Fleißige Arbeit, aber...
Anmerkungen zu Hans-Walter Schmuhl:
Zwischen Göttern und Dämonen
Martin Stephani und der Nationalsozialismus
Im Januar 2019 erschien diese Studie im Allitera Verlag München in der Reihe Beiträge zur Kulturgeschichte der Musik.
Es handelt sich nicht eigentlich um eine Biographie, denn Martin Stephanis Leistungen als Direktor der Nordwestdeutschen Musikakademie, der heutigen Hochschule für Musik Detmold, sind dezidiert nicht Gegenstand des Buches. Es endet mit seiner Berufung in dieses Amt. (S.282)
Für Leser, die am Werdegang dieses bedeutenden Künstlers interessiert sind, bietet der umfangreiche, 356 Seiten starke Band reichhaltiges Material anhand dessen es möglich ist, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Grundsätzlich ist der Autor, außerplanmäßiger Professor für neuere Geschichte an der Universität Bielefeld, um Ausgewogenheit und Fairness bemüht. So zeichnet er beispielsweise Stephanis Herkunft aus einem deutschnational orientierten Elternhaus nach und beschreibt Stephanis Darstellung, erst dann einer Parteiorganisation (NSKK) beigetreten zu sein, als die Zulassung zum Abitur gefährdet war, als durch die Quellen gestützt. (S.290)
1941, also mitten im Krieg, schreibt Stephani an seine Mutter: Ich kann hier nur andeuten, dass die musikalische Desorientierung im Reich wohl noch nie von solchen Ausmaßen war, u. zwar auf allen Gebieten! Krieg entschuldigt bekanntlich alles, u. man könnte zur Not auch hier sagen: anderes ist jetzt wichtiger! Es gibt aber z. Zt. keine Musikveranstaltung von einigem Rang, die nicht von sämtlichen öffentlichen und geheimen Sektoren des mehr oder weniger geistigen Lebens in wütendem Fanatismus für ihre eigenen, weitgehend politischen Ziele ausgeschlachtet würde, gleich, ob Partei-, Kirchen- oder sonstwie politisch! Wir haben es nun endlich geschafft, dass alle Dinge des geistigen Lebens im weitesten Sinne nicht mehr um des geistigen Lebens willen proklamiert, geübt u. durchgesetzt werden, sondern das sie nichts anderes mehr sind, als Reklameschild u. propagandistische Maske für politische Ideologien unfassbarster Konsequenzen! Jedenfalls ist Musik nicht mehr einfach Musik abseits stehend u. ohne Belang für die politische u. militärische Situation unserer Zeit sondern sie ist ein höchst aktuelles u. gefährliches Instrument aller Propagandisten aus allen geistigen und politischen Lagern geworden. Sie hat ihr innerstes Leben verhüllt, ist aber, als propagandistisches Instrument aller gegen alle gehandhabt, dafür in hohem Maße kriegswichtig geworden. (S.193)
Indem Stephani sich und seine künstlerische Überzeugung in seine Umgebung einordnet, weist er sich als politisch denkender Kopf aus und als alles andere als einen Nazi, mit einer Radikalität und Klarsicht, die bei einem damals 26-jährigen so nicht zu erwarten wäre.
Im Juli 1946 bescheinigt ihm der Komponist Harald Genzmer in einem Leumundszeugnis:
in der vergangenen Epoche recht ungewöhnliche Civilcourage. Im Gegensatz zu der damals üblichen Einstellung setzte er sich stets nachdrücklich für das Schaffen Hindemiths, Strawinskys, Mahlers und anderer damals unerwünschter Komponisten ein. Trotzdem er deswegen öfters seitens des Prop. Ministeriums Schwierigkeiten hatte machte er aus dieser Überzeugung nie den geringsten Hehl. Es ist in keiner Weise übertrieben, wenn man ihn als den Typ eines Künstlers bezeichnet, dem die Sauberhaltung der Kunst tiefste Herzenssache war. (S.166)
Vermutlich würde jeder, der Stephani und sein Wirken noch aus seiner Zeit als Direktor in Detmold kannte, diesen letzten Satz des Zitats unterschreiben.
Als Musikreferent im SS-Führungshauptamt setzte er sich, so vermutet Schmuhl, für eine Aufhebung des über die Werke Hindemiths verhängten Aufführungsverbotes ein. (S.168)
Immer wieder wird auch die Rückbindung Stephanis an die religiöse bzw. metaphysische Dimension des menschlichen Daseins thematisiert, eines Menschen von tiefem Glauben, der von sich bekannte, dass er sein Leben lang in dem Wissen gelebt habe, geführt worden zu sein. (S.289).
Das Buch bietet eine reichhaltige Materialsammlung zum Leben Martin Stephanis, die für jeden, der die Reaktion einer komplexen Künstlerpersönlichkeit auf eine unmenschliche Umgebung nachvollziehen möchte, von großem Interesse ist.
Was motiviert die Herausgabe eines solchen Werkes 36 Jahre nach Martin Stephanis Tod ?
Die Studie von Schmuhl wurde von der Hochschule für Musik Detmold beauftragt und Steuergeld dafür in die Hand genommen (S.347), was natürlich sofort die Frage aufwirft:
Cui bono ?
In einem Presseartikel vom 15. November 2015 aus der Lippischen Landes-Zeitung äußert sich die gegenwärtige Leitung der Hochschule zu ihren Beweggründen: Es geht uns zunächst nicht um eine wie auch immer festzustellende ,Schuld der Person Martin Stephani, sondern primär um seine Funktionen vor und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Aus unserer Sicht ist es Verpflichtung einer Hochschule, sich mit solchen Fragen zu befassen, die unbequem und gleichzeitig aktuell sind.
Zunächst meint hier: vor der Erarbeitung der Studie, verbunden wohl mit der Hoffnung, nachdem Stephani aus Spruchgerichtsverfahren und Entnazifizierung als unbelastet hervorging, doch noch posthum das Blatt zu wenden.
Diese Tendenz merkt man dem Werk leider an. Was die Quellen nicht hergeben, muss eben ihre Interpretation liefern.
So bezeichnet Schmuhl das Zitat von S.193 als Selbststilisierung eines nur seiner Kunst lebenden Musikers, obwohl das exakte Gegenteil daraus spricht.
Und was Stephanis Einsatz gegen das Aufführungsverbot von Werken Hindemiths betrifft, meint Schmuhl, das Risiko sei kalkulierbar gewesen. Vor der streng wissenschaftlich durchgeführten Sektion seines Lebens hätte Stephani demnach nur bestanden, wenn er unkalkulierbare Risiken eingegangen wäre ? So ein Verhalten aber wäre in dieser Zeit nicht zu überleben gewesen.
Die Leumundszeugnisse, die Stephani anlässlich des Spruchkammer- und Entnazifizierungsverfahrens ausgestellt bekam, werden durchgängig und obstinat als Persilschein bezeichnet. (Anführungszeichen im Original, immer)
Der Autor muss ja zeigen, dass er weiß, dass es sich hier um Umgangssprache der damaligen Zeit handelt, die in einem Werk mit wissenschaftlichem Anspruch nichts zu suchen hat. Gleichzeitig will er wohl auf diesen Begriff nicht verzichten, möchte er doch bei den Leserinnen und Lesern unterschwellig den Gefälligkeitscharakter dieser Dokumente suggerieren. Nachdem diese Manipulation ihre Schuldigkeit getan hat, wird der sachlich zutreffende Begriff Leumundszeugnis jenseits von Seite 200 dann eingeführt.
Man kann so arbeiten, sollte dann aber nicht auch noch annehmen, dass das in keinem Fall durchschaut wird.
Und damit kommen wir zum Einführungskapitel Vorüberlegungen zur Dekonstruktion eines autobiographischen Narrativs.
Der Sprachgebrauch an dieser Stelle ist verräterisch.
Wer zur Exekution schreiten möchte, ohne als Henker gelten zu wollen, der ist natürlich gut beraten, vorher ein Werkzeug herumzuzeigen, das qua wissenschaftlichen Jargons zertifiziert ist.
Durch das Wortgeklingel mit der Dekonstruktion kann man wiederum behaupten, dass Stephani seine Biographie konstruiert habe, ohne es direkt sagen zu müssen.
Das wird ihm nicht gerecht. Er musste sie leben, unter Bedingungen, die man keinem Autor in der warmen Schreibstube einer Demokratie wünscht.
Das Narrativ liegt auf der gleichen Schiene. Was jemand über sich selbst erzählt, kann niemals stimmen, die objektive Wahrheit kann nur von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (mit welcher Legitimation eigentlich ?) festgestellt werden. Selbstredend unter Zuhilfenahme von Ego-Dokumenten.
Das alles sind freilich wiederum nur die subliminalen Wirkungen auf die Leserinnen und Leser.
Rein fachlich gesehen benutzt Schmuhl die Begriffe korrekt.
Aber: wer in Wikipedia den Artikel über Ego-Dokumente und den dort verlinkten Rutz liest, kann sich dieses Kapitel so gut wie sparen...
Als der Rezensent 1983 sein Studium an der Hochschule für Musik Detmold aufnahm, war gerade der Übergang von Martin Stephani auf Friedrich-Wilhelm Schnurr vollzogen worden. Ich lernte die Hochschule also kennen, so wie Martin Stephani sie geformt und hinterlassen hatte. Was ich vorfand, war bereits eine weltoffene Hochschule. Damals hat man sich das noch nicht per Grafik-Sticker auf der Homepage selbst bescheinigt, sondern es wurde mit größter Selbstverständlichkeit gelebt.
Die gegenwärtige Hochschulleitung hat eine beeindruckende Veröffentlichungsliste zu Themen wie Community Music, Inklusion und Ästhetische Praxis in der Sozialen Arbeit, Interaktives Musizieren. Beiträge zu einem deutschen Modellprojekt an Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen und vieles andere mehr vorzuweisen.
Wollen wir nach dem 26-jährigen Martin Stephani nun den 51-jährigen Hochschulrektor von heute zu Wort kommen lassen, so wie er sich am 23. Oktober 2016 in der Lippischen Landes-Zeitung präsentieren ließ:
Musik hören kann Thomas Grosse, der seit zwei Jahren im Amt ist, allerdings auch an seinem Schreibtisch. Gegen Abend dreht er gern mal die Anlage auf, ein High-End-Gerät mit erstklassigen Lautsprechern. Das ist toll, dass eine gute Musikanlage da ist", sagt der 51-Jährige. Die hat er von seinem Amtsvorgänger übernommen genau wie den Schreibtisch und das Gros der restlichen Einrichtung. Eine zentrale Änderung gibt es jedoch, die allerdings auf den ersten Blick kaum auffällt: Der Besprechungstisch hat 30 Zentimeter mehr Durchmesser als jener seines Vorgängers. Die brauchen wir, sonst passen nicht alle Laptops drauf".
Undenkbar, dass Stephani jemals auf diesem Niveau mit der Öffentlichkeit kommuniziert hätte.
Oder auch, bei der gleichen Gelegenheit: Ich habe oft das gemacht, was mir gerade begegnete. Darum bin ich immer total glücklich gewesen". Auf so eine Professur kann man nicht studieren, das muss einfach passen". Ich habe das Gefühl, am richtigen Platz zu sein. Das ist der schönste Job, den ich je gemacht habe".
Nach seinen eigenen Worten kam der Mann also in etwa so auf seinen Sessel wie ein Alien nach einer UFO-Landung.
Vielleicht ist ja das die Quintessenz der ganzen leidigen Causa Grosse: Ein Mann, auf der Suche nach Profilierung und im übermächtigen Schatten eines Vorgängers, der tatsächlich auf exzellentem Niveau musizieren konnte, anstatt bloß über Ästhetische Kommunikation zu reden.
Für Stephani war Musik noch Offenbarung einer transzendentalen Sphäre (S.214) und nicht ein Anhängsel der sozialen Arbeit mit Beethoven als nichts als einem Alten, weißen Mann.
Niemand, der nicht in der damaligen Zeit gelebt hat, sollte sich ein Urteil erlauben über Menschen, die unter den damaligen Umständen ihre Lebensleistung erbringen mussten.
(zitiert nach Carl Hahn jr.)
Thomas Udert, Astana