5 X Beethoven
Als ich einem Freund erklärte, dass ich die nächsten Monate die fünf Gesamteditionen der Beethoven-Werke von Opus 1 bis Opus 138 einschließlich aller WoO, Hess, Unv, Biamonti u.ä. durchhören werde, bat er mich um einen Tipp, welche er sich zulegen solle. Ich antwortete, dass ich erst alles angehört haben müsse, um eine Meinung haben zu können, woraufhin er meinte: „Wenn diese Aktion eines Bekloppten irgend einen Sinn haben soll, dann musst du mir schon jetzt etwas sagen können. In zwei Jahren gibt’s die Ausgaben alle nicht mehr…!“ Deshalb also hier jetzt eine erste, sehr vorläufige Meinung…
Ich benutze von DG die Complete Edition von 1997 in 87 CD (erschienen anlässlich des 100.Geburtstags der DG), verteilt auf 20 Schuber, wobei mir allerdings leider der 20.Schuber (6 CD) mit historischen Aufnahmen fehlt, die Brilliant-Edition von 2015 in 86 CD sowie die drei GA für das Beethoven Jahr 2020 von Naxos (90 CD), Warner (80 CD) und DG (118 CD) sowie als Ergänzung noch die 60 CD umfassende Sammlung von Sony mit dem Titel ‚Beethoven Masterpieces‘.
Zuerst erstellte ich anhand der 5 GA ein Verzeichnis aller Werke nach Opuszahlen, Werke ohne Opuszahlen (WoO) sowie den weiteren Verzeichnissen Hess, Unv(ollendet), Biamonti sowie Anhang, Gardi etc., aber auch von Werken, die in keiner Katalogisierung auftauchen; danach notierte ich, in welcher GA die Werke jeweils vertreten sind.
Interessanterweise hat keine GA alle Opuszahlen aufgenommen, es fehlen immer mindestens zwei (Warner, bei allen anderen mindestens drei), wobei es sich da durchweg um Bearbeitungen Beethovens eigener Werke handelt. Bei den zusätzlichen Verzeichnissen wie WoO u.ä. wird es richtig unübersichtlich, zumal auch die Konkordanzen nicht völlig eindeutig sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Naxos auf dem Gebiet des Liedes unschlagbar ist, auch wenn andere GA durchaus Lieder haben, die bei Naxos nicht auftauchen. Naxos hat aber mit Abstand die meisten Lieder und überdies auch noch in unterschiedlichen Fassungen, so dass man einen Blick in die Werkstatt Beethovens werfen kann. Auch bei den Instrumentalwerken ist Naxos führend, da haben allerdings besonders die New DG, aber auch Warner einiges zu bieten, was bei Naxos fehlt. Inwieweit das alles den Gebrauchswert beeinflusst, ist sicher auch eine Geschmacksfrage; ich habe jedenfalls bei dem Durchforsten der verschiedenen GA etliche CD‘s gesehen, die ich bald zweimal hören werde, nämlich das erste und auch das letzte Mal…Aber die Arbeit, die sich vor allem Naxos, aber auch die anderen gemacht haben, ist aller Ehren wert!!!
Handhabung: Das Heraussuchen der CD’s ist bei allen GA nicht ganz einfach; zwar gibt es mit Ausnahme von Brilliant farbliche Unterteilungen, die aber nur bedingt weiterhelfen. Völlig unproblematisch ist das nur bei der GA der DG von ’97 mit den verschiedenen Schubern, die jeweils deutlich beschriftet sind und unterschiedliche Portraits Beethovens tragen. Hier zerbröseln manchmal die CD-Kunststoffhüllen, was nicht wirklich tragisch ist, aber doch schade, da der ansonsten äußerst hochwertige Eindruck der Ausgabe etwas geschmälert wird. Dafür nimmt die GA ’97 noch deutlich mehr Platz ein als Brilliant, Warner und Naxos zusammen.
Die Hüllen sind bei Warner, Naxos und New DG aus solider Pappe, bei Brilliant aus den billigen, aber völlig ausreichenden Papierhüllen.
Informationen: Die GA Brilliant 2015 bietet überhaupt keine Informationen; Warner hat ein Heft, das einen sehr interessanten Aufsatz enthält, der aber nur vereinzelt auf einige Werke eingeht. Und Warner hat eine Liste der Werke, die nicht in die Ausgabe aufgenommen wurden sowie eine Konkordanz der Werke unterschiedlicher Katalogisierungen! Das ist eine erstaunliche Arbeit, die man eigentlich von der DG New Edition erwartet hätte…Naxos bietet nur einen englischen Text mit einigen Infos zu den bekannten Werken, auch da oft sehr knapp; DG ’97 hat zu jedem Schuber zwei Hefte, eines mit deutschem, englischen und französischem Text, eines auf Italienisch und Spanisch. Die Hefte informieren in der Regel zuverlässig über die Werkgruppe und dann über die einzelnen Werke und bringen auch viele Fotos, die in Beziehung zu Beethoven und seinen Werken stehen und dann erläutert werden.
Die DG New Edition hat unterschiedlich dicke Hefte zu den einzelnen Kategorien wie z.B. Chamber Music, Keyboard etc. Die Hefte übernehmen bewährte Abschnitte von der alten ‘97er Ausgabe, bringen ebenfalls Fotos, haben aber auch neue, ausführlichere Texte, z.B. zu den Klavierquartetten WoO 36, die in der alten GA nur kurz erwähnt werden. Große Musikologen schreiben über große Werke Beethovens. Über die Streichquartette schreibt z.B. Nancy November (In der DG’97 war das noch Otto Oktober…). Insgesamt erhoffe ich mir bei der DG New Edition noch viele spannende Infos über unbekanntere Werke.
Interpretation und Klang: Bisher habe ich noch keine gravierenden Mängel sowohl bei Klang als auch Interpretation entdeckt. Bei WoO 4 haben Naxos und Brilliant dieselbe Aufnahme, bei Brilliant klingt sie vielleicht ein bisschen brüchiger. Ansonsten sind die frühen Werke bei Brilliant oft mit viel Tempo und Schwung, bei Naxos manchmal etwas pathetischer. Warner und die beiden DG-GA bieten hochwertige Aufnahmen, z.T. mit klangvollen Namen (Argerich bei Klavierquartett WoO 36). Ob man Harnoncourt mag (Symphonien bei Warner), dürfte nicht so entscheidend sein, nur seinetwegen wird man sich die GA nicht zulegen und es gibt genug gute Alternativen für wenig Geld.
Die Symphonien bei Brilliant sind mit Herbert Blomstedt; es ist eine klassisch kapellmeisterliche Interpretation ohne Schwächen, aber die Transparenz steht sicher nicht im Vordergrund. Bei Naxos bietet Bela Drahos unprätentiöse Einspielungen, bei denen lediglich manchmal der Klang ein bisschen dünn ist.
DG The New Edition hat mindestens drei Versionen jeder Symphonie, da sollte für jeden Geschmack etwas dabei sein. Auch sonst gibt es im Anhang noch historische und historisch-informierte Einspielungen, da kann man sicher über die Auswahl diskutieren.
Fazit:
Wer möglichst viele verschiedene Beethoven-Werke hören möchte, greife zu Naxos. Info-Text nur auf Englisch, Infos spärlich.
Wer gerne Interpretationen vergleicht und sich über Hintergrund der Werke u.ä. informieren möchte, der ist mit der DG New Edition bestens bedient, die neben den Heften auch noch ein Buch mit vielen Infos bietet.
Wer viele namhafte Interpreten für wenig Geld möchte, greife zu Warner.
Brilliant ist zurzeit wirklich billig (59 Euro), aber keinesfalls schlecht. Vermutlich wird diese GA auch dauerhaft erhältlich sein, in aktualisierter Form natürlich…