4 von 5
Musaion
Top 100 Rezensent
12. April 2022
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
4,0 von 5
Außerordentlich
Die Überschrift ist mit Bedacht gewählt - in ihrer ganzen Bedeutungsweite.
Nun sind in den letzten Dekaden eine ganze Reihe von Aufnahmen nach den historischen Vorbild entstanden (man denke nur an Gardiner, Mackerras, Harnoncourt, Norrington etc.) und auch unter den Neuerscheinungen der letzten zwei bis drei Jahre gibt es keinen Mangel. Deshalb muss sich jede weitere Veröffentlichung daran messen lassen und ihren Wert für den Hörer und Sammler unter Beweis stellen.
So möchte ich einen kurzen Vergleich mit Savall (2019) und Haselböck anstellen, die beide renommierte Originalklangexperten sind und kürzlich ihre Interpretationen der 3. Symphonie vorgelegt haben.
Erster deutlicher Unterschied ist die Aufführungsdauer: Savall benötigt 44 Minuten. Haselböck fast 49 Minuten und Schoonderwoerd fast 51.
Bei Schoonderwoerd ist also ein relativ langsames Tempo angeschlagen und das führt schon beim ersten Satz zu einem zu langsamen Allegro con brio nach meinem Geschmack. Zwar bekommt es dadurch einen fast requiemhaften Charakter und leitet damit zum zweiten Satz (Marcia funebre) hin. Aber Allegro bleibt Allegro. Der zweite Satz ist nun gänzlich düsterer Trauermarsch, geradezu morbide, aber von eindrucksvoller Klangwirkung. Das Scherzo ist schön kontrastierend und relativ lebhaft. Der letzte Satz ist erneut recht langsam und steigert sich zwar dramaturgisch gut zum Ende hin, aber erneut finde ich ihn zu langsam für ein Allegro molto.
Savall dagegen ist sehr furios und zupackend und das ganz Gegenteil zu dieser Interpretation, aber ohne gehetzt zu wirken.
Haselböck wirkt hier wie ein guter Kompromiss und ausgewogen.
Sind hier schon deutliche Unterschiede zu bemerken, so ist die Klanggestalt noch divergenter, obwohl sich alle drei Dirigenten um das historische Klangbild bemühen.
Während Haselböck und Savall unter Berufung auf historische Aufführungszeugnisse auf Orchester mit etwa 40 Musiker setzen, verwendet Schoonderwoerd nur die in der Partitu rnotierten 20. Heraus kommt bei ihm geradezu eine Kammermusikaufführung, wie sie Anfang des 19. Jh. in der Sälen eines Lobkowitz o.a. stattgefunden haben. Außerordentlich die Wirkung - präzise, differenziert, durchhörbar und das obwohl nicht so steril weiträumig aufgenommen wurde, wie bei großen Orchestern in großen Sälen. Der Klang ist intim, warm-hölzern und wird vom Rezensenten als angehm empfunden - man fühlt sich wirklich nah dran am Geschehen. Aber irgendwie ist man doch ein größeres Orchester gewöhnt - bei Schoonderwoerd klingt es zu sehr nach Kammermusik.
Fazit: Eine außerordentliche Aufnahme Schoonderwoerds - eher für Originalklangfans, keinesfalls für Liebhaber großen Symphonierorchesterklangs. Savalls furios-eruptive Aufnahme ist aber die stimmigere, packendere "Eroica" - Schoonderwoerd ist zu getragen-düster, aber trotzdem interessant. Haselböck recht gut, ohne besonders herausragende Akzente zu setzen: macht allles richtig und nichts falsch.