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Anonym
02. Oktober 2018
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Erfolgreicher Überlebenskampf auf einsamen Ozean - Ein neues CPO-Highlight der letzten Jahre
Eine der besten Opern des 19. Jahrhunderts in Form einer Kantate.
Normalerweise mag ich Columbus-Stoffe nicht - wie bei Walton stand es in Verbindung mit der Unterdrückung anderer Völker durch die neuen Eroberer, die den heimischen indianischen Herrschern in Grausamkeit und Sinnlosigkeit in nichts nachstanden.
Hier aber bei Herzogenberg mache ich mal wieder eine Ausnahme. Ähnlich wie in Pfitzners Schiller-Vertonung op. 16 geht es hier in Herzogenbergs op. 11 nämlich nicht um die Unterdrückung der Indianer, sondern einzig allein um die gefährliche Schiffsreise der Matrosen unter Kolumbus durch einen gigantischen Ozean in eine ungewisse visionäre Zukunft. Die Scenerie ist jene berühmte Windflaute, in der sich allmählich die Meuterei gegen Kolumbus entwickelt, bis sein Tod durch die ersten Anzeichen der Ankunft an den Ufern der neuen Welt abgewendet wird.
Herzogenbergs Kolumbus ist also ein Gleichnis auf den Überlebenskampf in äußerst ungewissen Zuständen. Das riesige Meer, die Hoffnung auf einen unbestimmten Traum, wie eine Reise im Weltraum in der Hoffnung, die Rettung zu finden (und sie kommt unerwartet).
Herzogenberg ist vielleicht hier die beste dramatische Kantate seiner Zeit gelungen, und es zeigt, dass das Brahms-Lager ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, gute Opern zu schreiben. Die Musik bietet eine ganze Bandbreite von Gedanken und Emotionen, Naturwahrnehmungen, die manches von Brahms oder Beethoven sogar übertreffen. Offenbar hatte dieser weltliche Stoff Herzogenbergs Poetische Ader voll getroffen. Er verwendet wirklich nur sehr sinnvolle packende Themen, die die Vorgänge geradezu plastisch sinnbildlich beschreiben. Die Windflaute, die Verzweiflung der Seeleute, die Klagen, der Verrat, die Verteidigung von Kolumbus, sein Gebet unter dem Sternenzelt, der drohende Tod, die Erlösung, die Reue seiner Freunde, das Erreichen des Ufers, das alles gestaltet der Komponist mit modernsten dramaturgischen Gesetzen, die Wagner das Wasser reichen können.
Erfreulich ist hier die Interpretation, die mit äußerster Werktreue-Orientierung das Beste aus der Sache macht. Ich kann die Klagen von "Meiernbergs" Kritik nicht nachvollziehen, denn man hat hier in einem ersten Anlauf extrem engagiert jede poetische gedankliche und emotionale Intention verwirklicht und erkennbar gemacht. Herausgekommen ist ein stetig fortschreitender dramatischer Fluss, der bis zum Ziel nicht abzureißen scheint. Der Chor klingt fantastisch und erreicht eine unglaublich präzise Bandbreite in der Dartsellung der Zustände mit bemerkenswerter Genauigkeit. Nichts ist "vom Blatt heruntergesungen" oder "gebrüllt". So müsste man Wagner singen, damit es ein Erfolg wird.
Ein leichtes Manko ist der Klang, der nicht den optimalen Hall besitzt, es klingt aber zum Glück nicht "dumpf wie im Sack". Etwas mehr Hall hätte der Musik allerdings mehr von ihrer atmosphärischen Ozeanischen Größe geben können.
Die Kantate wirkt mit ihren 90 Minuten durchaus lang, aber man hätte durchaus noch andere Chorwerke - wo der Chor doch schon so gut singt - anfügen können, z. B. Pfitzners besagter Columbus op. 16, zumal beide Komponisten kurz nacheinander im deutsch-französischen Straßburg tätig waren, wo zuletzt Pfitzner die Konzerte leitete und zu 50% deutsche und 50% französische Musik spielen ließ und sogar in eigene deutsch geprägte Werke französische Einflüsse aufnahm. Vielleicht wäre da eine Komposition von Gaubert oder Cras eine Ergänzung gewesen. Das wäre für eine Herzogenberg-CD in Gedenken an Straßburg angebracht gewesen.
Vielleicht kann man bei späteren Projekten dieser Art im Sinne einer Aussöhnung an so etwas einmal denken.
Das wäre meine Empfehlung für eine der besten CPO-CDs der letzten Jahrzehnte.