4 von 5
jommelli
Top 50 Rezensent
19. Mai 2016
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Lohnenswerte Entdeckung
Henry Madin war bislang eine rein lexikalische Größe und kaum einmal in Spezialistenkreisen bekannt. Der seinerzeit sehr geschätzte Komponist, der es immerhin zum zweiten Kapellmeister des Königs brachte, schrieb vor allem geistliche Musik. Zwei derartige Werke kann man nun zum ersten Mal in einer Liveaufnahme aus der Schlosskapelle in Versailles hören. Die insgesamt relativ konservativ angelegte Musik erinnert merkwürdigerweise mehr an Charpentier und Lully als an den deutlich älteren, jedoch wesentlich progressiver komponierenden Rameau, weist aber durchaus eigenständige Züge auf. Das fast 5o-minütige Te Deum (das längste seiner Art im Frankreich des 17. und frühen 18. Jahrhunderts) beeindruckt durch reiche Instrumentation und grandiose polyphone Satzkunst, die kürzere Motette weist zahlreiche Parallelen zur Opernästhetik aus, z.B. in der sehr stimmungsvollen Schilderung eines Erdbebens. Insgesamt hat man es mit Kompositionen zu tun, die Madin als einen Komponisten ersten Ranges ausweisen und gleichwertig neben Namen wie Gilles, Campra oder Desmarest stellt.
Die Interpretation ist bis auf kleine Unsauberkeiten, die der Livesituation geschuldet sind gut, die Akustik der Schlosskapelle hat nach meinem Empfinden etwas zu viel Nachhall. Alles in allem eine sehr positive Überraschung!