4 von 5
Anonym
14. Mai 2016
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
4,0 von 5
Reger zum Aufregern
Herr Buttmann ist ohne Zweifel ein sehr versierter Regerinterpret, der sich
eine ausgezeichnete Artikulation erarbeitet hat. Die Geschichte der
Regerinterpretationen auf der Orgel ist von sehr kontroversen Auffassungen
geprägt, auch was den künstlerischen Wert einzelner Werke betrifft.
Zugleich wird dabei deutlich, dass es zwei grundsätzlich verschiedene
Welten des Reger-Erlebnisses gibt: Einmal ist es die des virtuosen
Interpreten, der durch die Herausforderung der meist spieltechnisch
komplizierten Partituren in der Dauer der Zeit und der gegebenen Autosuggestion beim eigenen Tun
einen ganz anderen Weg nimmt als der mit dem unmittelbaren Ergebnis konfrontierte Zuhörer. Der Zuhörer
kann einfach die Uhr stellen nach den dynamischen Ereignissen in Regers
Orgelwerk. Also: schreiend laut - ins Säuselnde zusammenbrechend, wieder
agogisch und dynamisch sich steigernd zum nächsten extremen Aufschrei, um
wieder gänzlich zusammenzubrechen. Dazu kommt noch eine chromatische
Harmonik, nervös - beliebig wechselnde Akkorde (ausgebuffter
Harmonielehrer), welche eine durch nahezu alle Werke ununterscheidbare
Klangszenerie wabern lassen. (Nietzsche: "Die Wiederkehr des Ewiggleichen".) Reger
übertrug die Klaviertechnik auf die Orgel. Sein ständiger Zugriff auf
Bachsche Spielfiguren und Verzierungen, sowie seine langweilende Fugenmanie
vermag einen fassungslos zu machen und in Versuchung kommen lassen, Reger
als Erfinder des musikalischen Dadaismus zu bezeichnen. Sieht man sich
Regers Notentexte an, so muss man ihn für einen sehr interessanten
Graphiker halten. Zumindest scheint er Hegels These aus der "Wissenschaft
der Logik" bestätigen zu wollen, dass durch Anhäufung von Quantitäten sich
eine neue Qualität ergibt. Bernhard Buttmanns vorliegende Aufnahme der
späten Orgelwerke Max Regers ist nach meinem Geschmack ein wenig zu
nivellierend, zu gefällig machend, sodass ich nirgendwo den beschworenen
Regerschen Humor erleben kann. Ich frage mich, wie man einen vom
Komponisten vorgesehenen Taktwechsel zwischen Vierer- und Dreiertakt in
Opus 129,7 derart verschleifen kann, dass er faktisch nicht mehr
stattfindet. Auch bei der Registrierung wünschte ich mir mehr Originellität
für unsere heutige Ohren, wenn man schon den Meister hier und da eines
Besseren belehrt. Die Schwelltechnik wird nahezu sensibel angewandt. Als
gut gelungen empfinde ich die Einspielung von "Variationen und Fuge über
ein Originalthema, op. 73"
Winfried Radziejewski