4 von 5
gemi:re
Top 25 Rezensent
28. Oktober 2021
Gesamteindruck:
3,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
3,0 von 5
Bach, der unerhörte 'Frühromantiker'
Der zZ angesagte Primus-Universal-Pianist der Deutschen Grammophon, Daniil Trifonov, der famose russische Pianist und hochverehrende Rachmaninov-Spieler eröffnet mit seinem neuen Klavier-Album (Bach: Art of Life) nunmehr unerwartet einen quasi privat-familiären Blick auf den alten Bach und seine Söhne, also die ganze grosse Bachsche Kompositions-Schule.
Inmitten seiner Erkundungen steht Bachs letzte musikalische Verlautbarung, seine imposante und letztlich unvollendet hinterlassene 'Kunst der Fuge', präludiert von div. Werke der Söhne. Zu Beginn erst eine kleine Klaviersonate von Johann-Christian, dem Londoner Bach-Sohn, der mit enger musikalischer Beziehung zu Amade' Mozart, dessen sehr bekannte 12 Klaviervariationen "Ah, vous dirai-je Maman" hier in 18 Varianten von J.Chr.F.Bach erklingen, und Trifonov inszeniert das kleine franz.Kinder- und dt.Weihnachts-liedchen mit allen erdenklichen pianistischen Künsten, so delikat wie zuvor Friedemann Bachs Polonaise oder das höchst reizvolle c-moll Rondo des Carl Philip Emanuel. Es folgen u.a. auch weniger bekannte kleinere JSB-Stücke und die gewichtige Bach-Brahms Chaconne aus der 2ten Partita.
So werden wir also umfänglich bach-gestimmt auf das Opus Summum, und dies wird derart unerhört schamlos romantisierend zelebriert, dass man verwundert glauben könnte, man höre freie Fantasien über Bachs letzte Fugen und nicht das dezidierte Fugen-Konstrukt des wohl ursprünglich praktizierten Cembalo-Originals.
(Die ebenso übliche und wohl bekanntere Teilorchestrierung wird hier nicht berücksichtigt)
Bach-Puristen, Liebhaber oder Verfechter eines hist.informierten Klanges können sich nur mit Grusel abwenden und ihren Glauben an den strengen Bach-Gottvater verlieren.
Jedoch, alles klingt pianistisch so höchst subtil und nicht alles so scheusslich manieriert-zerdehnt wie das berühmte, abschliessende Kantatenstück 'Jesus bleibet meine Freude'. Da bleibt wie insgesamt ein doch etwas verstörendes Hohe-Kunst-Geschmäckle.
Ein Dinu Lipatti zB hat diese Myra Hess-Adaption einst ganz schlicht, verinnerlicht und, ebendrum eher vorstellbar, ganz Bach-nah gespielt.