Bowies größte Kreativ- und Schaffensphase unter Beschuss?
Ich war ja sehr skeptisch gewesen, diese Box (Vinyl Box) zu kaufen, denn all die vielen negativen Bewertungen im "www", waren in der Überzahl. Doch bei genauerem Durchlesen der vielen vielen "Bewertungen" kristallisierte sich wieder einmal mehr eines dieser Phänomene in der heutigen Zeit, heraus, wenig Kritik in der Sache, dafür umso mehr Polemik und Streit über persönliche Vorlieben, also wie in einem überdimensionierten Kindergarten.
So habe ich eben beschlossen, die Box selber zu kaufen, um mir selber einen persönlichen Höreindruck zu verschaffen. Zumal diese Kreativ- und Schaffensphase von Bowie zu meiner Lieblingsphase gehört, denn zu dieser Zeit wurde ich "Bowie-Fan".
Wie immer, war die Box vorbildlich verpackt, vielleicht ein wenig überdimensioniert, denn Müll bleibt nun mal Müll. Aber das ist "meckern auf hohem Niveau". An dieser Stelle trotzdem ein dickes Lob an JPC !
Haptisch macht die Box schon echt was her (wie übrigens alle Boxen zuvor auch schon), das Design und die einzelnen Cover sind eine gute Reproduktion und fast identisch zu den Originalen. Alle Platten werden in gefütterten Sleeves, so wie die imitierten Original-Sleeves und ebenfalls die Text- und Liner notes-Beilagen, geliefert. Bei meiner Box sind alle Platten plan und klingen von der Beschaffenheit des Materials her, ausgezeichnet. Das ist heutzutage nicht selbstverständlich, denn die meisten Vinylausgaben von heute sind von der Verarbeitung her unterste Schublade. JPC wird da ein Lied singen können anhand von den ganzen Reklamationsretouren.
Klang technisch habe ich ebenfalls nichts zu beanstanden. Ich kann all die theoretisierten und zum Teil schon religiös anmutenden Diskussionen, über den angeblich „gepressten“ Klang und was da sonst noch so an Obskurität behauptet wird, nicht nachvollziehen.
Ja, über Geschmack lässt es sich vortrefflich streiten – nur, der Sinn will sich mir nicht erschließen.
Was bei diesen vielen unsäglichen Diskussionen gerne unter den Teppich gekehrt wird, sind die verschiedenen individuellen Hörgewohnheiten, die verschiedenen HiFi-Anlagen auf dem die Musik gehört wird und vor allem aber auch die psychische Komponente. Bei letzterem driften die Diskussionen schon ins Metaphysische ab.
Nun, ich selber war vor allem auf „Low“, „Heroes“ und „Scary Monsters“ gespannt.
Zu „Low“ kann ich so viel sagen, einfach nur fantastisches „Remaster“. Manch einer beschwert sich über zu viel Bass. Da ich immer den „Direkt-Sound“ bei meiner HiFi-Anlage verwende, höre ich sozusagen den „echten Klang“ der Musik, also keine „Manipulation“ der Höhen, Mitten und Bässe. Ja, die Bässe sind eindeutig druckvoller, nicht aber so, dass die Bassfrequenzen den Rest der Musik dermaßen überlagert, sodass die anderen Instrumente und Frequenzen nicht mehr zu hören wären oder gar matschig klängen. Meinem Gehör nach, sind die Songs viel transparenter gestaltet, als bei der Originalveröffentlich auf Vinyl in 1977 (deutsche Ausgabe). Zum Vergleich habe ich sowohl die LP-Ausgabe von 1977, die CD-Ausgabe von 1989 (Ryko) als auch die CD-Ausgabe von 1999 aufgelegt.
Und hier beginnt dann der individuelle Geschmack. Persönlich finde ich die Ausgabe auf „Ryko Disc“ dem Original am nächsten. Bei der hier nun veröffentlichten Ausgabe aus 2017 missfallen die Knackser auf der zweiten Seite.
Zu „Heroes“, nun ja das wohl umstrittenste Remaster, laut den ganzen Beschwerden. Die Plattenfirma hat dazu bereits zwei Statements und Erklärungen abgegeben, die hier nicht interessieren. Selbstverständlich habe ich die so sehr bemängelte Stelle im Song „Heroes“ besonders kritisch angehört. Und ja, es wirkt zunächst tatsächlich so, als sei ein Lautstärkeabfall so ab Minute 2:50 für ca. 20 bis 30 Sekunden. Nach mehrfachem Hören aber kann ich der ersteren Erklärung von Parlophone beipflichten, dass es sich nicht um einen Lautstärkeabfall handelt, sondern vielmehr um eine Zugabe von Höhen und angrenzenden Mitten. Ob diese Entscheidung intelligent gewesen war, sei mal dahin gestellt, jedoch finde ich persönlich beim Hören diese Stelle nicht so gravierend, wie sie von den „Jüngern & Aposteln“ der „Bowieaner“ stilisiert wird. Ich habe den Song „Heroes“ fünf verschiedenen Freunden vorgespielt (alles Musikfans, jedoch keine Bowiefans) ohne die beklagte Stelle zu erwähnen. Sie erkannten natürlich diesen Song, da er ja auch mit der bekannteste von Bowie ist. Einige fanden lediglich, dass dem Song irgendwie die Dynamik fehle. Dem kann ich zustimmen. Generell habe ich das Empfinden, dass dem Album ein wenig die „Luft“ ausgegangen war bzw. den Herren hinter den Mischpulten. Auch hier habe ich die verschiedenen Versionen aus den unterschiedlichen Veröffentlichungsjahren verglichen. Auch die deutsch/englische Version (deutsche Ausgabe auf Vinyl 1977) habe ich verglichen. Hier gefällt mir wiederum die Ryko-Veröffentlichung aus dem Jahre 1991 am besten, weil sie nahe an der Vinyl-Ausgabe ist.
Bei „Stage“ und „Stage 2017“ bin ich nach wie vor etwas ratlos und gespalten. Einerseits fand schon damals die Zusammenstellung der Songs irgendwie komisch, unstimmig. Das wirkliche „Live Feeling“ kam da bei mir nie auf. Obgleich die instrumentalen Songs gut gespielt sind, wirken sie dennoch leblos. Daran ändert sich auch nichts an der 2017er Version, auch wenn hier sechs zusätzliche Tracks zu finden sind. Sie klingt allenfalls ein wenig homogener und hat klang technisch eine räumlichere Abbildung. Schön finde ich jedoch, dass die „Stage“ in der ursprünglichen Form (also 1978 Version) in gelbem Vinyl erschienen ist, wie seinerzeit in UK (RCA PL 02913/2), als limitierte Auflage und dem Sticker auf dem Frontcover (Special Limited Edition On Yellow Vinyl / including the hit single Breaking Glass). Die 2017er Version lässt sich aber auch nicht lumpen und kommt in einem Tri-fold-gate Cover daher mit bedruckten Inner sleeves auf der einen Seite, während auf der Rückseite jeweils ein Foto aus der Stage Tour erscheint. Die Platten sind zusätzlich in Anti-static sleeves, vorbildlich.
Eine weitere doppelte Ausgabe findet sich in der Box mit „Lodger“ von 1979. Während die Originalfassung als Remaster nicht wirklich einen Quantensprung in Sachen Tontechnik erfährt, bis auf wenige Ausnahmen klingen die Tracks ein wenig transparenter, wobei ich persönlich an manchen Stellen die Gitarren weniger präsent empfinde, während die Drums hier und da zu laut in den Vordergrund gemischt wurden. Aber das ist rein subjektiv.
Wirklich interessant aber finde ich die neue Abmischung 2017 von Tony Visconti. Im Netz wurde darüber auch viel fabuliert und zum Teil unbegründet verrissen.
Wichtig ist, bevor man den neuen Mix anhört, sollte man sich erst einmal von der alten Version „frei“ machen, um so unvoreingenommen als möglich die neue Version auf sich einwirken zu lassen. Alles andere macht wenig Sinn. So habe ich den neuen Mix drei Mal hintereinander gehört.
Fazit: Ja, ich mag den neuen Mix, aber eben nur zeit- und teilweise. Es gibt nämlich einige Stellen in verschiedenen Songs, die mir persönlich weniger zusagen. Da wäre zum Beispiel „Fantastic Voyage“, einer meiner Lieblingssongs. Bowies Gesang ist für mein Empfinden zu sehr im Vordergrund, denn der „Hall-Effekt“ bewirkt eine zu große „Räumlichkeit“, wodurch die anderen Instrumente mehr in den Hintergrund treten. Bei der alten Version fand ich Stimme versus Instrumente harmonischer.
Im Gegensatz dazu, find ich die neue Abmischung bei „Look Back In Anger“ einfach gelungener, weil hier das unglaubliche gute Drumming viel detaillierter zum Vorschein kommt. Leider finde ich bei „Red Sails“ die Gitarren nicht präsent genug, vor allem die Soli sind mir zu sehr in den Hintergrund gemischt worden. Das betrifft auch „D.J.“, obgleich ich die Background voices besser platziert finde, als beim Original. Wenn ich alles zusammen betrachte, halte ich die neue Fassung von Lodger à la Tony Visconti für eine echte Bereicherung, denn je nach Gemütslage, kann ich die eine oder eben aber die andere auflegen und genießen. Ich mochte schon immer diese „Ambivalenz“ in Bowies Werken, weil ich denke, dass es mit einer der wichtigsten Merkmale seiner Musik, bis zu seinem viel zu frühen Tod, ausmacht. Es gibt kaum einen anderen Künstler, der so viel Gegensätzlichkeit in seinen Werken untergebracht hat, wie Bowie. Deshalb halte ich „Lodger“ als eines, der am meisten unterbewerteten Alben, Bowies.
„Scary Monsters, Super Creeps“ war für mich, als es 1980 raus kam, das Album schlechthin. Man könnte es als die Summe aus „Low“, „Heroes“ und „Lodger“, mit einer Prise „Station To Station“ und „Young Americans“, bezeichnen. Konsequent und unerbittlich und doch mit einem Kompromiss an den Kommerz (Fame, Ashes To Ashes).
Die „Remaster Version“ hier finde ich größtenteils überzeugend und gelungen. An der einen oder anderen Stelle finde ich die hohen Frequenzen etwas zu dominant, aber noch völlig im Rahmen. Was ich aber besonders gelungen finde sind die Bassläufe, sie kommen viel besser zur Geltung als beim Original. Gerade bei dem Song „It’s No Game“ fällt das sehr positiv auf. Insgesamt betrachtet klingt das Album jetzt „moderner“, nicht zu verwechseln mit „anbiedernd“.
Bei „Re:Call 3“ muss ich ehrlich sagen, wie bislang bei den vorangehenden Box Sets auch, finde ich die „Single Versionen“ einfach nur überflüssig. Zumindest nicht notwendig in einer solchen Box. Man könnte aus den ganzen „Single Versionen“ meinetwegen eine Art „The Singles Box Set 1964 - 2015“ separat veröffentlichen. Ich persönlich hätte es besser gefunden, man hätte solche “Out takes” wie „Some Are“, „All Saints“, „Sound And Vision (Remixed Versions)“, „Abdulmajid“, „Joe The Lion (Remixed 1991)“, „I Pray Olé“, „Look Back In Anger (new recorded 1988)“, „Space Oddity (re-recorded Single B-Side 1979)”, Panic in Detroit (re-recorded in 1979)” genommen oder aber auch, sofern noch vorhanden, die musikalischen Ideen zu dem Film von 1976 „The Man Who Fell To Earth“, welche Bowie ja u.a. für Low in veränderter Form verwendete.
Fazit für das Box Set: Man kann dies oder das kritisieren, aber auf hohem Niveau. Die Box ist hervorragend gestaltet, ist klanglich auf hohem Niveau, sehr gut verarbeitetes und gepresstes Vinyl und einem durch und durch gelungenen und interessanten Buch, mit vielen Fotos, technischen Details, Rezensionen aus den jeweiligen Jahren und einem sehr guten Interview mit Bowie.
Wermutstropfen bleiben nun mal das „misslungene ‚Heroes‘“ das Fehlen eines „Download Voucher“ und der überzogene Preis für die Vinylausgabe. Letzteres sollten aber nicht der Maßstab für eine „negative Wertung“ in Gänze sein.
Etwas mehr „relative Objektivität“ und Verhältnismäßigkeit wären schon angebracht gewesen, in Anbetracht der fast auschließlichen negativen, ich will es mal „Rezensionen“ nennen.
Ich persönlich bin zu 90% zufrieden mit der Box. Die restlichen 10% Unzufriedenheit sind oben aufgeführt.