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Van den Budenmeyer
01. Februar 2021
Gelungenes tolles Debüt
Im Februar 1981 veröffentlichte Phil Collins seine erste Soloplatte FACE VALUE. Ein Großteil der Songs ist vom Motown-Sound und R'n`B beeinflusst. Auch auf späteren Platten kann man hören, dass dieser Stil auf Collins einen großen Einfluss ausübt. Der Sound klingt sehr gut, guter Pop, auch Platz für Nebenwege, sowohl klassisch als auch (bezogen auf 1981) modern. Für einen Schlagzeuger ungewöhnlich nutzte Phil Collins auf FACE VALUE einen Drum-Computer. FACE VALUE ist eine gute Platte. Sie klingt weniger einheitlich als bspw. NO JACKET REQUIRED & sie unterscheidet sich stark vom damaligen Genesis-Sound. Und sie ist ein sehr gelungenes Solo-Debüt.
Collins' damaliges schwieriges & turbulentes Privatleben spiegelt sich auf FACE VALUE wieder. Schmerz, Zorn & Hoffnung sind der Antrieb vieler Songs. Der erste Song ist gleich ein Highlight der Scheibe und einer der Klassiker von Phil Collins. In The Air Tonight ist ein fesselnder und düsterer Song. Er erinnert mich auch an das zwei Jahre später auf GENESIS veröffentlichte Mama. Beide Songs liefen in den Achtzigern auch an den New Wave & Independent-Tagen in den Rock-Diskotheken. Bedrohlicher, spannungsgeladener Sound, mysteriöser Text („Well, if you told me you were drowning I would not lend a hand…“), die ganze Zeit steuert der Song auf ein Ereignis, einen Höhepunkt hin, dann die berühmten zehn Schläge auf den Drums, der für Collins typische Schlagzeugsound, ein toller Song und Klassiker. Auf FACE VALUE sticht der Song genau wie das letzte Lied Tomorrow Never Knows, heraus. Mit Motown haben beiden Songs nichts zu tun.
This Must Be Love ist ein langsames, schönes & rhythmisch sehr interessantes Stück, der Text ist hoffnungsvoll. Der Text feiert den Beginn einer neuen Liebe. Behind The Lines erschien bereits ein Jahr zuvor auf der Genesis-Platte DUKE. Die Version hier passt soundtechnisch sehr gut zu den anderen R'n`B-Stücken der Platte. Ein tanzbarer jazziger Song. Mit The Roof Is Leaking erfolgt ein Bruch. Der Text und das Arrangement mit Banjo und Slide-Guitar versetzen uns in das alte Amerika der Dust Bowl, der Baumwollfelder in den Südstaaten und der alles raubenden Naturkatastrophen. Ein unerwarteter Song, den man von Phil Collins nicht erwartet hätte. Dann folgt das Instrumental Droned. Erinnert mich an Collins ehemaligen Bandkollegen Peter Gabriel. Ein schönes fließendes und fesselndes Lied. Toller Song, der die traurige Atmosphäre von The Roof Is Leaking auflöst.
Auch das folgende Hand In Hand ist ohne Text. Toller & tanzbarer Song, Collins spielt klasse Schlagzeug, der Song klingt gut und groovt! In I Missed Again hat der Sänger mal wieder Pech in der Liebe. Der Song klingt wie eine Persiflage auf all die traurigen Songs der verlassenen Lover. Wenn es einem dreckig geht, kann Selbstironie nicht schaden. Mit You Know What I Mean folgt dann ein Song über eine gescheiterte Liebe, all die Irrungen und Verwirrungen, die dann plötzlich vor der Tür stehen. Thunder And Lightning hat auch diesen tollen Sound, der die ganze Platte auszeichnet ( und ich habe nicht die neue aufpolierte Version). Thematisch behandelt der Song die Möglichkeit einer neuen Liebe, nach dem Verlust und der Trauer offenbaren sich auch neue Wege. FACE VALUE ist eine Achterbahnfahrt. Das Grundthema wird von verschiedenen Seiten beleuchtet. Collins schafft es, dass die Platte gleichzeitig vielschichtig ist und dennoch alles gut zusammenpasst.
Das kurze I'm Not Moving scheint auch an seine damalige (Noch-) Ehefrau gerichtet zu sein. Ein flockiger & tanzbarer Song mit einem zornigen Unterton. Dann kommt mit If Leaving Me Easy die große traurige Ballade, alles ist Vergangenheit, die Wörter in den Briefen verblassen, aber die Erinnerungen bleiben, ein sehr schöner und gefühlvoller Song. Streicher, ein Saxophon und Eric Clapton an der Gitarre untermalen diesen Song. Eigentlich der für FACE VALUE passende Schlußsong. Dann folgt aber noch der Lennon-Beatles-Song Tomorrow Never Knows. Auf der wunderbaren REVOLVER war dieser Song der perfekte psychedelische Abschluss. Phil Collins schafft hier eine ebenfalls gelungene Version der frühen Achtziger. Etwa zwei Monate vor der Veröffentlichung von FACE VALUE wurde John Lennon in New York erschossen. Vielleicht nahm Phil Collins deshalb diesen Song auf. Auf jeden Fall ist diese Version eine schöne Hommage an John Lennon. Dann ist aber immer noch nicht Schluß, als Fade Out kann man noch kurz leise Somewhere Over The Rainbow hören. Jeweils am Anfang und am Ende von FACE VALUE finden sich zwei Songs, deren Sound sich deutlich vom Rest des Albums unterscheiden und die dennoch nicht als Störkörper wirken.
Phil Collins galt irgendwann als der Buhmann der Popwelt. Zu viel Pop, zu eingängige Songs, zu viel Schmalz und vor allem zu viel kommerziellen Erfolg und Omnipräsenz im Radio. Es war dann chic sich über ihn lustig zu machen, auch andere Musiker kommentierten seine Songs & Platten mit Häme. Verdient hat Phil Collins dies meiner Meinung nach nicht. Er ist ein toller Schlagzeuger, er ist ein guter Sänger und Musiker, ich finde ihn sympathisch, er hat viele gute Songs geschrieben und gute Scheiben veröffentlicht. Manchen mag seine Musik zu weich sein, zu viel Pop ohne Ecken und Kanten. Ihr aber Qualität abzusprechen halte ich für unangemessen. Wer gute Pop & Rockmusik mag, sollte sich FACE VALUE anhören. (Die Rezension bezieht sich auf die 81-Version)