5 von 5
Anonym
27. Juni 2019
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Nächtliche Klangemissionen
Hier hat sich eine CD auf den grellen, wettbewerbsdominierten Musikmarkt vorgewagt, die ihr Leben dem Dunkel, der Stille der Nacht und des Alls verdankt. Entsprungen den Hirnwindungen des hochversierten und musikenzyklopädisch forschenden Pianisten Matthias Veit, spuken hier Feen und Irrwische, geben sich Astralwesen und Alpe ein Stelldichein und treiben ihr (Un)Wesen in höchst abwechslungsreich gestalteten 74 Minuten, die einer Achterbahnfahrt durch den Musikkosmos gleichen - zeitweilig in slow motion, wodurch dann Brüche und Kulminationen sich um so eindrücklicher manifestieren.
Mal glaubt man sich versetzt in ein antikes Theaterrund - und erlebt Raumflüge einer Sound Space Odyssee 2019.
Nächtliche Naturlaute, morphologisch den Bartok’schen Klängen der Nacht entlehnt, die auf dieser Cd allerdings keinen Platz fanden, bilden den Basissound, teils frappierend, teils verstörend oder auch überraschend dem Kosmos der menschlichen Gefühle an die Seite gestellt und mit ihm verwoben.
Fünf Stücke aus dem Makrokosmos des Klangmagiers George Crumb geben das Grundgerüst und fangen in ihren Netzstrahlen zumeist selten Gehörtes ein.
Die antik-naive Choreografie der Debussy‘schen Delphischen Tänzerinnen platziert sich nahtlos zwischen die eröffnende Crumb’sche Pastorale mit ihren vorzeitlich nächtlichen Vogelrufen und Skrjabins Prélude, op. 29/2, das die Phönixrufe des Prologs in feinnervig aufschießende Beschwörungsformeln verwandelt.
Sechs Preludes der beiden Klangpioniere Skrjabin und Chopin dialogisieren in einem Vexierspiel von Farben und leidenschaftlicher, nächtlich getönter Stimmungen.
Ganztonkoplexe des russischen Ekstatikers gleiten unmerklich in die impressionistischen Klangmalerei der Feuilles Mortes und verdichten sich später zur alptraumhaft anmutenden, tritonusgeschwängerten toxischen Schwüle des späten Prelude op.74/3.
Mittig platziert das fantastisch anmutende Nocturne op.33 von Samuel Barber.
Zur romantische Klimax hingegen avanciert das virtuos berückend interpretierte Chopin’sche Nocturne op. 27/2, musique d‘amour par excellence.
Und dann wieder - per Schnitt - wird man unvermittelt hineingeworfen in Crumb-Kubrick’s Raumklangemissionen der Twin Suns, die auf atemberaubend natürliche Weise in den altägyptischen Graburnengesang von Debussys Canopes münden - einem dieser traumlogischen CD-Übergänge, deren Magie man sich nur überlassen, aber nicht entziehen kann.
Besonders sinnfällig wird diese somnabule Logik auch in den Crumbschen Dream Images, wo sich Chopin-Zitate in die Sternenmusik mischen, - sowie in der daran angelehnten, eigens von Veit konzipierten orgiastischen finalen Collage von Werken der drei CD-dominanten Komponisten Chopin , Skrjabin und Debussy, die dieses opulente Nachtmenü beschließt.
Alles in allem wieder ein Wurf aus berufenen Händen, der den genialischen Höhenflug der Micromania-CD makrokosmisch fortsetzt. Ein Muss für alle somnambulen Enthusiasten und Fans spekulativer Konzepte.