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    Magineer

    Aktiv seit: 09. März 2021
    "Hilfreich"-Bewertungen: 1
    49 Rezensionen
    Achtzehnter Stock Sara Gmuer
    Achtzehnter Stock (Buch)
    14.03.2025

    Berlin intensiv!

    Wanda lebt mit ihrer Tochter Karlie in der Berliner Platte. Sie will da raus, will ein besseres Leben für sie beide, doch immer wenn es irgendwo bergauf zu gehen scheint, will die Platte sie wieder zurück ...

    Sara Gmuers "Achtzehnter Stock" ist ein Großstadtroman, ein Berlin-Roman, denn die Stadt selbst, das Milieu und die Menschen, die hier leben, bilden die Essenz des gesamten Buches, nicht bloß ein schmückendes Detail im Setting. Gmuers kraftvoller Stil ist beeindruckend modern, schonungslos nüchtern und zwischenzeitlich von atemloser Dynamik. Authentisch fängt sie die Gerüche und Geräusche des Berliner Unterbauchs ein und verpackt sie in eine Geschichte, in der sich Hoffnung und Verzweiflung immer wieder die Waage halten. Hier ist nichts garantiert, auch nicht zwangsläufig ein Happy End.

    Hier ist auch die Planlosigkeit Plan. Wanda stolpert durchs Leben, immer mit den Gedanken beim nächsten Einkauf oder der monatlichen Miete, und wird ständig mit der Frage konfrontiert, ob sie ihre Träume aufgeben soll oder ihnen unter Gefahr möglicher Verluste nachjagt. Dabei trifft sie auch opportunistische Entscheidungen, die dem einen oder anderen Leser nicht gefallen werden, aber genau deswegen ist "Achtzehnter Stock" eben auch keine plakative Rags-to-Riches-Story, in der am Ende jeder und jede alles bekommt. Klischees werden hier dennoch bedient, vor allem wenn es um die Unbarmherzigkeit der Filmbranche geht, in der Wanda Fuß fassen will, aber die Entscheidungen liegen immer bei ihr selbst, denn selbstbewusst genug und "anders als die anderen" ist sie durchaus. Ihr fehlt ein wenig der Radar, um mit ihren Mitmenschen immer genauso auszukommen, wie von ihr erwartet wird, aber letztendlich findet jeder Topf seinen Deckel, ob privat oder beruflich. Und so zahlt sich auch Konsequenz irgendwann aus - wenn auch nicht immer wie geplant.

    Ein großartiges Stück Gegenwartsliteratur mit lebendigen Figuren, unverhofft kantiger Schnauze und beeindruckender Stilsicherheit. Ein Gewinner, ganz sicher.
    Tage einer Hexe Genoveva Dimova
    Tage einer Hexe (Buch)
    19.10.2024

    Slawisch inspirierte Fantasy

    Kosara ist eine eher mittelmäßige Hexe, die sich in der düsteren Stadt Chernograd durchs Leben schlägt - was besonders in den zwölf Tagen nach Neujahr gefährlich ist, wenn eine Armee an Monstern über den Ort herfällt und es besonderer Magie und Talismane bedarf, um die finsteren Nächte zu überleben. Eines dieser Monster (der Zmey) ist das gefährlichste von allen und hegt zudem noch einen persönlichen Groll gegen Kosara. Um dem Zmey zu entkommen, tauscht die Hexe ihren Schatten gegen eine Fluchtmöglichkeit in die Nachbarstadt Belograd - ein heller, lichtdurchfluteter und reicher Ort, in dem die Menschen in geradezu dekadentem Luxus schwelgen, getrennt von Chernograd durch eine fast unüberwindbare magische Mauer. In den Straßen von Belograd stolpert Kosara auf der Suche nach ihrem Schatten über ein grausames Verbrechen und muss mit der Unterstützung eines aufrechten Polizeikommandanten nach dem Dieb und Mörder jagen - bevor die Schattenkrankheit sie innerhalb weniger Tage tötet ...

    Der bulgarischen Autorin Genoveva Dimova ist mit ihrem auf Englisch verfassten Romandebüt gleich ein verblüffend innovativer Geniestreich geglückt, dessen faszinierende Welt den Leser sofort in ihren Bann schlägt. Eine intelligente Mischung aus urbaner Fantasy, einem Hauch Steampunk und düsterem Mysterykrimi, die vor allem von ihren unverkennbar in der slawischen Folklore verankerten Wurzeln profitiert und auf fesselnde Weise ein Panoptikum aus mythischen Wesen und albtraumhaften Sagengestalten vom Balkan mit einer Zwei-Klassen-Gesellschaft verwebt, die mal mehr und mal weniger subtil auch auf gesellschaftliche und politische Missstände in unserer aktuellen Welt und Zeit hinweist. Dabei hebt Dimova nie belehrend den Zeigefinger, sondern stellt mit ihrer Protagonistin Kosara eine Figur in den Mittelpunkt, die weder moralisch perfekt noch magisch hochbegabt einen Durchschnitt verkörpert, der in einer Ära der Superhelden und Powerfrauen erfrischend normal wirkt.

    Dass sich derartiges Lesefutter dann auch noch ausnehmend unterhaltsam an wenigen Abenden vorm Kamin verschlingen lässt, ist dann noch das Sahnehäubchen auf einem einzigartigen Fantasy-Debüt. Der zweite (und letzte) Teil der Reihe darf also gern kommen!

    Zur deutschen Ausgabe aber dennoch ein Wort: Zwar hat Klett-Cotta mal wieder keinerlei Kosten und Mühen gescheut, um aus "Tage einer Hexe" eine wunderschöne Hardcover-Ausgabe (toll mit Goldfolie und farbigem Buchschnitt!) herauszuholen und hat auch anderweitig wieder bewiesen, dass ihre Verlagsauswahl exquisit wie immer ins Ziel trifft - aber den einen Stern Abzug holt sich hier leider die etwas lieblose Übersetzung, die gleich im zweiten Absatz mit falsch gesetzten Kommata einen im Deutschen ohnehin schon etwas gestelzten Satz unnötig sinnentstellt ("Die Gäste saßen dicht gedrängt, Schulter an Schulter, hoben sie die Gläser.") Danach fängt sich der Stil zwar ein wenig, wirkt aber an vielen Stellen immer noch seltsam hakelig, manchmal flapsig und oft emotional völlig unberührt, so dass sich der Lesesog der englischen Fassung hier nur schwer einstellt. Das ist schade, und ich hoffe, dass man sich beim zweiten Band wieder ein bisschen mehr auf Qualitätskontrolle verlässt, um die einzigartige Stimmung der von Dimova so perfekt kreierten Welt auch angemessen herüberzubringen.

    Wer sich von diesem Schönheitsfehler nicht abschrecken lässt und vollumfänglich in diese Leseerfahrung eintaucht, wird jedoch mit einem der erstaunlichsten und fantasievollsten Romandebüt seit Jahren belohnt. Also traut euch!
    Spellshop Sarah Beth Durst
    Spellshop (Buch)
    25.09.2024

    Entschleunigung für alle

    Eins vorweg: Cozy Fantasy, momentan (und sowieso spätestens seit Travis Baldrees "Legends & Lattes") einer der heißesten Trends auf dem Buchmarkt, ist Eskapismus pur, ein Subgenre innerhalb einer literarischen Gattung, die ohnehin schon ihre Leser in fremde und wundervolle Welten entführt. Natürlich ist dieser Trend kein völlig neuer, da auch in der Vergangenheit viele Fantasy-Autoren schon auf Elemente idyllischer Verklärung und Found-Family-Tropes gesetzt haben (etwa Terry Brooks' völlig unterschätzte Landover-Saga) und selbst ein bissiger Humorist wie Pratchett mit seinen Scheibenwelt-Romanen eine ähnliche Herangehensweise nutzte, auch wenn er sie nahezu durchgehend ins Absurde übersteigerte.

    Den letzten Anstoß für die aktuelle Beliebtheit des Genres lieferten dann tatsächlich andere Medien, die schon länger mit der Sehnsucht nach Entschleunigung experimentieren und damit bereits wichtige Impulse für das medienübergreifende Phänomen Cottagecore lieferten: Vorreiter waren Videospiele wie das knuffige "Stardew Valley" oder das aus Deutschland stammende "Dorf-Romantik" sowie eine Vielzahl an Mangas und Animes, die mit Serien wie "Spice & Wolf" oder "Laid Back Camp" das sogenannte Slice-of-Life-Genre erst so richtig etablierten. Und natürlich war da auch der literarische Vorreiter Cozy Crime/Cozy Mystery, der nie wirklich aus der Mode kam und vieles von dem vorgemacht hat, was seinen kleinen Fantasy-Bruder auszeichnet: die Idylle einer dörflichen Gemeinschaft, ein vertrauter Alltag, der durch Ereignisse in der Regel nur leicht aus dem Tritt gebracht wird, und ein generell niedriger Konfliktlevel, der schwerwiegende Probleme und existentielle Dramatik weitgehend ausspart.

    Mit anderen Worten: Nein, Cozy Fantasy ist nicht zwangsläufig "langweilig".
    Cozy Fantasy ist Zen.
    Cozy Fantasy ist ein bisschen Meditation.
    Cozy Fantasy ist Entschleunigung.
    Also keine Angst, das muss so!

    Und hier kommt Sarah Beth Durst ins Spiel: "Spellshop" ist die Quintessenz gemütlicher Cozy Fantasy. Kiela ist eine grundsympathische Protagonistin, die nur für ihre Bücher lebt, den Unruhen eines Aufstandes in der Hauptstadt entflieht und zurück auf der heimatlichen kleinen Insel landet, der sie einst entfliehen wollte. Caz ist ihr Sidekick - eine wandelnde Topfpflanze (okay, eigentlich ein Spinnenkraut) mit einigen Neurosen und sehr unterhaltsamen Sprüchen. Und dann ist da noch Larran, der Seepferdzüchter von nebenan. Damit beginnt ein wunderbar entspanntes Abenteuer für Kiela, die erst einmal das alte Haus und den Garten auf Vordermann bringen muss, bevor sie sich ans Marmelade-Kochen und ähnlich beruhigende Tätigkeiten machen kann.

    Klingt nicht sehr spannend? Ist es aber. "Spellshop" ist Comfort Food, das Leibgericht in der rustikalen Landküche, die heiße Tasse Kakao vorm gemütlichen Kamin, der laue Sommerabend auf der Terrasse. Zwar kommen später durchaus einige Probleme auf Liera und Caz zu, aber nichts davon ist so bedrohlich, dass es den Leser aus der vertrauten Kuschligkeit herausreißen könnte. Ein gewollter Effekt in diesem Genre, und selbst für Skeptiker eine Erfahrung, die man durchaus mal machen sollte, bevor man sich wieder dem nächsten Thriller zuwendet.

    Neben Travis Baldree, T.J. Klune, Sangu Mandanna, Lydia Kang und Rebecca Thorne behauptet sich auch Sarah Beth Durst locker im Spitzenfeld der Cozy-Fantasy-Autoren - mit locker-leichter Schreibe, sympathischen Charakteren und einer großen Portion an idyllischer Wohlfühlatmosphäre ist "Spellshop" die ideale Einstiegsdroge ins Genre: für jung und alt, für gestresste Großstädter und ruhesuchende Urlauber, für Gelegenheitsliteraten und Fantasy-verrückte Vielleser. Entschleunigung für alle. Unbedingt ausprobieren!
    Ich fürchte, Ihr habt Drachen Peter S. Beagle
    Ich fürchte, Ihr habt Drachen (Buch)
    08.09.2024

    Der absolute Goldstandard!

    Peter S. Beagle ist der Letzte einer aussterbenden Art von Fantasyautoren - ein Sprachkünstler, der eben keine drei bis acht Bände einer Fantasyreihe braucht, um seinen Protagonisten Gewicht zu verleihen. Im Gegenteil: Auf gerade mal 300 Seiten erschafft er eine Welt, die noch lange im Gedächtnis bleibt, ein sprachlich makelloses Epos, dessen Figuren so prägnant und ausgeformt sind, dass der Leser innerhalb weniger Seiten in ein Universum eingesogen wird, das seinesgleichen sucht. Das war natürlich schon im "Letzten Einhorn" der Fall, jenem Werk , das ihm Weltruhm eingebracht hat, nicht zuletzt aufgrund seiner kongenialen Zeichentrickverfilmung.

    Aber selbst 50 Jahre später bleibt Beagle der Goldstandard unter den aktuellen Fantasy-Schreibern - er ist letztendlich der klassisch gebildete Schriftsteller, für den Fantasy nur ein weiterer Tummelort ist, um seine Fantasien in sprachliche Bilder umzusetzen. Er ist einer der wenigen, die bereits kurz nach Tolkien das Genre für sich entdeckt haben, und ähnlich wie seine zeitgenössischen Kollegen (Michael Ende, Ursula K. LeGuin, Michael Moorcock) ist das Genre an sich fast bedeutungslos und nur eine Ablassader für überbordende Schreiblust und großartiges Talent. Auch "Ich fürchte, Ihr habt Drachen" ist, auf sich selbst reduziert, nur eine kleine Geschichte in einer märchenhaften Welt, aber Beagle macht aus seiner recht knuffigen Prämisse keine moderne Meta-Fabel, sondern bleibt dem klassischen Erzählschema so treu, dass man sich wünscht, die Geschichte möge niemals enden. Eine wunderbar altmodische Rückkehr zu den Wurzeln der Fantasy, geschrieben von einem, der es wissen muss wie kein zweiter. Ein absoluter Home Run für den Klett-Cotta-Verlag!
    Signum John Ajvide Lindqvist
    Signum (Buch)
    18.08.2024

    Thriller-Nachschlag

    Nach den Geschehnissen rund um das Mittsommerparty-Massaker im letztjährigen Auftaktband geht es in "Signum" nun endlich weiter mit den Hauptfiguren. Während Astrid die Vergangenheit zu verarbeiten versucht, hat Kim schon seine ganz eigene Methode dafür gefunden und hält seinen ehemaligen Doktor, den Peiniger seiner Kindheit, in Gefangenschaft. Julia taucht währenddessen tiefer in die Recherchen zu einem neuen Roman ein und kommt einer rechtsextremen Bewegung gefährlich nahe.

    Ja, idealerweise sollte man "Refugium", den ersten Band der Mittsommer-Trilogie, gelesen haben, um "Signum" in all seinen Details zu schätzen, aber nötig ist das aufgrund gut eingeflochtener Verweise nicht unbedingt. Leider gilt aber auch für die Fortsetzung der vielzitierte Grundsatz, dass man nicht jeden Erfolg wiederholen können wird. Kommerziell gesehen gilt das vielleicht weniger (da habe ich bei den Auflagenzahlen Lindqvists keine Angst), aber qualitativ lässt "Signum" tatsächlich etwas nach, weil dem Sequel der rote Faden des Originals fehlt, in dem ein monströses Verbrechen den Auslöser für eine ganze Reihe von Handlungsebenen bildete. Hier dagegen ist man mehr mit Reflexion beschäftigt, mit alten Wunden und persönlichen Dingen - die sind für sich gesehen durchaus auch nicht uninteressant, denn Lindqvists Trumpfkarte waren und sind seine realistischen Figuren (selbst wenn sie so offensichtlich von Stieg Larssons Millennium-Erfolg inspiriert sind), und jemandem wie Kim folgt man auch einfach gern durch die Story, aber als Leser des ersten Teils erfährt man wenig Neues aus der Gedankenwelt der geliebten Charaktere. Das ist schade und mindert den Lesespaß, auch aufgrund mangelnder großer Actionsequenzen und der reduzierten Schauplatzwechsel. Dennoch: Immer noch ein "guter" Thriller und für Leser des ersten Bandes auf jeden Fall lohnenswert - vielleicht haben wir hier ja nur ein vorübergehendes Formtief auf dem Wege zu einem umso grandioseren Finale in Teil 3!
    Die unendliche Reise der Aubry Tourvel Douglas Westerbeke
    Die unendliche Reise der Aubry Tourvel (Buch)
    18.08.2024

    Wirklich magisch

    Die junge Aubry Tourvel ist noch keine zehn Jahre alt, als eine rätselhafte Krankheit sie dazu zwingt, alle paar Tage ihren Aufenthaltsort zu ändern. Bleibt sie länger, als die Zeitspanne es erlaubt, wird sie sterben. Viele Jahre später erzählt sie ihre Geschichte auf einem Flussdampfer in Siam und entfaltet vor uns einen abenteuerlichen Bilderbogen der bekannten (und weniger bekannten) Welt im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.

    Douglas Westerbekes Debütroman wird seine Leserschaft sicherlich in zwei Lager spalten, denn "Die unendliche Reise der Aubry Tourvel" ist weder konsensfähiger Romantikkitsch noch (archetypische) Fantasy, sondern tatsächlich ein Rücksturz in die klassische Abenteuerliteratur vom Schlage eines Jules Verne oder Conan Doyle - im Vordergrund steht die Lust an der Entdeckung, die Begegnung mit Menschen und das Staunen über all die Merkwürdigkeiten einer damals noch nicht vollständig erschlossenen Welt. Aubrys "Krankheit" ist dabei nur das Vehikel, das ihre Geschichte transportiert, eines von diversen Elementen des magischen Realismus in diesem Roman. Das muss man mögen und akzeptieren, denn die Handlung an sich entwickelt wenig Drang nach vorn und unterwirft sich Westerbekes unbedingtem Willen zu dichter Atmosphäre und seinem schon als Drehbuchautor angeeignetem Talent für faszinierende Figuren. So lässt man sich denn angenehm altmodisch treiben durch diesen Entdecker-Roman und genießt die Reise entlang der 460 Seiten. Definitiv kein Buch für Menschen mit sehr festgelegtem Geschmack oder den üblichen Erwartungen ans Genre, dafür aber ein liebevoll aufgemachtes Schmuckstück (mit grandiosem Coverartwork!) zum Immer-wieder-abtauchen. Sowas gibt es heutzutage viel zu selten, und daher mit vollem Recht beide Daumen nach oben für Aubry Tourvels fantastische Reise durch die Welt! Wunderschön ...
    Letzte Lügen Karin Slaughter
    Letzte Lügen (Buch)
    18.08.2024

    Return of the Thriller Queen

    Natürlich gehört Karin Slaughter nun schon seit über 20 Jahren zur Speerspitze der internationalen Thriller-Autoren und dürfte zusammen mit Kathy Reichs und Gillian Flynn auch unbestritten zum amtierenden weiblichen Dreigestirn am Genrehimmel gehören. Seit achtzehn Büchern lässt sie nun ihre Forensikerin Sara Linton in der schwülen Hitze Georgias in den grausigsten Mordfällen ermitteln, zuerst gemeinsam mit ihrem Mann Jeffrey Tolliver in den sechs Teilen der Grant-County-Serie und später gemeinsam mit dem Ermittler Will Trent im GBI (Georgia Bureau of Investigation) im urbanen Dschungel von Atlanta. "Letzte Lügen", der zwölfte Band der Atlanta-Reihe, schließt nun scheinbar auch dieses Kapitel ab - und man durfte gespannt sein.

    Strukturell gestaltet sich die Handlung in "Letzte Lügen" linearer als in den früheren Fällen, was vor allem damit zu tun hat, dass das auslösende Verbrechen unsere beiden Hauptfiguren mitten auf ihrer Hochzeitsreise erwischt, in einem entlegenen Resort in den Bergen, abgeschnitten vom Rest der Zivilisation und nur mit einer Handvoll weiterer Verdächtiger (und potentieller weiterer Mordopfer) im direkten Umkreis. Ein klassisches Whodunit also, ein Murder Mystery, das aber dennoch unverkennbar Slaughters Handschrift trägt. Der Fall reißt alte Wunden auf, fördert Ereignisse und Verbindungen in der Vergangenheit zu Tage, die bislang im Dunkeln lagen und gibt sich auch sonst unerbittlich düster und ergeht sich - für die Meisterin des Blutvergießens typisch - erneut in expliziter Brutalität.

    Fans der Autorin wird das nicht überraschen, denn Gewalt war schon immer ein ständiger Begleiter im beruflichen und privaten Leben von Sara und Will - und Slaughter hat sich nie davor gescheut, das Böse mit schmerzhafter Offenheit und in allen Details auf ihre Figuren und Leser loszulassen, was sie letztlich auch von ihren gemäßigteren Kolleginnen wie eben den oben erwähnten Kathy Reichs und Gillian Flynn unterscheidet. Allenfalls eine (leider schon verstorbene) Mo Hayder ist in ihren Romanen ähnlich rabiat vorgegangen, und auch bei ihr waren die Meinungen dazu stets geteilt. Sei's drum, "Letzte Lügen" dreht zum Abschluss der Reihe noch einmal richtig auf, bleibt durchgehend spannend, einigermaßen logisch und psychologisch fundiert, wirkt aber dennoch immer ein bisschen zu aufgedreht für sein eher klassisches Setting. Das ist im Vergleich mit neunzig Prozent der restlichen Autoren im Thrillergenre immer noch Premiumklasse, kommt aber nie ganz an frühere Glanzlichter im Linton/Trent-Universum heran und schon gar nicht an die atemlos aktuelle Dringlichkeit in der vorhergehenden Grant-County-Serie, die immer noch Maßstäbe für den modernen, harten Südstaaten-Thriller setzt. Das ist jedoch Geschmackssache, die sich an Details entscheidet (zum Beispiel, ob man eher Will-Trent-Fan oder Jeffrey-Tolliver-Nerd ist) und reißt die Top-Bewertung nicht nennenswert nach unten. Karin Slaughter bleibt einfach das Maß aller Dinge in ihrem Bereich, und wer sich an gar zu unappetitlichen Einzelheiten nicht stört, sondern das genauso in einem morbiden Psychokrimi erwartet, wird auch das große Finale bis zur letzten der fast 600 Seiten verschlingen. Top-Tipp für den Thrillersommer!
    Bücher und Barbaren Travis Baldree
    Bücher und Barbaren (Buch)
    19.05.2024

    Kuschelfantasy deluxe!

    Eigentlich lebt die Söldnerin Viv für den Rausch der Schlacht, doch mit Krieg und Kämpferei ist es für den Moment vorbei, nachdem sie bei einem Scharmützel mit magischen Skeletten den Kürzeren zieht. Mit dem Versprechen, sie bald wieder abzuholen, setzt ihr Trupp die Orc-Kriegerin zur Genesung in einer idyllischen Kleinstadt am Meer ab - und Viv könnte sich an diesem beschaulichen Ort nicht stärker langweilen. Doch dann stolpert sie über die Bücherei der Rättin Fern und Maylees Bäckerei und lernt eine ganz neue Sichtweise auf die Dinge kennen. Schon bald will sie gar nicht mehr wirklich weg ...

    Mit "Magie & Milchschaum", dem ersten Teil seiner Saga um die Kriegerin Viv, gab Travis Baldree dem Genre Cozy Fantasy auf Anhieb ein neues, erfolgreiches Gesicht. Und so folgt natürlich auch "Bücher & Barbaren", sein zeitlich vor dem Auftakt angesiedeltes Prequel, der altvertrauten Formel, die sich dank Baldrees meisterhaftem Sinn für reichlich Atmosphäre so kuschlig anfühlt wie ein jahrelang getragener Lieblings-Wollpullover. Schnell schließt man die skurrilen Charaktere und ihre alltäglichen Sorgen ins Herz und lässt sich fallen in eine Fantasywelt, in der man sich uneingeschränkt wohlfühlen kann. Und wer hier zu wenig Inhalt und Konflikt bemängelt, hat schlicht den Sinn des Genres Cozy Fantasy (alternativ und hier auch recht zutreffend als "Cottagecore" bezeichnet) noch nicht verinnerlicht.

    Fantasy war schon immer eine der eskapistischsten Literaturgattungen überhaupt. Cozy Fantasy steigert dieses Verlangen nach einer Flucht in andere Welten nun noch einmal mehr, indem sie den Wohlfühlfaktor in den Vordergrund stellt (ähnlich wie die berühmten britischen Cozy Crimes das mit schrulligen Ermittler:innen und beschaulichen Dörfchen tun, in denen Verbrechen nur ein lästiges Hindernis auf dem Weg zum nächsten Kaffeeklatsch sind). Wer also im "Herrn der Ringe" immer schon die Dorfgeschichten im Auenland am spannendsten fand, bei "Harry Potter" die Ausflüge in die Winkelgasse und nach Hogsmeade genossen hat und am Computer stundenlang in den Spielewelten von "Animal Crossing" oder "Stardew Valley" abtaucht, für den ist "Bücher & Barbaren" ein ganz klarer Fall - unbedingt lesen! Die Kenntnis des Vorgängers, der zeitlich ohnehin Jahre nach der hier geschilderten Handlung spielt, ist zwar nicht zwingend erforderlich, aber unabhängig davon ist auch dieser mindestens genauso zu empfehlen. Travis Baldree hat sich mit den Geschichten um Viv zu Recht zum unangefochtenen König der Kuschel-Fantasy aufgeschwungen - dieses Buch macht süchtig!
    Die Stimme der Kraken Ray Nayler
    Die Stimme der Kraken (Buch)
    04.05.2024

    Intelligente Sci-Fi

    Nachdem der Technologiekonzern DIANIMA den südvietnamesischen Insel-Archipel Con Dao nach der Entdeckung einer möglicherweise vernunftbegabten Oktopus-Spezies evakuieren lässt, fordert man die Hilfe der erfahrenen Meeresbiologin Dr. Ha Nguyen an. Gemeinsam mit dem hochintelligenten Androiden Evrim (dem einzigen seiner Art) und der wortkargen Kriegsveteranin Altantsetseg versucht Ha nun, die Geheimnisse vor der Küste zu erforschen und ein mögliches gemeinsames Kommunikationsmittel zu finden, doch ihre Bemühungen werden von Kräften sabotiert, die ganz andere Ziele haben.

    Ray Naylers Debüt ist weniger der Öko-Thriller, als den der Verlag ihn beschreibt, sondern ein philosophischer Near-Future-SF-Roman, der näher an Klassikern wie CONTACT als an schnell getakteten Wissenschafts-Blockbustern á la DER SCHWARM angelehnt ist. Die genaue Figurenzeichnung und philosophische Gedankenexperimente stehen erfreulich stark im Mittelpunkt und werden vor allem von dem hochdetaillierten Weltenentwurf gestützt, der eine Zukunft entwirft, in der die alten Traditionen und Strukturen Südostasiens im ewig verregneten tropischen Dschungel nahtlos mit einer logisch weiterentwickelten Technologie verschmelzen, die selbstfahrende Autos, Passagierdrohnen, KI-gesteuerte Fischereiboote und Holo-Calls hervorgebracht hat. Das wirkt realistisch genug, um DIE STIMME DES KRAKEN nicht zur abgehobenen utopischen Spinnerei werden zu lassen und zeichnet trotzdem den Entwurf einer Welt von (beinahe) morgen, die zwar nicht das Paradies auf Erden ist, aber auch in all ihrer Imperfektion nie das übertriebene Ausmaß einer dystopischen Apokalypse erreicht. So ein geerdeter Mittelweg ist in der klassischen Öko-SF schon recht selten geworden und lässt den Roman angenehm "old school" wirken, ohne Naylers doch recht modernen, beobachtenden Stil zu verleugnen.

    Definitiv keine Empfehlung für Fans schneller Thriller und sicher nicht der Katastrophen-Horror, den man anhand des Klappentextes erwarten könnte, aber gerade deswegen sei der Titel allen SciFi-Liebhabern ans Herz gelegt, die ihre Themen gern mit ein wenig Tiefgang und realistischem World Building serviert haben möchten. Ein zu recht vielfach ausgezeichnetes, starkes und vor allem unglaublich intelligentes Debüt. Lesen!
    Demon Copperhead Barbara Kingsolver
    Demon Copperhead (Buch)
    13.03.2024

    The Great American Novel

    Jeder angehende Schriftsteller in den USA träumt davon, sie irgendwann zu schreiben, die "Great American Novel" - das Buch, das den Zustand der Gesellschaft innerhalb einer bestimmten Zeitspanne einfriert, kritisch beleuchtet und lebendig für die Nachwelt konserviert. Romane wie Steinbecks "Früchte des Zorns" zum Beispiel, Twains "Huckleberry Finn", Fitzgeralds "Der große Gatsby", Salingers "Fänger im Roggen" oder Harper Lees "Wer die Nachtigall stört". Barbara Kingsolver ist nun eine Autorin, die erneut verdammt nah dran ist an dieser Idealform einer Geschichte - und ganz im Zeichen ihrer eigenen Generation unerreicht großer Autoren (Cormac McCarthy, Bret Easton Ellis, David Foster Wallace) schreckt sie nicht zurück vor naturalistischen Darstellungen und anklagender Gewalt. Das Resultat heißt "Demon Copperhead", gewann den letztjährigen Pulitzer-Preis und bringt Barbara Kingsolver ein ganzes Stück weiter auf dem Weg zum Thron der neuen "Great American Novel".

    "Demon Copperhead" ist nicht nur eine Hommage an den großen Charles Dickens, es borgt sich sogar unverhohlen den groben Plot und den größten Teil seiner Figuren (mit teilweise nur leicht veränderten Namen) aus dessen Klassiker "David Copperfield" (der seinerseits wohl das beste Beispiel für eine "Great British Novel" wäre). Das ist nicht als Plagiat gemeint, sondern instrumentalisiert bewusst Dickens' damalige Themen für einen Vergleich mit der Jetztzeit. Insofern kann man Kingsolver durchaus den Vorwurf machen, mit ihrer Geschichte des bitterarm und vernachlässigt aufgewachsenen Demon in einer der rückständigsten Gegenden der USA auf die künstliche Emotionalität eines aufgekitschten Groschenroman-Elends abzuzielen, aber das verfehlt den Punkt, da diese Kunstgriffe schon in der Dickens-Version inhärent und dort sicherlich sogar weitaus mehr einem damaligen Publikumsgeschmack geschuldet sind.

    Kingsolver greift diese Mechanik auf und macht sich nicht die Mühe, dem Publikum eine mildere, versöhnlichere Beschreibung des harten Lebens inmitten der Appalachen anzubieten, nur um diesem Vorwurf zu entgehen. Stattdessen zielt sie genau dorthin, wo es weh tut, bombardiert den Leser mit kraftvoller, lebensnaher Sprache, dem Schmutz des Trailerparks, der seelischen Verwahrlosung und physischen Gewalt einer Unterschicht ohne Perspektive, die immer wieder durchbrochen wird von den unschuldigen kleinen Freuden der Kindheit und von der Sorglosigkeit des Coming of Age. Das ändert sich spätestens, als Demon nach einer Verletzung abhängig von OxyContin wird, jenem teuflischen Schmerzmedikament, dass besonders in den verarmten Gegenden der Vereinigten Staaten durch seine skrupellose Verbreitung zum Nutzen der großen Pharma-Konzerne eine massive Opioid-Krise auslöste. Doch das ist fast schon eine andere Geschichte.

    Auf weit über 800 Seiten windet sich "Demon Copperhead" durch ein Leben am Rande lauernder Katastrophen, beobachtet sein Umfeld mit messerscharfer Präzision und schafft vor allem durch diese ausufernde Detailfreude ein ultrarealistisches Abbild einer verlorenen Gesellschaft, festgefroren in einem ewigen Status Quo. Und genau das macht Barbara Kingsolvers wohl ambitioniertestes Werk dann doch schon zum heißesten Anwärter auf die nächste "Great American Novel". Auf jeden Fall kürt es "Demon Copperhead" mit fast schon obszöner Leichtigkeit zum unumstrittenen Buch des Jahres!
    Wie Sterben geht Andreas Pflüger
    Wie Sterben geht (Buch)
    11.10.2023

    Kalter Krieg - heiß serviert

    Wenn sich ein Autor wie Andreas Pflüger dazu entscheidet, einen politisch aufgeladenen Agententhriller zu schreiben, der den Leser mitten in die paranoide Zeit des Kalten Krieges zurückwirft, dann ist schon davon auszugehen, dass "Wie Sterben geht" (trotz des tatsächlich eher ungelenken Titels) eine einmalige Erfahrung für Thrillerfans werden könnte. Und so kommt es dann eben auch. Überraschend ist das nicht, großartig irgendwie schon.

    Mit sicherer Hand entwirft Pflüger ein wortgewaltiges und dennoch reduziertes Szenario im Jahr 1983, einer Zeit, in der der Kalte Krieg tatsächlich noch eiskalt war. Seine detaillierte Beobachtung des grauen und zweigeteilten Molochs Berlin atmet die ungemütliche Atmosphäre einer Welt im Zustand lauernder Anspannung, die sich nur hin und wieder in einem kurzen Gewaltexzess Luft macht und ansonsten durch die totale Abwesenheit jeglicher menschlicher Empathie frieren lässt. Das ist spannend zu lesen, gruslig-distanziert wie ein historischer Tatsachenbericht und dann wieder dynamisch und adrenalingetrieben in seinen sehr smart inszenierten Action-Szenen, die den Vergleich zu Hollywood-Storyboards nicht scheuen müssen. Dabei formuliert Pflüger bildhaft und dreckig, oftmals dem Chaos seiner eigenen Szenerie verpflichtet und damit so wenig vorhersehbar selbst für den erfahrensten Literaten, dass man ihm kleinere Ausrutscher gern durchgehen lässt. Erfrischend für einen deutschen Spannungsroman, der weder "nur" unterhalten möchte noch seine Leser mit aufgeblasener Moral aus dem Rückspiegel aufs rhetorische Glatteis führt. Einfach nur gut!
    Die Schwarze Königin Markus Heitz
    Die Schwarze Königin (Buch)
    26.08.2023

    Draculas Vermächtnis

    Während sich Barbara von Cilli, die legendäre Schwarze Königin, und Vlad Dracul, Geisel am Hofe ihres Gemahls Sigismund, im düsteren Südeuropa des frühen 15. Jahrhunderts näher kommen, reicht das Vermächtnis ihres kämpferischen Schwurs (das Reich vor den Klauen der vampirischen Strigoi und ihrer Vasallen zu beschützen) bis in die Moderne: Hier gerät der Teenager Len, Nachfahre der Draculesti, bei einer Reise nach Prag in allerhöchste Gefahr, weil die alten Mächte wieder zum Leben erwachen und ihm nach dem selbigen trachten. Fortan muss er, zusammen mit Freunden und Schicksalsgefährten, um die Zukunft der Welt kämpfen. Oder zumindest darum, nicht als Vampirhäppchen zu enden ...

    Markus Heitz bildet mit Wolfgang Hohlbein und Kai Meyer so etwas wie das Dreigestirn der modernen Phantastik in Deutschland. Zwar gelingt ihm dabei selten die dichte Atmosphäre von Meyers oft stilistisch geschliffener und mythologisch aufgeladener Gothic-Schauerliteratur, aber am alten Vorbild Hohlbeins hat sich Heitz mittlerweile vorbeigeschrieben: Sein Output ist mit bislang über 60 Romanen in verschiedenen phantastischen Genres mindestens genauso produktiv wie der des Neußer Urgesteins, aber Heitz' Schreibweise ist moderner und weniger adjektivgeladen als die von Hohlbein und erschafft dadurch auch nicht die immer wieder gleichen sprachlichen Bilder. Beiden gleich ist jedoch die fast spielerische Verortung abenteuerlicher Fantasy-Elemente in einem zeitgenössischen Umfeld, ohne völlig deplatziert zu wirken - was viele ihrer thematisch mit fest etablierten Tropen spielenden Bücher zu idealer All-Ager- bzw. Young-Adult-Literatur macht. Ideale Freizeitlektüre für Heranwachsende und Erwachsene gleichermaßen also, die bei ihrer Zielgruppe nur wenig Kompromisse machen muss.

    Heitz' "Die schwarze Königin" ist flüssig und schnörkellos erzähltes Horror-Abenteuerkino ohne größeren Anspruch, aber mit einer dynamisch strukturierten Geschichte, klaren Protagonisten und einer großzügigen Prise spannender Action- und Gruselelemente, um den Leser auf seiner Achterbahnfahrt bei der Stange zu halten. Manchem Leser mag "das Indiana-Jones-Level deutlich zu hoch" sein, wie es selbst Hauptfigur Len einmal im Roman wortwörtlich durch den Kopf schießt, und der Autor übertreibt es zu Beginn tatsächlich ein wenig mit der Erklärbär-Nummer, indem er seine ganze Exposition zusammen mit historischen Hintergrundinformationen in gestelzte und damit wenig glaubhafte Dialoge schnürt ... aber sobald sein atemloser Fantasy-Thriller um unterirdische Kreaturen, gerissene Vampire und Gestaltwandler, heroische Kämpfer und unerschrockene Teenager endlich mal Fahrt aufnimmt, hat er die Leser hinter sich. Und das dürfte das wahre Erfolgsgeheimnis eines handwerklich überragenden Allrounders wie Markus Heitz sein. Gut gemacht - "Die schwarze Königin" ist eine klare Empfehlung für Fantasy- und Horrorfans fast jeden Alters!
    Die letzte Nacht Karin Slaughter
    Die letzte Nacht (Buch)
    30.07.2023

    Sternstunde der Thriller-Queen!

    Ärztin und Gerichtsmedizinerin Sara Linton wird während einer einzigen atemlosen Nacht in der Notaufnahme in einen Strudel aus Ereignissen gezogen, der weit in ihre Vergangenheit zurückreicht. Als die junge Dani mit zerschmettertem Brustkorb in die Klinik eingeliefert wird und kurz darauf verstirbt, ist es Sara, der das Mädchen mit ihren letzten gehauchten Worten das Versprechen abnimmt, denjenigen, der ihr das angetan hat, seiner gerechten Strafe zuzuführen. Drei Jahre später könnte Saras Zeugenaussage die entscheidende Wendung in einem Fall ohne ausreichende Beweise bringen, aber hinter dem vermeintlichen Täter und seiner Familie steht jede Menge Geld. Sara muss sich ihren finstersten Dämonen stellen ...

    Unerbittlich peitscht Karin Slaughter auch im elften Roman ihrer enorm erfolgreichen Will-Trent-Reihe die Handlung voran und schreckt dabei, wie immer, vor keinen noch so grausamen Details zurück - das ist Teil ihrer Erfolgsrezeptur und geht so auch absolut in Ordnung, denn für empfindsame Seelen hat die Autorin noch nie geschrieben. Andererseits spinnt sie den roten Faden um Will Trent und die bereits seit Slaughters Debüt mit der Grant-County-Reihe zur Stammbesetzung gehörende Sara Linton behutsam weiter und hat damit längst zwei Figuren erschaffen, die Stammlesern in jeder neuen Veröffentlichung weitere faszinierende Facetten ihrer Persönlichkeit (und zwischenmenschlichen Annäherung) offenbaren. Damit kontrapunktiert Karin Slaughter recht geschickt die stets präsente und abstoßende Gewalt in ihren Büchern und lässt sie zu einem atmosphärischen Detail ihrer gnadenlosen literarischen Welt werden, die einfach so ist, wie sie ist. Keine Entschuldigung nötig.

    Darüber hinaus hat "Die letzte Nacht" auch als individueller Eintrag in Slaughters Bibliographie genügend zu bieten: Die altvertraute Dynamik zwischen Trent und Linton stellt sich schnell wieder ein, das zentrale Verbrechen ist abscheulich, aber eben auch äußerst komplex, die literarische Sprache kommt unverblümt zur Sache und baut trotzdem jede Menge Emotionen und eine niemals nachlassende Spannung auf - bis zum finalen Schlusstwist, der sich seines unverschämt wirkungsvollen Überraschungsmomentes nur allzu bewusst ist. Es ist wie immer mit Karin Slaughter: Man liebt ihre Bücher oder man hasst sie, doch ihre mittlerweile an unzähligen Romanen geschärfte Meisterschaft im Schreiben moderner "hardboiled" Crime-Thriller wird man nicht in Abrede stellen können. Und so dürfte auch "Die letzte Nacht" in kurzer Zeit ganz unzweifelhaft den Weg in die hiesigen Bestsellerlisten finden. Völlig zu Recht!
    Lindqvist, J: Refugium: Lindqvist, J: Refugium: (Buch)
    14.07.2023

    Schwedische Thrillerbombe

    John Ajvide Lindqvist ist ja mittlerweile Schwedens Vorzeigeautor, wenn es um international konkurrenzfähige Genreliteratur geht. Bisher eher im Horror des Übernatürlichen beheimatet, wurde er seinerzeit mit dem kongenialen Vampir-Coming-of-Ager "So finster die Nacht" weit über die Grenzen Skandinaviens hinaus zum Star. Das Buch wurde nicht nur in seiner Heimat verfilmt, sondern danach auch in Hollywood neu interpretiert - und das gar nicht mal so übel. Zuletzt gab es dazu sogar noch eine (leider relativ kurzlebige) US-Fernsehserie, die zwar über eine Staffel nicht hinauskam, aber interessante neue Ansätze zeigte. Kurzum: Lindqvist galt zurecht als Schwedens Antwort auf Stephen King - obwohl derlei Auszeichnung oft mehr Marketing-Plattitüde als ernstgemeintes Kompliment ist. Nun also der Versuch eines Thrillers, und da Lindqvist ja irgendwie einen Ruf zu verlieren hat, klotzt er lieber als zu kleckern. Folgerichtig ist auch sein "Refugium" kein leiser und düsterer Scandi-Noir, sondern ein literarischer Blockbuster-Versuch, der nichts Geringeres will als die Nachfolge von Stieg Larssons weltberühmter Millenium-Trilogie anzutreten. Dementsprechend legt Lindqvist auch sein eigenes Werk nicht nur als (mindestens) Trilogie an, sondern begibt sich relativ frech (oder selbstbewusst) sogleich auf Metaebene und thematisiert Larsson höchstselbst, indem er seine Protagonistin (Autorin und Ex-Polizistin Julia Malmros) als Nachfolgerin von Larsson aufbaut, die eigentlich zu Beginn seiner Geschichte im Auftrag ihres Verlages die Folgebände zur realen Millenium-Trilogie (und den Ergänzungen von David Lagercrantz) schreiben soll. Damit ist die Ausgangssituation gesetzt, und jetzt fehlt nur noch ein passender Salander-Ersatz, der Julia zur Seite gestellt wird - und Lindqvist gelingt hier fast unbewusst der nächste Coup, indem er den Computernerd Kim Ribbing einführt, der in seiner freakigen Rätselhaftigkeit auch selbst problemlos allen Vergleichen zur legendären Lisbeth Salander standhält. Chapeau für diesen Move! Jetzt sind die Weichen gestellt für einen politisch subtil agierenden Action-Thriller, der stilistisch tatsächlich auf den Spuren von "Verblendung", "Verdammnis" und "Vergebung" wandelt. Dafür sorgt schon ein typisch blutrünstiger Beginn, bei dem die Familie eines schwerreichen schwedischen Unternehmers samt hochkarätigem internationalem Industriellen-Besuch in den idyllischen Schären Schwedens fast vollständig von Maschinengewehrfeuer hinweg gemäht wird. Nur die Tochter überlebt, und natürlich war die Tat kein zufälliger Amoklauf. Als alte Geheimnisse wieder ans Licht kommen, beginnen Malmros (und irgendwie auch Kim am Computer) zu ermitteln und - auch logisch - stoßen damit in ein Wespennest, das weitreichende Folgen hat. Das macht Laune, ist durchgehend spannend, selbstverständlich Lundqvist-typisch gut geschrieben und beweist letztendlich das, was der Autor hier vermutlich auch beweisen wollte - dass er in jedem Genre ein Meister sein kann, wenn er nur will. Und ganz klar: Hier will er! Da gibt es keine Diskussion mehr, das ist ein ganz klarer Lesebefehl für "Refugium". Also ran an den vermutlich besten skandinavischen Thriller, der dieses Jahr über die Ostsee schwappt!
    SOL. Das Spiel der Zehn Aiden Thomas
    SOL. Das Spiel der Zehn (Buch)
    31.05.2023

    Ein queeres Abenteuer!

    Aiden Thomas hat sich ganz still und heimlich zu einem der bedeutendsten modernen Young-Adult-Autoren gemausert, und das ist durchaus beachtlich. Nach dem schon wirklich ausgefeilten "Cemetery Boys" begibt er sich in "SOL" auf eine Reise in die südamerikanische Mythologie und schafft es mit Leichtigkeit, diesem Sujet noch neue Sichtweisen zu entlocken.

    Klar, beginnen wir mit dem Elefanten im Raum: Ja, "SOL" ist ein queeres Jugendabenteuer. Das fällt zu Beginn, speziell in der deutschen Version, natürlich stark auf, weil Thomas' non-binäre Pronomen im Deutschen oft noch hilflos und ohne genau geregelte orthographische Struktur im Raum stehen (und manch unbedarfter Leser vielleicht schon an ein Versehen des Lektors glauben mag). Ist man darüber erst einmal hinaus (spätestens nach dem fantasievollen Prolog), entfaltet die Welt von "SOL" ihre völlig eigene Magie - weil sie eben nicht Diversität in den Mittelpunkt der Geschichte stellt, sondern sie völlig selbstverständlich in ihr World Building einfließen lässt. Hut ab dafür, denn so unverkrampft muss man das erstmal können!

    Aber auch jenseits dieses (durchaus streitbaren) Story-Elements kann Aiden Thomas mit einem leichtfüßigen Stil überzeugen, der sich mühelos ins Young-Adult-Genre einfügt. Seine epische Geschichte von göttlichen Wettstreiten und Coming-of-Age-Kräftemessen borgt sich Einflüsse aus den "Hunger Games" und aus "Percy Jackson", bleibt dennoch immer dicht am Leser und erschafft für sich selbst eine Eigenständigkeit, die nicht beim Protagonisten endet, sondern alte Mythen neu interpretiert, geschickt Handlungsstränge so miteinander verwebt, dass sie das Publikum bei der Stange halten und mutig eine gleichzeitig utopische und scheinbar längts vergangene Welt kreiert, in der Abenteuer noch groß geschrieben wird. Fürs jugendliche Zielpublikum wie geschaffen - und ein absoluter Triumph als Geschichtenerzähler!
    Going Zero Anthony McCarten
    Going Zero (Buch)
    28.04.2023

    Zero 10 taucht ab

    Es ist ein groß angelegtes Experiment und gleichzeitig ein lukratives Spiel: Zehn zufällig ausgesuchte Menschen müssen sich dreißig Tage dem Zugriff der besten Agenten und Cyber-Nerds Amerikas entziehen. Sie müssen abtauchen, offline gehen, vom Radar verschwinden; sie dürfen nirgendwo Spuren hinterlassen, denn ihre Jäger sind überall und sie verfügen über ein gigantisches Netzwerk an Computern, Kameras und Hightech-Drohnen, um selbst den cleversten Flüchtling wieder aufzuspüren. Am Ende der dreißig Tage warten drei Millionen Dollar auf denjenigen, der sich bis dahin allen Verfolgern entzogen hat.

    Eigentlich kein Spiel für Kaitlyn Day, Bibliothekarin und von allen als graue Maus gesehen - keine Stunde wird sie dort draußen durchhalten, prophezeit man ihr. Doch Kaitlyn, die jetzt als Zero 10 durch die Vereinigten Staaten gehetzt wird, ist Tech-Mogul Cy Baxter und seinem Team immer eine Nasenlänge voraus. Und womit keiner gerechnet hat: Sie hat eine Mission - und nichts mehr zu verlieren!

    Anthony McCartens Paranoia-Tech-Dystopie "Going Zero" fängt im Kleinen an und baut ihre Bedrohung Seite um Seite immer dichter und gefährlicher auf. Damit gelingt dem Autor ein Thriller, der Zukunftsvisionen wie Orwells "1984" mit Pageturnern vom Schlage John Grishams oder Michael Crichtons verschmilzt und mit seiner hochintelligenten Dynamik und packender Schreibe auch den skeptischsten Adrenalinjunkie aus dem Sessel hebt. Den Sternabzug gibt es einzig und allein für einige dieser typischen Implausibilitäten, die man heutzutage wohl in jedem zu ambitioniert konstruierten Bestseller vorfindet, aber für jeden Thrillern sollten derlei Kleinigkeiten das Vergnügen auf keinen Fall schmälern. Hochspannungslektüre für Strandkorb und Ferienhaus-Terrasse - auch zu Hause mehr als nur genießbar!
    30 Tage Dunkelheit Jenny Lund Madsen
    30 Tage Dunkelheit (Buch)
    15.04.2023

    Nordischer Genremix

    Eine literarisch hochgelobte, aber kommerziell völlig erfolglose Schriftstellerin muss nach einem Streit auf der Buchmesse, der in einem Mediendebakel und einer im Affekt erfolgenden Trotzreaktion endet, zu sich selbst und ihrem nächsten Roman finden (ausgerechnet, in Folge des oben erwähnten Debakels, ein Krimi) - und landet deswegen in einem abgelegenen Kaff in Island, um in dreißig Tagen ein Buch aus dem Ärmel zu schütteln. Kurz nach ihrer Ankunft gibt es schon einen Toten zu beklagen, und die Dinge nehmen im kalten Norden ihren unvermeidlich spannenden Verlauf ...

    Mit seiner exzentrischen Hauptfigur Hannah Krause-Bendix punktet "30 Tage Dunkelheit" von Beginn an mit spielerischer Leichtigkeit. Die grantige, zynische und menschenscheue Autorendiva mit Hang zu Rotwein und Zigaretten ist so herrlich anders und reüssiert meisterhaft als fast schon verschmitzt über die eigene Frechheit grinsender Gegenentwurf zur klassisch geprägten Romanheldin in der Literatur. Spätestens wenn Hannah am ersten Morgen in hohem Bogen über den Frühstückstisch ihrer Gastgeberin kotzt, weiß der geneigte Leser, dass Jenny Lund Madsen hier keine Fish-out-of-Water-Romanze erzählt, die man aufgrund der Ausgangssituation schon fast vermuten könnte, sondern ihren Krimi langsam und mit brillanter Bissigkeit entwickelt ... und das ganz ohne in die typischen Fallen zu tappen, die in diesem Genre (irgendwo zwischen Cozy Mystery und Scandi Noir) natürlich durchaus lauern können. Ein Genuss für Leute, die ihre Stereotypen gern ironisch gebrochen serviert bekommen.

    Und keine Angst, es wird schon recht bald spannend und sogar düster, ohne dass die Autorin sich selbst oder ihre (Anti-)Heldin verrät - und damit entsteht ein Thriller, der vehement differenzierter und soviel besser ist als das, was man erwartet hat. Und ganz ehrlich: Das ist gut so!
    Hyänen Johannes Groschupf
    Hyänen (Buch)
    08.01.2023

    Groschupf hat's drauf - meistens.

    Johannes Groschupf ist Berlin-Chronist durch und durch ... mit Leidenschaft wühlt er sich durch den Unterbauch einer kalten Metropole, greift sich die Verlierer der Gesellschaft heraus und macht sie zu seinen unwahrscheinlichen Protagonisten. Das war schon in "Berlin Prepper" und erst recht im Hardboiled-Gangster-Thriller "Berlin Heat" so - und auch "Die Stunde der Hyänen" fällt hier wenig aus dem Raster. Ein Krimi oder Thriller ist Groschupf' neuer Roman trotz eines Serienbrandstifters, vielfachem sexuellem Missbrauch und diverser Gewalttaten dennoch nicht, sondern vielmehr eine genau beobachtete Milieustudie aus den sozial benachteiligten Vierteln der Hauptstadt. Das macht aber nichts, denn die Spannung kommt aus seinen Figuren, die allesamt mindestens einen Knacks haben: Maurice, der unauffällige Postbote, der nach Dienstschluss in einer Sekte um Gottes Gunst fleht und nachts die Autos auf den Straßen anzündet. Jette, die Zeitungsreporterin, die eigentlich viel zu selbstbewusst ist und sich trotzdem von ihrem Freund verprügeln lässt. Und Romina, die Roma-stämmige Polizistin, die nicht ernst genommen wird und die man quer durch die Dienststelle mobbt. Zusammen streifen sie durch das Dunkel von Berlin, getrieben von ihren eigenen Dämonen und einer verständnislosen Umwelt. Man leidet mit ihnen, versteht ihren Zynismus und Zorn und wünscht sich für alle einen Neuanfang ...

    Ein bisschen liegt da auch der (Story-)Hase im Pfeffer: Über all den starken Charakterporträts verliert Johannes Groschupf gegen Ende ein bisschen den Fokus seiner Geschichte aus den Augen. Nicht alle persönlichen Handlungsstränge werden kathartisch oder wenigstens versöhnlich aufgelöst, die polizeilichen Ermittlungen verlaufen teilweise höchst fragwürdig im Sand und die Entwicklung einer sehr zentralen Figur nimmt mehrfach eine höchst eigenwillige Wendung, als sie Berlin verlässt, obwohl der aus der Figurenperspektive geschriebene Text zuvor nicht ein einziges Mal auf einen derartigen charakterlichen Wandel schließen ließ. Da geht dann ein bisschen der Deus ex Machina mit Groschupf durch, der am Ende sichtlich Mühe hat, alle seine Stränge zu verknüpfen. Das trübt ein wenig die Lesefreude (vor allem, wenn man den ähnlich pessimistischen, aber dennoch hervorragend konstruierten Vorgänger "Berlin Heat" zum Vergleich heranzieht), aber wie immer ist hier auch der Weg das Ziel. Und auf dieser Achterbahn hat der geneigte Leser auf jeden Fall Spaß - der recht abrupte Bremser bei der Zieleinfahrt gehört halt bei jedem Rummel irgendwie dazu. Daher immer noch nahezu uneingeschränkte Leseempfehlung für Liebhaber harter und urbaner Noir-Literatur. Bis zum nächsten Mal, Herr Groschupf!
    Stehn, M: Happy New Year - Zwei Familien, ein Albtraum. Stehn, M: Happy New Year - Zwei Familien, ein Albtraum. (Buch)
    08.01.2023

    Neujahrsdrama

    "Happy New Year" ist schon ein besonderer Fall. Natürlich ist es in erster Linie ein Thriller, und wie bei den Erzeugnissen aus dem skandinavischen Raum inzwischen schon fast üblich, schlummert das Böse natürlich auch hier unter einem fast undurchschaubaren Beziehungsgeflecht, dessen Dynamik sich aus Vergangenheit und Gegenwart nährt und nach und nach selbst die ältesten Geheimnisse ans Licht bringt. In Malin Stehns detailverliebtem Krimi stehen zwei Familien und deren engste Freunde im Mittelpunkt, die sich seit Jahren allesamt auseinandergelebt haben und nur zum Mittsommerfest und zur Silvesterfeier noch einmal zusammenkommen - das lässt jede Menge Spielraum für selbstverliebte Erfolgsmenschen, frustrierte Mittelständler und den ganz normalen Wahnsinn der schwedischen bürgerlichen Gesellschaft. Und natürlich geht an diesem Silvesterabend alles schief: Ein Teenager verschwindet und wird später tot aufgefunden. Einer aus dem Kreis muss der Täter sein. Nur wer? Die Paranoia nimmt ihren Lauf.

    "Happy New Year" ist ein geschickt konstruierter Thriller, der sich hauptsächlich auf die Psyche seiner Protagonisten konzentriert und dabei tief in alten Wunden stochert. Das mag nicht jedem so gefallen (die Polizei und deren Ermittlungsarbeit bleiben weitestgehend außen vor), aber so gelingt Malin Stehn ein sehr genau recherchiertes Drama um Menschen in der Midlife-Crisis, die irgendwann einmal bilanzieren müssen, dass ihre Träume von einst schon längst einer Alltagsroutine gewichen sind, der sie nie verfallen wollten. Ein schmerzhaftes Drama, dem der Kriminalfall letztlich nur das Sahnehäubchen aufsetzt, und ein detailliertes Psychogramm bürgerlicher Existenzen in der Mitte Europas. Stilistisch vergleichsweise einfach und fast schon trocken, aber das passt zu der spröden Atmosphäre des Buches - die drei Hauptperspektiven sind zu Beginn im Sprung ihrer Blickwinkel durchaus gewöhnungsbedürftig, erweisen sich aber schon bald als essentielle Pfeiler einer Geschichte, die mit ihren zahlreichen Wendungen gegen Ende immer spannender wird.

    Nicht der atemlose Thriller-Pageturner, den viele vielleicht erwartet haben (und durchaus mit einigen Längen behaftet, die einfach nur ihren Standpunkt nach Hause bringen wollen), aber ein durch und durch solider und mitreißender Einstand in die Welt literarischer Spannung. Sollte man lesen, sofern man sich auch nur entfernt für nordischen Psycho-Terror interessiert!
    Unsterblich sind nur die anderen Simone Buchholz
    Unsterblich sind nur die anderen (Buch)
    29.10.2022

    Abgedreht magisch

    Dass viele Leser:innen mit "Unsterblich sind nur die anderen" nichts weiter anfangen können, wundert mich im Leseland Deutschland eher recht wenig - hier regiert bei all den Instagram-Lesemäusen und Booktube-Empfehler:innen schließlich immer noch pastellfarbener New-Adult-Schmonz oder bieder-emanzipative Romantic Fantasy. Simone Buchholz' neuer Roman ist nichts von beidem.

    Eigentlich im Krimi beheimatet, zaubert die kreative Autorin hier einen mythisch-magischen Reiseroman aufs Brett, der sich gewaschen hat: Aus einer relativ standardisierten Ausgangssituation, in der zwei Frauen auf der Suche nach drei Freunden deren Schiffsüberfahrt nach Island nachverfolgen, um Hinweise auf den Verbleib der Vermissten zu finden, entwickelt sich ein übersinnlicher Geisterroman, dessen Sujet zwar relativ linear den "Fliegenden Holländer" beerbt, aber für den geneigten Leser durchaus die eine oder andere Überraschung bereithält.

    Simine Buchholz wäre nicht die mit allen Wassern gewaschene Autorin, wenn sie "Unsterblich sind nur die anderen" als Standard-Mystery an einem Wochenende druntergeschrieben hätte. Etwas plump ist hier tatsächlich nur der Titel. Stattdessen webt sie ein raffiniertes Konstrukt aus langen mäandernden Sätzen, in denen die entscheidenden Informationen oftmals beiläufig hinter der letzten Kommastelle geparkt werden und kreiert intelligente Bilder im Kopf, mit denen die unheimliche Reise auf dem geisterhaften Schiff immer stärker Fahrt aufnimmt und in ihrer unerreicht frechen Mischung aus Poesie, Theaterstück und dramatischen Elementen in breiten Pinselstrichen eine Geschichte elementarer Themen erzählt: Liebe, Trauer, Verlust zwischen Alkohol, Zigaretten und immer wieder mal Sex. Eine melancholische Schauermär, eine moderne maritime Geistergeschichte, die einen magischen Sog entwickelt und traurig den modrigen Odem seetanggeschwängerter Fäulnis atmet ... so unfassbar gut, dass man seinen Augen nicht trauen mag.

    Eines der Bücher des Jahres, das wohl auf ewig unter dem Radar fliegen wird und trotzdem jeden einzelnen seiner Leser verdient hat.
    Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit Natasha Pulley
    Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit (Buch)
    04.10.2022

    Anspruchsvolle Phantastik

    Als Joe Tournier inmitten des Londoner King's Cross-Bahnhofs zu sich kommt, findet er sich in einer Welt wieder, in der die Stadt nun Londres und der Bahnhof Gare de Roi heißt. Wir schreiben das Jahr 1898, und im Gegensatz zur bekannten Geschichte hat hier Frankreich die Schlacht bei Trafalgar gewonnen und hält England besetzt. Nur Schottland im Norden widersteht noch standhaft der gallischen Invasion. Von all dem weiß Joe aber erst einmal nichts, denn er hat keine Erinnerung an seine Vergangenheit, weiß weder, wo er herkommt noch was mit ihm geschehen ist. Folgerichtig landet er in einer psychiatrischen Klinik, und als ihn eine rätselhafte Postkarte erreicht, die neunzig Jahre unterwegs war, beginnt ein seltsames Abenteuer über die Grenzen der Zeit hinaus ...

    Nach ihrem Debüt "Der Uhrmacher in der Filigree Street" legt Natasha Pulley mit dem "Leuchtturm an der Schwelle der Zeit" gerade erst einmal ihren zweiten Roman vor und etabliert sich damit bereits als eine der wichtigsten Stimmen in der neuen britischen Phantastik. Ihr Alternativwelt-Epos ist wortgewaltige Steampunk-Saga und prächtiger Abenteuer-Bilderbogen in einem; die Handlung ist präzise konstruiert, kunstvoll ineinander verschachtelt und erfordert ohne Zweifel die genaue Aufmerksamkeit des Lesers, der sich auf diese Herausforderung einlassen muss. Belohnt wird man im Gegenzug mit einer Leseerfahrung auf sehr hoher Qualitätsstufe, die man inzwischen schon fast von Klett-Cotta erwarten kann: Wieder einmal übertrifft man sich hier selbst in Präsentation und Übersetzung, und es ist genau dieser Rahmen, der Natasha Pulleys Fabulierkunst noch einmal ganz besonders ins Rampenlicht rückt. Ihre Detailfreude beim Entwurf einer glaubhaften Alternativwelt bleiben mindestens ebenso lange im Gedächtnis wie die abenteuerliche Odyssee des Joe Tournier, der auf seiner Reise nach Schottland die Zeit selbst aus den Angeln hebt. Hut ab vor soviel Fantasie - Natasha Pulley MUSS man einfach gelesen haben! Ohne Frage die Höchstwertung.
    Todesspiel. Die Nordseite des Herzens Dolores Redondo
    Todesspiel. Die Nordseite des Herzens (Buch)
    04.10.2022

    Brillanter Wälzer mit Schwächen

    Ein grandioser Thriller und dennoch ein zwiespältiges Buch - "Todesspiel", so der etwas einfallslose deutsche Titel, ist leider nicht perfekt, obwohl er alles Notwendige mitbringt. Wer Dolores Redondos Baztan-Trilogie kennt, hat auch schon von Amaia Salazar gehört, einer der fähigsten Polizistinnen Spaniens und hier (noch vor den Ereignissen der Trilogie) schon mit 25 Jahren eine Subinspectora, die landesweit für ihre berufliche Brillanz geschätzt wird. Da ist es nur folgerichtig, dass sie am Austauschprogramm der Polizei teilnimmt und im FBI-Hauptquartier in Quantico/USA mit anderen Kollegen zusammen eine Profiling Masterclass absolviert. Ihre Kombinationsgabe, gepaart mit fast untrüglicher Intuition, macht sie schon bald zum Zentrum der Aufmerksamkeit, als eine echte Mordserie ihren unaufhaltsamen Verlauf nimmt - und Amaia findet sich auf einmal inmitten eines hochprofessionellen FBI-Ermittlerteams wieder. Gemeinsam sind sie einem Täter auf den Fersen, der gnadenlos immer wieder im Angesicht von Naturkatastrophen zuschlägt. Und gerade jetzt zieht Hurrikan Katrina bedrohlich über die Südstaaten der USA in Richtung New Orleans ...

    Die Settings sind spektakulär, die Verbrechensserie knackig, die Charaktere ausgefeilt, wenn auch oft etwas zu sehr gebrochen - und trotz eines wundervoll geschliffenen Schreibstils kommt Redondos Serienkiller-Prequel nicht ganz aus den Startlöchern. Solange Amalias perfekte Intuition gefragt ist, folgt man den spannenden Erkenntnissen mindestens genau so gebannt wie den Taten des gestörten "Komponisten", aber sobald das Team nach etwa einem Viertel des Romans in New Orleans eintrifft, bremst sich die Autorin unnötig selber aus: Zu viele parallel stattfindende Ereignisse trüben den Lesefluss, die Rückblenden in die Vergangenheit der Protagonistin (und zusätzlich noch in das frühere Leben des leitenden US-Agenten) scheinen zu einem völlig anderen Buch zu gehören und das anfangs so perfekte Timing hinkt hinterher. Das ist schade, denn im Grunde genommen ist "Die Nordseite des Herzens" (der deutsche Untertitel, der das Original übersetzt, ist treffender) ein herzzerreißend schöner und handwerklich unglaublich ausgefeilter Thriller. Auf 400 Seiten wären Amaia Salazars frühe Jahre in der Verbrechensbekämpfung eine pulstreibende Achterbahnfahrt gewesen, aber gestreckt auf über 600 Seiten ist Dolores Redondos Roman einfach ein bisschen zu ambitioniert und verliert die Vorschusslorbeeren vom Beginn schon vor der Ziellinie. Fans der Baztan-Reihe werden ausreichend bedient, und letztlich ist "Todesspiel" kein Thriller, dessen Lektüre man hinterher bereuen würde, aber anhand der verschenkten Möglichkeiten zur Straffung ist man schon ein wenig traurig, dass nicht alle Erwartungen erfüllt werden. Dolores Redondo ist immer noch eine der herausragendsten Crime-Autorinnen Spaniens - beim nächsten Buch kann es nur noch besser werden. Mit Einschränkungen also dennoch wärmstens empfohlen!
    Matrix Lauren Groff
    Matrix (Buch)
    02.09.2022

    Utopie von sakraler Wucht

    Zuallererst: Lauren Groff hat mit "Matrix" keine der üblichen Mittelalter-Romanzen nach modernem Strickmuster geschrieben, in der die Protagonistin sich als starke Frauenfigur nach heutigem Rollenbild versteht. Ihre Heldin ist, trotz aller Radikalität ihrer weltlichen Ansichten, fest im damaligen Mikrokosmos aus Kirche und Obrigkeit verwurzelt - sie bewundert ihre Königin, das entgangene Leben am Hof, die Kunst der Minne und die Frauen, die sich der Etikette ihrer Zeit verschrieben haben. Und doch passt sich Marie dem Leben an, das ihr zuerst aufgezwungen wird: Aus dem ärmlichen Kloster voller hungernder Nonnen macht sie im Laufe der Jahrzehnte, fern der Orte und Ereignisse von wirklich weltpolitischer Bedeutung, eine Trutzburg früher feministischer Selbstverständlichkeit.

    Natürlich hat es die Person Marie de France einst wirklich gegeben, doch die niemals eindeutig identifizierte historische Poetin und Visionärin dürfte nur wenig mit Groffs ungelenker und herber Halbamazone zu tun haben, die sich nach Akzeptanz bei Hofe sehnt und ob ihrer wenig attraktiven Erscheinung dennoch, gerade 17 Jahre alt, von ihrer geliebten Königin Eleanore von Aquitanien in die Quasi-Verbannung geschickt wird.

    Lange wünscht sich Marie zurück in den wärmenden Schoß ihres einst so privilegierten Lebens. Die Jahre vergehen, die glückliche Vergangenheit erscheint immer ferner und immer noch hält die Äbtissin an ihrem Traum fest. Doch nebenher widmet sie sich unbeirrt und mit immer größerer Leidenschaft ihren Schwestern im Kloster, verbessert ihr Leben, macht die Frauen zu starken Persönlichkeiten und erschafft so auf die ihr einzig mögliche Weise einen Ort, an dem Wissen und Aufklärung gedeihen. Eine Utopie, sicher, aber eine Utopie von einzigartiger Kraft!

    Ungewöhnlich ist an "Matrix" auch der Stil. Durchgängig im Präsens und in indirekter Rede erzählt, rafft Groffs Roman oft Jahrzehnte auf wenigen Seiten zusammen, berichtet nüchtern und ohne wirklich erkennbaren Bogen von Geschehnissen, aus denen andere eine ganze Geschichte gewoben hätten und bleibt dennoch dicht an seiner Protagonistin, reflektiert mit seinem sperrigen Sätzen, die bald einen eigenwilligen Sog entfalten, die kantige Persönlichkeit der Äbtissin Marie, die auf angenehm realistische Art nicht in ihre Zeit passt. Andererseits gelingt der Autorin so auch ein Weltenbau, der auf unnachahmliche Weise ein Bild des Mittelalters jenseits aller Klischees entwirft - nicht nur Dreck, Hunger und Krankheiten werden regelrecht greifbar, ohne den typischen "Misery Porn" aktueller Geschichtsschmöker zu wiederholen, sondern auch die Gedankenwelt jener Zeit.

    In der kargen Klösterlichkeit (nach außen und auch nach innen), mit denen sich die Kapitel an den immer gleichen Abläufen der Jahreszeiten abarbeiten und damit einen Rhythmus von geradezu sakraler Wucht erlangen, spiegelt sich der Zustand der realen Welt in einer Mischung aus resignierender Schicksalsergebenheit, emotionalem Aufbegehren, Hilflosigkeit, tiefem Gottesglauben und Tatendrang wider und vermittelt zumindest eine ferne Idee davon, wie unsere Vorfahren sich in einer Gesellschaft behauptet haben, in der ein einzelner Mensch nicht zählte.

    Das mag einigen Lesern schnell recht zäh und repetitiv erscheinen, aber genau das scheint auch Sinn und Zweck dieser schriftstellerischen Kraftakts - meinen tiefsten Respekt an Lauren Groff: Hut ab vor soviel Fabulierkunst!

    Wohl noch über die nächsten Jahre ein Buch zum Mitreden.
    Der schwarzzüngige Dieb (Schwarzzunge, Bd. 1) Christopher Buehlman
    Der schwarzzüngige Dieb (Schwarzzunge, Bd. 1) (Buch)
    21.08.2022

    Klassische Fantasy frisch erzählt!


    "Der schwarzzüngige Dieb" mag mit seinem etwas sperrigen deutschen Titel zwar nicht gerade einen Innovationspreis gewinnen (zumindest ist er relativ originalgetreu aus dem Englischen übertragen worden), aber schon auf den ersten Seiten präsentiert sich der Auftakt der geplanten Trilogie als moderne Fantasy im besten Licht. Dabei erinnert Christopher Buehlmans erfrischend respektloser Umgang mit seinen Figuren bisweilen an die Ursprünge der aktuellen (bzw. schon fast wieder abflauenden) Grim-Dark-Bewegung, bleibt aber im Vergleich zu den bekanntesten Vertretern des Genres wie etwa Joe Abercrombies "First Law"-Saga gerade in der Charakterentwicklung nahbarer und reflektiert seinen Humor eher ironisch als hoffnungslos zynisch.

    Inhaltlich geht es natürlich weitestgehend klassisch zu, aber das ist auch durchaus gut so: Schnell fühlt man sich als Leser heimisch zwischen Landstraße und Gasthaus, im altvertrauten Setting mit ähnlichen Archetypen, humorvollen Einwürfen und einem Einstand in ein Abenteuer, das Lust macht auf mehr. Die zusammengewürfelte Truppe hat genügend Reibungspunkte, um interessante Gruppenkonflikte zu garantieren, die Queststruktur passt sich perfekt in die Erzählweise ein und das World Building ist wundervoll bodenständig und versteigt sich nicht in verkopften Versuchen, besonders originell zu sein. Klingt nicht wie ein Lob, ist aber durchaus so gemeint. "Der schwarzzüngige Dieb" erschafft eine Welt, in die man als Leser gern eintaucht - und auf jeden Fall gern zurückkehrt ...

    Besondere Erwähnung verdient auch der fast schon selbstverständliche, aber immer wieder erfreuliche Standard der Hobbit-Presse-Veröffentlichungen bei Klett-Cotta: Das Hardcover sieht gut aus, wirkt mit seiner farblich toll gestalteten Front-Illustration extrem hochwertig und hält natürlich auch das übliche Kartenwerk bereit (diesmal hinten statt vorn, aber das sind nur ganz kleine Meckerdetails). Hier fühlt man sich als Fantasy-Fan immer gut aufgehoben, und gar keine Frage - dafür muss es ganz einfach auch die volle Punktzahl geben. Zugreifen!
    Krupitsky, N: Familie Krupitsky, N: Familie (Buch)
    21.08.2022

    A Fairytale of New York


    "Fairytale" heißt Märchen. Und ja, "A Fairytale of New York" ist eigentlich der Titel eines der wohl bekanntesten Songs der irischen Folkpunker The Pogues - ein Weihnachtslied eigentlich, aber gleichzeitig ein entlarvender Blick auf das Schicksal unzähliger Immigranten, die es in den letzten 150 Jahren in Richtung Amerika zog: Desillusioniert, zynisch, trotzig. Nie angekommen in der neuen Welt und trotzdem hier zuhause. Es wird schon alles gut. Irgendwann.

    Und dann gab es da die Italiener, neben den Iren sicherlich eine der größten Gruppen, die vor den ärmlichen Verhältnissen ihrer alten Heimat flohen und dann an der Ostküste der USA strandeten - verdammt dazu, entweder im Dreck zu wühlen, sich die Finger blutig zu arbeiten oder (wie Joey und Carlo) dem Lockruf der Männer zu folgen, die die Straßen regierten. "La Famiglia" nimmt dich auf, sie beschützt dich, sorgt für dich - und spuckt dich aus, wenn du es dir anders überlegst. Joey schließt einen Pakt mit dem Teufel - Carlo hingegen träumt von einem unabhängigen Leben, von Weizenfeldern und Weinbergen, und verschwindet sehr schnell aus dieser Geschichte, weil er sich für seinen Traum gegen die Familie stellen muss.

    Übrig bleiben Frau und Tochter: Lina versinkt in Verzweiflung, und Antonia hinterfragt auf einmal ihre jahrelange Wand-an-Wand-Freundschaft mit Sofia, der Tochter von Joey, der sich angepasst hat und den dunklen Pfad einschlägt. So wachsen die beiden Mädchen nebeneinander auf, doch inzwischen Lichtjahre voneinander entfernt; auch wenn sie sich beide in die Männer mit der Pomade im Haar verlieben, die Typen, vor denen ihre Mütter sie immer gewarnt haben. Das geht nicht lange gut, und die Kluft zwischen Sofia und Antonia wächst, je größer der Einfluss der "Familie" auf ihrer beider Leben wird ...

    Naomi Krupitskys "Die Familie" seziert mit gnadenloser Beiläufigkeit den permanenten Schatten, den das organisierte Verbrechen über diejenigen wirft, die sich seinem Einfluss nicht entziehen können. Dabei ist ihr New York eine Stadt, in der jeder unter sich bleibt, im Schutz einer Gemeinschaft, die einen schützt vor all dem, was da draußen passiert. Wir beginnen im Jahre 1928, Sofia und Antonia sind noch Grundschüler, die Depression und der Börsencrash werfen ihre Schatten voraus, und von da an geht es bergab. Antonia verliert beide Eltern, den Vater an die Familie, die Mutter an die Verzweiflung. Sofia verliert Antonia. Und alle anderen verlieren das Vertrauen in eine Welt, die bisher so geordnet erschien, so bescheiden, aber trotzdem lebenswert. Nichts ist mehr so, wie es war. Die "Familie" steht über allem. Und dennoch muss es doch möglich sein, auszubrechen aus diesem Teufelskreis. Der Sehnsucht zu folgen, dem Herzen, dem Kopf. Sie werden es versuchen, Antonia und Sofia - jede auf ihre Art. Am Ende steht (vielleicht) die Freiheit. Oder nur ein weiterer Käfig.

    Über die literarische Qualität von "Die Familie" muss man keine Worte verlieren. Erstaunlich für ein Debüt, aber mit ihrem ersten Werk kann sich Naomi Krupitsky bereits nicht nur im Feuilleton, sondern auch beim Publikum etablieren - zu Recht ein Bestseller, in dem das New York der 30er und 40er Jahre (wieder einmal) nicht nur Kulisse ist, sondern ein weiterer Protagonist: Eine Stadt im Ausnahmezustand, die brüllt und sich windet, die Menschen und Schicksale verschluckt, die sicherer Hafen ist, träumerische Nostalgie, aber auch gnadenloser Moloch bar jeden Mitleids. Nur hier kann "Die Familie" im Glanz ihrer wunderbaren Sätze erstrahlen, nur hier wird eine längst vergessene Szenerie so lebendig und greifbar vors geistige Auge geholt - nur hier sind Leben und Tod, Verzweiflung und Hoffnung, Vergangenheit und Zukunft so nah wie niemals zuvor. Nicht seit Mario Puzos "Der Pate" hat ein Roman so scheinbar mühelos die Welt auf den Kopf gestellt. Atemberaubend schön!
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