5 von 5
griba
20. März 2019
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
JSBach ebenbürtig
Mit der Ersteinspielung des Passionsoratoriums „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ von Gottfried Heinrich Stölzel, in der Fassung von 1731, erweist es sich erfreulicherweise wieder einmal, daß es neben den herausragenden Passionsvertonung Bachs eine nicht unerheblich Menge hochkarätiger Werke an Passions-Musiken gibt die es unbedingt zu entdecken gilt. Die Qualität des Werkes und des Komponisten Stölzels, der in diesem Fall auch ein veritabler Terxtdichter war, war sich Bach durchaus bewusst, führte er doch eine (bearbeitete?) Fassung des Passionsoratoriums 1734 auf und wohl auch ein bis zwei Jahrgänge von Stölzel-Kantaten.
Die vorliegende Aufnahme ist fast ausnahmslos eine hervorragende Fürsprecherin für die Qualität Stölzels und könnte als Ausgangspunkt für eine hoffentlich breitere Stölzel-Wiederentdeckung sein! Man erinnert sich mit Begeisterung an die vor einigen Jahren bei CPO veröffentlichte Brockes-Passion Stölzels (Gotha 1725, des leider verstorbenen Ludger Rémy) zurück.
Stölzel versteht es wundervolle Texte zu ersinnen, die er in sehr farbige Instrumentationen fast und dabei Gefühl und Dramatik nicht vergisst. Die Choräle sind mit einer wundervollen Leichtigkeit komponiert, sie sind dabei aber nicht leichtfüßig oder leichtgewichtig. Sie kommentieren das Passionsgeschehen punktgenau. Bei den Arien findet man eine Dramatik und Kontemplation wie man sie z. Bsp. auch in der Fassung 1725 der bachschen Johannespassion finden kann. Man könnte die Arien der beiden Komponisten austauschen ohne in beiden Werke qualitative Brüche zu erleben. In all diesen Punkte ist er der Qualität Bachs sehr nahe, wenn nicht gar ebenbürtig, aber auf seine eigene spezielle Art und Weise. Die Baß-Arie „Allerhöchste Gottessohn“ (mit Hörner besetzt) erinnert ein sehr stark an das Weihnachtsoratoriums Bach (1734/1735), man könnte fast meinen Bach habe hier eine (legitime) Anleihe genommen. Stölzel erweist sich als wahrer Meister.
Insgesamt wird auf einem erfreulich hohen Niveau im Rahmen der historisch orientierten Aufführungspraxis musiziert, wenn auch die Tontechnik der Aufnahme vielleicht ein wenig zu viel Hall zukommen lies und es hin und wieder zu hören ist das die Vokalprotagonisten keine muttersprachlichen deutschen Hintergrund haben. So wirkt die Diktion ein wenig einstudiert und gewollt, Vokaldoppelungen wie z. Bsp. „ie“ oder „au“ sind leicht verfärbt. Die sängerische Qualität aller Solisten und des Purcell Choir schmälert dies nur marginal. Ein wenig Schade ist es bei dem Altus Péter Bárány, der wirklich interessant ist, allerdings ist er auch Opfer seiner Stimmlage, die sehr viel leichter Vokalverfärbungen (Formantenproblem) zum Opfer fallen kann. Er ist aber herausragend, eine Stimme die man beobachten sollte.Wie bei der erst vor kurzem veröffentlichten Keiser Passion „Der blutende und leidende Jesu (1729)“ wird auch hier relativ weich musiziert, aber die sehr schöne Farbigkeit der Instrumentation und die dramatischen Momente werde hier stärke aus- und beleuchtet und wo nötig auch angemessen ausgekostet, dabei folgt das Orfeo Orchestra dem Dirigenten György Vashegyi hervorragend.
Nachdem man die Aufnahme der Fassung von 1731 (Quelle Berliner Staatsbibliothek) gehört hat bedauert man, das derzeit die längere und wohl stärker abweichend Fassung der Quelle Sonderhausen (um 1720) nicht als Aufnahme vorliegt. Vielleicht kann ja bald Abhilfe geschaffen werden. Man kann nur hoffen, das irgendwann ein Notenschrank aufgeht und sich darin die Fassung von JSBach findet, die er 1734 in Leipzig aufgeführt hat.
Wie hätte Bach wohl eine solch herausragende Passionmusik eines ihm durchaus ebenbürtigen Komponisten für sein Zwecke eingerichtet? Ein Hinweis mag einem die Arie BWV 200 "Bekennen will ich seinen Namen" (Altarie zu Mariae Reinigung/Lichtmess 02. Februar) geben, sie ist die Parodie der Tenorarie "Dein Kreuz, o Bräutigam der Seelen" des vorliegenden Passionsoratoriums Stölzels.
Man kann dies Aufnahme des Passionsoratorium Stölzels nur jedem anraten.