4 von 5
Alto
Top 100 Rezensent
21. Februar 2013
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
2,0 von 5
Kalkuliertes Risiko
Ein Streichquartett der Spitzenklasse, erhaben über alle technischen Schwierigkeiten, gesegnet mit einem charaktervollen, homogenen Ensembleklang, setzt sich mit Ernst, Intellekt und auch Leidenschaft mit drei der größten Werke der Kammermusikliteratur auseinander und wird dabei von Technikern aufgenommen, die einem genussvolles Hören in größtmöglicher Transparenz bei einem seidig-warmen Klang, breiter Dynamik und sattem Fundament ermöglichen. Das rechtfertigt eine hohe Wertung.
Muss sich auch ein Ensemble wie das Artemis-Quartett dennoch die Frage nach der Notwendigkeit gefallen lassen? Die Frage nach der Singularität seiner Sicht in Anbetracht des Katalogs, der so unendlich viele Alternativen bietet bei diesen Schlagern der Kammermusik, die sich tatsächlich auch kommerziell aus einem reinen Nischendasein befreien können?
Wenn ich diese Einspielung auch nur gegen die Exponenten meiner persönlichen, unvollständigen, aber doch unsinnig großen Sammlung von Vergleichsaufnahmen stelle, dann hebt sich für mich allenfalls die Interpretation von D. 887 einen Hauch von der Konkurrenz ab. Der Zugriff der Berliner Extraklasse-Musiker ist hier besonders packend, von einer nervösen Spannung, aufgeladen, drängend. Das ist eine klare Alternative zur Kantabilität etwa des Cherubini-Quartetts oder zum transzendental langen Atem der All-Star-Formation um Gidon Kremer. Allerdings spielten auch das Alban-Berg-Quartett in einer Live-Aufnahme und das Tákacs-Quartett ähnlich rastlos, sind aber inzwischen weitgehend aus dem offiziellen Katalog getilgt.
Im d-Moll-Quartett finden die Artemis-Spieler zu einem ähnlich expressiven und eindringlichen Stil, bringen alle Stimmen einprägsam und individuell zur Geltung, spielen auch angenehm freizügig mit den Tempi, zumal im Variationssatz, in dem sich die inzwischen abgelöste Primaria Natalia Prishepenko mit einem stegnahen Bogeneinsatz auch einmal über die ansonsten minutiös umgesetzten Vortragsangaben hinwegsetzt. Dennoch bleibt das Ausdrucksrisiko, das das Quartett eingeht, kalkuliert und auch geringer als jenes im G-Dur-Quartett.
"Rosamunde" kommt bei mir weit weniger geheimnisvoll und doppeldeutig an als es dieses Werk hergibt. Wärme und Klangschönheit überwiegen über weite Strecken.
Diese Doppel-CD ist allemal eine ausdrückliche Empfehlung wert. Besser im Sinne von präzise, intellektuell durchdrungen, ausdrucksvoll und klangschön wird man die Werke kaum zu hören bekommen. Spontaner und mit mehr Mut zum Risiko vielleicht. Fragt sich, von wem.