Nach jedem ihrer Ausbrüche musste er sein Leben neu zusammensetzen. Er war machtlos dagegen. Sie kam über ihn wie ein Unwetter.“
Er hat sie lange nicht mehr gesehen, kennt sie kaum. Besitzt jedoch noch so manche Erinnerungsfetzen aus seiner Kindheit mit ihr. Das Thema ist ihm unangenehm. Nicht mal seinen besten Freund Lorenz hat er eingeweiht.
Dennoch findet er in ihm und in anderen Menschen außerhalb der Familie, schließlich Rückhalt im Leben und kann auf sie zählen, trotz all der Unsicherheiten im Leben …
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MEINUNG:
Bücher, in denen junge Menschen unter der psychischen Erkrankung eines Elternteils leiden, gibt es meiner Meinung nach noch viel zu wenige. Deshalb finde ich es wichtig und richtig, dass die Thematik im hiesigen Coming-of-Age-Roman eine zentrale Rolle spielt.
Wenn man mal den Drogen- und Alkoholkonsum von Philipp ausblendet, zeigt das Buch ganz gut, wie essenziell die Kontakte nach außen sein können, wenn die Herkunftsfamilie zerrüttet ist, oder die psychische Erkrankung der Eltern einen selbst sehr belastet.
Durch die Identitätssuche, erste Erfahrungen mit der Liebe, Party, Alkohol- und Drogenkonsum, spricht das Buch meiner Meinung nach, eher jüngere Leser*innen an. Mit meinen 33 Jahren habe ich mich nicht mehr so ganz als die richtige Zielgruppe empfunden.
Dennoch fand ich vor allem Philipps Gefühlsleben und den Umgang in Bezug auf seine erkrankte Mutter interessant und auch die Erinnerungen an seine Kindheit, in der sich die Mutter immer wieder für sein Empfinden unpassend verhalten hat und es mit dem Verantwortungsbewusstsein schwierig war.
Sprachlich wechselt das Buch zwischen einem wirklich schönen, bildlichen, manchmal fast poetischen Schreibstil, der melodisch, aufmerksam und detailverliebt daherkommt und vielen Stellen mit lockerer Jugendsprache.
Diese starken Unterschiede passen auch gut zur Bipolaren Störung der Mutter.
Hin und wieder gehen Traum, Fantasie und Realität fließend ineinander über, was ich ganz gerne mochte.
Insgesamt wirken die Zeilen frisch, anders und kreativ, was es für eine junge Zielgruppe interessant und abwechslungsreich machen dürfte.
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FAZIT: Ein erfrischender Coming-of-Age-Roman, welcher gekonnt aufgreift, wie belastend es für junge Menschen sein kann, mit einem psychisch kranken Elternteil aufzuwachsen, und wie essenziell es sein kann, Kontakte und Halt außerhalb der engsten Familie zu finden.
Empfehlen möchte ich das Buch, jungen Erwachsenen, die bereits verantwortungsbewusst mit dem Konsum von Drogen/ Alkohol umgehen. Und ganz besonders denjenigen, die vielleicht selbst ein Elternteil haben, welches an einer Bipolaren Störung oder Ähnlichem leidet.
4/5⭐️!
(?. ?.: Bipolare Störung mit manischen Phasen; Drogen/ Alkohol)