2 von 5
Anonym
27. November 2020
Gesamteindruck:
2,0 von 5
Künstlerische Qualität:
2,0 von 5
Repertoirewert:
2,0 von 5
Entbehrlicher Durchschnitt
Um es gleich vorwegzunehmen: Die vorliegende Aufnahme zeigt für mich einmal mehr, dass Herr Thielemann in Sachen Bruckner weder ein Furtwängler noch ein Karajan und schon gar kein Günter Wand ist. Von einer „Referenzeinspielung“ ist diese CD meilenweit entfernt. Und von dem angeblichen „Klangmagier“ Thielemann habe ich auch nichts hören können. Was so manche Musikkritiker und -hörer an Herrn Thielemann finden, ist mir auch nach dem Anhören dieser neuerlichen Produktion völlig schleierhaft. Meiner Meinung nach ist er bestenfalls solider Durchschnitt – sowohl, was das dirigentische Handwerk betrifft, als auch hinsichtlich seiner musikalischen Interpretationen. -
Wenn ich mir solche Live-Mitschnitte von heute wie diese Aufnahme anhöre, dann wünschte ich mir manchmal die Tontechnik vergangener Jahrzehnte zurück, als die verantwortlichen Leute offenbar noch etwas von ihrem Handwerk verstanden und man als Hörer den Eindruck hatte, dass solche Produktionen auf allen Seiten (Dirigent, Orchester, Tontechnik, Produzent) mit der nötigen Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt und Mühe erstellt wurden. Heutzutage hat man eher den Eindruck, dass da ein paar Mikrophone einfach über das Orchester gehängt, die Konzerte dann mitgeschnitten und aus diesen Mitschnitten innerhalb kürzester Zeit die CDs zusammengeschnippelt werden.
Das Klangbild der vorliegenden Einspielung zeugt leider nicht davon, dass hier eines der „besten Orchester der Welt“ spielt und dieses Konzert in einem der akustisch besten Konzertsäle, dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, aufgenommen wurde. Es ist weder brillant noch differenziert. Insgesamt wirkt der Klang über weite Strecken eher dumpf, mulmig, wattig und wolkig. Manche Instrumente klingen an einigen Stellen wie aus weiter Ferne. Insbesondere die Präsenz der Streicher und Holzbläser lässt an vielen (leisen) Stellen leider zu wünschen übrig. Wollte man diese Stellen gut hörbar machen, müsste man die Lautstärke so aufdrehen, dass einem dann bei den dynamischen Höhepunkten die Lautsprecher um die Ohren fliegen und die Nachbarn wegen Ruhestörung wahrscheinlich die Polizei rufen würden.
Auch Thielemanns Interpretation der Achten überzeugt mich leider wenig. Bruckners Musik verlangt sowohl vom Dirigenten als auch vom Orchester ein Höchstmaß an Genauigkeit und Präzision, was Notenwerte, Betonungszeichen, (General-)Pausen und Vortragsanweisungen anbelangt. Leider hat man an vielen Stellen der vorliegenden Aufnahme den genau gegenteiligen Eindruck, was auf Kosten der musikalischen Spannung und der interpretatorischen Tiefe geht. Die einzelnen Stimmen/Instrumente klingen eher pauschal und wenig differenziert. Alles wirkt bestenfalls solide, routiniert und oberflächlich, ohne dass aber in die Tiefenschichten von Bruckners Achter vorgedrungen wird. Die große (eher grobe) Linie mag stimmen – nicht mehr und nicht weniger.
Zwar schafft es Thielemann, die Haas-Version auf eine einzige CD zu bekommen, der musikalische Fluss wirkt aber trotzdem in vielen Sätzen (1.,3. Und 4.) eher pseudo-romantisch breit, dick und schwerfällig. Hinzu kommt noch die Manieriertheit des Dirigenten, die Musik an bestimmten Stellen, insbesondere den dynamischen Höhepunkten (und am Schluss), regelrecht auszubremsen und mit mehreren Ausrufezeichen zu versehen. Was sagte Günter Wand einmal über Bruckners Musik: „Für mich stellt sich die Wirkung ein, wenn die Wirkung nicht mehr gesucht wird.“ - Leider sucht Thielemann eben genau jene Wirkung, ohne sie zu finden.
Exemplarisch für mich ist vor allem der vierte Satz mit seinen völlig unterschiedlichen Abschnitten und Themenblöcken. Besonders dieser verlangt vom Dirigenten eine stringente Erzählung, eine genaue Kalkulation der Temporelationen und Übergänge sowie die exakte Einhaltung der (General-)Pausen . Auch hier gelingt es Thielemann nicht, eine tiefere musikalische Spannung aufzubauen. Die einzelnen Abschnitte folgen eher unvermittelt aufeinander, ohne dass sich ein großes musikalisches Ganzes bei mir einzustellen vermag. Vieles wirkt auch durch die eher zügigen Tempi recht flüchtig und fahrig (ohne Punkt und Komma). Der Eindruck verfestigt sich, dass sich Thielemann immer dann am wohlsten fühlt, wenn er mit dem Orchester in die Vollen gehen kann.
So auch in der Coda des Schlusssatzes. Hier vollzieht Thielemann den Aufstieg der Wagnertuben zum dröhnenden ff auch wieder ziemlich zügig und recht grob. Die im Anschluss daran leise schon wie aus dem Jenseits tönenden Holzbläser- und Trompeten-Fanfaren nimmt er dann (wie viele andere Dirigenten) allerdings so rasch und pauschal (vgl. dazu Wand: https://youtu.be/Hk04chBNMW0?t=5259), dass er für den letzten fff-Durchbruch zur Schlussapotheose überhaupt keine musikalische Spannung mehr aufbauen kann, sondern diese bei ihm (und vielen anderen Dirigenten) nur noch wie eine galoppierende, plakative und leider auch völlig undifferenzierte Lärmorgie rüberkommt - und nicht wie eine allerletzte musikalische Krönung von Bruckners Gesamtwerk.
Mein Fazit:
Den „Himmel auf Erden“ habe ich in dieser Aufnahme leider nicht gehört. Auch nicht die „großen Bögen“. Für mich ist hier weder ein bedeutender Bruckner-Exeget noch ein „Klangmagier“ am Werk. Und die Wiener Philharmoniker haben auch schon mal besser geklungen. Alles in allem eine ziemlich entbehrliche Produktion- außer vielleicht für absolute Thielemann-Verehrer.
Wenn man Thielemanns Einspielung mit der letzten autorisierten Aufnahme Günter Wands – ebenfalls ein Live-Mitschnitt von Bruckners Achter mit den Berliner Philharmonikern – vergleicht, dann ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die Wand-Aufnahme schlägt Thielemann sowohl beim Klangbild als auch bei der Interpretation um Längen. Und die Berliner Philharmoniker spielen unter Wand um Lichtjahre besser als die Wiener unter Thielemann. DAS ist für mich der Himmel auf Erden.