4 von 5
Anonym
-
Alter:
45 bis 54
21. Januar 2024
Pressqualitaet:
3,0 von 5
No Line auf zwei Scheiben
„No Line on the Horizon“ hatte ich schon mal in der Deluxe Boxset-Version besessen, zusammen mit dem Roadmovie „Linear“ unter der Regie von Anton Corbijn. Mit diesem Knapp-60-Minüter war „No Line“ ein gelungenes Gesamtpaket.
Nun also aus Neugier die Vinyl-Version. Die Doppel-LP kommt in einem Klarsicht-Schuber, der an der Seite bereits eingerissen war. In abendlicher Verträumtheit hielt ich diese Hülle nur für einen Teil der Umverpackung und riss sie weiter ein. Bis man feststellt, dass dieser Schuber zur Hüllen-Edition gehört. Nicht besonders achtsam, ist aber auch nicht solide konstruiert. Die eingerissene Seite scheint gehäuft vorzukommen.
Der Vinyl-Klang erweist sich als kräftig, wuchtig, dabei auch klar, ausgewogen und transparent. Wirklich ärgerlicherweise prangte von Anfang an auf dem Intro von „Unknown Caller“ ein Kratzer. Und passgenau nur auf diesem von atmosphärischen Klängen belebten Intro. Als wäre der Kratzer ab Werk eingestanzt. Rest war ok, wobei man von der zweiten Scheibe zunächst ein wenig Werksstaub entfernen musste.
Zur Edition gehört netterweise ein Download-Link, der zum Album in unkrompinierter Audio-CD-Qualität führt. Ungewöhnlicherweise im WAV-Container. Die CD-Ausgabe klingt auf dem Mac leider dumpf-verwaschen. Auch die hiervon erstellte Audio-CD versinkt in einem dumpfen Klanggewaber. Offenbar dem Remaster geschuldet: nachdem ich im digitalen Equalizer die 500 Hertz-Frequenz heruntersteuerte und den 1000er bis 4000er-Bereich anhob, war dieser Klangnebel gelichtet.
Die Vinylscheiben sind von diesem Klangbrei nicht betroffen. Wie gesagt, sehr klar und transparent.
Über die Qualität der Musik auf diesem Album ist schon viel geschrieben worden. Ich finde das Album interessanter und spielfreudiger als die beiden Vorgänger. „ATYCLB“, diese bangbuxige Rückkehr zum massentauglichen, konservativen Stadionrock hat dabei die Jahrzehnte besser überstanden als „Atomic Bomb“, welches bestenfalls als negativer Meilenstein in die U2-Geschichte eingehen wird: als unangefochten schwächstes U2-Album aller Zeiten.
Schade, dass die vier Herren den im Ansatz experimentellen Weg auf "No Line" nicht zu Ende gegangen sind. Diesen fehlenden Mut hatte auch Brian Eno im Anschluss an die Produktion bedauert. Stücke wie "Magnificent", "Fez", "Unknown Caller" eröffnen mit einem unkonventionell-progressiven Klangteppich. Das Versprechen, auf diese Intros könnte etwas Bahnbrechendes folgen, löst keines dieser Stücke ein. Hier wollte man offenbar die Toleranz der breiten Masse nicht allzu sehr beanspruchen. Und das ist ein bisschen paradox: denn schon durch den abermals gewählten Produktionsort Fez in Marokko wird klar, dass die vier Herren anheben wollten, einen Nachfolger zu "Achtung Baby" an den Start zu bringen. Aber die Kühnheit von 1990, mit neuem Klang und Stil eventuell einen großen Teil des weltweiten Publikums zu verprellen, geht "No Line" völlig ab.
Trotzdem ein gutes Album und aus ihrer Doppelnull-Jahrzehnt-Phase das für mich überzeugendste. Vielleicht kommt irgendwann mal eine Jubiläums-Edition auf den Markt, die mit einer gewagteren, orientalischeren Abmischung daherkommt.