5 von 5
Anonym
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Alter:
55 bis 65
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Geschlecht:
Männlich:
26. November 2015
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Ein Plädoyer für Mitmenschlichkeit
Diese DVDs mit sämtlichen Sinfonien und Konzerten Schostakowitschs stellt eine großartige Leistung in Bezug auf die Würdigung eines der bedeutendsten Komponisten des 20.Jahrhunderts dar. Und die stets originellen Kompositionen lassen uns ein ganzes Zeitalter tief aus der Innenseite des herrschenden Systems heraus besichtigen. Aber auch zeigen sie den in den letzten Lebensjahren des Komponisten einsetzenden Zerfall einer sich omnipotent behauptenden Ideologie zugunsten einer Weltläufigkeit in den komponierten Texten. Daher könnte man banal verallgemeinern: Einem zwingenden revolutionären Aufbruch folgt die Auseinandersetzung mit der Lebensrealität, welche schließlich in eine revolutionäre Melancholie mündet. Paradoxerweise bringt der einengende ideologische Zwang - konträr zu den Behauptungen der Freiheitsideologen und auch denen Strawinskys - in der Auseinandersetzung auch hier wieder großartige künstlerische Lösungen hervor. Das geschah ja u.a. auch bei Bach mit der strengen kirchlichen Dogmatik. Ich mag mich erinnern , dass in den 60er, 70er Jahren jede neue Komposition Schostakowitschs unter den Musikliebhabern in der DDR wie eine neue Offenbarung gespannt erwartet wurde.
Die in einer Demutshaltung gegenüber dem Werk Schostakowitschs von Gergiev gesprochenen Einleitungstexte erhellen zwar nicht intellektuell, sind aber stimmungsmäßig annehmbar. Spannend ist überall, auf welche Art und Weise der Komponist der traditionellen Harmonie immer wieder entkommt und welche Rolle schlagkräftige Gassenhauer spielen, um das bis ins letzte gesteigerte Groteske des sowjetischen Alltags darzubringen. (Man lese hierzu unbedingt Bulgakows "Meister und Margarita".). Hier steht Schostakowitsch nicht nur in einer gut russischen, sondern auch in der Tradition der Mahlerschn Sinfonien. Allerdings weist die erfolgreichste Sinfonie Schostakowitschs, die Siebente, "Leningrader", für den Zeitgenossen im Finale erhebliche Längen, also Probleme bei der Schlussfindung auf, welche auch in der vorliegenden Interpretation nicht bewältigt wurden. Leider kommt das Beiheft nur ziemlich lapidar daher und auch der filmische Beitrag über Schostakowitsch bewegt sich im Allgemeinen, etwas abgeschlagen von so etwas wie Originalität und handhabbaren Erkenntnissen. Bei der Bildführung wird gelegentlich eine Diskrepanz zwischen den Instrumenten, die gerade erklingen und denen, die gezeigt werden, deutlich, obgleich doch weitgehend die Partitur des Dirigenten den Kameraleuten zur Verfügung hätte stehen können.
Winfried Radziejewski