2 von 5
SisterDew
15. April 2020
Wäre Siegfried Lenz mit dieser Verfilmung einverstanden?
"Deutschstunde" ist für mich Siegfried Lenz' Meisterwerk, dessen sprachliche und atmosphärische Dichte auch heute noch begeistert und die NS-Zeit aus einer ganz besonderen Perspektive beleuchtet. Christian Schwochows respektlose Interpretation hingegen ist ein prima Beispiel für mißlungene Romanverfilmungen. Nicht, weil es unbestreitbar schwierig ist, präzise Sprache in Bilder umzusetzen, sondern weil hier die Drehbuchautorin Heide Schwochow sich anmasst, die Geschichte besser schreiben zu können als Lenz selbst. Natürlich lassen sich 600 Seiten mitreißende Literatur nur bedingt in zwei Stunden erzählen, aber was in diesem Film unter "Verdichtung" und "dramaturgischer Freiheit" gehandelt wird, ist oft eine Zerrbild von Lenz' Figuren und Aussagen. Der Roman lebt von so viele Konflikten und Ungerechtigkeiten, die den Leser packen und in die Geschichte ziehen, so dass sich die Frage aufdrängt, warum sich die Drehbuchautorin noch weitere, sadistische Szenen ausdenken musste. Es ist beispielsweise völlig daneben, wenn der Vater dem Sohn eine Hand an einer glühenden Herdplatte für eine Tat verbrennt, die im Buch überhaupt nicht vorkommt, im Film aber eine entscheidende Rolle spielt. Mit der Fokussierung auf den obsessiven Polizisten verliert der Film den Subtext des Romans aus den Augen. Dagegen bleiben wesentliche Motive (und deren Tragweite) der literarischen Vorlage auf der Stecke. Zeitliche Abläufe werden ungünstig verändert und verschiedene Protagonisten nur angedeutet oder erhalten (wie zum Beispiel Siggis Mutter) durch die Schwochows geradezu gegensätzliche Charaktere.
Die Leistungen der DarstellerInnen sind (für deutsche Verhältnisse) solide, die Kameraarbeit mag sogar gelungen sein, - aber das Drehbuch macht aus einem großen Buch ein banales Drama ohne die Komplexität, die den Zeitroman zu einem der bedeutensten Werke der deutschen Nachkriegsliteratur gemacht hat. Ich empfehle Peter Beauvais' Zweiteiler von 1971.