Überzeugendes Dokument einer großen Musikerpersönlichkeit
Erinnerungen verklären Musikaufnahmen mal zum absolut Unerreichten oder zeitigen die unangemessene Ablehnung einer Einspielung. Deshalb ist es wichtig, hie und da das Erinnerte mit der aktuellen Wahrnehmung zu konfrontieren. Im Falle Itzhak Perlman gibt die soeben erschienene Gesamtausgabe aller EMI und Teldec/Erato-Einspielungen willkommenen Anlass.
MEINE PERSÖNLICHE WAHRNEHMUNG PERLMANS
Perlmans unbedingter Sinn für Klangschönheit und Geschmack ist das, was mir als erstes ins Ohr 'sticht' ' nein: 'schmeichelt'. Ihm stehen unglaublich viel Farben und eine schier unbegrenzte Spieltechnik zur Verfügung. Intonationssicherheit bis in die höchsten Lagen, Doppelgriffe, Flageolett, Flautando, Spiccato, Sautille usw. usw. ... Zudem zeigt er immer und überall Stilsicherheit, Formgefühl und Verständnis der Komposition, egsl ob es sich um ein großes Konzert oder ein kleines Stimmungsbild handelt.
Geiger erkennt man mit geschultem Ohr an einem persönlichen Ton, einer ganz bestimmte Farbe, vielleicht auch etwas Widerborstigem oder Eigenwilligem. Perlman hat natürlich dieses persönliche der Tongebung und Farbe (klangliche Zerbrechlichkeit ist z.B. nicht so sehr sein Ding, wobei er natürlich auch mal unglaublich fein leise und ätherisch spielen kann), aber widerstrebende irritierende Aspekte wird man bei ihm vergeblich suchen. Vielleicht ist gerade dieses "Fehlen" auch etwas, woran Perlman erkennbar ist ...
Perlman zeigt in seinem immens breiten Repertoire auch große Neugierde an Abseitigem und wenig Gespieltem. Dankenswert, dass u.a. er sowohl das Korngold als auch das Goldmark Konzert eingespielt hat. Von Letzterem hat sogar der entdeckungsfreudige (und von Perlman verehrte) Heifetz nur einen Satz aufgenommen.
Ganz mutig und wertvoll finde ich die Platte "Concertos from my childhood" mit sogenannten 'Schülerstücken'. Ein Zeugnis, dass Musik überall steckt und sich ein wirklicher Musiker sich nicht mit der Oberfläche (womit ich nicht nur Virtuosität und Klangschönheit meine) zufrieden geben kann. Zudem hat die Platte als Motivation natürlich auch unschätzbaren pädagogischen Wert!
Mein Ohr für Geige habe ich an der Generation vor (und der davor) von Perlman gespitzt. Diese wagten immer das Äußerste (was auch mal danebenging), sodass bei manchen das Instrument hie und da schier zu glühen schien. Die Art von äußerster Emphase ist meinem Empfinden nach Perlmans Sache nicht. Somit stellt sich für mich bei seinem romantischen Ton auch ein klassisches Gefühl für Form und Ausdruck ein. Das soll keine Kritik sein '
Die begleitenden Dirigenten sind ebenso unterschiedlich wie die Aufnahmetechnik. Bei manchen hat man das Gefühl, dass Perlman gut mit ihnen kann (z.B. Previn, mit dem es ja auch ein paar Einspielungen gibt), andere begleiten etwas fahrig oder nehmen nicht ganz Perlmans musikalischen Fluss auf. Das extra erwähnte "Teldec und Erato" bezieht sich übrigens auf die CSO-Aufnahmen (Doppel-CD) mit dem Dirigenten Barenboim, den Perlman wohl zu seinem Lieblingsbegleiter erkoren hat.
- - - - - - -
AUFNAHMEN UND REMASTERING
Bei Perlmans Einspielungen, welche ja über einen sehr langen Zeitraum entstanden sind, lassen sich Aufnahme und Mastering nur zusammen behandeln. Das liegt weniger am Altersunterschied, sondern mehr an den unterschiedlichen Aufnahmekonzepten.
In manchen Fällen ist der Ton der Geige sehr direkt abgenommen, manchmal so nah, dass sich für meine Ohren der Klang nicht ganz entfalten kann und man nicht so recht weiß, wie das nun real im Raum klingt. Das betrifft auch manche Duo-Aufnahme, bei welchen solch ein 'close up' ja vielleicht nicht zwingend notwendig gewesen wäre. Bei anderen Einspielungen (z.B. den Bach Solo Sonaten und Partiten) wäre mir persönlich ein intimeres Klangbild mit weniger starker Klangreflexion lieber gewesen.
Manche begleitenden Orchester klingen räumlich präsent und gut aufgefächtert, andere klingen im Stereopanorama nicht ausgereift und wenig glücklich in der Balance mit der Violine.
Rauschen oder störende Frequenzen sind (außer bei Konzertaufnahmen mit Orchester selten Saalrumpeln) bei den EMI Aufnahmen mit Perlman nie das Problem gewesen. Eher hat bei deutschen Schallplatten der etwas verhangene Klang gestört, bei den CDs dann eine harte oder scharfe glanzlose Digitalisierung der analogen Aufnahmen. Beide Mankos sind in den technisch sehr gut gelungenen Transfers verschwunden.
Leider bietet das ausgezeichnete Mastering selten auch nicht erwartete Nachteile. Ein Beispiel:
Das Brahmskonzert mit Guilini und dem CSO klingt als japanische HQCD vielleicht minimal weniger hell aufgelöst, aber das Orchester ist tiefer im Raum gestaffelt, fülliger und besser zu orten. Perlman ist mehr in den Wechselwirkung von Violine und Orchester integriert als in dem neuen Mastering hier. Das hört man eine große Geige vor einem in den Hintergrund verschobenen 'Orchester aus der Kiste'.
Ich denke, dass die Aufnahme selbst technisch nicht ganz optimal gelöst ist (wie manch andere hier auch) und dass das ehrliche Mastering manche Unvollkommenheiten der Aufnahmebalance eher unterstreicht.
Bei den allermeisten Einspielungen wirkt sich das aber unbedingt als Vorteil aus, nur bei ein paar wenigen erweist das sehr gute Mastering dem Ergebnis einen 'Bärendienst'.
Erfreulich, dass manche nur noch schlecht zu bekommende Einspielung hier nun wieder (auch einzeln) veröffentlicht ist, ebenso auch Aufnahmen, die es meines Wissens noch nicht auf CD gab (z.B. J.C.Bach , Stamitz und Vanhal mit dem Oboisten Ray Still).
EDITORISCHES
Eine sehr stabile Box, vergleichbar der Callas-Box, optisch durchaus ansprechend und in der blau-gelben Farbgebung edel. Auch die ansteigende Staffelung in zwei Reihen ist wie bei der Callas Box (Achtung: DEUTLICH höher als eine normale CD-Box!), ebenso die sonst bei keinem Label vollzogene großzügige Regelung mit den Coverhüllen. Sie sind sehr breit auf der schmalen Seite und bieten so sowohl viel Platz für die Beschriftung des Rückens als auch für die CDs selbst (die nochmals jeweils in einer extra Hülle stecken).
Das Textheft ist gut aufgemacht und schön mit vielen hochwertigen Fotorepros versehen. Leider habe ich in den wenigen Tagen, die ich diesmal nur Zeit hatte, die Box (welche nicht meine ist) unter die Lupe zu nehmen, es versäumt, dieses genauer zu studieren. Ich war zeitlich sehr pressiert, möglichst einen Überblick über die Aufnahmen und den Klang zu bekommen. Das Vergleichen von Aufnahmen kostet viel Zeit und davon leben viele meiner Besprechungen, die auch für Menschen hilfreich sein sollen, die schon das eine oder andere der Box als Einzel-CDs in älteren Überspielungen haben. Ich wollte die Besprechung auch schnell einstellen, da ich weiß, wie begierig mancher Interessierte sein dürfte, möglichst schnell mehr zu erfahren, um den Kauf zu entscheiden.
WERTSCHÄTZUNG . . . ?
Vielleicht etwas ganz Nebensächliches, aber dennoch für mich ein 'Symptom' mit schlechtem Beigeschmack:
Definitiv unangemessen, unwahr und großspurig finde ich die Marktstrategie von Warner, alle Übernahmen der HMV / EMI-Tondokumente nun als 'Warner-Aufnahmen' zu bezeichnen. Ähnlich wie bei der Philips-Übernahme durch Decca (da wird zumindest hie und da noch der Name Philips erwähnt) wird hier versucht, einen wichtigen Teil der Schallplattengeschichte 'umgeschrieben' und die Erinnerung und Wertschätzung von höchst wichtigen Schallplatten-Labels (im Falle HMV / EMI vielleicht des wichtigsten überhaupt) auf Dauer zu tilgen. Aber warum nur?
Menschen, die z.B. noch ältere Einspielungen als die von Perlman kaufen, verbinden mit den Aufnahmen auch die Namen Fowler, Larter oder Legge u.v.a. und somit untrennbar das auch Label HMV / EMI.
Im November wird eine 16 CD-Box 'Adolf Busch Busch Quartet' bei Warner mit dem Titel 'the complete Warner recordings' erscheinen ' warum nicht mit dem Warner-Logo und dem Titel 'the complete HMV recordings'?
Japaner würden so etwas 'Übergriffiges' nicht machen . . .
FAZIT
Natürlich kann in einer Box mit 77 CDs nicht für jeden alles Unverzichtbar sein ' es sei denn natürlich, man ist absoluter Perlman-Verehrer. Ohne despektierlich sein zu wollen. Manches ist durch Konkurrenz-Aufnahmen evtl. entbehrlich oder von der Aufnahme her nicht ganz glücklich gelungen. Ich habe offen gesagt länger überlegt, ob ich nun vier oder Fünf Sterne vergeben soll. Den Ausschlag hat die liebevolle Aufbereitung gegeben '
Mein ganz persönlicher Tipp: Warner scheint bis Ende des Jahres alle CDs der Box im hier vorgelegten Remastering auch einzeln in Jewelcase Ausgaben zu veröffentlichen. Wer also nicht ALLE Perlman-CDs im Schrank stehen haben muss, der kann ja Preis und Platz abschätzen (Einzelausgaben sind natürlich teurer und die CD braucht etwas mehr Platz) und danach seine Entscheidung fällen . . .
Wie auch immer: Warner hat die Box liebevoll gestaltet und besonders die Aufnahmen durch das neue Mastering zum Teil auch aufgewertet.
- - - - -
Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!