5 von 5
HRF
22. August 2023
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Referenzaufnahmen für das Klaviertrio op. 24 und die Duo-Sonate Nr. 6
Die vorliegende CD spannt den Bogen über die nahezu gesamte Lebenszeit Mieczysław Weinbergs (1919-1996). Die „Drei Stücke für Geige und Klavier“ sind ein Frühwerk des gerade mal Fünfzehnjährigen. Das „Trio für Geige, Violoncello und Klavier op. 24“ von 1945 kann zu Weinbergs zentralen Werken gerechnet werden. Die Sonate für Geige und Klavier Nr. 6, op. 136b ist ein nachgelassenes Opus von 1982.
Eröffnet wird das CD-Konzert mit den „Drei Stücken für Violine und Klavier“. Während sich das einleitende Nocturno noch nicht von der spätromantischen Tradition löst, spiegelt das rhythmisch teilweise anspruchsvolle Scherzo bereits deutlicher den musikalischen Aufbruch des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Der Geiger Gidon Kremer und die Pianistin Julianna Awdejewa (je nach Transkription auch: Yulianna Avdeeva) spielen hier mit einem Herzschlag. Was für ein Duo! Ob man der Violine hier, wie es das Begleitheft sagt, „leichtfüßiges“ Springen nachsagen möchte, bleibe dahingestellt. Dazu ist dann doch zu viel virtuose Akrobatik in diesem Scherzo verpackt. Vielleicht hat hier das Kinderliedmotiv fälschlich „Leichtigkeit“ suggeriert. Der nachfolgende Moderato-Satz führt in dunklere Räume, er ist „Traum von einer Puppe“ überschrieben. Wunderbar komponierter Stimmführungswechsel zwischen Geige und Klavier.
Der kompositorische Höhepunkt ist wohl Weinbergs „Klaviertrio op. 24“. Ein Glücksfall, dass sich der Geiger Gidon Kremer, die litauische Cellistin Giedré Dirvanauskaité und die russische Pianistin Julianna Awdejewa dieses Stückes angenommen haben. Ein Traumtrio für dieses Stück, das immer wieder eingespielt wird. Kaum je so eindrücklich.
Die Familie des jüdischen Polen Mieczysław Weinberg wurde im Holocaust ermordet. Er selbst konnte 1939 aus Warschau in die Sowjetunion fliehen und nahm dort den russifizierten Namen Moissei Wainberg (auch: Vainberg) an. Doch in der Sowjetunion litt er ähnlich wie der mit ihm befreundete Schostakowitsch unter dem Terror des Stalin-Regimes. Das, wenn man so will, spiegelt sich in seinem „Klaviertrio op. 24“ wieder. Ein dramatisches, ein bewegendes Werk, das eine hohe Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeit der Instrumentalisten erfordert.
Als Beispiel möge der zweite Satz, die Toccata, dienen. Eine Toccata ist seit der Romantik häufig ein sehr stark rhythmisch akzentuiertes Stück (ital. toccare = schlagen), dem schon wegen seines Grundcharakters eine gewisse Härte innewohnt. Bei Weinberg dient sie zum Ausdruck großer Spannung und aggressiver Gewalten. Vor allem der linken Hand des Klaviers kommt in den Anfangspassagen der Toccata die symbolträchtige Rolle einer zuschlagenden „Pranke“ zu. Pianisten, die dieses Stück nicht auf der Höhe der Komposition spielen, tupfen hier nur Notenakzente hin (Negativbeispiel: Trio Vivente). Was hier die Aufgabe der linken Hand ist, scheint ihnen zu entgehen. Ganz anders Julianna Awdejewa. Hier werden die „Akzente“ der linken Hand zum Ereignis, da erhebt sich eine eigenständige Stimme der brutalen Gewalt und baut diese Toccata zu einem Seelendrama von großer Eindrücklichkeit auf. Das alles wird von der Geige und dem Cello kongenial vorbereitet und mitgestaltet bis das Klaviertrio mit dem letzten Satz in einem grandiosen Furioso gleichsam explodiert. Man geht wohl kaum zu weit, wenn man diesem aufwühlend-bedrückenden Klaviertrio autobiografische Züge attestiert. Eine herausragende Aufnahme.
Nach dem zentralen Trio op. 24 folgt wiederum das Duo Kremer-Awdejewa mit der Sonate für Violine und Klavier Nr. 6 (op. 136b). Es ist die Grundstimmung des vorausgegangenen Trios, die hier fortgeführt wird. Aus einem schlichten Viertonmotiv (D-C-D-A) entwickelt Gidon Kremer in stets steigender Dringlichkeit ein bedrängendes Gemälde, ehe das Klavier das Thema aufgreift und fortführt, bis schließlich der Satz im Pianissimo verklingt.
Nach einer kurzen Pause – keineswegs übergangslos, wie das Begleitheft behauptet und dabei wohl den nahtlosen Übergang vom zweiten zum dritten Satz erinnert – beginnt der zweite Satz. Dass mit diesem „sanfte Ruhe einkehrt und er die Wärme schöner Erinnerungen atmet“, wie das Begleitheft behauptet, kann nur sagen, wer die Spannungsmomente mutwillig überhört, denn das ist doch eine bedrohte Ruhe, eine Unruhe, die sich schließlich immer spannungsreicher aufbaut, ehe sie übergangslos in den dritten Satz mündet. Dort zunächst eine Beruhigung, erneute Konflikte und schließlich ein Untergehen alles Musikalischen, aller seelischen Spannkraft in ein vielleicht hoffnungsloses Nichts.
Für lange Zeit werden diese Aufnahmen des Trios op. 24 sowie der Duo-Sonate Nr. 6 Op. 136b als Referenzeinspielungen die Ausdeutung des emotional-musikalischen Raums der Stücke prägen. Herausragend!
Das Beiheft zur CD, Text von Verena Mogl, könnte ausführlicher und, pardon, durchdachter sein. Diese Stücke sollen ein stetes Bekenntnis zur Schönheit jenseits von allem Schmerz und allem Leid sein, wie Mogl sagt. Wirklich? Nachdem Weinberg die Ermordung seiner Familie und von Millionen von anderen Juden durchlitten, selbst dem Henker Stalin nur mit Mühe entkommen, die Ermordung seines Schwiegervaters durch Stalins Schergen erfahren hat? Man darf sich wundern. Dennoch gibt das Beiheft auch hilfreiche Informationen, um den Komponisten und die Stücke in den Kontext der Epoche einzuordnen. Die Aufnahmequalität und Abmischung sind vorzüglich.