5 von 5
Musaion
Top 100 Rezensent
09. Januar 2023
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Fast perfekt
Ab und an gibt es auch erfreuliche Aufführungen eines Wagner-Werkes in der Gegenwart - so in diesem Fall.
In enger Anlehnung an das Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen 1967 (ebenda) ist hier ein minimalistisches Bühnenbild entstanden: im ersten Aufzug eine angedeutete Esche zwischen Felswänden, ansonsten kreisförmige Rampen - das reicht, um das Setting anzudeuten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sehr gelungen ist die Lichtregie, die in Kombination dazu in dunkel-düstren Grün-/Blautönen die Stimmung wiedergibt. Die Kostüme passen auch gut zum Werk. Nach Schenks besonders stimmiger Inszenierung nun eine weitere gelungende Variante, wohl weil sie praktisch aus den 60er Jahren wiederbelebt wurde.
Problematischer ist dann die Figurenregie von Vera Nemirova. Hier zeigen sich leichte Schwächen, z. B. der moderne Hang zum Plakativen, so wenn Hunding Sieglinde zwischen die Beine greift. Das muss nicht sein und passt eigentlich nicht zur Figur. Hier ist Salminen bei Chereau mit wenigen Blicken ausdrucksstärker in seiner Begehrlichkeit, ohne in primitive Handgreiflichkeit zu verfallen. Würde der "spießbürgerliche" Hausherr vor dem Fremden so etwas machen? Nein!
Anderes Beispiel: Walkürenritt zu Beginn des 3. Aufzugs. Im Gänsemarsch stapfen die Walküren die Rampe herunter, stellen sich halbkreisförmig auf und singen die nächsten 8 Minuten zu Salzsäulen erstarrt vor sich hin. Da muss einem Regisseur mehr einfallen! Ebenso wenig nachvollziehbar: Während die gefallenen Helden sich anfangs bittflehend in der Mitte tummeln - von einer "Bewachung" durch die Walküren kann ja keine Rede sein, denn die schauen starr woanders hin - sind sie plötzlich ein lebloser Leichenhaufen, um dann bei Wotans Erscheinen wieder lebendig zu werden und unauffällig zu verschwinden. Das gehört unter die Rubrik "sinnlose Regieeinfälle". In die Rubrik "unsinnige Regieeinfälle" gehört das Steckenpferd für Brünnhilde am Anfang des 2. Aufzugs. Wenn der Rest relativ "realistisch" inszenzeniert ist, dann wirkt das entweder (bestenfalls) naiv-einfallslos oder (schlimmstenfalls) als post-brechtischer Verfremdungseffekt. Da man aber heutzutage viel schlimmere Pervertierungen von Opern gewöhnt ist, erscheinen diese Monita geradezu als Petitessen - so weit ist es schon gekommen.
Nun endlich zu wirklich Erfreulichem - der recht guten Sängerriege.
Zunächst zu Peter Seiffert. Es freut mich außerordentlich für diesen höchst verdienstvollen Sänger, dass er im stolzen Alter von 63 Jahren diese anspruchsvolle Partie so gut bewältigt - nein: wirklich gestalten kann! Bis auf ganz wenige und minimale Schwächen bei lyrischen Momenten singt er großartig - sowohl heldisch-auftrumpfend z. B. bei den Wälse-Rufen, aber auch mit lyrischen Piano z. B. bei "Nun weißt du, fragende Frau". Seine Artikulationsdeutlichkeit und Phrasierungskunst suchen sowieso heutzutage ihresgleichen. In den letzten fast 50 Jahren hat nur Botha ähnlich klangschön, aber nicht so dramatisch zu singen gewusst. Was für ein "goldener" Gesangsherbst im Sängerleben Peter Seifferts. Wer sollte ihn ersetzen können?
Zeppenfeld gibt einen markigen, von Anfang an auf böse getrimmten Hunding. Das ist stimmlich durchaus eindrucksvoll - jedoch gleichzeitig ähnlich plakativ eindimensional und wenig nuancenreich wie seine Personenregie. Dennoch eine gute Leistung.
Anja Harteros` Sieglinde hat etwas Hartes, eher Kantiges gerade am Anfang - erst in den dramatischen Passagen kommt die Stimme in Schwung. Das Zarte und Scheue zu Beginn liegen ihr nicht.
Großartig ist Anja Kampes Brünnhilde: darstellerisch und gesanglich. Sie ist die beste Brünnhilde auf der Leinwand, leuchtende Höhe und jubelnder Übermut zu Beginn, inbrünstiges Flehen am Ende. Besser geht`s nicht.
Ebenso großartig Vitalij Kowaljows Wotan: stimmschön und stimmstark zugleich. Gott und Vater - beides glaubhaft dargestellt und gesungen bei glasklarer Diktion. Nur James Morris unter Levine ist ihm stimmlich und darstellerisch (aber nicht in der Diktion) gewachsen.
Thielemann ist einerseits sehr gut in den verhalten-lyrischen Passagen, andererseits geradezu bräsig in den dramatischen - so zu Beginn des 2. und vor allem des 3. Aufzugs (allerdings passend zu den statuarischen Walküren). Da steht ihm wohl seine andernorts gerühmte hochdifferenzierte Dirigierkunst im Wege. Das ist Musikdrama - kein Kammermusikabend!
Alles in allem gesanglich sehr überzeugend, musikalisch recht gut und inszenatorisch mit kleinen Regieschwächen.
Für heutzutage eine sehr gelungene Aufführung. Alle Achtung!
P. S. Leider wieder nicht aus Bayreuth.