Erschütternde und bewegende Fluchtgeschichte
In seinem Debüt "Solito" erzählt Javier Zamora seine eigene, sehr persönliche Geschichte. Er ist 9 Jahre alt und lebt bei seinen Großeltern und seinen Tanten in einem kleinen Ort in El Salvador. Seine Eltern haben wegen des Bürgerkriegs ihre Heimat verlassen, den Vater hat Javier mit zwei Jahren zum letzten Mal gesehen. Die Mutter folgte dem Vater drei Jahre später. Im März 1999 beauftragen Javiers Eltern den Schlepper Don Dago, ihren Sohn zu ihnen nach Kalifornien zu bringen. Die Reise soll zwei Wochen dauern. Am 6. April ist es soweit, außer Javier und Don Dago werden noch 6 weitere Personen dabei sein.
Die Flucht ist schwierig und gefährlich, viele Meilen müssen in mehreren Etappen mit dem Boot, in Bussen, LKWs und zu Fuß bewältigt werden. Immer wieder stößt die Gruppe an ihre körperlichen Grenzen, die langen Fußmärsche in nächtlicher Kälte und sengender Hitze bei Tag über viele Stunden sowie Hunger und quälender Durst machen ihr zu schaffen. Zwischen den Etappen kommt es zu Wartezeiten, die die Flüchtlinge meistens hinter verschlossenen Türen in heruntergekommenen Häusern verbringen müssen.
Javier Zamora erzählt die Fluchtgeschichte als Ich-Erzähler und gewährt uns dabei einen intensiven Blick in die Seele und Gedanken des 9-jährigen Jungen, der er damals war. Wir begleiten ihn auf der langen Reise und erleben nicht nur seine Sorgen, Nöte und Ängste, sondern spüren auch seine Einsamkeit und seine Sehnsucht nach körperlicher Nähe und Zuwendung. Er passt sich der Gruppe an, möchte tapfer und stark sein, seine Eltern sollen stolz auf ihren Jungen sein.
Die bewegende Geschichte über die siebenwöchige Odyssee ist packend und mitreißend in schöner Sprache erzählt. Sie hat mich gleichermaßen gefesselt und erschüttert, die emotionalen Abschiedsszenen haben mich zu Tränen gerührt. Ich habe mit Javier mitgelitten und ihm gewünscht, dass alles gut geht und er bald seine Eltern wiedersehen darf.
Die Figuren sind authentisch beschrieben, neben Javier habe ich Patricia in mein Herz geschlossen, die sich des Jungen annimmt, und Chino, der sich selbstlos um andere kümmert und Javier Sicherheit und Nähe gibt.
In dem Buch geht es um Familie, Mitgefühl, Mut und Nächstenliebe, Ausdauer und Hoffnung, und es behandelt das wichtige und aktuelle Thema Migration. Es hat mich traurig und wütend gemacht wegen der Schwierigkeiten und Gefahren, denen Menschen ausgesetzt sind, die sich auf die Flucht in ein fremdes Land begeben, um dort ein besseres und sicheres Leben zu führen.
Der Autor verwendet zahlreiche spanische Ausdrücke und Redewendungen, deren Übersetzung in einem 16-seitigen Glossar am Buchende zu finden ist. Der Lesefluss leidet leider durch das häufige Vor- und Zurückblättern. Ich finde, es ist nicht unbedingt erforderlich, jedes spanische Wort zu verstehen, um zu begreifen, was passiert. Vieles ergibt sich aus dem Zusammenhang, ich habe daher weitgehend darauf verzichtet, mir die Übersetzungen anzusehen.
Absolute Leseempfehlung für dieses mitreißende Buch, das unter die Haut geht!