Lebendig begraben und für tot erklärt: Düstere musikalische Schwarzseherei von Walter Braunfels
Wirklich sehr sehr düster
"Thalita Kumi" (die altägyptische Variante kenne ich jetzt leider nicht) - ich glaube, wenn es nach Braunfels ginge, stünde kein Mädchen mit diesen Worten mehr auf.
Ein Prophet der Heilung war Braunfels dann also nicht. Jedenfalls nicht bei dem, was ich hier gehört habe! Ich hatte mich auch wie andere die ganze Zeit gewundert, warum "Verkündigung" op. 50 im Grunde kein Erlösungsdrama ist, sondern eine Tragödie. Jedenfalls lässt Braunfels die schöne Gestalt der Violaine hier nun gänzlich scheitern. Sie heilt im Drama Claudels ständig andere, und sei es nur am Herzen, und Braunfels kürzte in seiner eigenwilligen Fassung abweichend von Claudel den Schluss, der ihren Erfolg zeigt und ihre Erlösung andeutet.
Nun zelebriert er überraschend in der Sinfonie op. 68 (und auch in der Sinfonie op. 69) ihre Zerstörung mit einer sexuellen Schlachtung, teilweise gerade so, als sei es "genüsslich", muss man sagen. Und auch die wundervollen Pfitzner-Zitate, die Braunfels in der Messe op. 37 und in der Verkündigung verwendet (Messe-Thema, Ighino-Thema, Schöpferthema), werden hier nun wider Erwarten regelrecht grausam zu Tode geritten, ohne einen Lösungschlüssel! Man wohnt einem totalen inszenierten Untergang bei. Ich höre im ersten Satz der Sinfonia das Thema des "Käthchen von Heilbronn" heraus, jenes, was Pfitzner für ihre Worte "Mein hoher Herr" vorsah. Im zweiten Satz finde ich sogar das Thema aus Pfitzners Fantasie op. 56 F-Dur 2. Satz, das zertrümmert werden soll, sowie Themen der Violaine oder Johanna. Am Ende brennt das Stück aus, mit Anklängen an den Schluss aus Brahms Erster Sinfonie op. 68, der hier durch Braunfels wie ein abgefackelter Holzstab verglimmt. Das Gleiche geschieht auch in der "Sinfonia brevis" op. 69, dort wird das Ighino-Thema dem inszenierten Untergang übergeben.
Wollte Braunfels die "Kriegsgreuel" darstellen, wie einer sagt? Wäre doch toll gewesen, wenn er dann so eine Art "Violaine"- oder "Katharinen-Sinfonie geschrieben hätte, die genau das mit einer bereinigenden Idee verbunden hätte. Hat er aber nicht.
Braunfels erklärt Mahler, Brahms und Pfitzner voreilig für tot
Da komme ich zu dem Schluss: Braunfels hat die moderne Erlösungsmusik eines Mahler, Pfitzner, Ullmann, Beethoven, Brahms, Schumann völlig unterschätzt und sie wie angestaubte Konservative angesehen, die angeblich den kommenden Horror nicht vorausgesehen hätten und auf ihn nicht gewappnet gewesen wären.
Ich habe oft bemerkt, dass Braunfels das Erklösungsdrama nur gelegentlich ein- oder zweimal mit Verkündigung und Heilige Johanna zwar gestreift, aber nicht wirklich seine physikalischen Prinzipien verstanden hatte. Pfitzner - ich erwähne ihn jetzt einfach mal, denn die "Sinfonia Concertante" ist nun mal ein Variationswerk auf Pfitzner-Themen, war da - genau wie Mahler - anders! Man sollte ihn nicht für einen kleinen Wutbürger halten, bei dem man vor Kränkungen einen schmalen Hals kriegt, - nein, er war - (wenn man endlich mal die tatsächlichen umfassenden Fakten kennt und nicht die zündend-logisch erscheinenden Kritiken gegen ihn)- er war größer, großzügiger, anders als man meint und anders als der Charakter, den man durch Verwechselungen mit anderen ihm oberflächlich ähnlichen Persönlichkeiten dargestellt bekommt. Er hatte ein "Erlösungsdrama" umfassender Art entwickelt. Probleme, wie Braunfels sie in den beiden Sinfonien und der "Verkündigung" aufwirft, hatte er in etlichen Stücken extrem modern gelöst (Alban Berg über ihn sinngemäß: "auch Pfitzner ist weit vorgestoßen"), und zwar so, dass diese Stücke auch heute noch in unserer Zeit befreiend wirken. Wolfgang Rihm sagte einmal, dass Pfitzner-Aufführungen auch heute noch wie Uraufführungen wirken, und eigentlich, ergänze ich mal, wie Uraufführungen zeitgenössischer Werke, die den Puls der Zeit bergriffen haben. Ich weiß das ----- seine Musik wurde immer wie "Medizin" begriffen.
Themen der Vergewaltigung oder ihrer Überwindung bringt Pfitzner schon früh in der vielleicht modernsten Oper des 19.ten Jahrhunderts, dem "Armen Heinrich", oder im Käthchen von Heilbronn" op. 17 mit der Fieber-Scene (Ouvertüre), oder Klage des Gretchen vor der Mater Dolorasa in "Das dunkle Reich" op. 38, eine zentrale Erlösungsscene, oder in der Heilung des Palestrina, der wieder zum kulturellen Protagonisten wird, oder in der Überwindung des Horrors im Violinkonzert op. 34, oder in der Kantate "Von deutscher Seele" op. 28, das die Erschütterungen, Entwurzelungen oder Zerstörungen überwindet.
Ein weiterer war Gustav Mahler, der auch oft von Braunfels zitiert wurde und nach der erschütternden 9.ten Sinfonie mit der 10.ten und ihrem erlösenden 5.ten Satz das "Drama der Erlösung" wunderbar vollendete.
Braunfels scheitert an sehr engen eigenen Grenzen
Es ist bedauerlich, dass Braunfels das alles nicht begriffen hatte und damit die Komponisten um Beethoven nach einem vieversprechenden Auftakt dann regelrecht mit Zitaten in seinen späten Werken für tot erklärte. Dabei war es gerade Braunfels, der mich mit "Verkündigung" und Messe nur halbwegs interessieren konnte, mich mit seiner "Vögel"-Oper nie überzeugte und mit "Gott minnende Seele" regelrecht abgestoßen hat. Er wich doch den Regeln der Natur aus und klammerte sich an zu strengen Regelwerken seine Religion.
Sie leben noch immer
Ich habe gehört, dass diese CD viele deprimiert hatte. Aus Erfahrung kann ich sagen: Heilbronn ist nicht tot, sie leben immer noch! Mit Schwarzseherei und irrtümlichen Todesanzeigen in der Zeitung muss man immer rechnen und sich von sowas nicht erschüttern lassen.
Zur CD kann ich immerhin noch sagen, dass der Dirigent die Sinfonia ziemlich detailliert und präzise umsetzt, so dass man jedes abscheuliche Detail genau erkennen muss. Das ist vielleicht besser, als eine Beschönigung oder Reduzierung des Gruseleffekts. Das wurde nämlich in der Cappriccio-CD zu Braunfels Preludium und Fuge op. 36 erreicht, worin sich eine ähnliche grausige Eros-Scene wie in Gott minnende Seele und Satz 1+2 des op. 68 findet, ohne dass man das in der Interpretation noch wahrnimmt. ich glaube. Ich glaube aber, bei Youtube gibt es noch eine krassere Variante.
Somit ist die CPO-CD zu Braunfels eine für Kenner nützliche und äußerst brauchbare Dokumentation, die man vielleicht bei der Aufklärung über Braunfels Weg vor dem Ausbruch der Atonalität nicht übersehen sollte, wenn auch mit Vorsicht zu betrachten.