4 von 5
Anonym
13. September 2018
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
4,0 von 5
Pianistin mit Potenzial
Wenn man Rezensionen zu den Alben von Alice Sara Ott liest, scheint es vor allem zwei Fraktionen unter den Rezensenten zu geben: Die erste Fraktion ist der Pianistin mehr oder weniger bedingungslos verfallen (man hat den Eindruck: nicht immer nur wegen der Musik), die zweite Fraktion belächelt Ott quasi als eine Art "Marketing-Gag" der Deutschen Grammophon, nach dem Motto "jung und hübsch, aber natürlich kein Vergleich zu den Großen der Vergangenheit". Wer der Pianistin unvoreingenommen zuhört, wird feststellen, dass Ott wirklich an sich arbeitet und seit ihrem Debüt bei der Deutschen Grammophon immer besser geworden ist. Sie zählt heute zu den ernstzunehmenden Pianistinnen und untermauert dies mit einem recht eigenwilligen neuen Album namens "Nightfall", bei dem sie Stücke von bekannten französischen Komponisten eingespielt hat, die (so anscheinend die Idee des Albums) entweder programmatisch mit dem Hereinbrechen der Nacht zu tun haben oder (nach der Auffassung der Pianistin) eine solche Stimmung transportieren. Über diese etwas banale Idee gerät beinahe aus dem Fokus, dass Ott hier wirklich eigene, man möchte fast sagen eigenwillige, Interpretationen vorlegt. Vor allem Ihr Pedal-Gebrauch lässt aufhorchen und ist alles andere als strikt immer das, was in den Noten steht. Das mag man kritikwürdig finden, aber es überzeugt auch musikalisch. Zwar übertreibt Ott es manchmal mit ihrem Ansinnen, den allzu oft als verträumte Ballädchen dargebotenen Stücken, ihren Zauber zu entreißen, um zur eigentlichen Musik durchzudringen, aber das Album an und für sich ist mutig, gerade weil es die Marketingmaschinerie der Plattenfirma musikalisch unterwandert, was aber eine Firma wie die Deutsche Grammophon wohl nicht einmal merkt. Alice Sara Ott ist zusammen mit Altersgenossinnen und -Genossen wie Boris Giltburg (NAXOS) oder Danae Dörken (ars Production) sicherlich eine der spannenderen Figuren der aktuellen Klavierszene, die man im Auge behalten sollte. Mit ihrer pianistischen Entwicklung ist sie jedoch definitiv noch nicht am Ende angekommen, was eine gute und eine schlechte Nachricht gleichermaßen ist.