4 von 5
JAW-Records
Top 50 Rezensent
01. Mai 2014
Gesamteindruck:
3,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
vollständig (und) hin und hergerissen . . .
Die Sinfonien Schumanns liegen hier in einer Wiederveröffentlichung (digitale Aufnahmen von 1997) vor. In der Tat vollständig, denn außer den bekannten vier Sinfonien erklingt die Vierte auch in der Erstfassung (natürlich nicht - wie in der ersten Rezension genannt - mit Mahlers Instrumentationsretuschen, welche er bei den vier bekannten Sinfonien vorgenommen hat. Diese sind übrigens bei Chaillys Aufnahme zu hören), zudem "Overture, Scherzo und Finale" und die zweisätzige (fragmentarische?) frühe sogenannte "Zwickauer Sinfonie" - zudem das großartige Konzertstück für vier Hörner.
Was diese Veröffentlichung besonders wertvoll macht ist die Hinzufügung der Choreinspielungen Gardiners: "Requiem für Mignon", "Nachtlied" und "Das Paradies und die Peri" - und das auch aus einem ganz pragmatischem Grund: Denn wer diese äußerst günstige Neuausgabe erwirbt, kann BEIDE Boxen von Archiv getrost abgeben.
Einziges Manko dieser Ausgabe ist - wie zu erwarten gewesen - die fehlenden Texte und das sparsame Textheft. Aber zumindest sind alle Orchestermusiker der Aufführungen genannt.
Gardiner und sein "Orchestre révolutionaire et romantique" nehmen Schumann ganz ernst und wörtlich in seiner Instrumentation, den Spielanweisungen (Dynamik, Artikulation), was besonders gut gelingt, da ebenso die kleinere originalen Besetzungsstärke berücksichtigt wurde als auch natürlich bei diesem "Spezialistenorchester" die Verwendung der Art von Instrumenten und Saitenbespannung aus der Zeit Schumanns.
All diese bis jetzt genannten Punkte allein machen diese Einspielung schon sehr attraktiv. Warum dann nicht fünf Sterne?
Der erste Grund ist mein Empfinden, dass dem Seelenausdruck und dem weiten Schwingen der Musik Schumanns nicht immer genügend Raum gegeben wird. Müssen z.B. Akzente immer eher hart gespielt werden? Können sie nicht auch einfach mal schwer lastend sein? Können Trompeten und Hörner auch mal weich klingen? Kann bei einem Romantiker par excellence das Tempo nicht flexibler sein - hier und da ein Nachgeben in jeder Hinsicht mehr Raum finden? Im Grunde klingt für mich diese Einspielung trotz des Instrumentariums und historisch informierter Aufführungspraxis nach 21tes Jahrhunderts: Wenig Platz für inneres Verweilen (womit ich nicht ein äußeres Tempo-Verschleppen gmeine), manchmal Atemlosigkeit und Enge, und ein prinzipieller Mangel an dem weichen verträumten Teil der romantischen Empfindung .... Ja - vielleicht ist das ein Meckern auf höchstem Niveau. Es gibt auch sehr viel Schönes und Neues zu entdecken: Farben, Virtuosität, Beethovensche Strenge - manchmal auch Anflüge von Selbstvergessenheit - z.B. im dritten Satz der Zweiten ... Aber für mich ist das Zentrum und Ziel des Hörens die Seele des Werks - und die bleibt manchmal etwas auf der Strecke. Dabei ließen alle der viele Arten der Aufführungspraxis zu, sie fliegen zu lassen... Zuletzt habe ich da sehr stimmig die Auführungen von Hans Pfitzner (1926 und 1928!) der Zweiten und Vierten von Schumann entdeckt. Sicher in vielerlei Hinsicht aus heutiger Sicht angreifbar, aber in dem Punkt Seele (man höre da nur mal den ersten Satz der Vierten oder den dritten Satz der Zweiten!) so treffend und berührend ...
Der zweite Grund ist, dass der Klang der Aufnahmen nicht mein "Herz-Ohr" befriedigt. Das eher unterkühle nüchterne Klangbild vieler heutiger Aufnahmen mag ich nicht nicht so sehr. Musik hat für mich etwas mit menschlicher Wärme zu tun, gerade bei solch einer Musik. Aber somit entspricht die Aufnahmetechnik durchaus dem Ansatz des Musizierens... Oder erscheint dieses nur so kühl nur durch eben den Klang der Aufnahme?