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gemi:re
Top 25 Rezensent
09. Juni 2022
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
3,0 von 5
Blomstedts letzte Brahms-Sicht
Als "einer der letzten grossen Kapellmeister klassischen Zuschnitts, der Partiturtreue mit hoher geistiger und ethischer Durchdringung realisiert", nahm Herbert Blomstedt nun seinen zweiten Brahms- Zyklus der Sinfonien auf, 2019-22 mit dem Leipziger Gewandhaus-Orchester, dem er von 1998 bis 2005 nach der über 25jährigen Masur-Ära als Chefdirigent vorstand und dem er auch als bisher einziger 'Ehrendirigent' folgte.
Die Leipziger Gewandhäusler verbindet viel mit Herbert Blomstedt, dem ihnen, post-Masur, besonderen Dirigenten.
Von 2014-17 entstand gemeinsam auch die zweite und letztlich maßstäbliche Einspielung der Beethoven-Sinfonien, der auch international hohe Beachtung und Wertschätzung zuteil wurde.
Nun also Blomstedts 2ter Brahms-Zyklus als ein beredt strömender Klangfluss mit schwerblütig-sanguinischem Grundton, mit Zeit und Maß und kontemplativem Tiefsinn innerhalb eher dezent artikulierter rhythmischer Struktuierung.
Ich erinnere diesen fundamental konstituierten, herb-sinnlichen Cello-Klanggrund-Ton nur von der späten Barbirolli-Einspielung aus den 1960er Jahren mit den Wiener Philharmonikern, die ebenso sanguinisch klangvoll Brahms erklingen ließ, und man sich dann ob der (weniger hörbaren) sinfonischen Konstruktion doch fragte, was denn ausser dem betörend-sinfonischen Klang eigentlich hörbar war vom Komponisten Brahms ...
Blomstedts durchsichtigere betörende Brahmssicht ist nicht nur vergleichsweise und tempihalber genauer ausbalanciert und rhythmisch akzentuierter phrasiert, sondern auch ohne alle vordergründige Stringenz dargestellt, was die z.T. durchaus modern gesichteten Chailly-Aufnahmen mit den Leipzigern als allzu poliert dargestellt erscheinen lassen.
Blomstedt gibt dem zutiefst melancholischen Fluss des Symphonikers Brahms eine durchweg plausibel konstruktive Gestalt, durchaus altersweise moderat umsichtig.
Somit ist sein zweiter Brahms-Zyklus mit dem, 'seinem', Leipziger-Orchester in summa auch Ausdruck umfassender musikalischer Erfahrungen mit diversen grossen Orchestern der letzten 20 Jahre (sein Brahms-3-Dirigat mit den Berliner Philharmonikern war letztlich ein musikalisches Erlebnis) und sein lebendiges statement eines höchst respektablen und tiefgründig philosophisch-musikalischen Kunst-Vermögens.