voller Überraschungen!
Eine Erik Satie plus anderer französischen Komponisten Box mit 13 CDs? Ist das attraktiv zu kaufen? Hört man denn je mehr als vielleicht 15 Kompositionen des Komponisten? dazu noch mit mehrmals den bekannten Gymnopedies (in Klavier- und Orchesterfassung), heute kaum mehr bekannten Interpreten und anfangs historischen monauralen Aufnahmen?
Ich für mich gebe (mit Einschränkung) die Antwort: JA - auch wenn ich das VOR dem Kauf wirklich nicht hätte abschätzen können. Die Abwechslung durch immer wieder andere Komponisten, dann das so unterschiedliche Klavierspiel der Pianisten - und somit auch der eigene Wille, Neues bei Satie zu entdecken. In der großen Ciccolini-Box von EMI sind ja auch zwei Zyklen der Klavierwerke Saties enthalten. Da es aber immer der gleiche Interpret ist, hört man die nicht so neugierig an wie bei diesen in vieler Hinsicht abwechslungsreichen Aufnahmen.
Vier der 13 Scheiben hätten für mich nach den Hören nicht unbedingt dabei sein müssen - und ganz klar: Für "Normal-Hörer" oder nicht Liebhaber des französischen und von Satie muss die Box nicht unbedingt sein.
Die Platten sind (bis auf die letzte CD) ziemlich genau chronologisch nach den Aufnahmedaten angeordnet.
CD1 (Columbia mono 1950)
Poulenc spielt Poulenc und Satie. Eine Platte, die zeigt was der Komponist als Pianist alles drauf hatte! Der Satie ist natürlich nicht romantisch, aber doch mit Herz gespielt. Ein guter Einstieg in die sehr abwechslungsreiche Box! sehr guter Monoklang.
CD 2 (Columbia mono 1950)
Pierre Bernac singt Poulenc, Chabrier, Debussy und Satie. Francis Poulenc begleitet am Klavier. Für mich nach längerem Hören wegen Bernacs ganz speziellem Vibrato, in das er die Intonation "hineinschiebt", doch etwas anstrengend. Aber Poulenc hat den Sänger sehr geschätzt!
CD 3 (Columbia mono 1952/1953)
Das Klavierduo Gold und Fizdale ist heute kaum mehr bekannt, obwohl es einige ganz tolle Platten mit den beiden gibt. Besonders gefreut habe ich mich auf dieser Platte über Debussys "6 Épigraphes antiques". Wie bei Poulenc und später bei den Casadesus ein sehr klares, alle romantischen Verwaschungen und unbegründeten agogischen Beugungen vermeidendes Klavierspiel.
CD 4 (Columbia stereo / mono 1959)
Halb in Stereo, halb in mono - was aber nicht stört. Das Klavierduo Robert und Gaby Casadesus spielen Debussys "Petite Suite" ganz unromantisch klar und kräftig. Saties "Drei Stücke in Form einer Birne" (seine Reaktion auf den Vorwurf der Formlosigkeit seiner Stücke) werden auch als "moderne" Musik gespielt, mit teils mitreißender rhythmischer Prägnanz. Auch bei Chabriers 3 Walzern und Dolly von Fauré erhält das romantische Element zugunsten von Struktur und Rhythmus eher weniger Raum. Sehr klare und direkte Aufnahme mit vollem Klang.
CD 5 (RCA stereo 1966)
War für mich ein Grund für den Kauf der Box. Der ersten VÖ (mit Strauss-Oboenkonzert mit Delancie - phantastisch!) fehlte eine der beiden eingespielten Gymnopedie, die japanische VÖ ist sehr gut. Das Remastering dieser Box lässt aber exakt den Dynagroove-Klang der originalen Platte in USA-Pressung erkennen -erstaunlich wie so etwas hinzubekommen ist.
Eine wunderbar aufgenommene Platte mit einem hervorragenden John Delancie und ausgezeichnetem LSO unter dem jungen Previn.
CD 6 (RCA stereo 1968)
Für mich einer der absoluten Höhepunkte der Box! William Masselos spielt die kluge abwechslungsreiche Auswahl in "Sports et Divertissements" und den anderen quirligeren abwechslungsreichen Stücken mit Klangsinn, Klarheit, Witz und Finesse und die 3 Gymnopedie und 3 Gnossiennes zudem noch mit dem rechten Maß an Freiheit und romantischer Empfindung, ohne süßlich oder langweilig zu werden. Die Zitate und Persiflagen (z.B. in "Embryons desséchés") werden lakonisch dargeboten. Für mich eine der allerbesten Klavierplatten mit Musik Saties! das Klangbild ist ganz typisch für die RCA-Klavieraufnahmen der Endsechziger.
CD 7 (Columbia stereo 1970)
Entremont dirigiert das RPO ausschließlich mit Satie Werken. "Parade" ist (im Gegensatz zur Aufnahme auf CD 13) in Originalgestalt zu hören, kann für mein Empfinden aber so mancher Konkurrenz (z.B. Abravanel oder Markevitch) nicht ganz standhalten - was aber wiederum Geschmackssache sein mag. Jedenfalls ist eine sehr gute Orchesterleistung mit differenziertem Spiel zu hören. "Relache" ist selten aufgenommen und somit per se erfreulich zu hören. Die Gymnopedie haben hingegen zuviel Konkurrenz - als Studioproduktion ganz vornean die hier enthaltenen Einspielungen mit Previn und Koussevitzky.
Der Klang der Aufnahme etwas entfernt, aber dennoch ausreichend klar.
CD 8 (Columbia stereo 1970/1972)
Entremont spielt Ravel, Debussy, Chabrier und Satie. Sehr elegantes und rhythmisch zupackendes Klavierspiel (Ravel Rigaudon). Der Klavierton ist sehr direkt abgenommen, was wohl im Forte und bei Akzenten einen härteren und eckigeren Klangeindruck beschert, als es im Saal zu hören war und die dynamische Entfaltung des Instruments deutlich einschränkt und so ein eher flaches, komprimiertes, etwas "weißes" Klangbild ergibt.
Eine Platte mit Meriten, der mir doch etwas (wahrscheinlich wegen der Tontechnik) das Klangliche fehlt.
CD 9 (Columbia stereo )
Auf die Platte mit Régine Crespin (Ravel + Satie) hatte ich mich gefreut, da ich sie als LP nicht kennengelernt hatte. Meine Freude wurde aber schnell gedämpft, da die große Sängerin 1979 zum Zeitpunkt der Aufnahme doch schon deutlich über den Zenit ihrer Kunst hinaus war, was sich leider in den höheren Lagen zwar nicht mir unsauberem Singen, aber angeschliffenen Tönen und angestrengtem, nicht mehr klar fokussiertem Klang bemerkbar macht. Der Zauber, den Crespins Bögen und Klangfarben ausmachten ist nur noch zu ahnen. Zu sehr fallen schon die zweigestrichenen f aus der Linie. Musikalisch und von der Stückeauswahl her ist die Einspielung natürlich gelungen.
CD 10 (Columbia Stereo)
Daniel Varsano war mir ebenfalls nicht geläufig und diese reine Satie-CD ist auch eine positive Überraschung. Ein ganz anderer, leichterer und heller Klavierton als bei Masselos, der durchaus eher massevoll ist :-). In den 3 Gymnopedie und 5 Gnossiennes mit sicherem Gefühl für das Ein- und Ausschwingen, in den 2 Sarabandes mit nachdenklichem Feingefühl, wie wenn es Musik von Webern wäre. Für mich nicht ganz so spannend wie Masselos, aber dennoch ganz hochkarätig. Ist aber sicher Geschmackssache - vergleichen sie einfach mal die zwei Einspielungen von "Emryons desséchés". Mir gefällt da der aufsässige Biss und das Geistreiche von Masselos besser (z.B. die "falsche" Begleitung im "Zitat" aus dem Mittelteil des Chopin Trauermarschs).
Sehr angenehm, eher direkt und dennoch nicht erdrückend aufgenommen.
CD 11 (Columbia stereo)
Die Soloklavier Satie Platte von Philippe Entremont ist nicht nur im selben Jahr wie Varsano aufgenommen (1979), sondern klingt auch ähnlich (minimal entfernter mit etwas mehr Raumklang). Anfangs wird man mit zwei sehr salonhaften Walzern eingelullt, die drei Gymnopedie halten m.E. allen anderen Interpretationen hier nicht stand, weil einfach nur zu einförmig gespielt. Die "Descriptions automatiques" zünden erst im dritten (letzten) Stück, die "3 Valses distinguées" haben mehr Profil, auch die 3 ausgewählten "Gnossiennes" sind profilierter gespielt.
Die Platte ist nicht schlecht, aber zündet - zumindest bei mir - nicht recht. Zumindest sind ein paar selten gespielte Stücke zu hören, welche aber manchen Hörer enttäuschen könnten, da sie weder die kontemplative noch die bissig-witzige Seite Saties zeigen - zumindest nicht in der Einspielung von Entremont.
CD 12 (RCA stereo 1977)
Charles Gerhardt dirigiert das National Philh. Orch.: Satie Fauré und Ravel
Sehr ordentlich aufgenommen, in den Streichern minimal belegt (was durch den CD-Transfer kommen kann). Dirigat etwas "gediegen" - das Wort "fade" oder "langweilig" möchte ich nicht gebrauchen, da diese Sicht eben auch möglich, nur halt nicht spannend ist. Die werkauswahl ist mit den zwei orchestrierten Gymnopedie, der Pavane von Fauré und Ravel und dessen "Introduction und Allegro" auf der meditativ oder "kuschligen" Seite. da fügt sich auch "le Tombeau" großteils ein. Somit könnte man sagen: Eine praktisch verwendbare platte (ok - böser Scherz)
CD 13 (Columbia mono, ursprünglich zwei Platten - alles 1945-1949)
Ganz hervorragend das 4te Klavierkonzert von Saint-Saens mit Robert Casadesus und dem NYP unter Rodzinski - auch in ausgezeichnetem störungsfreiem Klangbild für 1945! Ebenso der Satie von 1946 mit Gaby und Robert Casadesus, der m.E. die ebenfalls sehr gute Einspielung von 1959 übertrifft.
Dann die zweite Platte mit zwei kurzen Satie Liedern mit Tourel und Reeves am Klavier, sehr gelungen. Die erste Gymnopedie mit Koussevitzky / BSO (schon damals mit hervorragendem Oboisten!) von 1930 ist der Live-Aufnahme mit Reiner / CSO verblüffend ähnlich - auch im extrem langsamen Tempo (4 min!) - ganz großartig und verzaubernd! Die zweite Einspielung von 1949 (plus der 3ten Gymnopedie) hat nicht mehr ganz den Zauber, stellt aber trotzdem falls alle Konkurrenz in den Schatten. Übrigens weicht die erste von der zweiten Einspielung annähernd einen Halbton ab. Die erste scheint zu hoch, die zweite zu tief beim CD-Transfer abgespielt worden zu sein. Somit wäre die erste Einspielung korrekt abgespielt eigentlich nochmal einige Sekunden länger . . .
Zudem noch (leider etwas für die Aufnahme bearbeitet bzw. gekürzt) "Parade" mit Efrem Kurtz (kaum mehr bekannter hervorragender Dirigent) und dem Houston S.O. Eine fließende und nicht hölzern starre Einspielung, wie man sie zumeist hört. Alles swingt entspannt - sogar die Schreibmaschine und der (im Schlagzeug nur angedeutete) Revolver :-)
EDITION
Erik Satie and Friends" ist wieder eine CD-Box von Sony in ansprechendem Äußeren, im bewährter Original-Cover Aufmachung mit allen Daten und fünfeinhalb seitigem deutschen Text von Caroline Potter. Für Satie-Freunde eigentlich ein muss und auch neugierigen und wagemutigen Musikliebhabern empfohlen! Auch wenn ich für einige Aufnahmen keine Vergleichsmöglichkeit habe: es handelt sich wohl um hervorragende CD-Transfers!
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Über ein Feedback (Kommentare) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!