Ein Meisterwerk für die Ewigkeit
(Diese Rezension bezieht sich teilweise auf das Immersion-Boxset, welches hier zwar nicht angeboten wird, aber vielleicht liest ja der ein oder andere Käufer der Ausgabe hier hinein...)
GANZ WICHTIG: Wer feststellt, dass seine Blu-Ray nicht mehr läuft (war bei mir schon vor einiger Zeit der Fall), kann inzwischen Ersatz bekommen - einfach nach "Pink Floyd DSOTM Immersion Blu Ray Failure" googeln. Betroffen sind nur in Europa hergestellte Sets. (Am besten die Disc ohne Hülle, aber mit Adresse an DSOTM BD Replacement / PO Box 263 / Wirral / CH29 9FU / United Kingdom schicken.) Das Angebot endet im Januar 2019, wer also noch keinen Ersatz hat, sollte sich möglichst schnell darum bemühen!
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Ein Meisterwerk. Das Meisterwerk aller Meisterwerke? An "Dark Side of the Moon" stimmt einfach irgendwie alles. Pink Floyd haben sich mit diesem Album ihr eigenes Denkmal gesetzt. Die brillante Idee, einfach die beiden bis dato konträren Ansätze der Band - das Songorientierte und das Ausgedehnt-Suitenartige - miteinander zu verquicken: Einerseits ist "Dark Side of the Moon" eine Suite wie "Atom Heart Mother" oder "Echoes", nur eben doppelt so lange. Andererseits sind die langen instrumentalen Exkursionen zu kurzen, packenden Instrumentals komprimiert und das gesamte Album enthält deutlich mehr starke Einzelsongs, eingebettet in das Gesamtkonzept. Gab es auf den Vorgängeralben immer wieder Songs, die deutlich abfallen, so ist hier alles wunderbar ausgewogen. Gut, ob das angriffslustige "Money" (Bluesrock im 7/4-Takt) zum ansonsten eher getragenen Rest passt, darüber streiten Pink-Floyd-Fans noch bis heute. Aber David Gilmours fettes, dreiteiliges Gitarrensolo, punktgenau unterstützt von der schlagkräftigen Rhythmusgruppe (Nick Mason in Hochform!), duldet sowieso keine Widerrede. Dass der Song als Single in Amerika (in Großbritannien veröffentlichten Pink Floyd zwischen 1968 und 1979 keinerlei Singles) als gekürzte Version zum Hit wurde, war für den weltweiten Durchbruch der Band natürlich ein wichtiger Faktor. Andererseits brachte der Erfolg viele negative Begleiterscheinungen mit sich, die schon auf den nächsten Album die Chemie nachhaltig beschädigen sollten. Davon ist auf "Dark Side" nichts zu hören. Die Spielfreude und der Innovationswillen waren schon auf dem Soundtrackalbum "Obscured by Clouds" zu spüren gewesen. Dort experimentierte die Band erstmals mit Synthesizern und stellte in vielen Songs ihre gerade erst so richtig gefundene Identität - DEN Pink-Floyd-Sound schlechthin - vor. Daneben bewies sie auch, wie wichtig das Charisma von David Gilmour für die Gruppe war, auch wenn er nicht an allen Kompositionen beteiligt war. Doch als starker Sänger mit einer Vielzahl von Ausdrucksmöglichkeiten (von rau wie in "Money" oder "Time" zu sanft in "Breathe" und "Us and Them"), einem erstaunlichen Talent für geschichtete Vocals ("Breathe"!) und vor allem als angehender Supergitarrist, der das obligatorisch bombastische Artrock-Gitarrensolo wie kaum ein anderer geprägt hat, demonstrierte Gilmour seinen Einfluss genauso wie mit der Hinzunahme von seinem alten Freund, dem Saxofonisten Dick Parry. Gilmours Arrangement-Ideen für Songs wie "Time", "Money" oder "Us and Them" machten aus den von Roger Waters und Rick Wright vorgelegten Rohdiamanten funkelnde Klassiker. Gerade der hohe Anteil von Rick Wright an den Songs war aber ebenso wichtig, denn Wright hatte fast immer die interessanteren Akkordsequenzen als Waters und sorgte durch seine Mitwirkungen an einigen der tragenden Songs für die kompositorische Vielfalt des Albums. Die jazzigen Harmonien von "Us and Them" sind ein Stilmittel, das Pink Floyd auf den Folgealben deutlich fehlt.
Was beim Blick auf die Vorgängeralben auch auffällt, ist, wie heterogen diese allesamt sind. Pink Floyd agierten bis zu DSOTM nie als Einheit; es gab Bluesiges, Rockiges, Folkiges und Jazziges - aber auf diesem Album gibt es einen einzigen durchgehenden Sound. Die rauen Kanten der früheren Alben und die Avantgardismen sind abgeschliffen und von Toningenieur und Klangzauberer Alan Parsons in einen warmen, homogenen Sound eingebettet. Das Album ist wie ein Konzert oder Theaterstück angelegt. Tatsächlich spielte die Gruppe den Songzyklus bereits über ein Jahr vor Veröffentlichung live; dass sie dort die Länge der Songs, Übergänge usw. perfektionierten und den Spannungsbogen passgenau an die Aufmerksamkeitsspannen des Publikums anpassen konnten, hört man ganz deutlich. Fast alle Übergänge sind echte, Live-Überleitungen - speziell die letzten vier Songs ergeben somit eine logische Einheit. Wenn über das Album gesprochen wird, dann kommen oft Stichworte wie "Soundeffekte". Die Art, wie Musik, gesprochene Zitate und Klangfetzen miteinander verschmolzen werden, war damals unerhört und klingt bis heute erstaunlich unverbraucht. Aber man darf darüber nicht vergessen, dass die Songs an sich bereits bemerkenswert sind und auch ohne Soundeffekte ein tolles Album ergeben hätten. Die gesprochenen Stellen wurden sogar erst sehr spät im Aufnahmeprozess hinzugefügt. "On the Run", ein früher technischer Triumph und seiner Zeit mit pulsierenden Synthesizern und Bandschleifen weit voraus, war auch erst im Studio entstanden und ersetzte das stimmungstechnisch ähnliche, aber weitaus bodenständigere "The Travel Sequence".
Was kann man über "Dark Side of the Moon" noch sagen? Dass es eines der besten Konzeptalben überhaupt ist? Anders als Waters' spätere Textkonzepte ist dieses jedoch noch nicht so dermaßen negativ gefärbt. Es geht um Wahnsinn, um die Zwänge des modernen Lebens. Aber diese elementaren Themen sind so aufbereitet, dass sich jeder damit identifizieren kann - und man hat nicht das Gefühl, dass es keine Hoffnung gibt.
Mein einziges Problem mit dem Album ist, dass ich inzwischen jede Note auswendig kenne. Aber das ändert nichts an dem enormen Status, den DSOTM in der Musikgeschichte hat. Und es gibt ja neben Quad- und Surroundmix sowie den verschiedenen Stereo-Remasters (ich halte das Remaster von 2011 für leicht besser als die CD von 1994) auch noch einige Alternativversionen:
Early Mix 1972 (Teil der Immersion-Box, u.a. mit gesangslosem "Great Gig in the Sky")
Live at Wembley 1974 (Experience & Immersion Edition)
Live 1994 (Pulse-CD und DVD, wobei die CD aus verschiedenen Aufnahmen zusammengeschnitten ist)
Making Of ("Classic Albums"-Dokumentation auf DVD)
Von der live 1972 mitgeschnittenen Version gibt es momentan leider nur Auszüge auf der Immersion-Box, und die von Roger Waters 2006 live präsentierte Show hat es nie auf einen offiziellen Tonträger geschafft!
Die Version von 1974 ist aber aller Ehren wert und gehört in jede gute Pink-Floyd-Sammlung. Roh, kraftvoll, ungeschminkt und mit einigen überraschenden Momenten wie den leicht swingenden Schluss von "Great Gig…". "Money" und "Any Colour You Like", beide über acht Minuten lang, mutieren zu knallhartem Hardrock. Nick Mason prügelt sein Schlagzeug grün und blau und sogar Roger Waters' ansonsten eher unauffälliger Bass ist manches Mal ganz schön forsch.
Das schlichte, unverwechselbare Cover wurde von Designer Storm Thorgerson im Laufe der Jahre immer wieder überarbeitet und neu interpretiert. Für das CD-Remaster von 1994 hat er das ursprüngliche Cover durch die Fotografie eines echten Prismas ersetzt. Die SACD von 2003 bekam ein Buntglasfenster verpasst (der Clou hierbei, dass das Licht nicht nur durch das Prisma fällt, sondern auch durch das Cover) und auf der Immersion-Box prangt ein fünffaches Prisma. Im Booklet und auf den CD-Labels sind weitere Varianten zu finden.