5 von 5
Kardewski
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Alter:
35 bis 44
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Geschlecht:
Männlich:
29. März 2011
Polanski der Große
Charles Dickens und Roman Polanski, so fragte ich mich seinerzeit, geht denn das zusammen? Es geht, und dabei herausgekommen ist ein Wunderwerk. Klug und richtig die Entscheidung des britischen Dramatikers Ronald Harwood, das Drehbuch auf den Kern der Handlung zu konzentrieren und deren Nebenstränge, die Dickens' wahrhaft klassische Geschichte lang und mitunter auch recht zäh werden lassen - samt für heutiges Publikum grotesk anmutender Zufallsverwandschaft - komplett zu streichen (ein Punkt, den freilich die ehrwürdige BBC anders sieht). Die allertiefste Verbeugung, sie gebührt Ben Kingsley, der es fertigbringt, der berühmten Figur des Hehlers und Ersatzvaters Fagin - in David Leans alptraumhaft düsterer Schwarzweiß-Version noch eine reine Ausgeburt der Hölle - menschliche Züge zu verleihen und sie so zur glaubhaft zwiespältigen, tragischen Figur zu machen. Und bravo Jamie Foreman alias Bill Sykes - welchem anderen Darsteller aber auch stünde der Erzbösewicht derart plastisch ins Gesicht gemeißelt? Anrührend das Spiel des jungen Barney Clarke, der glücklicherweise nicht niedlich, sondern bereits ziemlich erwachsen wirkt. Auch die Nebenrollen sind ausnahmslos so passend besetzt, daß es unfair wäre, Einzelne hervorzuheben. Polanskis typische, in älteren Werken unverwechselbare Handschrift tritt hier wohl zugegeben stark in den Hintergrund, doch wer bitte wollte ihm daraus einen Strick drehen: In diesem Fall ist es sein Perfektionismus, der zählt, der auch in den Bauten und Kostümen und der Farbregie, schließlich in Rachel Portmans edlem, folkloristisch überhauchtem Orchester-Score zum Ausdruck kommt - als köstliche Abrundung einer stilvoll-spannenden, tief bewegenden, zeitgemäßen und dennoch werkgetreuen Literaturverfilmung. -- Ein Tip noch für den Unerschrockenen: Erst die englische Originalfassung macht den Genuß wirklich komplett!