Hervorragender "Saul" aus Dresden
Vielseitigkeit und international beliebte Musiker prägen das glanzvolle Musikprogramm der Dresdner Frauenkirche [
] Ein besonderer Akzent in der Frauenkirchenmusik liegt auf den Werken von Georg Friedrich Händel. So bewirbt die Stiftung Frauenkirche Dresden die bei Carus erschienenen Händel-Aufnahmen. Doch sei mir der Hinweis gestattet: Ganz so rundum glanzvoll, wie es sich hier anhört, ist die Reihe nicht. Unter der Kuppel der Frauenkirche trifft sich in Sachen Händel Solides mit Mäßigem und durchaus auch sehr Gutem. Der unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann entstandene Saul gehört nach meiner unmaßgeblichen Meinung zur letzten Kategorie.
Die Gründe für diese meine Bewertung liegen auf der Hand. Rademann macht einfach einen guten Händel. Da wohnt man als Hörer einem sich mit druckvollem Impetus vorwärts bewegenden Drama bei; der Reichtum der Affekte, den diese Partitur bietet, wird mit einem fast ungetrübten Blick für psychologische und musikalische Details umgesetzt; da wird reichhaltig, aber vollkommen stimmig verziert und und und. Keinen Moment habe ich das Gefühl, dass unterkühlt musiziert würde; nie wirkt das Musizieren aufgesetzt oder affektiert; immer höre ich Farbenreichtum und selten habe ich den Eindruck, dass Rademann dieses Werk als seine persönliche Spielwiese nutzt. Hinzu kommt, dass Rademann hervorragende Sänger und Ensembles um sich herum versammelt hat, von denen keiner heraussticht und auch keiner herausfällt. Alle bewegen sich meine ich - auf einem ganz ähnlichen, recht hohen Niveau, sodass sich beim Hören dieser Aufnahme in meinen Ohren der Eindruck einer ausgesprochen schönen Stimmigkeit und Geschlossenheit, ein rundum überzeugendes Gesamtbild entwickelt.
Zu den Solisten.
Yorck Felix Speers Stimme hat für meinen Geschmack genau die richtige Farbe für die Titelrolle des Saul. Das ist eine tiefschwarze Stimme, mit machtvollem, durchaus an McIntyre erinnernden Klang, wobei sie um ein vielfaches beweglicher ist. Seine Darstellung des Saul ist durchweg erfreulich und gut durchdacht. Da gibt es auf der einen Seite keinerlei Overacting (wie bei Saks), aber dennoch ist da immer ein gewisser Raum, der Speers Interpretation beispielsweise von der eines Davies oder eines Christopher Purves (bei Christophers) trennt. Diese kleine Einschränkung zeigt sich besonders in den Arien. Da höre ich With rage I shall burst oder A serpent in my bosom warmd und denke mir: Tolle Stimme, schöner Sitz, technisch alles top. - Aber da ist doch noch Luft nach oben, ein wenig intensiver dürfte das schon sein, ein wenig deutlicher kann man den Riss, der sich durch die Persönlichkeit Sauls zieht schon zeigen. Was hier an Mut zum I-Tüpfelchen fehlt, macht Speer dann aber in den ausgezeichnet gezeichneten Rezitativen und Accompagnati wett und zeigt, dass er durchaus darstellen kann, was Saul im Innersten umtreibt.
David, the lovely youth, wird von Tim Mead gesungen, der mir schon in der Rolle des Solomon (bei Nicholas McGegan) ausgesprochen gut gefallen hat. Sein klangschöner Counter, der zwar einen jugendlichen, aber mitnichten einen femininen Ton hat, eignet sich für den David vielleicht nicht so gut wie Zazzos Helden-Counter, überzeugt mich aber insgesamt doch sehr. Mich stört es auch nicht, dass er in den Randbereichen der Tessitur und immer, wenn er Kraft entwickelt, deutlich zu vibrieren beginnt. Gut gefällt mir auch der dunkle Klang seines tiefen Registers, weil die Stimme hier noch voll ausklingt und überhaupt nicht gepresst wird. Mead arbeitet sehr schön die unterschiedlichen Affekte heraus, ist in seiner Gestaltung immer ganz nah am Text und entwirft so ein schlüssiges Portrait der Figur. Lediglich in O Lord, whose mercies numberless schießt er mit der schieren Menge seiner Verzierungen mE etwas über das Ziel hinaus.
Sehr angetan bin ich auch von Maximilian Schmitt in der Rolle des Jonathan. Das ist doch einmal ein Tenor mit einer Stimme, wie ich sie mir für diese Partie wünsche: jung, zupackend, dennoch ganz leicht geführt, mit einem körpervollen hohen Register und jenem gewissen Metall, dass man als Held durchaus haben darf. Das ist ein wirklicher Königssohn, ein Erbe des Saul, wie ich ihn mir vorstelle, und kein windelweiches Söhnlein. Hier wird auch immer wieder hörbar gegen den Vater rebelliert: im Rezitativ Hast thou obeyd my orders/ Alas, my father! He your enemy? knistert es sogar einmal richtig.
Auch die Damen können von wenigen Kleinigkeiten abgesehen punkten. So gefällt mir Ditte Andersen in der Rolle der Michal insgesamt gut, wenngleich sie darstellerisch vielleicht nicht das Niveau von Lynne Dawson (bei Gardiner) oder Vasiljka Jesovek (beim Neumann) erreicht. Tatsächlich hat man bei ihrer ersten Arie (O God-like youth!) den Eindruck, sie sei noch nicht ganz in der Rolle. Schön gesungen ist das ja aber die Beziehung zwischen Text und Musik wird nicht so recht deutlich, sodass das alles zunächst einigermaßen unbeteiligt wirkt. Auch das See with what a scornful air dürfte etwas peppiger sein (wobei ihr Rademann, der hier ausnahmsweise einmal ein mE unschlüssiges Tempo wählt, dabei nicht unbedingt hilft). Aber das ist Gejammer auf hohem Niveau. Im Verlauf des Werkes wird das alles besser und ihre Darstellung der Mitleidsarie Fell rage and black despair gelingt schon sehr, sehr gut. Der ein oder andere mag sich vielleicht an ihrem sirrenden Virbrato stören ich nicht.
Anna Prohaska kämpft mit dem gleichen Problem wie Ditte Andersen. Sie singt ausgesprochen schön, ihr voller, nicht ganz hell gefärbter Sopran passt gut zur Rolle; doch wird zunächst nicht ganz deutlich, was für eine Rolle, was für eine Figur das eigentlich ist. Schöne Töne, wenig Gesicht. Auch hier ist es so, dass dieser Umstand im Wesentlichen die ersten Auftritte der Merab betrifft. Das wackelt zunächst die Schlüssigkeit der Affektdarstellung (What abjects thoughts a prince can have!): Worte und Gestaltung wollen nicht zueinander passen. Dies verbessert sich im Verlauf erheblich und die Kontur der Merab schält sich dann doch deutlich heraus.
Eric Stokloßa ist mit der Darstellung des High Priest und der Witch of Endor betraut. Als High Priest gefällt er mir recht gut, obwohl er eine eher flache Stimme mitbringt, die aber dennoch nicht schlecht klingt. Hier und da nimmt er die Vokale und Diphthonge recht breit, was einigermaßen unidiomatisch wirkt. Derlei kann ich aber ohne Schmerzen ignorieren, da er insgesamt sehr schön gestaltet (While yet the tide of blood). Als Hexe von Endor indes gefällt er mir nicht. Hier orientiert er sich (und mit ihm Rademann) für meinen Geschmack zu sehr an der Jacobsschen Extrem-Auslegung dieser Szene. Problem: Diese Art der Überzeichnung, die sich sowohl in Stockloßas karikatur- und fratzenhaften als auch in Rademanns Gestaltung des Orchesterparts äußert, wirkt hier noch fremdartiger als bei Jacobs, weil diese Art der Darstellung vollkommen aus dem bislang präsentierten Gesamtkonzept fällt. Schade.
Clemens Heidrich ist als Geist Samuels keine sonderlich herausragende Besetzung. Seine wackelige, hell timbrierte Stimme verfügt über keine Autoriät, das Sprachrohr Gottes stelle ich mir anders vor.
Sowohl das Dresdner Barockorchester als auch der Dresdner Kammerchor gefallen mir durchweg gut. Das Orchester musiziert nicht nur hochgespannt, sondern auch so wirkt es auf mich mit ausgesprochen viel Freude an dieser Musik. Mir gefällt hier ähnlich wie beim FOG oder dem Concerto Köln der ausgesprochen griffige Zugriff, das immens differenzierte, agile, flexible und in jedem Moment leidenschaftliche Spiel. Ganz besonders gefällt mir Petra Burmann, die an der Theorbe echte Kunststücke vollbringt.
Der Chor klingt nicht so ganz so knackig wie die Ensembles, die Gardiner oder McCreesh zur Verfügung stehen. Dennoch sagt mir der etwas mildere Gesamtklang und die schöne Mischung der Stimmen rundum zu, zumal die Sängerinnen und Sänger durchaus über überraschende Kraftreserven verfügen, die sie bei Bedarf in die Waagschale werfen können (Gird on thy sword).
Eine mich mehr als zufriedenstellende Einspielung.