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Anonym
30. Oktober 2016
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Atterberg Symphonie Nr. 9 op. 54 - Referenzaufnahme zu einem radikalen Weltende
Eine Weltuntergangssymphonie, muß man da nicht Angst haben? Wer will sich schon gerne in den eigenen Untergang reden! In einem Moment, wo es für einen selbst wichtig ist, nicht zu verlieren. Wer will da ausgrechnet jetzt bei einem solchen Werk zugreifen... Ich glaube, das Werk hat gute Chancen! Denn ich bin mir sicher, daß Atterberg mit seiner 9.ten nicht kaputt machen will. Gemeint ist im Enstehungsjahr 1955/56 wohl eher der Wille zum Untergang während des zweiten Weltkriegs, die Vollstrecker des Untergangs, die ihn Jahre lang wollten und schließlich selbst herbeiführten. (Und nicht die Opfer, die ihn nur befürchteten.)
Die deutlichsten Kompositionen zum Weltuntergang sind wohl Wagners Ring des Nibelungen, Jon Leifs Baldr op.34, Raffs Weltende-Oratorium op.212 und zuletzt die "Vögel"-Oper von Braunfels, der 1954 ein Jahr vor Atterbergs Symphonie starb. Atterbergs Sinfonie zeichnet sich mit einem Gefühl der Einsamkeit aus, der eines der letzten "Zurückgelassenen" aus der Zeit der Hochromantik. Eine gewisse Ähnlichkeit zu Braunfels relativ leeren und faden Spätwerk dieser Zeit (Sinfonia Brevis, Hebridentänze, Spiel von der Auferstehung) zeigt sich in der Symphonie von 1955 in einer gewissen Monotonie und Kühle. Es soll ja nach Atterbergs Ansicht die Geschichte eines Untergangs wie aus der Perspektive der Zukunft rückblickend erzählt werden, also aus dem Ort einer Wüste, die nach dem Feuer blieb.
Dabei wechseln sich zwei Ebenen ab: die visionäre Kontemplation der Seherin Heidrun durch das Altsolo, die aktive Darstellung der Geschichte der Götter durch den Chor. Langsam-Schnell, langsam-schnell usw. . Hier meine ich, daß Järvi bei Chandos eine Referenzaufnahme vorgelegt hat. Dieser Wechsel von spannender Vorraussicht und stetig sich steigender Entladung des Tatsächlichen ist Järvi deart spannend gelungen, daß er die Aufnahme von Rasilainen ausnahmsweise übertrifft. Bei Rasilainen ist es in der Tat etwas zu matt (was man von allen anderen Symphonien natürlich im Gegenteil nicht sagen kann), auch die "Farben" sind vielleicht fade. Bei Järvi wirkt die postapokalyptische Wüste bei aller Askese reizvoll, intensiv geladen, die Ausbrüche des Unheils kraftvoll energetisch, das Klangbild ist stets Warm, in der derzeitigen Musik-Trend-Farbe "Rot" (Man denkt da auch ohne weiteres an Hartmanns spätere Gesangsscene "Gomorrah").
Der Kauf der CD lohnt sich allein wegen dieser Idealaufnahme der Neunten. Die 7.te ist auch reizvoll, für meinen Geschmack könnte sie etwas langsamer sein, wenngleich die warmen Klangfarben sehr interessant sind, und so sehr neuartig bei Atterberg. (Langsamere Aufnahmen findet man bei Sterling)
Die CD hat nur einen kleinen Nachteil: das üppige informative Booklet hat beim Libretto keine deutsche Übersetzung, die aber findet man in der CPO-Ausgabe mit Rasilainen.
Insgesamt darf man sagen: Eine Weltuntergangssymphonie für den gemütlichen Winterabend vor dem Kamin, - solange noch Zeit dazu ist, und eine Siebte Sinfonie op.45, die davon handelte, wie man ihn verhindert (es geht darin um die Oper "Fanal", wo ein junger Mann namens Michael die Bauern von einem brutalen Aufstand abhalten will, erschienen mitten beim Anbruch des dritten Reichs 1936)