4 von 5
gemi:re
Top 25 Rezensent
20. August 2017
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
3,0 von 5
Beethoven aus massvoller Sicht
Das (bildnerische) Diktum "Alle Kunst ist Mass" wirft folgerichtig die Frage auf:
welches bzw. wessen Mass? Und, womöglich ein unausgesprochenes, kulturell verbindliches?
Wie äusserliche Gestalt zur ideellen, inneren und kaum sichtbaren von Gehalt primär visuell messbar erscheint, wird man im musikalischen Bereich auf Notation resp. Metrum verwiesen und auch, und letztlich doch meist, auf den verhallenden Klang, die hörbare Interpretation, als veräussertes Mass der Musiker, hier Dirigenten (und ev. Orchester).
Der 90er-Geburtstags-Edition für und von Herbert Blomstedt, einer Sammlung seiner Leipziger Beethoven-Dirigate von 2014-17, wird man ein hohes Mass an reflektierter Durchdringung und musikalisch schlüssiger Formulierung der Beethoven-Materie meist wohlwollend, und wenn
auch nicht immer restlos überzeugt, zuschreiben können.
Sein Beethoven klang noch nie so rhetorisch natürlich und flüssig wie hier mit dem Leipziger Gewandhaus Orchester, plausible Tempi und Phrasierungen, ohne jede exzessive, eigenwillig laute Artikulation. Man hört vornehmlich ein geschmeidiges Mass an moderater Instrumental-Balance, zudem durchweg auch zügig und ohne Pathos dirigiert, immerhin.
Vergleichsweise anders klang Blomstedts früherer Beethoven-Zyklus mit der Dresdner Staatskapelle, nämlich insistenter, kantiger und pronouncierter, und auch die Mitschnitte seiner Münchner 2016er Konzert-Einstudierungen der 4ten und 5ten, sein B-Phil-Konzert mit der 4ten erscheinen mir artikulierter und insgesamt prägnanter vollzogen, als diese Leipziger Mitschnitte, die insgesamt zwar sehr stimmig sind, jedoch für Beethoven, den musikalischen Revolutionär seiner Zeit, zu stimmig und gefällig, und m.E. nicht immer ohne Gefahr, das musikalisch doch z.T. extreme Potential zu verharmlosen.
Mir fehlte bei allem, auch dem klangtechnisch befriedigend-runden Schönklang, doch gelegentlich ein distinktives und nötiges Quäntchen Biss.
Man braucht gar nicht den Vergleich zu vielen hist.informierten und auch mal zu fix realisierten neueren Einspielungen bemühen.
Viele orthodox-konventionelle Beispiele aus den 50-70er Jahre von Statur der Busch, Kleibers, Klemperer und Scherchen belegen nach wie vor eindrucksvoll und aufregend, wie durchformuliert Beethoven klingen kann, ohne ihm allzu arge interpretatorische Gewalt anzutun.
Und dafür steht auch, und nicht zuletzt, der letzte Leipziger Beethoven-Zyklus unter Riccardo Chailly als respektables wie erfreulich prägnantes Beispiel.